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Sieben und vierzigster Brief.

Leipzig –

Ich kann Sachsen nicht verlassen, ohne dir etwas von der Reformation zu sagen, die hier ausbrach.

Ihr eigentlicher Ursprung in Rücksicht auf die Lehrsätze ist schwer zu bestimmen. In der Mitte zwischen Luther und Huß stehn Paul von Tübingen, Brulfer, Basilius von Gröningen und einige Engländer, welche die Hauptsätze der Protestanten öffentlich vertheidigten. Lange vor Huß hatten sich die Waldenser Waldenser – christliche Sekte, von Petrus Valdens († 1207) gegründet, sie wurden von der Inquisition grausam verfolgt. Waldenser leben in freiwilliger Armut, studieren die Bibel und haben Laienprediger. Sie lehnen Heiligenkult, Ablaß, Todesstrafe, Eid und die Zwangstaufe unmündiger Kinder ab. nach ihrer Verfolgung wieder erstaunlich ausgebreitet, und zwischen ihrem Anfang und Hussens Epoche lehrten Wikleff, Jean de Paris Jean de Paris – Johannes von Paris, Theologe, stellte sich gegen den Machtanspruch des Papstes, † 1306, Arnauld de Ville=neuve, Guillaume de St. Amour, Eberhardt, Bischof von Salzburg Eberhardt, Bischof von Salzburg – Eberhard von Regensburg, Bischof in Salzburg, † 1246. Er verhielt sich in Sachen der Inquisition entgegen dem üblichen Fanatismus menschlich milde. und viele andre öffentlich, was Luther und Kalvin lehrten. Es ist leicht zu beweisen, daß zwischen der Entstehung der Albigenser Albigenser – auch Katharer genannt, die größte religiöse Bewegung des Mittelalters, von der Inquisition verfolgt blühte sie vom 11. bis zum 14. Jahrhundert. Ethik: Weder Mensch noch Tier töten, Verbot des Fluchens, Pflicht zur Arbeit, Alkoholverbot. und der Epoche der Reformation kein Zwischenraum von einem Menschenalter war, worin die Hauptsätze der heutigen Protestanten nicht von irgend einem angesehenen Mann öffentlich vertheidigt wurden. Zwischen Peter de Valdo Peter de Valdo = Petrus Valdens, s.o., der das meiste zur Ausbreitung der Sekte der Waldenser beygetragen, ob sie schon nicht von ihm den Namen hat, wie einige glauben, und dem berühmten Berengarius, welcher Zwischenraum kaum ein Jahrhundert beträgt, standen Pierre de Bruis, Henri de Toulouse und Arnand Hot; die nebst vielen andern fast in ganz Frankreich die Lehre der heutigen Protestanten in Aufnahme brachten. Der bekannte Bischof Honore von Autun, der über den freyen Willen geschrieben, und im Ton der heutigen Protestanten den Pabst das grosse Thier und die babylonische Hure nannte, schrieb gegen 1115, und Berengarius starb 1091, so daß wieder kaum ein Menschenalter zwischen beyden ist. In dem Jahrhundert von Berengarius hat sich Arnaulph, Bischof von Orleans, auf der Kirchenversammlung zu Rheims durch eine Rede berühmt gemacht, die nachdrüklicher war, als irgend etwas, was Luther gegen die Macht des Pabstes geschrieben. Kurz die Lehre der Protestanten selbst steigt bis in die ersten Jahrhunderte des Kristenthums zurük, und ein aufmerksamer Leser der Kirchengeschichte überzeugt sich leicht, daß sie mit den Lehren der ersten Sektirer in der Kirche ununterbrochen zusammenhängt, und daß Luther durch die blosse Lehre keine Epoche gemacht hat.

Wer mit der Geschichte des Jahrhunderts vor Luther nur ein wenig bekannt ist, und sich eine etwas deutliche Vorstellung von der Lage in Sa[s]chen um die Zeit der Reformation machen kann, der findet leicht, daß andre Dinge mehr zu dieser Revolution beytrugen, als die Theologie selbst, und daß Luther nur das Signal zum Ausbruch gab. Seit Kayser Sigismund, der diese Revolution schon bewirkt hätte, wenn seine Kenntniße seinem Eifer zu Reformiren entsprochen hätten, und der wegen Mangel derselben sich von einigen verschmitzten Kardinälen bey der Nase herum führen ließ, arbeitete Deutschland unabläßig an der Reformation. Wenn ein Katholik es heut zu Tage in Deutschland wagte, das, was auf der Kirchenversammlung zu Konstanz vor der ganzen Nation und hernach auf den Reichstagen und in den Unterhandlungen einiger einzeln Fürsten im Namen der ganzen Nation öffentlich gesagt wurde, nur in der Schule oder in einer fliegenden Schrift zu behaupten, er würde als der ärgste Ketzer eingefangen werden. So sehr änderten sich die Gesinnungen der katholischen Fürsten Deutschlands durch die Hitze der Zänkereyen, nachdem der Schritt geschehen war, den sie selbst zuvor beförderten! Die bekannten hundert Beschwerden der deutschen Nation hundert Beschwerden der deutschen Nation – die 95 Thesen Martin Luthers von 1517, die endlich weit über die hundert anwuchsen, beweisen offenbar, daß die Politik des größten Theils von Deutschland bereit war, den ersten kühnen Mann, der gegen den römischen Hof auftretten und ihre Beschwerden mit theologischen Gründen unterstützen würde, in Schutz zu nehmen. Der verschlagene, thätige und sehr beredte Aeneas Sylvius Aeneas Sylvius – Enea Silvio de' Piccolomini, Legat in Deutschland, später Papst (Pius II.), † 1464, welcher die Konkordaten zwischen Pabst und Reich zu Stand gebracht, hat durch seine listige Betriebsamkeit die Eifersucht der denkenden Patrioten in Deutschland nur noch mehr gereitzt. Er war ein glänzendes Genie, welches den kalten Humor der Deutschen seinen Ascendant Ascendant – hier: Übergewicht wohl auf einen Augenblick fühlen lassen und zum Schweigen bringen konnte; allein die Hartnäkigkeit, welche diesem Humor eigen ist, nahm nach den betäubenden Deklamationen und den kühnen Intriguen dieses Ciceros Cicero – Marcus Tullius Cicero – römischer Politiker und Schriftsteller, berühmter Redner, Schöpfer der lateinischen Kunstprosa, † v.C. 43 seines Jahrhunderts immer wieder die alten Beschwerden zur Hand. Aeneas Sylvius hielt seine Feinde für schwächer als sie waren. In allen seinen Schriften sieht man, daß er die Deutschen weit zu übersehn glaubte. Ihr Genie war aber erwacht, und im Grunde übersahen sie ihn; nur waren sie weder geübt, noch einig genug, um den Maschienen, die er rasch auf sie spielen ließ, augenblicklich widerstehn zu können. Mayer, damaliger Kanzler des Hofes zu Maynz, welcher Hof zu der Zeit der aufgeklärteste, feinste und glänzendste in Deutschland war, und zur Reformation unglaublich viel beytrug, spricht in seinen Briefen, die man in verschiedenen Kompilatoren zerstreut findet, mit dem Italiäner in einem Ton, der jeden andern Advokaten des römischen Hofes, den unerschöpflich witzigen Sophisten Aeneas ausgenommen, würde stumm gemacht haben. Wenn man liest, welche Intriguen und Bestechungen der römische Hof damals anwenden mußte, um den Kaiser, die Herzoge von Bayern und die Pfalzgrafen am Rhein bey guter Laune zu erhalten (wovon Febronius einige Pröbchen giebt), so muß man sich wundern, daß der Ausbruch der Reformation noch bis zu Luther hin verschoben werden konnte.

Indessen die Politik vieler Höfe Deutschlands gegen den römischen Hof gespannt war, wurde das Ansehn desselben durch die Philosophie in den Schulen und durch des gesellschaftlichen Umgang der Gelehrten nach und nach untergraben. Die Buchdrukerkunst, welche in dem letzten Vierthel des fünfzehnten Jahrhunderts allgemein zu werden begann, beschleunigte in Deutschland die Ausbreitung der Wissenschaft. Gleich zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts fiengen sie schon an, ihre Sprache gut zu schreiben. Der Weg ward gebahnt, dem Volk eine Lehre schnell und leicht mitzutheilen. Deutschland hatte damals überhaupt eine seiner glänzendsten Epochen. Es hatte warme Patrioten, werkthätige Philosophen, denkende und unternehmende Fürsten. Der erwachte Verbesserungsgeist hatte sich schon in der Gesetzgebung und den Polizeyanstalten geäussert. Die innere Ruhe war bevestigt. Die Künste und der gute Geschmack fiengen an sich aus Italien über Deutschland auszubreiten. Bologna war die Schule für den jungen deutschen Adel. Wenn diese gleich das barbarischeste Gemengsel von römischen, päbstlichen und lombardischen Rechten von dort hohlte, so brachte er doch zugleich gute Sitten, eine Kenntniß der italiänischen und lateinischen Sprache und den Geschmack an den schönen Künsten und Wissenschaften mit sich zurück. Erasmus von Rotterdam Erasmus von Rotterdam – Erasmus Desiderius von Rotterdam, einer der glänzendsten Vertreter des Humanismus in Europa, einer der ersten Gelehrten seiner Zeit. Er trat für ein von Dogmen und Aberglauben freies Christentum ein und forderte das Studium des Evangeliums statt der Beschäftigung mit der Scholastik. Er verurteilte den Heiligen- und Marienkult und das Mönchswesen. Der Reformation schloß er sich aber nicht an. † 1536. Sein Buch »Lob der Torheit« gehört zur Weltliteratur, † 1536, Reuchlin Reuchlin – Johannes Reuchlin, Humanist und Altphilologe, kämpfte für die Bewahrung jüdischen Kulturgutes, † 1522, Hutten Hutten – Ulrich von Hutten, Reichsritter, Humanist und politischer Publizist, führte ein unstetes Leben. Er gab eine Schrift des italienischen Humanisten Lorenzo Vallas heraus, in der die Konstantinische Schenkung als klerikale Fälschung entlarvt wurde. Sein freiheitliches Denken machte ihn zu einem Vorbild der studentischen Jugend des 19. Jahrhunderts. † 1523, u. a. m. sind ein Beweis, wie sehr sich der Geschmack in Deutschland schon verfeinert hatte. Sachsen hatte besonders vortrefliche Schulen. Die Universität zu Leipzig gewann den Ruhm, den zuvor jene zu Prag hatte, und die neugestiftete zu Wittenberg, auf welcher Luther das Signal zum Schlagen gab, ward nicht nur von Deutschen, sondern auch von den Hungarn, Polen, Dänen und Schweden häufig besucht. Luthers Schriften überhaupt beweisen, daß die deutsche Sprache in seinem Vaterland schon sehr kultivirt war, so wie seine Bibelübersetzung ein Beweis ist, daß die alten Sprachen sehr fleißig in den Schulen getrieben wurden. Wahrscheinlicher Weise wäre Deutschland unter allen europäischen Ländern nach Italien zuerst aufgeklärt worden, und es würde in der Litteratur damals schon die Epoche gehabt haben, in die es jezt getreten ist, wenn nicht die Religionsgezänke auf einmal wieder die Köpfe verfinstert, und die darauf erfolgten Kriege das Reich verwüstet hätten.

Italien, welches damals das aufgeklärteste und blühendste Reich in Europa war, dachte an keine Reformation, obschon es die Gebrechen der Religion besser mochte eingesehen haben, als Deutschland selbst. Die guten Köpfe in Italien begnügten sich mit Satyren auf die Päbste, Kardinäle und ihr Gefolge von Mönchen und Nonnen. Man behandelte die Misbräuche der Religion so wenig ernstlich, als man heut zu Tage in der feinern Welt die Ehebrüche und die übrigen Galanterien behandelt, die zu allgemein sind, als daß die Polizey hoffen könnte, sie zu hemmen. Die Ausschweifungen der italiänischen Geistlichen fielen ohne Zweifel auch nicht so ins Grobe und Wilde, als jene der deutschen, und vertrugen sich besser mit den feinen Sitten, dem Karakter der Nation und dem gesellschaftlichen Leben. Die Kunst, welche alles, was in ihren Kräften ist, zur äusserlichen Verschönerung der Religion in diesem Lande beytrug, verdekte in den Augen vieler denkenden Leute manche Mängel derselben, wie die Koquette durch ein Schönpflästerchen gewinnt, welches sie auf irgend ein Wärzchen oder einen häßlichen Flek zu legen pflegt. Wenn man nebstdem bedenkt, daß Italien vermittelst der Religion, und also ohne die geringste Auslage, ungeheure Reichthümer aus seinen geistlichen Kolonien zog, die sich seit Karl dem Grossen bis nahe an das Eismeer ausgedehnt hatten, und daß das italiänische Adel im Kirchendienst sein Glück machte, so hat man sich nicht zu wundern, daß dieses Land keine Hand an die Reformation legen wollte, ob es schon in der Philosophie und Politik viel vor dem übrigen Europa voraus hatte, und gewiß das Verderbniß der Kirche früher einsah, als Luther und seine Gesellen.

Frankreich hatte seit Philipp dem Schönen Philipp der Schöne – franz. König, † 1314, seine Antwort auf die Bulle »Unam sanctam« des Papstes Bonifatius VIII., die die unbestrittene Weltherrschaft des Papstes konstatierte, lautete: »Philipp von Gottes Gnaden, König von Frankreich, an Bonifatius, der sich für den Papst ausgibt, wenig oder gar keinen Gruß! Du sollst wissen, Erznarr, daß wir in weltlichen Dingen niemandem unterworfen sind. Wer anders denkt, ist ein Tor oder wahnsinnig.« Dieser Satz ging in die Weltliteratur ein. gelernt, mit dem römischen heiligen Geist zu spielen. Der römische Hof war ihm nicht förchterlich. Unsere Könige wußten im Gegentheil aus dem Einverständniß mit demselben wichtige Vortheile zu ziehn, und den Statthalter Kristi zu ihrem politischen Unterhändler zu gebrauchen. Unsere Sitten waren auch damals feiner, als jene der Deutschen, und unsre Geistlichkeit hielt sich mehr in den Schranken des Wohlstandes und der Ehrbarkeit. Man sieht es am deutlichsten daraus, daß das tridentische Konzilium tridentische Konzilium – Tridentinum, Konzil in Triest 1545 – 1563, s. Neun und zwanzigster Brief. in unserer Disciplin nichts änderte, da es doch in den Sitten der katholischen Geistlichen in Deutschland eine so grosse Revolution verursachte. Wir hatten zwar damals in den Wissenschaften keine so glänzenden Genies, als die Deutschen; allein die Kenntnisse waren bey uns ausgebreiteter, und wir können Beweise genug aufzeigen, daß man bey uns die Misbräuche der Religion so gut einsah, als irgend anderstwo. Unsere Gesandten auf der Kirchenversammlung zu Konstanz hatten es schon 100 Jahre vor Luther bewiesen, und die Art, wie unser Hof mit den Protestanten in Deutschland in Verbindung trat, zeigt, wie viele andre Beyspiele von der Art, daß bey ihm die Religion immer der Politik untergeordnet war.

Es mußten also viel dringendere Ursachen, als die Erkenntniß der Religionsirrthümer, und ganz besondre Schwungfedern mitwirken, daß die Reformation vorzüglich in Deutschland ausbrach. Sie sind sehr verschieden. Eine der wirksamsten war ohne Zweifel die Härte und der Stolz, womit der römische Hof besonders den Deutschen begegnete. Er hatte so oft durch List und Gewalt über diese nachgiebige und vor dem fünfzehnten Jahrhundert so undenkende Nation gesiegt, daß er glaubte, ihre Last ohne Gefahr ins Unendliche häufen zu können. Unterdrückung ist nach einem alten Sprüchwort die Mutter der Freyheit. Er glaubte sich durch die Konkordaten Konkordat – eine Vereinbarung der Catholica mit einem Staat, die jener viel, diesem wenig gibt. Beispielsweise ist das Konkordat des Heiligen Stuhls mit Hitlerdeutschland, nach dem der Staat die Kirchensteuer eintreibt (für maximal 4 % Gewinn!) und die Priester vom Staat besoldet werden (z. B. Kardinal D. Lehmann mit 10.000 EUR pro Monat) heute noch gültiges Recht. Konkordate haben keine Kündigungsklausel. von Aschaffenburg Konkordat von Aschaffenburg – Wiener oder Aschaffenburger K. von 1448. In diesem gab Kaiser Friedrich III. alle schwer errungenen Rechte der staatlichen Gewalt an einen Legaten des Papstes Nikolaus V. preis. gegen ihre weiter Unternehmungen sicher gesetzt zu haben, sie hatten aber gerade die entgegengesetzte Wirkung, weil die erwachte Nation nun einsehn konnte, daß sie durch die List der päbstlichen Unterhändler ist betrogen worden – Eine andre Ursache war der Humor der Nation. Ein Phlegmatiker, wenn er einmal sieht, daß er betrogen wird, und in den Harnisch kömmt, ist der unternehmendste und unbändigste Mensch. Die vielen Religionsgährungen in unserm Vaterlande schon vor der Reformation giengen immer so schnell vorüber, wie unsre Moden – Die wilde Ausgelassenheit der Geistlichen in Deutschland war auch eine dieser Triebfedern. Die Nonnenklöster dieses Landes waren öffentliche Bordels, und wo die Klöster und Stifter die Gerichtsherrlichkeit hatten, übten sie wie die Ritter das Recht des Prälibats Prälibat – das Recht der ersten Nacht über die Töchter ihrer Leibeignen aus. Die Wollust war in diesem Lande nicht, wie in Italien und Frankreich, durch Geselligkeit und gute Sitten bezähmt, sondern fiel ins Viehische und äusserst Abscheuliche. Die Pfaffen brachten bey Anlaß öffentlicher Lustbarkeiten wegen Huren auf der offenen Strasse Leute um. Noch kurz vor der Reformation ereignete sich ein solcher Fall in Augspurg. Nothzüchtigungen, Kindermorde, Blutschändereyen, Sodomitereyen Sodomitereyen – Geschlechtsverkehr mit Tieren und alle die unnatürlichen Laster waren unter der deutschen Geistlichkeit im Schwung. Der Greuel mußte also dem Theil des deutschen Publikums, der sich zu der Zeit durch Bekanntschaft mit den Wissenschaften, Künsten und den Sitten andrer Völker verfeinert hatte, mehr auffallen, als den hellen Köpfen jener Länder, deren Geistlichkeit die Ausschweifungen nicht weiter trieb, als die übrigen Stände des Volks.

Zu allem diesem kam noch die Hitze, womit Luther Lärmen blies. Die Protestanten läugnen es selbst nicht, daß die Privatleidenschaften dieses Mannes, Stolz und Rachsucht, seinen Beruf ausmachten. Ein erhitzter Theolog würde sich heut zu Tage eher lächerlich machen, als eine Revolution durch einen Schulstreit bewirken zu können. Es mag immer sehr demüthigend für die Menschen seyn, daß die größten Revolutionen oft von so einer Kleinigkeit abhängen, als theologische Theses Theses – Thesen sind; und wenn man bedenkt, daß diese Theses ganz Deutschland verwüsteten, die die Hugenottenkriege Hugenottenkriege – ab 1562 der bürgerkriegsähnliche Kampf zwischen den französischen Protestanten, den calvinistisch geprägten Hugenotten, und den papsttreuen Katholiken. Sie wurden durch das Edikt von Nantes 1598 beendet. in Frankreich veranlaßten, England zum Schauplatz aller Greuelthaten machten, Könige ihrer Kronen beraubten u. s. w. daß ohne dieselbe weder Gustav Adolph Gustav Adolph – König Schwedens, griff in den Dreißigjährigen Krieg auf seiten der Protestanten ein. † in der Schlacht bei Lützen 1632, noch Heinrich der Vierte Heinrich IV. – französischer König, ursprünglich Hugenotte, erließ 1598 das Edikt von Nantes, das den Hugenotten Glaubensfreiheit gewährte., noch Kronwell Kronwell – Oliver Cromwell, der Führer der englischen Protestanten im Bürgerkrieg gegen den absolutistischen König Karl I. (1649 hingerichtet). Er begründete Englands Weltmacht, † 1658, noch viele andre Männer bekannt geworden wären, so weiß man kaum mehr, was man groß und wichtig nennen soll. Allein, das ist nun einmahl unser Schiksal. Ohne die Leidenschaften der Menschen wäre die moralische Welt so todt, als die physische ohne Fermentation, Fermentation – Umwandlung biologischer Stoffe in der Gärung und so demüthigend es in Rücksicht auf die erstere für uns seyn mag, daß die an sich noch so unbedeutende Grille eines Menschen eine halbe Welt erschüttern kann, eben so eckelhaft ist es in Rücksicht auf die leztre, daß wir und alle Dinge, die wir geniessen, durch Fäulung entstehn – Rom hatte seine Freyheit auch der Privatleidenschaft einer Familie zu verdanken.

Bey uns kennt man Luthern fast gar nicht. Er ist von unsern Geschichtsschreibern und Theologen abscheulich mißhandelt worden. Voltäre, der so glüklich war, die karakteristischen Züge merkwürdiger Männer, welche vielen andern entgiengen, zu haschen, weiß von Luthern nichts mehr, als daß er den Pabst ein Eselchen genennt. Luthers Schriften verrathen nicht nur einen grossen Vorrath von Gelehrsamkeit, sondern auch ungemein viel populären Witz und mitunder auch starke Züge einer lebhaften Einbildungskraft. Seine vortrefliche Laune schwebt zwischen der Art und dem Ton eines wohllebenden Mönchs oder eines sogenannten lustigen Bruders, und der Art und Weise eines witzigen, umgänglichen, gelehrten und patriotischen Professors. Er fällt öfters nach unserm heutigen Geschmak ins Grobe und Pöbelhafte; allein man muß bedenken, daß er mit dem Pöbel zu schaffen hatte, und seine Schüler in der Begeisterung, in welche sie der Reformationseifer sezte, Dinge bekannt machten, die er nicht wollte ans Licht kommen lassen. Sie fiengen alles von ihm auf, und wollten von ihrem Propheten kein Wörtchen verlohren gehen lassen, und wenn er es auch im Taumel des Weines gesprochen. Auf diese Art sind seine berüchtigten Tischreden entstanden. Man liest in einer Ausgabe derselben »und da sah der grosse Mann, daß einige der Anwesenden seine Scherzreden niederschrieben, und sprach zu ihnen: Ihr Esel, warum fängt ihr denn allen D – k auf, den ich fallen lasse.« Die Popularität seines Witzes und seiner Gelehrsamkeit trug viel dazu bey, daß sich seine Lehre so schnell ausbreitete. – Als ein wahrer Phlegmatiker war er unversöhnlich und unbändig, wie er einmal aufgebracht war. Er machte Himmel und Hölle gegen den Pabst rege. Aus den Klöstern und den lustigen Gesellschaften, wo alles auf Kosten des Pabstes lachen machte, eilte er an die Höfe der Fürsten, um sie zu hetzen, oder schrieb die nachdrücklichsten Briefe an sie, und wenn er sich gleich mit anderen Reformatoren auf eine nicht sehr anständige Art herumzankte, so wußte er doch unter den Fürsten immer die Einigkeit zu erhalten; ein Beweis, daß er auch ein Weltmann war, und die Grossen eben so gut zu behandeln wußte, als den Pöbel. Uebrigens war er ein guter Mann, führte eine kostbare Wirthschaft, hinterließ Schulden, und was den damaligen protestantischen Fürsten Deutschlands wenig Ehre macht, seine hinterlassene Frau wäre mit ihren Kindern beynahe in drückende Armuth gerathen.

Erasmus von Rotterdam und einige andre, die anfangs mit Luthern in Verbindung standen, waren ohne Zweifel gelehrtere und ausgebildetere Männer als Er. Allein um den Schlag zu thun, wurde ein ganz andrer Mann erfodert, als ein blosser Gelehrter. Der, welcher den ersten Schritt that, mußte mit einem beträchtlichen Vorrath von Kenntnissen eine gewisse Kühnheit und Starrheit verbinden, die ein ausgefeilter Gelehrter nie besitzt. Er mußte zugleich ein Mann für das Volk seyn, welches Einer von des Erasmus Karakter auch höchst selten ist. Kurz, er mußte Luther seyn.

Einige wollen ihm die Ehre des ersten Schritts streitig machen, die in meinen Augen eben so groß nicht ist. Man führt zum Beweis an, daß Zwingli noch vor 1517, wo Luther seine Theses anschlug, in der Schweiz gegen die Mißbräuche der Kirche gepredigt. Allein das thaten in Deutschland hundert andre vor Zwingli und Luther. Seit dem konstanzischen Konzilium konstanzisches Konzilium – Konzil zu Konstanz 1414 – 1418, die größte Zusammenkunft von Klerikern des Mittelalters und ihrem streng zölibatärem Geist entsprechend die größte Hurenversammlung an einem Ort, die die Christenheit je sah. Auf Grund der Maxime »das Konzil steht über dem Papst« wurden insgesamt drei Päpste ab- und schließlich Martin V. eingesetzt. Eine durchgreifende Reform der Kirche erfolgte nicht, damit war die letzte Chance vertan, die Reformation Martin Luthers aus eigener Kraft zu verhindern; im Gegenteil, die wortbrüchige Verbrennung Jan Hus' (die Kirche lehrt, daß einem Ketzer gegenüber keinerlei Versprechen oder Eid gültig ist) führte zu einem neuen Schisma und zu verheerenden Kriegen (Hussitenkriege) in ganz Europa, letztlich auch zum Dreißigjährigen Krieg. fehlte es nie an Männern, die gegen den Unfug predigten und schrieben, und deren Freyheit in Bestreitung der Mißbräuche mit der damaligen despotischen Kirchenverfassung stark genug abstach. Mit predigen allein war nicht geholfen. Nicht einmal politische Handlungen ansehnlicher Höfe konnten vor Luther etwas bewirken, es erfoderte einen Mann, der sich an die Spitze einer grossen Parthey stellte, hinter den sich alle Gelehrten der damaligen Zeit steckten, der von einem der mächtigern Fürsten unterstützt ward, und an einem so ansehnlichen und so öffentlichen Ort stand, als die Universität von Wittenberg damals war. Es mußten Umstände mitwirken, die wir jetzt nicht mehr genau abwägen können. Mit predigen ward in der Schweitz so wenig gethan als in Deutschland. Es mußte irgendwo zur Exekution geschritten, und Hand angelegt werden. Alle übrigen Reformationen erfolgten erst auf das Beyspiel, welches Sachsen gegeben hatte, und obschon verschiedene Reformatoren nachher mit Luther zerfielen, und weiter giengen als er, so betrachteten sie ihn doch anfangs alle als ihren Mittelpunkt und den Mann, der ihnen das Eis gebrochen. Ohne ihn, oder vielmehr ohne den Zufall, der ihn in die Hitze brachte, wäre es nach aller Wahrscheinlichkeit nicht zu Thätlichkeiten gekommen. Die guten Köpfe hätten immer Satyren geschrieben, patriotische Vorschläge gethan, gepredigt, an den Höfen gehetzt u. s. w. und der Pabst hätte sich endlich mit den Deutschen auf den Fuß setzen müssen, worauf er mit Frankreich stand, welches Reich die Ablaßkrämerey, die den Anlaß zur Rebellion in Deutschland gab, so wie den groben Greuel überhaupt ohne Reformation abgeschaft hatte.

Man macht in neuern Zeiten viel Aufsehens von der Aufklärung, welche die Reformation über Europa ausgebreitet. Das heißt die Sache gewiß sehr einseitig und partheyisch betrachten. Die Aufklärung wurde offenbar durch die Reformation gehemmt, und die Kultur von Deutschland beynahe um 200 Jahre zurückgesetzt. Frankreich und Italien waren damals ohne Reformation aufgeklärte und sehr blühende Reiche, und Deutschland würde mit ihnen zugleich in der Kultur fortgeschritten seyn, wenn nicht der theologische Unsinn die Philosophie wieder verdrängt hätte, und das Land nicht durch die Religionskriege verheeret worden wäre. Italien war damals auf einem Grad von Kultur, den Deutschland sobald noch nicht erreichen wird. Venedig, Genua und Toskana waren so aufgeklärte, polizirte und nach ihrer Grösse so mächtige Staaten, daß Europa – das Verhältniß der Grösse beybehalten – heut zu Tage nichts ähnliches aufzuweisen hat. Venedig ganz allein konnte dem Kaiser und dem ganzen römischen Reich Trotz biethen, und erregte die Eifersucht aller der mächtigsten Fürsten des damaligen Zeitalters. Auch Neapel war ein blühendes Reich. Ich kann auch nicht sehn, was die Protestanten heut zu Tage, in Rücksicht auf die Aufklärung des Volkes, vor den Franzosen und einem Theil der Italiäner voraus haben sollen. Die Aufklärung des Menschenverstandes wird doch nicht von 2 bis 3 Religionsgeheimnissen, mehr oder weniger abhangen? Ich nahm auch das Vorurtheil mit auf meine Reisen, der grosse Haufen der Protestanten müßte erleuchteter seyn, als der katholische Pöbel; allein ich mußte es bald ablegen, und fand, daß der grosse Haufen unsrer Landsleuten viel heller in den Köpfen ist, als jener verschiedner protestantischen Länder, von deren Erleuchtung man so viel Lärmen macht. Unter den Protestanten selbst steht die Aufklärung des Volkes in keinem Verhältnis mit der Simplicität ihrer verschiedenen Religionen. Die Sachsen, deren Religion bey weitem nicht so einfach, und wenn mans so nennen will, so philosophisch ist, als jene der Reformirten, sind im Ganzen genommen, doch ein viel aufgeklärteres Volk, als die Reformirten Holländer, und Schweitzer. Unter den Bauern ist der Abstand auffallend – In Deutschland fiengen nach der Finsterniß, welche die Theologie und der Krieg über das Reich ausgebreitet hatten, die Katholiken eher an, sich auf die Wissenschaften zu legen, als die Protestanten. Sturm, Sturm – Johannes Sturm, Schulreformer im Sinne des Humanismus in Straßburg, wurde wegweisend mit seiner Schrift »Scholae Lauinganae« (1565), † 1589 der erste protestantische Schulverbesserer gesteht in seiner Abhandlung de institutione scholasica selbst, daß die Jesuiten vor den Protestanten einen Vorsprung in den Schulen hätten, und diese sich Mühe geben müßten, sie einzuholen. Es hieng bloß von der Dummheit und Indolenz der katholischen Fürsten Deutschlands ab, daß die Protestanten die deutschen Katholiken nicht nur bald einholen, sondern ihnen auch bald einen grossen Vorsprung abgewinnen konnten. Während die ersten die Freyheit benutzten, welche ihre kirchliche Verfassung den Schulverbesserungen gestattet, liessen sich die letztern von den päbstlichen Jägern unter Begünstigung ihrer undenkenden Fürsten Fußangeln anlegen. Das gieng aber in Frankreich, Venedig, und andern katholischen Ländern nicht an.

Durch den gänzlichen Umsturz der römischen Kirchenverfassung haben sich die Reformatoren um das Wohl ihrer Anhänger vielleicht eben so wenig verdient gemacht, als durch die Abschaffung einiger unphilosophischer Lehrsätze um die Aufklärung derselben. Wenigstens hörte ich in allen Protestantischen Ländern die Geistlichen über die Abnahme ihres Kredits, über die Eingeschränktheit ihrer zeitlichen Glücksumständen, und über die Unordnungen klagen, die eine Folge davon sind, daß sie keine veste Verbindung unter sich haben, und jedem erlaubt ist, Pabst in seinem Sprengel zu seyn. Ein Theil ihres Verdienstes beruhte auf der Verbesserung der kirchlichen Polizey, in so weit sie auf die weltliche Bezug hat, auf der Abschaffung des Zelibats, der Fasten, der päbstlichen Dispensationen, und Ablaßkrämerey, der reichen und müßigen Mönche u. dgl. m. welche Verbesserungen sich mit dem Wesen und der Verfassung der katholischen Religion gar wohl vertragen können, und auch in verschiedenen katholischen Ländern, mehr oder weniger, eingeführt sind. Der päbstliche Ablaßhandel ist fast in der ganzen katholischen Welt vernichtet, und auch von der Kreuzbulle Kreuzbulle – Sondersteuer zur Finanzierung eines Kreuzzuges gegen die Heiden der Spanier und Portugiesen zieht der heilige Vater wenig mehr. Das Fegfeuer, welches den Protestanten ein Hauptstein der Aergerniß ist, zieht kein Geld mehr aus den Staaten, die Kleinigkeit ausgenommen, welche die Klöster, Bruderschaften u. dgl. Gemeinden, deren Feste mit Ablässen verbunden sind, für ihre Bestätigungsbullen zu bezahlen pflegen. Allein auch diese Quelle ist für den römischen Hof seit einiger Zeit so gut als völlig verstopft. In den meisten katholischen Ländern gestattet man weder neue Klosterstiftungen, noch Errichtungen neuer Bruderschaften, noch Einführungen neuer Feste. Im Gegentheil man sucht die alten abzuschaffen. Das Fegfeuer ist also itzt bloß für die inländische Geistlichkeit der katholischen Staaten einträglich. Ich sah aber, daß sich die protestantischen Geistlichen in den Ländern, wo ihre Einkünfte sehr eingeschränkt sind, Erpressungen und Kniffe gegen das Volk, besonders auf dem Lande, erlauben, die viel abscheulicher sind, als das Messelesen für die Seelen im Fegfeuer, welches bloß von dem freyen Willen des Volks abhängt, und auf einem allgemein angenommenen Lehrsatz beruht, an den Priester und Layen glauben, wie man wenigstens so gut, als in den kritischen Glaubenspunkten der Protestanten voraussetzen muß.

Die Revolution, welche die Reformatoren in den Sitten des Volkes bewirkten, macht den Haupttheil ihres Verdienstes aus. Ablässe, Prozeßionen, Feyertäge, Fasten u. s. w. konnten immer von der weltlichen Polizey abgestellt werden, ohne daß es eine Trennung in der Kirche veranlaßt hätte. Allein keine Polizey kann ein verschwenderisches und liederliches Volk geschwind nüchtern und sparsam machen. Luther, der für sich eben nicht der beste Oekonom war, predigte nichts so sehr, als Abstinenz, Frugalität Frugalität – Einfachheit und Arbeitsamkeit. Die Kalvinisten giengen noch weiter. Sie lehrten, »die Welt hienieden wäre ein Jammerthal, und Abtödung des Fleisches wäre des Menschen wahres Leben.« Ihre Sittenlehre verdammte alle Ergötzlichkeiten, und sie machten das Lachen zur Sünde. Man muß Swifts Schriften lesen, wenn man sehen will, um wie viel die Kalvinisten hierin weiter giengen, als die Lutheraner. Unterdessen sind diese strengen Begriffe von Fleischesabtödung die einzige Ursache, warum die Kalvinisten überall reicher sind, als die Lutheraner. Sie sind diesen weder an Thätigkeit noch Geschicklichkeit überlegen. Im Gegentheil, ihr melancholischer Humor, der eine Folge ihrer Erziehungsart und ihrer Sitten ist, macht sie in allen Dingen schwerfällig, und gränzt bey dem gemeinen Volk in vielen Gegenden an die äusserste Stupidität. Dieß ist auch die Ursache, warum sie es in Kunstsachen nie so weit brachten, als die Katholicken und Lutheraner. Ich erinnere mich in einem englischen Journal eine Untersuchung gelesen zu haben, wie sich die Zahl der Künstler und schönen Geister unter den Puritanern Puritaner – sittenstrenger Mensch oder Kalvinisten zu jenen unter den Episkopalen Episkopalen – Mitglied der reformierten Kirche in England oder Lutheranern verhalte, und nach dieser Rechnung standen die erstern gegen den letztern wie 1 gegen 6, obschon jene ohngefähr 2 Fünftheile von den Einwohnern Englands ausmachen – Der Holländer lebt mitten in seinem Geldhaufen kärglicher, als anderstwo der Katholik und Lutheraner von mittelmäßigem Vermögen. Er kennt auf der weiten Welt kein Vergnügen, als im Winter bey einer Tasse Thee von Krieg und Frieden zu schwätzen, und im Sommer einmal die Woche seinen vertrakten Garten zu beschauen. Er ist schwerfällig und auf eine gewisse Art träge in seinem Thun und Lassen, und hat seinen Reichthum bloß einem gewissen immerfort anhaltenden Schlendrian seiner Geschäfte, besonders aber seiner Filzigkeit zu verdanken. Dieß ist der Karakter der Kalvinisten überhaupt. Der Geitz, welcher ein Hauptzug derselben ist, und ihrem melancholischen Humor entspricht, erlaubt ihnen im alltäglichen Handel und Wandel gewisse Knausereyen, die ein Katholik oder Lutheraner für offenbare Betrügereyen halten würde. Da sie auf alles einen Schrifttext haben, so geben sie einem Kapitel das Motto: Seyd listig wie die Schlangen – Die Mennoniten Mennoniten – eine im 16. Jahrhundert entstandene Glaubensrichtung. Die M. fordern völlige Trennung von Kirche und Staat. Sie lehnen die Taufe unmündiger Kinder, den Eid, den Kriegsdienst und die Ehescheidung ab. Es gibt keine Kirchenverfassung, jede Gemeinde ist völlig selbständig. Taufe erfolgt nach dem 14. Lebensjahr. Zum Mennonismus in der Praxis s. Ein und siebenzigster Brief. und Quäker Quäker – eine im 17. Jahrhundert von C. Fox begründete Religionsgemeinschaft, wegen der Ablehnung des Kriegsdienstes verfolgt, sie haben keine Sakramente und leisten Friedensarbeit. Die Gründung des US-Staates Pennsylvania war stark vom Quäkertum beeinflußt. sind noch filziger als die Reformirten, und daher auch überall reicher, zugleich aber auch noch finsterer und schwerfälliger. Diese haben, so viel ich weiß, für die Kunst noch kein einziges Genie geliefert.

Es war sehr natürlich, daß die Reformationshitze hie und da zur Schwärmerey ward, und man von einem Extrem auf das andere fiel; allein, wenn auch gleich ein Theil der Protestanten die Strenge seiner Sittenlehre übertrieb, so war diese Uebertreibung doch dem ganzen Staat eben so vortheilhaft, als sie vielleicht dem Glück des Privatlebens nachtheilig war. So wenig die Holländer durch ihre ungeheure Reichthümer im Privatleben glücklicher sind, als ein anderes ärmeres Volk, so können sie doch in ihrer jetzigen Lage nicht nur den nöthigen Kriegsaufwand für sich bestreiten, sondern auch noch Freunden und Feinden ungeheure Summen vorschiessen.

Die Lutheraner behielten etwas von dem Humor ihres Stifters bey, und wußten sich zu mäßigen. Sie verbinden einen hohen Grad von Sparsamkeit und Fleiß mit einer gemäßigten Liebe des Vergnügens und der Munterkeit, welche das gesellschaftliche Leben angenehm macht. Der unnatürliche Freudenhaß erstickt bey ihnen nicht den Witz und die gute Laune, und sie haben nichts von der tückischen Zurückhaltung, der finstern Gleisnerey, und die Grobheit, welche den grossen Haufen andrer Sekten auszeichnen.

Bey dieser Revolution in den Sitten sah man, wie allmächtig die Religion über das Volk ist. Sie war ein Wunder. Deutschland war vor derselben in einer beständigen Raserey. Wein, Tanz und viehische Liebe erhielte Priester und Layen in einem anhaltenden Taumel, und schon fiengen auch die geschmaklosen Schauspiele an, das Ihrige zur Zerrüttung des Verstandes beyzutragen. Auf einmal rennte das Volk aus den Saufhäusern und Lustgelagen in die Kirchen, rieb sich die Augen, glaubte, ward nüchtern, sparsam und fleißig – Zu dieser Veränderung wird ein Grad von Entschlossenheit erfodert, der nur einem so wilden Volk, als die Deutschen damals waren, eigen ist. Wenn die Wohllust einmal das Volk unter diesen Grad von Entschlossenheit entnervt hat, so ist eine solche Revolution nicht mehr zu erwarten. In Süddeutschland, besonders in Bayern ist sie eben so wünschenswerth, als schwer zu bewirken.


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