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Die Beduinin

In der Nachmittagsstunde eines drückend heißen Tages saß der Kalif Mohawiyek, Sohn des Abn Sophia, in der offenen Halle seines Palastes, und seine Augen schweiften über den gelben Wüstensaum. Menschen und Tiere erwarteten ermattet im Schatten den kühlenden Abend. Da erblickte der Fürst einen Beduinen, der sich langsam näherte. Er wunderte sich, daß dieser Mensch dem Sonnenbrand zu trotzen schien und sprach zu seiner Umgebung: »Bei dem, der mich erschaffen, wenn jener Mensch gekommen ist, damit ihm Gerechtigkeit widerfahre oder ihm eine Gunst gewährt werde, es soll geschehen!«

Der Beduine aber trat vor ihn hin und verlangte Gerechtigkeit gegen den Herrscher von Medinek, genannt Marnan, den Sohn El-Hakans, weil er ihm gewaltsam seine Gattin geraubt habe. Der Kalif verlangte die Einzelheiten zu hören, und der Beduine erzählte folgendes: Er hatte ein Weib, namens Soada, die Tochter seines väterlichen Oheims, die er über alles liebte. Außerdem besaß er eine Anzahl Kamele, die ihm ermöglichten, in Wohlstand zu leben. Aber die unheilvolle Dürre dieses Jahres beraubte ihn seines ganzen Besitzes. Seine Freunde wandten sich von ihm ab, und der Vater seiner Frau kam und holte die Tochter zu sich. Da ging der Ehemann zu Marnan, dem Statthalter von Medinek, und verlangte durch dessen Machtwort die Gattin zurück. Diese und ihr Vater wurden vorgeladen, und der Liebreiz der Soada entflammte den Statthalter derart, daß er sie freisprach, um sie selber zu gewinnen. Darum ließ er ihn einkerkern und bot dem Vater tausend Denare für seine Tochter und weitere zehntausend für die Zustimmung, daß sie seine Frau werde, wobei er gleichzeitig versprach, die Ehescheidung von dem Ehemann zu erzwingen. Nachdem er die Einwilligung des Vaters erhalten hatte, setzte er den Gatten so lange einer grausamen Behandlung aus, bis auch er die Einwilligung zur Scheidung gegeben hatte. Vergebens hatte die Gattin versucht, all das Unrecht zu verhindern. So wurde sie das Weib des Marnan.

Als der Beduine seine Erzählung beendet hatte, war er so erschüttert, daß er hinfiel und am Boden lag wie eine tote Schlange. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, schrieb der Kalif einen Brief an den Statthalter, worin er diesem mit gütigen Worten seine Ergebenheit ins Gedächtnis rief und ihm gleichzeitig befahl, sich von der Beduinin scheiden zu lassen und sie heimzusenden samt dem Überbringer dieses Schreibens.

Daraufhin wurde Soada von Marnan geschieden und von diesem dem Kalif zugeschickt mit einem Schreiben, worin Marnan dem Kalif versicherte, der Anblick der Soada werde ihn davon überzeugen, daß niemand ihrem Liebreiz widerstehen könne.

Die Tatsache gab ihm recht; Mohawiyek hatte die Beduinin kaum gesehen, als er in heftiger Leidenschaft zu ihr entbrannte, so daß er nichts sehnlicher wünschte, als sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Darum versprach er dem Beduinen, wenn er sich von ihr trennen wolle, drei der lieblichsten Sklavinnen aus seinen Frauengemächern, außerdem tausend Denare sowie eine große jährliche Entschädigungssumme.

Der Beduine aber stieß einen leisen Schrei aus wie einer, der zum Tode verurteilt wurde, und wies das Ansinnen verächtlich zurück. Da sprach der Kalif: »Du hast zugestanden, von ihr geschieden zu sein. Darauf hat Marnan sie zum Weibe genommen, und er hat auf mein Geheiß gleichermaßen die Scheidung von ihr vollzogen. Somit ist sie jetzt frei, und darum geben wir ihr die Wahl: wünscht sie irgendeinen andern zum Mann statt deiner, dann werden wir sie mit diesem verheiraten. Falls sie aber dich vorziehen sollte, sei sie dir zurückgegeben.«

Die schöne Soada zog den armen Beduinen dem Kalifen vor, und dieser überließ sie dem andern mit einem Geschenk von zehntausend Denaren. In der folgenden Nacht fand der Kalif keinen Schlaf. Seine Gedanken weilten bei der schönen Beduinenfrau, und seine Sehnsucht nach ihr war groß. Am andern Morgen verkündete ihm sein Kämmerer freudig: »O Fürst, reitende Boten kommen aus allen Teilen deines Reiches und melden, daß ausgiebige Regengüsse vergangene Nacht die schreckliche Dürre beendet haben.« Und ans Fenster tretend, rief er aus: »Schon beginnt auch über unsern Häuptern das erquickende Naß zu rieseln.«

»Dem Allerbarmer sei Dank«, sprach der Kalif.

»Er hat deinen Edelmut an dem Beduinen belohnen wollen«, fuhr der Kämmerer fort.

»Ihm, der die Herzen erforscht, sei die Ehre!« murmelte der Kalif und blickte traumverloren aus dem geöffneten Fenster über den gelben Wüstensaum.

*

 


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