Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein und Fünfzigster Brief.

Berlin –

Wenn man in Süddeutschland vom König von Preussen spricht, so glaubt man einen Würgengel zu nennen, dessen Beruf und Beschäftigung es ist, die Leute zu hunderttausenden todtzuschlagen, Städte und Dörfer zu verbrennen, und die Felder zu verheeren. Diese Vorstellung hat größtentheils den nämlichen Grund, den die Meinung des Pöbels im letzten schlesischen Krieg hatte, welcher sich bereden ließ, der König von Preussen führe den Krieg gegen Oestreich und Frankreich, um die katholische Religion zu vertilgen. Die östreichische Regierung, welche öfters zu solchen kleinen Mitteln ihre Zuflucht nahm, apellirte an den Religionseifer und die Empfindsamkeit des Volks, nachdem ihre Truppen geschlagen waren, und sie fand dem Anschein nach, einigen Trost darin, wenigstens vom Volk bedauert zu werden. Man dichtete dem König Absichten und Handlungen an, von denen er sich nie träumen ließ, um das Mitleiden des Pöbels rege zu machen, und allenfalls auch von einigen katholischen Fürsten Deutschlands nach Kräften und Vermögen unterstützt zu werden.

Es ist dem Pöbel leicht zu verzeih, wenn er Vorurtheile hat. Wenn man aber in den neuern Schriften der berühmtesten östreichischen Gelehrten und Staatsmännern liest, das ganze Staatssistem des Königs von Preussen wäre darauf angelegt, sich mit überspannten Kräften seinen Nachbarn förchterlich zu machen, die Staaten derselben zu plündern, und vom Raub zu leben, dann weiß[t] man nicht, ob man über ihre Unwissenheit lachen, oder über ihre Unverschämtheit staunen soll.

Ausser Deutschland betrachtet man den König von Preussen auch vorzüglich als einen grossen Helden; Allein man ist doch dabey nicht blind gegen seine übrigen Tugenden. Unsre Landsleute, denen man Unpartheylichkeit und Einsicht in Anerkennung des Verdienstes grosser Männer nicht absprechen kann, lesen mit dem nämlichen Vergnügen, welches ihnen die Beschreibung der Feldzüge des Königs von Preussen macht, auch seine Civilverordnungen, Bonmots, und häusliche Anekdoten. Allein, man macht sich eine ganz falsche Vorstellung des Königs, wenn man sein Heldenverdienst als überwiegend, und seine kriegerischen Fähigkeiten als die vorzüglichsten betrachtet. Man achtet wegen der Liebe zum Geräusche, die uns Menschen eigen ist, mehr auf das Getöse seiner Feldzüge, als auf seine stillen, friedlichen Beschäftigungen, worinn er doch unendlich grösser ist, als im Feld. Man dichtet ihm auch diese Liebe zum Geräusche, und eine Neigung zu kriegerischen Unternehmungen an, die kein Fürst der Erde weniger hat als er.

Erzogen in den Armen der Musen, und bloß zur Ausübung der Philosophie gebildet, hatte er kaum die Regierung angetretten, als sich eine der merkwürdigsten Begebenheiten unsers Jahrhunderts ereignete, die sein größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen mußte. So viele Fürsten machten Ansprüche auf die Verlassenschaft Karl des Sechsten, und sein Haus hatte uralte Ansprüche auf einige slesische Fürstenthümer. Der Zeitpunkt war da, diese Ansprüche geltend zu machen. Wahrscheinlicher Weise hätte er die Parthey der von allen Seiten bestürmten Maria Theresia genommen, wenn man seine Foderungen befriedigt hätte. Allein das östreichische Ministerium, immer geblendet von seiner Grösse, beantwortete sie mit kränkendem Hohn. Der König schlug die kaiserlichen Truppen, und nun war man froh, daß er sich mit ganz Schlesien begnügte. Wirklich bezeigte er hier Mäßigung, denn es wäre ihm leicht gewesen, durch seine Unterstützung Karls des Siebenten ein Haus tief zu demüthigen, das ihm unter den europäischen Mächten am gefährlichsten war. Allein seine Politik erlaubte ihm nie eine Ungerechtigkeit.

Weder die Raubbegierde des Königs, noch sonst irgend eine andere Ursache, als der Stolz des östreichischen Ministeriums und eine geringe Kenntniß von der Stärke des preußischen Staates waren die Ursach des Verlustes von Schlesien. Man verachtete einen Hof, der keine Fürsten und Herzoge, sondern Kaufleuthe und Ritter à quarante écus à quarante écus – zu je vierzig Talern (Anspielung auf den Roman Voltaires, s. Neun und zwanzigster Brief.) zu Ministern und Generälen hatte. Man sah nur auf das Aeussere des Hofes vom Vater des Königs, der unter der Maske einer lächerlichen Singularität den Grund zu Preussens Grösse gelegt hat. Man lachte über sein ungepudertes Haar, seine schmierige Stiefel, die Rüben, die er aß, und über seine grosse Garde, bey welcher er sich doch vor dem Teufel, vor Gsepenstern [Gespenstern] und vor seinem Beichtvater förchtete. Man wußte aber nicht, daß seine grossen Soldaten, die man nur als seinen sonderbaren Zeitvertreib ansah, die beste Disciplin in der Welt hatten; man wußte nicht, daß seine undurchlauchtigten und ungnädigen Minister die aufgeklärtesten Patrioten waren; daß die strenge Oekonomie den kleinen preußischen Staat ungleich reicher gemacht hatte, als damals das stolze und mächtige Oestreich war; daß spartanische Nüchternheit, und spartanischer Gehorsam, die unter diesem, dem äusserlichen nach, so lächerlichen König bey den Preussen Sitte wurden, der Indolenz, Indolenz – geistige Trägheit Weichlichkeit und Verschwendung überlegen seyn mußten, und wenn das östreichische Heer auch noch so zahlreich gewesen wäre. Diese Unwissenheit war eigentlich das, was einige Leute das Glück des jetzigen Königs von Preussen nennen.

Der Einfall, den der König einige Zeit nach der Besitznehmung von Schlesien in Böhmen that, war eine Folge von den inständigsten und rührendsten Bitten des Kaisers, des Oberhaupts des deutschen Reiches, dessen Mitstand der König war. Ich sprach mit einem alten, berühmten holländischen Offizier, der den Grafen Sekendorf als Adjutant nach Berlin begleitete, um den König zu bewegen, dem Kaiser aus dem Gedränge zu helfen, worin er gänzlich hätte unterliegen müssen. Der König war lange taub gegen alle Vorstellungen und alles Bitten. Er zeigte dem Grafen Sekendorf bey der Parade ein Regiment, welches im ersten schlesischen Krieg besonders viel gelitten hatte. Sehn sie, sagte er, was mich der Krieg gekostet. Dieß Regiment hat über die Hälfte seiner Leute verlohren, und soll ich meine Unterthanen wieder der Gefahr aussetzen, so schrecklich niedergemetzelt zu werden? Dieß ist der König, den man für einen kriegerischen Räuber und Tyrannen ausschreyt – Sekendorf, der bekanntlich ein grösserer Staatsmann, als General war, wandte vergeblich alle Beredsamkeit an, um seine Absicht zu erreichen. Nichts bewegte den König, von neuem Oestreichs Feind zu werden, als die Vorstellung, wie unmenschlich die Oestreicher in Bayern gewirthschaftet haben, wie sie das Archiv geplündert, den Adel beraubt, die Felder verheert, und den Bauern in die Sklaverey versetzt haben; und wie ihr bekannter Stolz, ihre Rachsucht und Hartherzigkeit alles Aeusserste für das bayrische Haus beförchten liessen. Der König entschloß sich, den Kaiser aus dem Gedränge zu ziehn, ohne Oestreich viel zu schaden, und er that es mit einer Mäßigung, welche die unpartheyische Welt noch itzt bewundert. Er zwang den Prinzen Karl mit seiner Armee vom Rhein nach Böhmen zu eilen, und machte dem Kaiser Luft. Er that keinen Schritt weiter, foderte nichts für sich, sondern begnügte sich bloß damit, gethan zu haben, was die Billigkeit und die Theilnehmung an dem Schicksal des Kaisers von ihm foderten.

Es ist bekannt genug, wie wenig seine angedichtete Raub= und Eroberungssucht zum Ausbruch des Krieges beytrug, worin er die größten Thaten alter und neuer Helden verdunkelte. Mitten in diesem Krieg, wo er so viele Lorbeer sammelte, schrieb er einen Brief an Voltäre voll Sehnsucht nach philosophischer Ruhe und voll Rührung über den Greuel des Krieges. weit entfernt, von seinem Ruhm trunken zu werden, und weit entfernt von der Eitelkeit des römischen Statthalters, der aus einer Provinz zurückkam und erwartete, ganz Italien müßte mit dem Lob seiner Verwaltung angefüllt seyn, fragte er den Professor Gellert, der ihn mitten auf dem Schauplatz des Krieges um Frieden bath, sehr naiv, »ob er denn nicht gehört oder gelesen habe, daß drey Mächte gegen ihn wären, und ob es also in seiner Gewalt stünde, Deutschland den Frieden zu schenken?« Er dachte nicht daran, daß seine Feldzüge Aufsehens machten; sondern es war ihm bloß darum zu thun, sich seiner Haut zu wehren.

In diesem merkwürdigen Brief an Voltäre gelobt er, wenn er einmal Ruhe haben würde, auch die entferntesten Anlässe zu einem Krieg auf das sorgfältigste zu vermeiden, sich mit der ganzen Politik von Europa nicht abzugeben, sondern bloß in der philosophischen Ruhe sein Land zu bauen. Er hat dieses Gelübde bis jetzt aufs heiligste gehalten. Zu der Theilung von Polen trug er das wenigste bey. Man wird staunen, wenn diese Begebenheit mit der Zeit recht wieder aufgeklärt werden [wird]. Keine Thatsache kann durch politische Schmierereyen so verunstaltet werden, als diese ward. Ich sammelte zu Wien einige erläuternde Beyträge zu dieser Geschichte, die ich dir mit der Zeit mündlich mittheilen werde. So viel ist nun ganz notorisch, daß der König bey dieser Theilung nicht den dritten Theil von dem bekam, was Rußland zog, und bey weitem nicht den vierten Theil von dem, was Oestreich zufiel. Ein stärkerer Beweis von der Mäßigung des Königs und von seinen friedlichen Gesinnungen ist nicht möglich. Die Theilung würde gewiß etwas leichter ausgefallen seyn, wenn es zu den Waffen gekommen wäre.

In dem letzten bayrischen Krieg beobachtete er wieder die bewundernswürdigste Mäßigung. Er ergriff die Waffen, um das Haus Wittelsbach Haus Wittelsbach – eine Regentenlinie, die hauptsächlich in Bayern und der Pfalz wirkte; 1623 wurden die Herzöge von Bayern zu Kurfürsten ernannt. in sein Erbe einzusetzen, und die Verfassung des deutschen Reichs zu vertheidigen, die ihm als einem Mitstand heilig seyn mußte. Er foderte nichts für sich, und that wieder keinen Schritt weiter, als wohin ihn die strengste Billigkeit rief. Uneigennütziger und großmüthiger ist noch kein Monarch zu Felde gezogen, als der König von Preussen in diesem Fall – Er ließ seit den 20 Jahren, die er der werkthätigen Philosophie gewidmet hat, noch manch andre Anlässe vorübergehn, die einen Fürsten gewiß zum zum Aufbruch gereitzt hätten, welcher die Macht des Königs in Händen und die kriegerischen Gesinnungen hätte, die man ihm andichtet.

Kein Fürst kann mehr Schonung gegen die Menschen äussern, als der König von Preussen wirklich äussert. Er intereßirt sich um den Wohlstand einer Bauernhütte so sehr, als um die Blüthe des mächtigsten Handelshauses seiner Staaten. Es ist sein Stolz und seine größte Wohllust, wenn er auf den jährlichen Listen sieht, daß die Volksmenge sich in seinen Landen mehrt. Man sah ihn seit langer Zeit nicht so froh, als da er auf den Listen des letztern Jahres sah, daß die Zahl der Gebohrnen jene der Verstorbenen in seinen Landen ausserordentlich weit überstieg. Ein Fürst von dieser Sinnesart ist gewiß nur Krieger, wenn er es seyn muß. Seine lacedämonische Lacedämonisch – Lakedämon = Sparta Armee dient ihm bloß dazu, um sein Land in Ruhe bauen zu können, und den Prozessen mit den Nachbarn zuvorzukommen. Sie ist offenbar nicht der Endzweck seines Regierungsplans, sondern nur ein Mittel; und nur die, welche auf das Rauschende sehn, und nicht in den Geist der preußischen Regierung eindringen können, betrachten sie als den Haupttheil des preußischen Staates. Der König zieht aus diesem Wahn den Vortheil, den er aus der Unwissenheit zog, worin jeder Fremde in Rücksicht auf die Regierung seines Vaters schwebte. Man glaubt, sie erschöpfe sein Land, und sie ist im Grunde eins von den Mitteln, sein Land reich zu machen. Einige östreichische Schriftsteller glauben sogar, der König könne seine Armee nicht unterhalten, wenn er nicht periodisch eine Streiferey in das Gebiet seiner Nachbarn unternähme, und den Unterhalt derselben auf einige Jahre erbeutete. Darauf kann man nun freylich mit nichts als Lachen antworten.

Diese Armee besteht, wie ich dir schon sagte, mehr als die Hälfte aus geworbener, fremder Mannschaft. Sie zieht also Verzehrer ins Land, die bloß die Dinge konsumiren, welche mit dem Landbau in der unmittelbarsten Verbindung stehn. Ihre Kleidung besteht bloß aus inländischem Tuch und inländischem Leinwand, und trägt also dazu bey, die Erzeugung der ersten Materien und die Verarbeitung dieser Produkte, und also die Industrie zu befördern: Die Ausgabe für sie fließt also aus der Staatskasse in die einfachsten und wohlthätigsten Kanäle, und befördert den Umlauf des Geldes auf die sicherste und leichteste Art. Von den geworbenen Fremden lassen sich nach der Kapitulationszeit Kapitulation – Vertrag über abzuleistende Dienstzeit eines Soldaten auch manche hunderte im Land nieder, und helfen es anbaun und bevölkern. Aber der größte Theil der eingebohrnen Soldaten ist immer auf Urlaub, und arbeitet zu Haus. Es werden also durch die Armee für den Landbau und die Industrie eher Hände gewonnen, als verloren. Im Grunde kann man nur die geworbene, fremde Mannschaft ein stehendes Korps heissen; denn die eingebohrnen Soldaten sind, wie auch Moore bemerkt hat, in Friedenszeiten wirklich nur eine reglirte wohlgeübte und leicht aufzubringende Landmilitz.

Alle militärischen Anordnungen stimmen mit diesem vortreflichen Plan, die Armee für den Landbau unschädlich zu machen, und durch sie den Umlauf des Geldes zu befördern, aufs genauste überein. Die jährlichen Musterungen geschehen zu einer Zeit, wo der Landbau die Hände am leichtesten entbehren kann. Die Armee ist auf das genaueste nach dem Verhältniß des Ertrages in die verschiedenen Provinzen vertheilt, damit kein Geld von den Truppen aus einer Provinz in die andre gezogen werde. Alles ist in dem genauesten Gleichgewicht. Slesien hat gerade um so viel Truppen mehr, dann Brandenburg, als es mehr einträgt und so die andern Provinzen im nämlichen Verhältniß. Da die Armee beynahe 2 Drittheile von den Staatseinkünften zieht, so bleibt auf diese Art mehr Geld in den Provinzen, als in irgend einem andern Staat in Europa, wo gemeiniglich das Geld unmäßig in die Mitte zuströmt, und die Hauptstadt sich auf Kosten des Landes bereichert. Jedes Regiment hat seinen bestimmten Kanton, worin es rekrutirt, und überhaupt genommen, hat es auch darin, oder doch in der Nähe desselben sein beständiges Standquartier. Dadurch wird nicht nur das Sammeln der Truppen im Nothfall erleichtert, sondern der Vater hat auch den verabschiedeten Sohn zum Behuf seines Landbaus immer in der Nähe, und dieser hat zur Musterungszeit keinen beschwerlichen Weg zu seinem Regiment zu machen. Auf diese Art ist es unbegreiflich, wie man dem König von Preussen wegen seiner stehenden Armee Vorwürfe machen, und sie als schädlich für das Land betrachten kann. Die inländischen Soldaten haben nicht viel mehr Zeit auf den Dienst zu verwenden, als die Militz der Engländer, der Schweitzer und andrer Nationen, die theils durch Vermiethung ihrer Truppen, theils durch die Schiffahrt dem Landbau Hände entziehn, dahingegen der König durch sein Militärsistem Hände gewinnt.

Die preußische Armee ist zuverläßig gegen 200.000 Mann stark, und kostet den König jährlich gegen 20 Millionen Gulden, oder ohngefähr 52 Millionen Livers. Sie ist wirklich bis zum Maschinenmäßigen subordinirt und disciplinirt. Einen unserer modernen, empfindsamen Philosophen mag die Härte des Schiksals des gemeinen Mannes wirklich schaudern machen; allein, ohne diese Härte wäre die preußische Armee das nicht, was sie ist, und der König muß sie als ein nothwendiges Uebel ansehn, um die Ruhe seiner Staaten zu sichern. Ohne Zweifel würde unser Philosoph auch geschaudert haben, wenn er die Truppen des Alexanders und des Cäsars gesehen hätte, die nach aller Wahrscheinlichkeit, die sich aus der Geschichte sammeln läßt, kein leichteres Schiksal hatten, als die Preussen. Einige Kenner behaupten sogar, Cäsars Truppen hätten die Preussen an Strenge des Gehorsams, an Nüchternheit und Schwere der Arbeit noch übertroffen. Dem sey wie ihm wolle, so muß man unter den preußischen Truppen einen Unterschied machen. Das Schiksal der eingebohrnen Soldaten, die ein Fremder auf der Extrapost selten sieht, ist eben so ausserordentlich hart nicht. Sie sind, wie ich schon bemerkt habe, nicht viel mehr, als eine wohlreglirte Militz, und ziehn doch dabey einigen Sold. Diese sind nicht so fühllos und steif, als man die preußischen Soldaten überhaupt zu schildern pflegt. Im Gegentheil, es herrscht viel guter Wille, viel Liebe zum König und zum Vaterland unter ihnen. Da sie während der Zeit des Urlaubs andre Beschäftigungen als mit dem Gewehr, und mit andern Leuten, als ihren Korporälen und Kammeraden Umgang haben, so sind sie auch runder, belebter und freyer in ihrem Betragen, als die geworbenen Fremden.

Diese sind kraft eines freywilligen Vertrags (denn die Kapereyen der Werber kann man dem König und auch dem Ganzen nicht auf die Rechnung setzen), dessen Bedingnisse man gegen sie genau beobachtet, an ihr Schicksal gebunden. Richtiger, aber auch sparsamer, zahlt kein Mensch in der Welt, als der König von Preussen.

Es ist wahr, die Lebensbedürfnisse sind diesen Leuten mit der äussersten Kärglichkeit zugemessen; und vielen sieht man den schmachtenden Hunger und eine Ermüdung durch Arbeit auf dem Gesicht an. Allein die Matrosen, welche auch zur Friedenszeit andern Staaten durch Betreibung des Handels und der Schiffahrt dienen, haben gewiß kein leichteres Schicksal; und so lächerlich es in den Augen der meisten Leute wäre, wenn man den seefahrenden Nationen rathen wollte, ihren Handel aufzugeben, weil die Stürme, gesalzene Speisen, Veränderung des Klima, Skorbut, Erschöpfung durch Arbeit und noch unzälige andre Ursachen ihnen so viele Matrosen aufreiben; eben so lächerlich ist es in meinen Augen, dem König von Preussen wegen dem harten Zustand seiner Soldaten Vorwürfe zu machen. Ohne die Nüchternheit und Arbeit wäre die preußische Armee um nichts besser, als eine andre, und da er mit mächtigern und eifersüchtigen Nachbarn umgeben ist, so muß er durch Kunst das ersetzen, was die andern an innerer Stärke voraushaben. Das Leiden eines kleinen Theils der Unterthanen, wenn der Staat ohne dieses Leiden nicht sicher gestellt werden kann, ist kein Uebel, sondern eine Wohlthat, und wenn man diese Aufopferungen mißbilligen wollte, so müßte man auch mit Herrn Linguet den Getraidebau tadeln, der für den größten Theil der Unterthanen jedes europäischen Staates nicht viel weniger hart ist, als der Zustand des preußischen Soldaten.

Die Schilderungen dieses Zustandes sind auch von Beobachtern mit schielenden Augen merklich übertrieben worden. Was den Stok betrift, so braucht man ihn erst, wenn der Mann zu viel Dummheit, Ungeschicklichkeit, Nachläßigkeit oder Bosheit äussert. Bey keiner Armee werden die Rekruten so sanft behandelt, als bey der preußischen. Mit aller möglichen Nachsicht und Gelassenheit lehrt man sie die Handgriffe und das Marschieren. Man schmeichelt ihnen sogar, erklärt ihnen, wiederholt ohne Vorwürfe einen Griff hundertmal, wenn er dem Körper des Mannes schwehr eingeht. Ist er aber einmal im Besitz der Vortheile, dann hebt sein Lehrer den Stock auf, mit der Erklärung, daß dieser nun sein Zurechtweiser seyn würde, wenn er nicht thäte, was er nun zu thun im Stande sey. Er fehlt alsdann auch aus Nachläßigkeit oder Bosheit und verdient also seine Strafe. Die Queerhiebe, welche sonst der Wind den preußischen Staaten manchmal zujagte, werden immer seltener.

Ich hatte auf meinen Reisen öfters Gelegenheit, eine sehr intressante Bemerkung zu machen. In allen bischöflichen Residenzen, und in vielen Reichsstädten fand' ich Soldaten, die dem König von Preussen gedient hatten, und die ihm größtentheils entlaufen waren. Es ist meine Art, wie du weißt, auf die Leute von der untersten Klasse aufmerksamer zu seyn, als auf die mit den Sternen und Bändern. Ich sprach wohl mit mehr als 20 solchen Ueberläufern, und unter diesen war keiner, der sich nicht in den preußischen dienst zurück gewünscht hätte. Ich widersprach ihnen, und stellte ihnen vor, welche ruhige Tage sie bey ihrem Bischof oder ihrem Magistrat hätten, und wie ich nach allen Beschreibungen, die man von der preußischen Armee hat, nicht begreifen könnte, daß sie mit ihrem Schicksal unzufrieden seyn sollten. Es wollte ihnen nichts einleuchten. Alle machten nur eine Beschreibung von den grossen Thaten des Königs mit einer Art von Begeisterung, die mich oft ein wenig ansteckte, und dann war immer der Schluß: »Es ist wahr, man ist beym König von Preussen knapp gehalten; allein der Sold fällt richtig auf die Stunde, und man hat kein Beyspiel, daß jemand bey ihm verhungert wäre. Wenn der Mann seine Schuldigkeit thut, so hat der Officier ein Aug auf ihn, und dann weiß man doch, was man eigentlich ist. Man ist anderstwo doch nur ein halber Soldat, und hat keine Ehre davon.«

Viele dieser Leute, wenn sie noch jung genug sind, laufen dem König auch wieder zu, ob sie schon in dem Dienst der Bischöfe und Reichsstädte mehr in den Bierschenken sitzen, als unter Gewehr stehen. Merkwürdig ist, daß man sie an diesen Orten durchaus als eine Art von Veteranen auszeichnet. Ich hörte auf der Parade einer bischöflichen Residenz einen Korporal aushunzen. hunzen – wie einen Hund behandeln, beschimpfen dieser antwortete mit einem unbeschreiblichen, kalten Stolz: Herr Officier, ich hab dem König von Preussen gedient: und der Officier schwieg.

Das Desertiren ist einer der Hauptgründe, die man gegen das preußische Militärsistem anzuführen pflegt. Es ist wahr, bey dem ersten Einfall in Feindes Land läuft ihm der 15te oder 12te Theil seiner Armee davon: Allein, so bald er eine Schlacht gewinnt, kommen sie wieder mit Prozenten zurück, und wenn er auch nach einer unglücklichen Schlacht noch so viel von der geworbenen Truppe verliert – seine Landeskinder desertiren seltener, als irgend andere Soldaten in der Welt – so behält er immer doch einen beträchtlichen, und den größten Theil davon. Es ist ein neuer Beweis von der Weisheit und dem guten Willen des Königs, seine Armee für den Landbau unschädlich zu machen, daß er sich lieber dieser Inkonvenienz aussetzen, als mehrere von seinen Unterthanen unter das Gewehr stellen will – Nach der Schlacht bey Kolin Schlacht bey Kolin – s. Acht und dreisigster Brief. liefen sie dem König haufenweise davon. Bey Rosbach Rosbach – Roßbach: Heute Ortsteil von Naumburg (Saale). Hier besiegte Friedrich 1757 ein französisches Heer und ein ihm angeschlossenes Reichsheer bei relativ geringen eigenen Verlusten. Diese Schlacht wurde von patriotisch gesinnten Kreisen als Sieg des Nationalen Gedankens gefeiert. Die protestantische Seite sah sie als eine Niederlage des Katholizismus an. bestand seine Armee fast blos aus seinen Landeskindern. Er schlug unsre Truppen und die Reichsarmee, und die letztere diente ihm alsdann dazu, seine geschmolzenen Regimenter wieder zu kompletiren. So gieng es immer. Die Deutschen von Rhein und Mayn und aus den obern Gegenden der Donau hielten es immer mit der siegenden Parthey. War der Kaiser glücklich, so liefen sie ihm vom König zu, und kehrten dann wieder zurück, wenn sich das Blatt zum Vortheil des letztern wandte. Unterdessen mußten sie doch allzeit an den Ort, wo sie waren, wenigstens einen Puff aushalten.

Von der innern Verfassung und Taktik der preußischen Armee weiß ich dir wenig anders zu sagen, als daß man sie auswärts nicht kennt. Man hält hier Herrn Guibert für den elendesten Radoteur Radoteur – Schwätzer von der Welt, und sagte mir eine Menge Dinge, die er falsch berichtet hat. Ich will dir nur einen Zug hievon mittheilen, dessen ich mich eben erinnere. Er sagt unter andern, die cylindrischen Ladstöcke der Preussen drückten vorn das Gewehr im Anschlagen nieder. Nun ist dieß nicht nur an sich falsch, sondern Herr Guibert übersah hier auch etwas, das die Preussen für einen besondern Vortheil halten. Sie schlagen die Gewehre vorsetzlich vorn in die Tiefe an, weil sie bemerkt haben, daß der Soldat im Losdrüken eine Zukung zu machen pflegt, besonders wenn er wirklich im Feuer des Feindes steht, wodurch sich die Mündung des Gewehres erhebt. Sie sagen, wir hätten, ich weiß nicht welche Schlacht in Flandern verloren, weil unsere Truppen während der Aktion immer zu hoch geschossen die englischen Officiere aber ihren Leuten zugesprochen hätten, mit den Gewehren tiefer anzuschlagen. Einige derselben sollen sogar in der Hitze des Treffens mit den Armen und Stöcken die Flinten der nahestehenden Soldaten niedergeschlagen haben.

Ich glaube, es geschieht hier, was in allen Beobachtungen über die Staatsverwaltung des Königs von Preussen geschieht. Es ist nicht so sehr Verheimlichung auf seiner Seite, als vielmehr zu grosse Simplicität der Dinge, daß man so vieles übersieht und falsch beurtheilt. Man sucht Künste, wo keine sind, und setzt Geheimnisse voraus, wo man den Grund der Nähe wegen nicht einsieht. Wenigstens versicherten mich verschiedene Officiers, daß besonders im Marschieren (welches sie für einen der wesentlichsten Theile der Kriegskunst halten, ob sie schon nicht, wie bey uns geschehen, mitten im Marschieren ganze Regimenter Minuten lang auf einem Bein stehen lassen, um sie zu lehren, das Gleichgewicht des Körpers richtig auf die Beine zu vertheilen) gewisse Kleinigkeiten seyen, die man nicht leicht bemerkte, und worauf doch fast alles ankäme. Zu grossen Manöuvres läßt der König nicht leicht jemand zu, vielleicht mehr, um die Truppen durch einen Schwarm von Zuschauern nicht zu genieren, als um etwas geheim zu halten. Wenigstens gehört ein gutes und geübtes Auge, und dann auch ein vortheilhafter Standpunkt dazu, um ein grosses Manöuvre übersehen und verstehen zu können, und vermuthlich wäre unter 20 Zuschauern von Profeßion kaum einer, der ein grosses preußisches Manöuvre recht fassen könnte. Dies ist auch die Ursache, warum die meisten preußischen Officiers selbst von ihren Kunstsachen im Grossen keine Rechenschaft zu geben wissen. Jeder hat an seinem Ort so viel zu thun, daß er auf das Ganze keine Rücksicht nehmen kann.

So vortreflich auch nach dem allgemeinen Geständniß die preußische Infanterie ist, so soll sie doch auch nach der Aussage aller inländischen Officiers, die ich gesprochen, von der Kavallerie noch übertroffen werden. Sogar die reisenden Engländer, die sonst nicht gerne fremdes Verdienst anerkennen, und so stolz auf ihre Reuterey sind, gestehn, daß dieser Theil der preußischen Armee alle Vorstellung übertreffe, die man sich machen könne. Der König soll sich auch von derselben versprechen, daß sie zwischen ihm und seinem allenfalls zuerwartenden Feind zu seinem Vortheil entscheiden werde. Er verwendet unglaubliche Summen darauf, und läßt sogar Pferde in der Tartarey Tartarey – Tatarei: historische Bezeichnung von Mittel-, Nordasien und Osteuropa; die Heimat der Tataren. Hier ist das Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres, des Dons, des Dnjeper und der Krim gemeint. aufkaufen. Die preußischen Officiers, deren Sache sonst das Pralen nicht ist, behaupten, so weit die Geschichte der Kriegskunst reiche, fände man kein Beyspiel, daß die Reuterey irgendwo auf dem Grad der Vollkommenheit gewesen wäre, worauf sie wirklich in Preussen sey. Sie reiten durchaus den Bauch auf der Erde, Bauch auf der Erde – »Denn unsere Seele ist gebeuget zur Erde; unser Bauch klebet am Erdboden.« Psalm 44, 25 und doch mit der Prezision in den Wendungen, welche die Infanterie beobachtet. Gegen Infanterie halten sie den Angriff der Pferde für platterdings unwiderstehlich. Die Reuterey des Königs ist etliche vierzig tausend Mann stark, und er braucht jährlich gegen 7.000 frische Pferde. Der Kaiser giebt sich alle Mühe, um es dem König hierin nachzuthun, er soll aber, wie die hiesigen Officiers behaupten, noch weit zurück seyn, obschon seine Kavalerie nach der preußischen ohne Vergleich izt die beste in Europa ist.

Ein besonderer Vorzug der preußischen Armee ist die durchaus herrschende Gleichheit. Er hat für die verschiedne Abtheilungen seiner Truppen besondere Exerciermeister, welchen die Obristen nichts vorzuschreiben haben, wenn sie die Regimenter derselben üben, ob sie gleich öfters nur Major sind. Dadurch wird eine Menge kleiner Nebendinge gehoben, die unter andern Armeen, besonders unter der unsrigen, zu herrschen pflegen und die bloß vom Eigensinn und den Grillen des Obristen abhangen. Das Ganze muß auf diese Art besser harmonieren; denn wenn auch gleich die Grundregeln die nämlichen sind, so macht doch in der Ausübung die Lebhaftigkeit oder Nachsicht der verschiedenen Obristen oder Majors einen merklichen Unterschied unter den Regimentern.

Die gute Zucht von Officiers macht meines Erachtens einen wesentlichen Theil der Stärke dieser Armee aus. Sie sind fast alle von inländischem Adel, und unter 20 ist kaum ein Fremder. Sie müssen alle als Kadeten Kadeten – Kadetten: Offiziersschüler bey Regimentern gedient haben, und in der Kadettenschule gebildet seyn. Ich hab vortrefliche Bekanntschaften unter ihnen. Sie sind in jedem Betracht ausgebildete Leute und im ganzen auch von sehr edler Denkungsart. Die geringe Besoldung der Subalternen zwingt sie, nüchtern nüchtern – hier: korrekt zu seyn, welches ein grosser Vortheil für den Dienst ist. Sie haben alle die martialische Miene und die Gradheit in allen Dingen, welche Leute ankündigt, die bereit sind, jeden Knoten mit dem Degen aufzulösen – Ich glaube die preußische Armee hat dadurch über die kaiserliche einige Ueberlegenheit, daß der preußische Adel nicht so mächtig, als der östreichische ist. Bey den vielen Fürsten und Grafen von so ungeheuerm Vermögen läßt sich nicht leicht die strenge Subordination und Simplicität einführen, welche die eigentliche Seele der preußischen Armee sind. Auch unsere aufgeklärten Officiers klagen über die Unordnungen, welche durch Familienintriguen bey dem Dienst verursacht werden, und es ist längst bekannt, daß diese auch ein Hauptfehler der englischen Armee ist.

Von Natur sind die Oestreicher unwidersprechlich ein besserer Schlag Soldaten, als die Preussen. Ich wollte dir eine grosse Deduktion darüber machen, in wie weit die Kunst in jedem menschlichen Verhältniß der Natur überlegen sey. Es läßt sich aber mit keiner Deduktion so richtig und deutlich beweisen, als wenn man einen ausgezehrten kränklichen Menschen mit seinem Kunstgeräthe vis à vis gegen einen wilden stellt. Der Wilde, welcher im Stand wäre, ein Dutzend solcher elenden Kreaturen zu zerreissen, liegt doch zu den Füssen des elenden Geschöpfes hingestreckt, sobald er seine Flinte losdrückt. Dies nämliche Verhältniß bleibt zwischen mehr und weniger disciplinirten Armeen, und die natürlichen Vorzüge des Soldaten können es gegen die künstlichen unmöglich aushalten.


 << zurück weiter >>