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Unter dem gastlichen Dach seines syrischen Wirtes ruhte der Mekkapilger Sal Eddin aus und erzählte dem Gastfreund mancherlei von seiner Wallfahrt. »Möge Allah dich mit den Freuden des Paradieses belohnen!« sprach der Hausherr, als der Gast eine Pause machte.
»Möge er auch deine Tage verlängern«, entgegnete Sal Eddin und setzte die Schale mit dem duftenden schwarzen Getränk neben sich auf die niedere, teppichbelegte Bank, auf der beide saßen.
»Mein Bruder, ich bin unwürdig der Erbarmung Gottes«, sagte der Gastgeber mit leiser Stimme. Erstaunt blickte der Gast ihn an.
»Du bist der angesehenste Teppichwirker dieser Stadt, hast drei liebliche Kindlein, ein jedes dein Ebenbild; warum sollte Allah dir nicht wohlgesinnt sein, der du freigebig gegen alle Notleidenden und in hohem Maße gastfreundlich bist!«
Die Züge des Hausherrn wollten sich nicht erhellen. Er seufzte und begann: »Ich weiß nicht, was mich drängt, es dir zu sagen. Vernimm denn, frommer Pilger, was mich bedrückt. Der mich die Kunst des Teppichwirkens lehrte, war ein Fremdling aus dem Land im Osten, wo dieses Gewerbe in hohem Ansehen steht. Jener Mensch nun, der mit Vorliebe unauffällig Kamele und Gazellen fingergroß in seine Teppichmuster hineinwebte, glaubte an die gottlose Irrlehre, daß auf Allahs Geheiß die Seele gewisser Menschen in den Körper bestimmter Tiere gebannt werde, insbesondere der Kamele und Gazellen. Der Unselige hat meinen Kopf mit dieser seltsamen Vorstellung derart verwirrt, daß ich sie nicht loswerde, so sehr ich mich seit Jahren dagegen sträube, und ich fürchte mit Recht, daß Allah mich dafür strafen wird.«
Er schwieg bekümmert, und der Mekkapilger erstaunte noch mehr, weil sein gläubiger Sinn nicht zu fassen vermochte, daß ein Mensch über solche Torheiten nachgrübeln könne, die den Wahrheiten des erhabenen Korans stracks zuwiderlaufen. Als höflicher Gast sprach er nur dieses: »Allah verweigere jenem Irrgläubigen seinen Segen, dich aber möge der Allerbarmer für deine Wohltaten an den Armen reichlich belohnen, vor allem aber möge er jene bedenklichen Hirngespinste von dir nehmen!«
In diesem Augenblick klang aus dem Innenhof kindliches Wehklagen. Die beiden Männer betraten den Hof und erblickten dort die Kinder des Hausherrn jammernd über eine junge Gazelle gebeugt, die mit geschlossenen Augen regungslos auf den Fliesen lag.
»Es ist ihr Spielgefährte«, sagte der Gastfreund zu dem Pilger. »Seit gestern kränkelt sie, und ich fürchte, sie wird verenden.« Da begannen die Kindlein heftiger zu weinen, so daß der Vater ihnen ihr Gejammer verwies. Der Gast aber bückte sich und streichelte mitleidig den Kopf des zuckenden Tieres. Da öffneten dessen brechenden Augen sich ein letztes Mal, dann streckte es sich und war tot. In dem Gesicht Sal Eddins aber malte sich eine plötzliche tiefe Bewegung, und nur mühsam vermochte er sie zu meistern. Wortkarg und abwesend mit seinen Gedanken blieb fortan der Gast, bis er am nächsten Morgen mit vielen Segenswünschen sich verabschiedete.
Der syrische Wirt aber sprach: »Im Namen Allahs beschwöre ich dich, mir anzuvertrauen, was dich mit einem Male bedrückt.« Und der Gast erkannte, daß er das Gebot der Sitte verletzen würde, wenn er länger schwiege, und so berichtete er dem Teppichwirker folgendes:
»Vor einem Jahre ritt ich drunten in meiner Heimat durch die Wüste. Während ich durch Gottes Fügung in einer Oase nächtigte, fegte unerwartet ein heftiger Sandsturm durch das Wüstengebiet, und er mag nicht wenige Opfer gefordert haben. Am andern Morgen erblickte ich auf der Karawanenstraße ein verschüttetes Kamel und an seinem Rücken zusammengekauert einen Mann und ein Weib, beide wie jenes Reittier von dem glühenden Hauch des Wüstenwindes getötet. Als ich abstieg und näher zusah, gewahrte ich an der Brust der toten Frau ein lebloses Kindlein. Wie ich es ergriff, schlug es ein letztes Mal die brechenden Augen auf, dann war es tot. Jene Kinderaugen habe ich gestern wiedergesehen: es waren die Augen der Gazelle deiner Kinder. – Lebe wohl, trage meinen Segen mit dir!« Er wandte sich zum Gehen, und der Teppichwirker blickte ihm wortlos nach.
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