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Drey und vierzigster Brief.

Dresden –

Man hat es der Verfassung des Landes zu verdanken, daß die Sachsen von einem ganz andern Geist belebt sind, als die Bayern und Oestreicher. Die Gewalt des Kurfürsten ist eingeschränkter als irgend eines andern Regenten in Deutschland. Die sächsischen Landstände wußten sich durch Klugheit und Muth im Besitz der Rechte zu erhalten, welche die Stände der meisten andern Reichslande mehr durch ihre Nachläßigkeit und Feigheit, als durch die Despotie der Fürsten verloren haben.

Der Hof kann ohne Einwilligung der Landesstände nicht die geringste Auflage Auflage – Steuererhebung machen. Diese bestehn aus 3 Klassen. Die Stifter Merseburg, Meissen und Naumburg als Prälaten, die Grafen von Schwarzburg, Solms, Stollberg und Schönburg, als der höhere Adel und die Universitäten von Leipzig und Wittenberg machen die erste Klasse aus. Die zweyte besteht aus der Ritterschaft, die sich nach den 7 Kreisen Kreise – Verwaltungseinheiten, nicht identisch mit den unten genannten Reichskreisen des Landes eintheilt. Ihre Anzahl ist unbestimmt. Ein Glied dieser Klasse muß 8 Ahnen von väterlicher und mütterlicher Seite beweisen und zwar ein Rittergut besitzen, hat aber doch nur eine Stimme, wenn er auch, wie häufig der Fall ist, 3, 4 und mehrere Güter besitzt, so daß die erfoderliche Eigenschaft mehr auf den Personen als den Gütern beruht. Die Städte, 102 an Zahl, machen die dritte Klasse aus. Allgemeine Versammlungen werden nur alle 6 Jahre gehalten, aber es kömmt ordentlicher Weise alle 2 Jahre ein Ausschuß zusammen, der sich auch bey allen ausserordentlichen Vorfällen zu versammeln pflegt – Diese Landstände bewilligen nicht nur die Auflagen und besorgen das Schuldwesen, sondern wachen auch über verschiedene Fideikommisse Fideikommiss – unveräußerliches Eigentum einer Familie, über die Aufrechthaltung der herrschenden Religion, über Landesveräusserungen u. dgl. m. – Die Verfassung der Lausnitz ist ohngefähr die nämliche.

Das Schuldwesen giebt denselben am meisten zu schaffen. Die Summe aller Landesschulden beläuft sich noch auf ohngefähr 26 Millionen Thaler, sächsischen Geldes, oder etwas über 100 Millionen Livres. Jährlich werden für 1.200.000 Thaler oder etwas über 4.700.000 Livres Schuld= oder Kassenzettel eingelöset und verbrannt. Wenn man also auch nur 3 ½ Prozent für die Interessen rechnet; so nimmt das Kapital der Schuld sehr langsam ab. Dessen ungeachtet hat die Landeskasse einen sehr grossen Kredit, weil sie gegen die willkürlichen Verfügungen des Hofes gesichert ist, und die gewissenhafteste Redlichkeit beweißt. Als das Land nach dem lezten preußischen Krieg fast erschöpft und sein Kredit bey[.]nahe vernichtet war, wollten die Kassenbillets keinen Umlauf gewinnen. Einige aus= und inländische Wucherer machten Spekulationen auf die Einsicht, Redlichkeit und das Ansehn der Landstände, und sammelten die Zettel um einen Spottpreiß ein. Es währte keine 3 Jahre, so zeigte sichs, daß das Land noch Hülfsquellen genug habe, und nun stieg der Werth des Papiers auf einmahl. Die meisten der Spekulanten gewannen 50 bis 60 Prozenten. Zu Hamburg, Lübek, Bremen und auch in Holland erstaunte man über diese schnelle Veränderung, und die Landstände fuhren fort, Schulden zu bezahlen, die auf diese Art von den Unterthanen zum Theil schon bezahlt waren.

Die Einkünfte des Landes belaufen sich wirklich auf ohngefähr 6.200.000 Thaler, oder ohngefähr 24.349.000 Livres. Alle Gattungen der Auflagen sind von den Landständen zu einer bestimmten Ausgabe angewiesen. Der Kurfürst kann ohne Einwilligung derselben hierin nichts ändern, und hat seine eigne Kasse, an welche auch gewisse Gefälle Gefälle – Gefälligkeiten, verpflichtungsfreie Zahlungen angewiesen sind – Die Landstände haben beschlossen, daß die Armee nach dem Verhältniß, wie die Schulden abnehmen, vermehrt werden sollte – Für einen Prinzen von Geblüte sind 50.000 Thaler oder ohngefähr 196.000 Livres zur Apanage bestimmt, und dieses macht bey der zahlreichen Familie des Hofes einen ansehnlichen Artickel – Der kaiserliche Hof glaubte durch die Verheirathung der Erzherzogin Kristine an einen sächsischen Prinzen dem hiesigen Hof eine grosse Ehre zu erzeigen. Die Sachsen sagen, so groß auch die Ehre sey, so wäre sie doch gewiß noch grösser, wenn der Herzog von Sachsenteschen Herzog von Sachsen-Teschen – s Dreysigster Brief durch die Großmuth des kaiserlichen Hofes bewogen würde, auf seine Apanage Verzicht zu thun.

Es sind wenige Länder in Deutschland, die nach dem Verhältniß der Grösse so viel eintragen, als Sachsen. Es ist wahr, die Auflagen sind groß; allein wenig andre Länder hätten auch Kräfte genug sie zu tragen, und da die Landeskasse gegen die willkürlichen Eingriffe des Hofes gesichert ist, und die Landesstände überhaupt einsichtsvolle Patrioten sind, so werden sie auch wieder zum Beßten des Landes verwendet.

Auffallender ist nichts in der politischen Welt, als ein Vergleich zwischen Sachsen und Bayern. Beyde Länder sind von gleicher Grösse, und dieses hat von Natur noch etwas vor jenem voraus. Beyde haben eine Verfassung, nur daß die Stände von Bayern in neuern Zeiten ihre Privilegien verschlafen, versoffen, verh**t und auch am Rosenkranz verbetet haben. Das erstere zählt 18 grosse und 206 kleine, lezteres aber in allem nur 40 Städte, worunter ausser München nicht eine ist, die sich, ich darf nicht sagen an Reichthum, sondern nicht einmal an Zahl der Einwohner mit der geringsten von den 18 sächsischen Städten messen könnte. Im Gegentheil sind unter den 206 kleinen sächsischen Städten wenigstens 50, die in Rücksicht auf Reichthum die beßte bayrische Landstadt noch übertreffen. Sachsen hat 1.900.000, Bayern 1.180.000 Einwohner. Jenes trägt über 11 Millionen Gulden (rheinisch) dieses nicht über 6 Millionen ein. Sachsen hat ungleich mehr Schulden, als Bayern, tilgt seine Schulden, und kann über 20.000 Mann auf seine Kosten zur preußischen Armee stossen lassen, um Bayern dem Haus Oestreich entreissen zu helfen, und dieses hatte keine 6.000 Mann auf den Beinen, um nur einen Gedanken von Protestation gegen Oestreichs Ansprüche fassen zu können, und seine Schulden waren noch dabey im Steigen!

In Deutschland schreibt man dieses politische Mißverhältniß insgemein der Religion zu; allein, warum verhindert die nämliche Religion nicht, daß Frankreich, Toskana, Genua, Venedig, die kaiserlichen Niederlande, Oestreich u. a. Länder blühende Staaten sind? Es mag seyn, daß der Katholicismus der Bayern im theologischen Verstand besser und im politischen schlechter ist, als jener der obbeldten Länder; allein die Schuld liegt hauptsächlich an der Regierung, welche die Religion, wie die Luft den Barometer, steigen und fallen machen kann. Es hängt allzeit von der Erziehungsart, den eingeführten Gebräuchen, der Regierung und den Lokalumständen ab, wenn eine Religion dem Staat nachtheilig ist. Die Religion artet unter einer schwachen Regierung durch das Interesse ihrer Diener und die Dummheit und Trägheit des Pöbels leicht in einen Mißbrauch aus; allein das nämliche hat jede andre menschliche Einrichtung zu beförchten, und ich glaube, jede Religion kann, wie jede Regierungsverfassung, ohne Ausnahme gut seyn, wenn sie in guten Händen ist. Eine weise und thätige Regierung ist allmächtig, und Peter der Grosse Peter der Große – russischer Zar, † 1725 hat deutlich genug bewiesen, daß man einen Staat blühend machen, und jede Religion zu diesem Endzweck benutzen kann. Die Religion des grossen Haufen, in Rücksicht auf blosse Meinungen ist sich fast überall gleich. Aberglauben und Resignation auf die Leitung seiner Priester, deren Mäntel, Kaputzen, Kragen und Perüken der Hauptsiegel ihres Berufs in seinen Augen sind, machen das Wesentlichste seiner Religion aus. Ich wurde in verschiedenen protestantischen Ländern, die man in Rücksicht auf Religion für die aufgeklärtesten hält, genug davon überzeugt. Der grosse Unterschied der Völker, welcher sie zu guten oder schlechten Bürgern macht, beruht auf den Sitten, die eine Folge der Erziehung und mit den Religionsmeinungen gar nicht verbunden sind. Ich werde dir meine Gedanken hierüber in einem meiner nächsten Briefe, wo ich etwas von der Reformation sagen werde, faßlicher zu machen suchen. Unterdessen kann ich hier eine Bemerkung nicht übergehn, die ich auf meinen Reisen durch Deutschland häufig gemacht habe, und die zur Erläuterung meines Satzes dient.

Fast in allen katholischen Städten fand ich Italiäner, und die meisten derselben waren Leute von Vermögen. Sie sind durchaus als bettelarme Leute nach Deutschland gekommen, und haben in einem fremden Lande ohne alle äussere Unterstützung ihr Glück gemacht. Noch vor 30 und 40 Jahren waren fast alle reiche Krämer in den mittlern und kleinern Städten des katholischen Deutschlands Italiäner. Ich glaube, dieß ist der Beweiß genug, daß Industrie und Sparsamkeit, wodurch diese Leute ihr Glück machten, keine Attributen einer gewissen Religion, sondern des Lokalkarakters sind, der seine Bildung größtentheils von der Erziehung erhält. Die nüchternen, nachdenkenden, und fleißigen Wälschen Wälschen – Welsche: Italiener; vgl. welsche Haube, Welschkraut usw. hatten an ihrem Karakter Kapitals genug, um in dem bürgerlichen Gewerbe über die trägen, verschwenderischen und dummen deutschen Katholiken gar bald eine Ueberlegenheit zu gewinnen. In der Religion waren sie ihnen gleich. Ich sprach mit einigen dieser Parvenus Parvenu – Parvenü: Emporkömmling, Neureicher, die sich beklagten, daß es itzt schwerer hielte in Deutschland fortzukommen, als ehedem. Ohne Zweifel ist die durch Regierungsanstalten verbesserte Erziehung der Leute Schuld daran, unter denen sie fortzukommen suchen. Wer staunt nicht über die Verschiedenheit der Italiäner selbst in Rücksicht auf Industrie? Und doch haben sie Eine Religion mit einander gemein – Zu Rom selbst herrscht weniger Aberglauben als in der ganzen übrigen katholischen Welt, und sind die Römer deswegen bessere Bürger als die Genueser, die im Ganzen genommen grössere Bigots Bigots – Scheinheilige, Heuchler sind? – Ich rede hier nicht von der kirchlichen Disciplin, von den unmässigen Reichthümern der Klöster, von Annaten Annaten – »Jahresertrag«, die an den Papst fällige Abgabe für die Verleihung eines geistlichen (gewinnbringenden) Amtes, Pallien Pallien – Abgaben an den Papst für die Ernennung zum Erzbischof, Dispensationen Dispensationen – Zahlung eines Geldbetrages an den Papst für die Freistellung von katholischen Pflichten (Lesen verbotener Bücher, Befreiung vom Zölibat, Vielweiberei usw.)und andern päbstlichen Tributen, von den Usurpationen der geistlichen Gewalt u. dgl. m., welche Dinge einem Staat sehr nachtheilig seyn können, aber nicht zum Wesen der Religion gehören.

Die Sachsen haben es also, meines Erachtens nicht ihrer, wie sie glauben, philosophischeren Religion Philosophische Religion – man vergleiche aber diese Aussage mit den Berichten über Bayern, Österreich, Köln u. a. zu verdanken, daß sie glücklichere Bürger sind als die Bayern – Ich hatte vor einigen Tagen in einer Gesellschaft einen harten Stand, wozu diese Materie Anlaß gab. Einige Herren und Damen nahmen sich die Freyheit über die Religion meines Vaterlandes einige satyrische Bemerkungen zu machen. Es wäre unbegreiflich, sagten sie, daß die aufgeklärteste und witzigste Nation in Europa, (ich machte ein Danksagungskompliment im Namen aller meiner Landsleute) sich zu gewissen Meinungen bekennte, welche die Nachwelt mit dem Verstand, den diese Nation ihren übrigen Unternehmungen und Schriften blicken liesse, nicht würde zusammenreimen können. Nach dieser Vorrede war nun auf die Stelle von Swifts Mährchen Swifts Märchen – s. Zwey und vierzigster Brief angespielt, wo Peter seinen Brüdern eine Brodkruste anstatt eines Schöpsenbraten vorlegte (Im Vorbeygehn, Bruder; die Lutheraner scheinen sich itzt in diesem Punkt mit den Reformirten vereinigt zu haben, und die meisten ihrer neuern Theologen gehen in ihren Schriften weit von Luther ab.) Die Männer machten sich sodann mit unsern Nonnen, und die Damen mit den Mönchen lustig. Man zerschnitt unsre Abbes, die das Zelibat Zelibat – Zölibat: verordnete Ehelosigkeit der Geistlichen und Mönche erwählen, um ein ganzes Dutzend Weiber besitzen zu können u. s. w. Da ich das Gespräche selbst aufziehn half, so konnte ich es eben nicht übel nehmen, daß mir der Zeiger in seinem Umlauf ein wenig die Nase berührte. Ich ließ es auslaufen, und hätte wohl gar nichts darauf geantwortet, wenn nicht die Ehre aller meiner Landsleute dabey interessirt gewesen wäre. Ich sagte also zur Vertheidigung derselben: Was unsre Abbes, Nonnen und Mönche beträfe, so würde wohl, wie ich glaubte, der ganzen Gesellschaft bekannt seyn, daß die witzigen Köpfe unter meinen Landsleuten selbst das Lächerliche davon erschöpft hätten. In Rücksicht auf die Geheimnisse unserer Religion, die nach der Meinung der Herren und Damen unsern Verstand bey der Nachwelt würden verdächtig machen, so kennte ich keine Glaubenssekte in Europa, die sich nicht zu einigen Geheimnissen von der Art bekennte. Ich könnte nicht einsehn, was eine Nation, die 12 unbegreifliche und in profanen Augen unphilosophische Sätze annehme, in Rücksicht auf die Beweise ihres gesunden Menschenverstandes vor einer andern Nation voraus hätte, die sich zu 13 solcher Sätze bekennte. Sie wüßten, wie ich glaubte, wohl alle, was ausgelassene Spötter über die Wunder des alten und neuen Testaments, über die Geheimnisse der Dreyfaltigkeit, des Menschwerden Gottes, der Erlösung, und viele andre Gegenstände von der Art, wozu sich alle Kristensekten bekennten, gesagt haben. Die Vernunft allein würde die Kristen nie gegen diesen Spott sicher stellen können, und die Theologen aller Sekten hätten wohl daran gethan, daß sie sich in die Schantze einer Distinktion Distinktion – Unterscheidung geworfen und erklärt hätten, daß diese Sätze zusammen nicht wider, sondern über die Vernunft wären. Nun hätten wir Katholiken diese Retirade Retirade – Rückzug höchstens nur zweymal mehr nöthig, als die Kristen der andern Sekten, nämlich im Fall von Peters Traktament Peters Traktament – der Anspruch des Papstes, als Nachfolger des ersten römischen Bischofs Petrus zu gelten. Es gibt keinen Beleg dafür, daß Petrus je in Rom war, auch wissen die ersten zwei christlichen Jahrhunderte nichts von einem Petrus als Römischen Bischof. Der Text einer Rede an seinen Nachfolger ist eine plumpe Fälschung., und dann im Punkt des Fegfeuers, welches im Betracht der vielen Fälle die alle Kristen zusammen beträfen, eben keinen grossen Unterschied ausmachte. Uebrigens hätten die Herren und Damen selbst gestanden, daß alle diese Dinge unserm Verstand und Witz wenigstens in den Augen unserer Zeitgenossen, nichts präjudicirten präjudiciren – präjudizieren: eine Vorentscheidung treffen. In Rücksicht auf die Nachwelt, traute ich derselben die Unparheylichkeit zu, die wir alle gegen die Griechen, Römer und andere Völker der Vorwelt beobachteten, welchen wir im politischen und litterarischen Betracht volle Gerechtigkeit wiederfahren liessen, ohne uns durch die Religion derselben, die unendlich unphilosophischer war, als die unphilosophischste aller Kristensekten, in unserm Urtheil irre machen zu lassen. Ich glaubte, man müsse die Religion von der Sphäre der übrigen menschlichen Kenntnisse platterdings ausschliessen, und meines Erachtens thäten auch alle Theologen, welche über Glaubenssachen philosophirten, ihren Kirchen schlechte Dienste. Was endlich das Gepräge und die Zeremonien unsers Kirchendienstes beträfe, so wäre es mir leicht darzuthun, daß wir und die Italiäner einen grossen Theil unsers Witzes und unserer Kunst diesen Zeremonien zu verdanken hätten u. s. w. – Ich war im Odem, und wäre noch weiter gegangen, wenn ich nicht bemerkt hätte, daß meine Deklamation keine andre Wirkung bey der Gesellschaft hervorbrachte, als ein kleines Lächeln, welches mich der Partheylichkeit für meine Religion zu beschuldigen schien. Indessen hatte ich gerade eben so viel Grund, die Gesellschaft der nämlichen Partheylichkeit anzuklagen. Es gieng, wie es überall zu gehen pflegt. Jeder glaubt in solchen Fällen ausschließlich das Recht auf seiner Seite zu haben. Es ist unmöglich einander zu belehren, und man hat von seiner Gegenparthei nie Gerechtigkeit zu erwarten. Ich wurde hier von neuem überzeugt, daß, wenn die Religion als eine Nationaleigenschaft in Betracht kömmt, auch die vernünftigsten und im gemeinen Leben toleranteste Leute die Vorurtheile nicht ganz ablegen können. Ich sah häufige Beyspiele, daß alsdann auch die Leute, welche sich öffentlich für Unkristen erklären, die hitzigsten Verfechter der Religion werden – Als der bekannte Leßing, der offenbar kein Krist ist, nach Rom reisen wollte, sagten ihm seine Freunde hier und zu Leipzig, sie wären innigst überzeugt, daß er nun wenigstens so lange als seine Audienz beym Pabst währte, der orthodoxeste Lutheraner seyn würde, bloß um seiner Heiligkeit widersprechen und die Religion seiner Landleute vertheidigen zu können.

Die Religion des hiesigen Hofes ist eben auch nicht darzu gemacht, das grosse Vorurtheil des sächsischen Publikums gegen den Katholicismus überhaupt zu dämpfen. Die Jesuiten haben sie gebildet, und ich habe dir schon gesagt, daß die deutschen Jesuiten gerade das Gegentheil von den französischen und italiänischen, und unter allen Mönchen die größten Mönche waren. Man erzählte mir hier eine Anekdote, die der Hofgeistlichkeit wenig Ehre macht, und zuverläßig seyn soll. Zu Anfang der Regierung befürchteten die Jesuiten, der K – möchte die Religion ändern, besonders da er so jung war, sein Volk liebte, einige der Grossen Anschläge zu dieser Veränderung gemacht hatten, und die K – in, eine liebenswürdige Dame von aufgewecktem Geist, den Jesuiten eben nicht sehr günstig war. Einer derselben ließ sich also beygehn, den Auftritt zu wiederholen, welcher schon dem Großvater des K – zu Wien gespielt ward. Es kam ein Gespenst zu dem K –, welches ihn mit der ganzen Macht der Hölle von der beförchteten Veränderung abzuschrecken suchte, ihm aufs nachdrücklichste verbot, jemand etwas von der Erscheinung zu sagen, und in einer gewissen Zeit wiederzukommen versprach. Der K – ward auf einige Zeit nachdenkend. Seine Gemahlin, die er so liebte wie sie es verdient, riß ihm endlich das Geheimnis mit Gewalt aus dem Busen, und entdeckte es dem Prinzen ** . Dieser erwartete das Gespenst in der bestimmten Nacht, und schlug es mit seinem spanischen Rohr todt. Den folgenden Tag kam er in ein gewisses Haus, wo er sagte: Ich habe mir eine Besoldung von 500. Thalern erspart, und meinen Beichtvater durch einen Zufall todtgeschlagen.

Ungeachtet des kleinen Zugs von deutschen Jesuitismus ist der Kurfürst doch ein sehr liebenswürdiger Regent. Er kennt keine von den Ausschweifungen, denen sonst Fürsten, die den größten Theil der Regierungsgeschäfte ihren Ministern anvertrauen müssen, nachzuhängen pflegen. Er hat auch Einsicht und Thätigkeit genug, um wenigstens von den wichtigern Angelegenheiten genaue Rechenschaft zu fodern, und öfters belebt er auch durch seine Gegenwart und Befehle den Gang derselben. Seine Minister sind durchaus Männer, die seines grossen Zutrauens würdig sind, aufgeklärte und arbeitsame Patrioten, die so wol in der innern Staatsverwaltung, als auch in der äussern Politik einen einförmigen, durchgedachten und vesten Plan befolgen, und sich dadurch von den bayrischen Ministern stark auszeichnen. Bey Anlaß des bayrischen Krieges vor einigen Jahren haben sie bewiesen, daß es ihnen an Entschlossenheit nicht fehlt, so sehr ihnen auch durch den innern Zustand des Landes die Hände gebunden sind.

Wenn einmal das Geld, welches jährlich für Verintreßirung Verintreßirung – Zinsen für aufgenommene Kredite und Tilgung der Landesschulden bestimmt ist, zur Verstärkung der Armee verwendet werden, und der Hof von der ganzen Stärke des Landes Gebrauch machen kann, so wird das Ministerium ohne Zweifel andre Grundsätze annehmen, als es jetzt hat. Das Land würde alsdenn, ohne zu viel Anstrengung etliche und 40 bis nahe 50 tausend wackre Soldaten auf den Beinen halten, und also in jeden Fall die Neutralität behaupten können. In den jetzigen Umständen aber muß es immer eine Parthey nehmen und sich zu Oestreich oder Preussen schlagen. So lange der Friede währt, macht es, seiner Klugheit gemäß, beyden Höfen gleichviel Hofnung; aber im Fall eines Bruchs wird es nach meiner Meinung allezeit eher auf die preußische als östreichische Seite treten, theils weil der so mächtige kaiserliche Hof seine Rechte mit aller Strenge gegen die Reichsstände überhaupt geltend zu machen sucht, und die Macht desselben immer gefährlicher wird, theils weil Sachsen seiner Seits ganz besondere Ursachen zu haben glaubt, mit dem kaiserlichen Hof unzufrieden zu seyn. Die Grafen Schönburg, deren beträchtliche Besitzungen von den sächsischen Ländern umgeben sind, behaupten, sie wären unmittelbare Reichsvasalen Reichsvasalen – Reichsvasallen: reichsfrei, unmittelbar dem Reich unterstehend, wogegen Sachsen ihre Güter zu Afterlehen Afterlehen – der Inhaber eines Lehens (nur auf Lebzeit vergebener Besitz) gibt einen Teil seines Lehens ebenfalls als Lehen weiter, die es von ihm empfangen hätte, erklärte. Der kaiserliche Reichshofrath sprach für die Grafen. Nun war es um die Exekution zu thun, die nach den Reichsgesetzen einem Stand des Kreises Kreis – Reichskreis, um 1500 gebildete Flächeneinheiten, die den »Ewigen Landfrieden« in ihrem Gebiet sichern, die Reichsgesetze verkünden und durchsetzen sollten. Beispielsweise bildeten Sachsen und Brandenburg einen Kreis, Hessen, Lothringen und Savoyen ebenfalls einen, zu welchem der Verfällte Verfällte – der Verurteilte gehört, aufgetragen werden soll. Der Kaiser wußte nur zu gut, daß eine Exekution gegen einen mächtigen Kreisstand nie statt hat, und nahm sie selbst über sich. Es rückten Truppen aus Böhmen an, und Sachsen konnte nun nicht weiter protestiren. Dieses war eine der Hauptursachen, warum 4 oder 5 Jahre hernach, bey dem Ausbruch des bayrischen Krieges, die sächsischen Truppen sich so eilig mit den preußischen vereinigten. Im Teschner Frieden ward die Sentenz des Reichshofraths und die kaiserliche Exekution wieder vernichtet, und die schönburgischen Güter zu Afterlehn erklärt. Der nämliche Auftritt war schon zuvor zweymal mit Kurpfaltz, einmal in Betreff einer Streitigkeit mit dem Grafen von Leiningen und das andremal in Sachsen gegen die Reichsstadt Aachen vorgefallen. Der Kaiser bedrohte den Kurfürsten auch mit eigenmächtiger Exekution, und er mußte sich gegen die Gewohnheit der mächtigern Fürsten Deutschlands dem Urtheil des hohen Reichsgerichtes unterwerfen – Man hat häufige Beyspiele, daß zween Ständen eines Kreises gegenseitige Exekutionen, in Betreff anderer ihrer Kreismitstände aufgetragen waren, die sie denn gar freundschaftlich gegen einander aufhoben. Dieser schöne Gang der Gerechtigkeit mußte einen Prinzen ungehalten machen, der ein so warmer Vertheidiger derselben und so eifersüchtig auf sein Ansehn ist, wie Joseph der zweyte.

Der Unterschied zwischen der Religion des Hofes und jener des Landes hat hier auf die Staatsangelegenheiten und Geschäfte nicht den geringsten Einfluß. Was mich betrifft, so hätte ich eine starke Versuchung ein Türk zu werden, wenn die herrschende Religion meines Landes die mahometanische Mahometanische Religion – der Islam wäre. Es wäre mir um die Liebe meiner Unterthanen zu thun, die, so groß sie auch seyn mag, doch immer desto grösser seyn würde, je weniger ich als Privatmann von ihnen verschieden wäre. Vielleicht will der hiesige Hof die Religion überhaupt nicht dem Tadel aussetzen, daß sie so veränderlich wäre, so oft sie mit einem zeitlichen Interesse in irgend eine Kollision kömmt, wovon August der Zweyte bey seiner polnischen Thronbesteigung Polnische Thronbesteigung – August trat zum Katholizismus über, um Polnischer König werden zu können ein auffallendes Beyspiel gegeben. In Deutschland ist die Religion überhaupt sehr launigt. Das Haus Würtemberg dehnt sich in alle kristliche Religionssekten aus. Die Familie des Prinzen Eugen ist ursprünglich lutherisch, die Großfürstin hat die griechische Religion angenommen, und die Braut des Erbprinzen von Toskana wird ohne zweifel katholisch werden, zu welcher Religion sich der Bruder dieses Prinzen der regierende Herzog schon längst bekennt. Nun sind in diesem Haus auch Prinzeßinnen von Brandenburg, so daß es auch mit der kalvinischen Sekte verwandt ist. Ohne Zweifel ist dieß das kräftigste Mittel, die Toleranz in Europa auszubreiten, und die Menschenfreunde sind den deutschen Fürsten deswegen grossen Dank schuldig – Uebrigens wären die Sachsen, wenn auch der regierende Fürst ein Herr von weniger gemäßigtern Gesinnungen wäre, als der jetzige, doch gegen alle Religionsbedrückungen sicher. Die Landsstände haben in diesem Punkt seine Gewalt so sehr eingeschränkt, daß er sich sogar einen lutherischen Hofprediger bestallen muß. Er darf auch nur wenige, (wenn ich nicht irre, nur zwey) Katholiken zu Staatsräthen ernennen. Diese Sicherheit ist Ursache, daß die Sachsen, die wirklich mehr gegen die Katholiken eingenommen sind, als man glauben sollte, ihren Fürsten doch sehr lieb haben.


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