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Ein Lehrer der Weisheit hatte einen Kreis von Schülern um sich gesammelt. Es brach eine Teurung aus, die sieben Jahr dauerte, und es war ihm nicht mehr möglich, die Schüler vor dem Hungern zu bewahren. Darum entließ er sie in ihre Heimat. Die beiden jüngsten aber kehrten am folgenden Tage zurück und sprachen: »Geliebter Lehrer, wir vermögen die Trennung von dir nicht zu ertragen; schicke uns trotz der Hungersnot nicht fort und laß uns, wenn es sein muß, mit dir zusammen sterben.«
Der Lehrer erwiderte ihnen: »Ihr habt gleich unerfahrenen Kindern gehandelt; denn eure Einfalt kann euch das junge Leben kosten.« Dennoch behielt er sie bei sich, und sie waren ihm mehr als zuvor in Liebe zugetan. Die Hungersnot aber nahm zu, und auf ihren Bittgängen wurden ihnen immer kleinere Liebesgaben verabreicht. Das wenige teilten sie mit dem Lehrer, und zwar derart, daß er sich zuerst sättigte; aus dem spärlichen Rest machten sie dann zwei gleiche Teile. So wurden sie niemals satt. Deshalb sprach eines Tages der ältere zu dem jüngern: »Wir magern immer mehr ab und werden wohl eines Tages den Hungertod sterben. Auch unser geliebter Lehrer ist niemals voll gesättigt um unseretwillen. Ich wüßte ein Mittel, um uns zu helfen.«
Der jüngste entgegnete: »Rede! Ich folge dir in allem.« Und der ältere begann: »Ich habe einmal mit angehört, wie unser geistiger Vater denjenigen Schülern, die ihren Unterricht bei ihm vollendet hatten, das Geheimnis einer Wundersalbe offenbart hat, die unsichtbar macht. Laß uns diese wundertätige Salbe verwenden, um unsern Hunger zu stillen.«
Die beiden taten, wie der ältere angeraten hatte. In der Stadt lebte ein Prasser, der saß täglich vor einem reichgedeckten Tisch, der für zwei Esser hergerichtet war. Der zweite war ein Mensch, der früher Hofgelehrter eines Königs gewesen und die Kunst besaß, die Reichen bei der Mahlzeit in jene heitere Laune zu versetzen, die der Verdauung zuträglich ist. Diesen Reichen suchten die beiden Schüler zur Essenszeit auf, nachdem sie vorher durch die Wundersalbe sich unsichtbar gemacht hatten. Sie aßen von allen Gerichten mit jener Gründlichkeit, die von einem ausgehungerten jugendlichen Magen erwartet werden muß. Der reiche Prasser hingegen sowie sein ständiger Tischgenosse erhoben sich seitdem allemal ungesättigt von der Mahlzeit, und insbesondere der Gastgeber magerte ab wie der abnehmende Mond. Er sprach nicht davon, weil er fürchtete, der ehemalige Hofgelehrte, der ein Weiser war, könnte deshalb gering von ihm denken.
Da sprach eines Tages der Hausfreund zu ihm: »Großmütiger Gönner, ich kann nicht verschweigen, daß wir beide zusehends abmagern, obgleich deine gastliche Tafel, die ich mit meiner geringen Weisheit zu würzen gewürdigt bin, so reichlich gedeckt ist wie zuvor. Insonderheit du bist so dürr geworden, als seiest du von der auszehrenden Krankheit befallen. Womit mag das zusammenhängen?«
Der Gastgeber erwiderte: »Ich kann nur das eine feststellen, daß ich zwar täglich die volle Mahlzeit vor mir stehen sehe und doch tatsächlich nur die Hälfte der Speisen zu mir nehmen muß, wie mein Hungergefühl mir beim Aufstehen anzeigt. Also, so vermeine ich, schmälert irgend jemand, vielleicht der Geist eines Abgestorbenen, meine Mahlzeiten.«
Da hob der andere den Finger und sprach: »Gib acht, morgen um diese Zeit ist jener Spukgeist, falls er ein menschlicher Dieb sein sollte, in unsern Händen.« Als die beiden am nächsten Tage sich zur gewohnten Tafel niedersetzten, wurde der Fußboden mit feinstem Staub bestreut, und als der Reiche und sein ständiger Gastfreund sich später erhoben, waren auf dem staubbedeckten Boden Fußspuren sichtbar. Der weise Hofgelehrte aber sprach: »Siehe hier diese Fußspuren! Unser Mitesser ist kein Geist. Nachdem er also ein Mensch ist wie wir beiden, hat er sich durch jene Zaubersalbe, die nur wenigen bekannt ist, unsichtbar gemacht.«
Als die beiden am nächsten Tage sich zur gewohnten Mahlzeit niedergesetzt hatten, war das Speisezimmer mit dichtem Rauch angefüllt. Wie nun die beiden unsichtbaren Schüler erschienen und sich über die vollen Schüsseln hermachten, begannen ihre Augen durch den beißenden Rauch heftig zu tränen, und durch das Augenwasser wurde die Wundersalbe weggespült. Sowie aber die Salbe ihre Augen nicht mehr bedeckte, wurden sie den beiden, die zu Tische saßen und auch den Dienern, die jenen die Speisen reichten, sichtbar. Diese waren über die Dreistigkeit der Kleinen mehr erzürnt als ihr Herr. Denn als dieser erfuhr, wer die kecken Betrüger waren, entschied er also: »Man möge diesen Kleinen, solange sie Schüler eines Weisen sind, täglich eine reichliche Mahlzeit in meinem Hause bereithalten.« Die beiden Jünglinge dankten ihm vielmals für diese Gunst und baten nur, die Mahlzeiten, die ihnen zugedacht waren, mit ihrem geistigen Vater teilen zu dürfen. Das wurde ihnen gern gestattet.
Der ehemalige Hofgelehrte konnte sich nicht enthalten, den Lehrer der beiden aufzusuchen und ihm Vorhalte über das ungebührliche Verhalten seiner Schüler zu machen. Der Lehrer hörte ihn gelassen an und entgegnete dann dies: »Sage mir, wie viele Tage und Wochen du zu fasten vermagst, und danach will ich den Verweis bemessen, den ich nach deinem Verlangen den beiden Schülern erteilen soll.« Da drehte der andere sich um und schritt wortlos davon.
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