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Die Frau des Händlers

Ein reicher Händler beschloß, in Geschäften übers Meer und in das Mohrenland zu reisen. Er sprach zu seiner Frau: »Je länger ich ausbleibe, um so größer werden die Schätze sein, die ich mitbringen werde. Bin ich nach drei Jahren nicht zurückgekehrt, dann bringe dieses Kästchen zu dem Richter unserer Stadt, damit er in deiner Gegenwart es öffne.« Dann reiste er ab, nachdem er die Frau der Obhut ihrer Amme anvertraut hatte.

Zwei Jahre vergingen, und der Mann war noch nicht zurückgekehrt. Immer mehr verblaßte sein Bild im Gedächtnis der Frau. Ihre Freundinnen sprachen zu ihr: »Dein Mann ist wohl längst gestorben fern im Mohrenland, wohin ihn seine Habsucht trieb, und deine Jugend fließt dahin wie ein flinkes Bächlein. Laß ihn für tot erklären und werde die Frau eines andern rechtschaffenen Mannes.« Die Frau sagte nichts dazu, aber sie dachte viel über diese Reden nach, so daß die Amme zu ihr sprach: »Dich drückt nicht allein die Sorge um deinen Mann; ich glaube, daß noch andere Gedanken dich bedrücken.« Darauf teilte die Frau ihr mit, was die Freundinnen zu ihr gesprochen hatten. Sie erwartete, die Alte würde ein Gleiches zu ihr sprechen; diese aber sagte nichts dazu, und das verdroß die Frau.

Als ein weiteres Jahr verflossen war und der Ehemann noch immer nicht zurückkehrte, da ging die Frau mit dem Kästchen zu dem Richter und übergab es ihm mit den Worten: »Heute sind drei Jahre vergangen, seitdem mein Mann in Geschäften übers Meer in das Mohrenland gereist ist. Hier überbringe ich dieses Kästchen, wie er mir es aufgetragen hat, damit du in meiner Gegenwart es öffnest. Doch mir fehlt der Schlüssel.« Der Richter erwiderte: »Dein Mann hat ihn mir vor seinem Fortgehen übergeben.« Er holte ihn, öffnete den Schrein und las auf einer Birkenrinde folgendes: »Wenn ich drei Jahre nach meiner Abreise nicht zurückgekehrt bin, soll man mich für tot erklären, und meine Frau werde das Weib eines andern Mannes, der um sie wirbt.« Da verhüllte die Frau ihr Haupt und kehrte in ihr Haus zurück. Zu ihrem Gram gesellte sich der Groll über ihren Mann, weil er aus Habgier diese gefährliche Meerfahrt unternommen hatte.

Als ein weiteres Jahr verflossen war, sprachen die Freundinnen abermals zu ihr: »Deine Jugend fließt dahin wie ein schneller Fluß; wenn du daher willst, daß unsere Männer dir einen Mann zuführen sollen, der dich zur Frau begehrt, dann sage es.« Die Frau seufzte und antwortete: »Es war nicht meine Schuld, daß das Bild meines Mannes in meinem Gedächtnis verblaßt ist wie die Mondscheibe im Frühlicht. Wenn es darum euren Männern beliebt, mir einen neuen Gatten zuzuführen, dann mögen sie es tun.« Ihre Amme hatte das Gespräch mit angehört, und als sie allein war, weinte sie, weil ihre Herrin nicht freiwillig sieben Jahre mit einer neuen Heirat warten wollte. Da sie aber ihren Unwillen fürchtete, wagte sie nicht, ihr zuzureden.

Es begab sich aber, daß niemand von den Männern und Jünglingen der Stadt sich einfand, um die Frau des Händlers zur Gattin zu erwählen. Als sie gewahrte, daß jene ihre Wohlhabenheit und körperliche Wohlgestalt zu verschmähen schienen, wurde sie niedergeschlagen, und sie verschloß sich vor ihren Freundinnen.

Als sie eines Tages auf dem Dach ihres Hauses saß, schritt ein schöngekleideter Jüngling vorüber. Sie beugte sich vor, und ihre werbenden Augen entfachten eine plötzliche Leidenschaft in ihm. Seit diesem Tage wandelte er täglich zu der nämlichen Stunde an ihrem Hause vorbei; sie saß geschmückt auf dem Dache, und die Blicke der Beiden streckten sich wie Arme nacheinander aus.

Nach einiger Zeit sprach die Frau zu ihrer Amme: »Ich weiß nunmehr den Mann, der mich zur Frau nehmen würde. Täglich wandelt er hier vorbei, um mich zu sehen; darum suche du ihn auf und lade ihn ein, mich zum Weibe zu nehmen, falls er Wohlgefallen an mir gefunden hat.« Die Amme aber bat: »Herrin, erlaß mir diesen ungewohnten Gang; denn du weißt, daß ich nicht beredt bin. Ich fürchte, daß ich den Auftrag ungenügend ausführen werde.« Da zürnte ihr die Frau und sprach: »Ich sehe, daß es dir gleichgültig ist, daß ich mein Leben in dieser unverdienten Einsamkeit verbringe.« Die Alte schritt schweigend hinaus. Die Frau aber begann sich einzureden, daß es doch wohl sündhaft von ihr sei, eine neue Heirat eingehen zu wollen. Und als sie des Fremdlings gedachte, um dessen Zuneigung sie geworben hatte, da erschrak sie mit einem Male bei dem Gedanken, er könne sie für eine Frau halten, die einer Heirat unwürdig sei. Damit befiel sie eine große Traurigkeit, und sie sprach zu sich: »Ich möchte am liebsten um seinetwillen sterben, um dann wiedergeboren mit ihm vereinigt zu werden.«

Sie ergriff eine Seidenschnur und legte sie um ihren Hals. Eben als sie diese zuschnüren wollte, betrat die Amme das Zimmer, und als sie sah, was jene im Sinne hatte, schalt sie die Frau heftig. Dann aber tröstete sie die Weinende, und sie versprach, um Unheil zu verhüten, den Fremdling aufzusuchen.

Beim sinkenden Tag machte die Alte sich auf den Weg. So erfuhr dieser Mensch zu seinem Staunen die Botschaft der schönen und reichen Frau und wußte sich vor freudiger Erregung nicht zu fassen. Als er mit der Amme ihrem Hause zueilte und beide das Gemach betraten, lag die Frau tot am Boden. Im Übermaß der Leidenschaft hatte der Tod sie ereilt. Darüber geriet der Jüngling in Verzweiflung, und der Schmerz bohrte sich wie ein Speer in seine Seele, so daß er entseelt zu Füßen der geliebten Frau hinsank.

In der Morgenfrühe wurden die beiden Toten von Nachbarn auf den Scheiterhaufen gebracht, der auf dem Begräbnisort errichtet war. Es traf sich, daß zur nämlichen Stunde der totgeglaubte Händler aus dem Mohrenlande heimkehrte und an dem Begräbnisplatz vorbeikam. Er vernahm die Totenklagen und erfuhr, daß seine Frau mit einem fremden Mann verbrannt wurde. Da wollte er in das Feuer springen, aber die Nächststehenden hielten ihn zurück. In der Stadt aber sprachen die einen: »Wahrlich, von diesen Dreien hatte der Ehemann die tiefste Liebe, und dieses Schauspiel kann unser Ansehen nur fördern.« Die andern hingegen sprachen: »Wahrlich, von diesen Dreien war der Ehemann am meisten verblendet, und dieses Schauspiel kann unser Ansehen nur schmälern.«

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