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Der betörte Derwisch

Ein Derwisch war von seinem Obern in die benachbarte Stadt geschickt worden, um einen jungen Hammel zu kaufen, der an dem bevorstehenden Feiertag verspeist werden sollte. Als jener den Hammel erstanden hatte, nahm er ihn auf die Schultern und schritt heimwärts. Am Stadttor saßen sechs Schelme, die sahen den Mönch mit dem Hammel daherkommen und faßten den Plan, ihn zu überlisten. Nachdem sie den Schelmenstreich verabredet hatten, gingen alle davon bis auf einen. Dieser trat dem Derwisch unter dem Stadttor entgegen und sprach: »Wie kommst du als gottgeweihter Mann dazu, einen unreinen Hund zu tragen? Nimm ihn weg!« Der Derwisch blickte ihn betroffen an, wie man einen Schwachsinnigen anschaut, antwortete nichts und ging weiter.

Einen Steinwurf weiter traf er auf zwei Männer, die redeten ihn also an: »Du bist ein Derwisch und trägst einen unreinen Hund? Nimm ihn herunter.« Da wurde der andere stutzig, nahm den Hammel herunter, besah sich ihn und entgegnete: »Ihr täuscht euch; es ist ein Hammel und kein Hund.« Jene antworteten: »Vier Augen sehen besser als zwei. Es ist ein Hund.« Kopfschüttelnd ging der Derwisch weiter. Einen Steinwurf entfernt begegnete er drei Männern, die blieben stehen und redeten ihn an: »Du bist wie ein Derwisch gekleidet und trägst einen unreinen Hund. Du wirst wohl ein Jäger sein, der diesen Hund gebraucht, um Wild zu erlegen!« Da sprach der Derwisch zu sich selbst: »Bei Allah, ein böser Geist hat mich verzaubert und mit Blindheit geschlagen; entweder habe ich einen Hund für einen Hammel gekauft, oder er hat unterwegs den Hammel in einen Hund verwandelt.« Damit warf er den Hammel beiseite, wusch sich im nächsten Brunnen und ging nachdenklich weiter. Der Obere und alle, die davon hörten, sprachen noch lange Zeit über dieses Geschehnis. Die sechs Schelme aber teilten einträchtig den Hammel.

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