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Zwey und siebenzigster Brief.

Ostende –

Seitdem diese Stadt Diese Stadt – Ostende war die einzige Hafenstadt der Österreichischen Niederlande, zu diesen gehörten auch die Städte Brüssel, Brügge, Ypern, Gent und Antwerpen zu einem Freyhaven erklärt ist, hat die Handlung beträchtlich zugenommen. Allein, es ist zu beförchten, daß sie nach dem Krieg wieder in ihr voriges Nichts verfallen wird. Alle Engländer, die hier sind, klagen über die schlimme Rhede, über die gefährliche Einfahrt in den Haven, besonders bey stürmischen Nord= Nordwest= und Westwinden, über das enge Baßin und den Mangel an verschiedenen andern Gemächlichkeiten.

Antwerpens Lage wäre viel vortheilhafter zur Beförderung der Handlung in den östreichischen Niederlanden. Allein die Holländer haben die Mündung der Rhede gesperrt. Ihre Forts beherrschen nicht nur diesen Fluß Fluß – die Schelde, den Friedensschlüssen gemäß, sondern sie haben die Mündung desselben im wahren Verstand des Wortes verstopft. Versenkte und mit Steinen angefüllte Schiffe, ungeheure Steindämme, Pallisaden u. dgl. m. lassen kaum für Boote Raum genug zur Einfahrt offen. Mit 20 Millionen Gulden und in 50 Jahren Zeit kann der Kaiser die Steine des Anstosses nicht aus dem Weg räumen, welche die Holländer der Handlung von Antwerpen in den Weg gelegt haben.

An Geld fehlt es den Brabantern und Flandrern nicht. Antwerpen, Brüssel, Gent und Brügge sind noch mit Schätzen angefüllt, die zur Zeit gesammelt wurden, als diese Länder waren, was itzt Holland oder England ist. Die Bürger dieser Städte sind fast bey allen grossen Unternehmungen der benachbarten Nationen, und bey allen Anleihn intereßirt. Ihr Wechselhandel ist ungemein beträchtlich, und vielleicht wird von den Holländern selbst nicht so viel assekurirt Assekuration – Assekuranz: Versicherung, als von ihnen; wie denn Antwerpen einer der wichtigsten Assekurationsplätze ist. – Im letzten bayrischen Krieg nahm der Hof von Wien ein Anleihn von einigen Millionen Gulden in diesen Ländern auf. Er konnte sein Staunen über die promten Darschüsse des anverlangten Geldes nicht bergen. Die von Antwerpen und Gent liessen die Regierung wissen, »wenn sie noch drey oder viermal so viel nöthig hätte, so würde es eben so promt dargeschossen werden.« Erst seit dieser Zeit scheint der kaiserliche Hof das Gewicht seiner Niederlande zu kennen.

Allein, die Industrie dieser Länder hat im ganzen sehr abgenommen. Die Erben der Schätze, die vom 12ten bis ins 16te Jahrhundert gesammelt wurden, suchen die Interessen auf die gemächlichste Art davon zu ziehn. Ihre Lebensart ist auch nicht dazu angelegt, die Schätze wachsen zu machen.

Sie sind das seltsamste Gemische von Trägheit und Fleiß, Dummheit und Feinheit, Entschlossenheit und Feigheit, Gutherzigkeit und Betrügerey. Ein Engländer sagt von ihnen: Sie haben das Verschlagne der Franzosen, aber nicht ihre Gefälligkeit; den Stolz und die Bigotterie der Spanier, aber nicht ihr Gefühl von Ehre; die Grobheit und Schwerfälligkeit der Holländer, aber nicht ihre Pünktlichkeit; die Liederlichkeit der Deutschen, aber nicht ihre Redlichkeit; und von Körper sind sie Klötze von Britten, denen der Meissel des ausbildenden Künstlers fehlt. – Das Gemählde ist ungemein treffend, wie denn auch diese Niederländer aus allen benannten Nationen zusammengesetzt sind. – Im Punkt der Ehrlichkeit sind sie am auffallendsten. Zu allen Geschäften des alltäglichen Lebens hat man hier Unterschriften nöthig. Man läuft Gefahr, von jedem Handwerker, bey dem man ein Stück Arbeit auch noch so deutlich bedungen hat, übersetzt und dann gerichtlich zur Zahlung angehalten zu werden, wenn man nicht Schwarz auf Weiß aufzuzeigen hat.

Im Ganzen kommen sie in der Gestalt des Leibes nebst den Sachsen den Deutschen des Tacitus am nächsten. Ihre Körper sind wirklich ungeheuer, und ad impetum Valida ad impetum Valida – vom Ungestüm besessen. Allein eben das, was Tacitus von den alten Deutschen sagt, daß sie weder Hunger noch Durst, weder Hitze noch Kälte und besonders auch keine langwierige Arbeit aushalten können, gilt auch bey ihnen. Sie sind bey der kayserlichen Armee als brave Reiter bekannt; allein sie sind nur mit der äussersten Noth zum regelmäßigen Dienst zu bringen. Sie haben einen unbeschreiblichen Abscheu gegen die Disciplin, und jeder hält es für eine schwere Strafe, wenn er zum Dienst gezogen wird. Wenn man ihren Schlägereyen und Räubereyen nicht durch die Finger sieht, so halten sie keinen Feldzug aus. Nur beym Einhauen in den Feind sind sie Soldaten.

Ausser Italien, Spanien und Portugall ist gewiß kein Land in Europa so sehr mit Mönchen überladen, als das östreichische Belgien. In mancher Stadt zählt man 40 bis 50 Klöster. Es giebt sehr viele Prälaturen hier, die bis 200.000 Gulden Einkünfte haben. Man kann das Land sicher so eintheilen, daß die Geistlichkeit, der Adel, der Souverän und das Volk, jedes ein Viertheil hat. – Die Bigotterie und Intoleranz der Einwohner ist platterdings über alle Beschreibung, und sticht mit der Ausgelassenheit der Sitten zum Erstaunen ab.

Der Adel dieses Landes ist ausserordentlich reich und lebt im größten Ton. Brüssel ist eine der schönsten und glänzendsten Städte in Europa, ob sie schon an den Prinzen Karl viel verloren hat an den Prinzen Karl viel verloren – Prinz Karl Alexander von Lothringen und Bar, Gouverneur und Generalkapitän der Niederlande. † 1780, der jährlich gegen 700.000 Kaisergulden in der Stadt verzehrte, und dessen Aufwand von dem sparsamen Herzog von Sachsenteschen Herzog von Sachsenteschen – s. Dreysigster Brief. nicht ersetzt wird. Einen schönern Platz, als der hiesige grosse Marktplatz ist, hab ich nirgends gesehn. Alle Häuser auf demselben sind weit über das Bürgerliche, und in einem Stil und mit einer Pracht gebaut, die man ausser Italien nicht zu sehen gewöhnt ist. Man findet hier die vortreflichsten Gesellschaften, deren Zutritt für einen Fremden nicht schwer ist. Viele derselben bilden englische Klubs, wo die äusserste Popularität, die größte Freyheit und Mittheilung herrscht. Eine der vorzüglichsten besteht aus dem Herzog von Aremberg, einem ganz ausgebildeten Mann, dem Herrn von Hopp, holländischen Gesandten, der von jedermann wegen seinen Kenntnissen und seinem guten Betragen ungemein hochgeschätzt wird, aus unserm Gesandten, einigen vom hiesigen Adel und einigen Engländern. Es kann niemand, ausser durchs Ballotieren Ballotieren – mit Kugeln abstimmen, d. h. in geheimer Wahl aller Glieder in dieselbe aufgenommen werden. Die übrigen Grundsätze derselben sind eben so populär. Ihr Gesellschaftssaal beherrscht eine der schönsten Aussichten auf die öffentliche Promenade. Sie versammelt sich die Woche zweymal, und Fremde können von Mitgliedern fast ohne allen Unterschied eingeführt werden: Linguet war auch Mitglied derselben. Für 5 Monathe wurden von jedem Mitglied, ohne allen Nachschuß, vier Louisdor bezahlt, wofür bey jeder Versammlung eine kostbare Tafel gegeben wird. Den Wein zahlt jeder besonders. Es giebt noch viele geringere Gesellschaften von der Art in Brüssel, und nirgends gefiel mirs in Rüksicht dieses wesentlichen Punkts des menschlichen Lebens besser als hier. Seitdem sich die Engländer so häufig zu Ostende niederlassen, und ihnen der kaiserliche Hof mit der Hofnung schmeichelt, sich bey einer Friedensvermittlung für sie zu verwenden, ist man zu Brüssel ganz englisch geworden. Man reitet, spielt, jagt und speißt englisch, und alle Gesellschaften sind Klubs geworden. Die Stadt hat wenigstens nichts dabey verloren.

Der Herzog Statthalter Herzog Statthalter – seit 1780 der Herzog von Sachsen-Teschen, s. Dreysigster Brief. lebt mit seiner Gemahlin äusserst still. Ueberhaupt scheint er kein Liebhaber von grossen und lärmenden Gesellschaften und vom Aufwand zu seyn, obschon seine sämmtlichen Revenuen sich über 400.000 Kaisergulden belaufen sollen. Die Erzherzogin zeigt sich manchmal, aber doch selten, in wirklich kaiserlicher Pracht. Ihre Wirthschaftsgrundsätze stimmen mit jenen ihres Gemahls vollkommen überein. Ihre Lieblingsbelustigung ist die Jagd, und schwerlich ist einer ihrer Jäger geschikter als sie, einen Vogel in freyer Luft zu schiessen. Uebrigens hat sie mit allen ihren Geschwistern eine vortrefliche Erziehung gemein, und auch ihr Gemahl macht dem kaiserlichen Hof durch seine Verwaltungsgrundsätze Ehre.

In keiner Provinz des östreichischen Erbreiches haben sich die Landesstände in dem Ansehn erhalten, worin jene der Niederlande wirklich sind. Ich glaube, bloß der Wohlstand der Bürger in den Städten ist die Ursache, daß sie ein Gefühl für Freyheit erhalten haben, welches man in Hungarn umsonst sucht. Der Adel und die Geistlichkeit schmiegen sich, ihres Interesses halber, leicht an den Hof, und der Mangel an blühenden Städten hat gewiß dem Hof von Wien die Arbeit sehr erleichtert, als er es nöthig fand, die Macht der Landstände von Hungarn zu untergraben. Auch in der Lombardey war die Macht des Adels nur ein schwacher Damm gegen die Gewalt des Hofes. Der Bürger ist allzeit am meisten dabey intereßirt. Er hat weniger von dem Hof zu erwarten, und doch mehr zu geben, als die Glieder der andern Stände des Landes. Die Entlegenheit von der Residenz des Hofes, besonders aber das Beyspiel von Holland, welches die Einwohner so nahe vor Augen haben, hat ohne Zweifel nicht wenig zur Aufrechterhaltung ihrer alten Verfassung beygetragen.

Das Schiksal spielt seltsam genug mit den Staaten dieser Erde. Hier in den östreichischen Niederlanden brach die Revolution aus Revolution – der sog. Achtzigjährige Krieg ab 1579 gegen die spanischen Habsburger, wodurch Holland eine freye Republik ward. Während daß hier schon alles in Gährung war, dachten die Holländer noch nicht daran, sich frey zu machen. Sie wären es auch durch eigne Betriebsamkeit nie geworden. Schon damals, in der Geburth der Republik, äusserten sie die Trägheit, die man noch an ihnen bewundert. Nur ein Prinz von Oranien, ein seltenes Genie, konnte für die die Freyheit erringen, für welche sie gar kein Gefühl zu haben scheinen. Die Religion trennte die jetzigen östreichischen Provinzen von einer Unternehmung, an die sie zuerst Hand angelegt hatten, und endlich liessen sie sich sogar noch zur Unterdrückung der Holländer gebrauchen. Welche Widersprüche ! ! ! –


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