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Neun und fünfzigster Brief.

Hannover –

Alles Land, lieber Bruder, was von hier gegen Norden und Nordwesten liegt, und von der Embs, und der Elbe begränzt wird, ist theils purer Sand, theils ächtes Froschland, Schlamm und Morast. Der Schlamm an der See und den Flüssen wird hier zu Lande für eine paradiesische Erde gehalten. Wenigstens giebt er doch den Einwohnern Brod, dahingegen das höhere und veste Land größtentheils unfruchtbarer Sand ist. Hier, lieber Bruder, empfindet man erst, was Bergländer sind! In diesem ganzen Strich von Hamburg bis nach Emden, und von da durch einen grossen Theil von Westphalen bis hieher sah ich keinen einzigen Berg, keine einzige lachende Landschaft, keine schattige Hügel, kein schönes Gehölze, kurz nichts von allem dem, was einer Aussicht Leben geben kann. In Westphalen sah ich auch grosse Heiden, die noch öder waren, als die jütländischen. Das ganze Land ist beständigen Revolutionen unterworfen. Es ist ein Haufen Sand, den die Flüsse aus den höhern Gegenden Deutschlands herabgeschwemmt haben, und den sie beständig durchwühlen. Die See, welche hie und da fetten Schlamm ansetzt, reißt an andern Orten Dünnen weg, und so haben die Einwohner beständig mit dem Wasser und den Fröschen zu kämpfen. Die Flüsse tretten alljährlich aus, und setzen das Land auf viele Meilen in die Breite unter Wasser. Besonders sind die Ueberschwemmungen der Weser schreklich. Dann stehn Städte und Dörfer in einer See, und bilden eben so viele Inseln. Schnuppen, Husten und Fieber sind die Folgen davon, und würden vielleicht grosse Verheerungen unter den Menschen anrichten, wenn sie sich durch häufigen Brandtewein nicht immer erwärmten, und die Gewohnheit den Menschen nicht eisern machte. Für einen Fremden muß das Land im Frühling und Herbst äusserst ungesund seyn.

Die Einwohner sind durchaus schnekenartig, bleich von Farbe, weich von Fleisch und eingeschrumpft. Ihre kleinen, runden Figuren stechen mit den schlanken Deutschen in den südlichern Gegenden stark ab. Rothe Wangen sieht man unter dem Mannsvolk dieser Gegenden fast gar nicht, und sie sind auch unter dem Frauenzimmer seltener, als weiter gegen Süden. Man lebt hier, wie in Dänemark schiffmäßig, von gesalzenem Fleisch, welches sie sehr schmakhaft zu machen wissen; von Fischen, Hülsenfrüchten und Brandtewein, den auch die gemeinen Weibsleuten mit grossen Gläsern trinken. Von dem schönen Obst und dem vortreflichen Gemüsen, worauf andre deutsche Völker, besonders die Schwaben und Rheinländer so viel halten, weiß man hier nichts. Das Volk ist unempfindlich, schwerfällig, finster und zum Theil auch unreinlich; doch ist es, besonders in dem hannövrischen nicht so wild und ungesittet, als das dänische. Unter den Bauern dieser Gegenden giebt es sehr viele reiche Leute. Die Leichtigkeit des Absatzes ihrer Produkte, die geile Fruchtbarkeit der Marschländer, der Fischfang, der ungeheure Umfang ihrer Güter in den heideartigen Gegenden, die noch immer zur Viehzucht zu benuzen sind, und die Regierungen, die größtentheils sehr sanft sind, gewähren ihnen Vortheile, welche die Bauern in vielen Ländern, in denen die Natur ihr ganzes Füllhorn ausgeschüttet hat, nicht genissen. In einem grossen Strich von Westphalen sah ich gar keine Dörfer; sondern das ganze Land gehörte einzeln Höfen, deren Gebiethe oft mehrere Stunden im Umfang hatte. Mitunter giebt es auch viele sehr arme Bauern. Besonders schienen mir die, welche jenseits der Weser, über Bremen und Delmenhorst wohnen, durchaus in keinen glücklichen Umständen zu seyn. In einigen Gegenden haben sie ihr Vieh in ihrer Wohnstube, und zweymal mußte ich mit einem Strohlager hart neben den Kühen vorlieb nehmen. Dieß hat hier zu Lande ein fahrender Ritter meiner Art gewiß zu erwarten, wenn er sich nur einige Schritte von den gewöhnlichen grossen Strassen entfernt. Er findet dann in keinem Dorf ein ordentlich Wirthshaus, sondern irgend einer der geringern Bauern schenkt Brandtewein, wozu er nichts als Erdäpfel oder etwas gesalzenen Spek und Kleyenbrod aufzusetzen hat. Es ist mir unbegreiflich, wie es unsere Truppen im letzten schlesischen Krieg in diesen Gegenden aushalten konnten.

Bremen ist eine ziemlich reiche Stadt von ohngefähr 25. 000 Seelen. Sie treibt einen wichtigen Handel mit Eisen, Flachs, Hanf und Leinwand nach Frankreich, England, Spanien und Portugal, aus welchen Ländern sie verschiedene Produkte zurücknimmt, und damit einen grossen Theil von Westphalen und den hannövrischen Ländern versieht. Vom Fischfang zieht sie auch grosse Vortheile; besonders ist ihr Handel mit Thran nach Süddeutschland sehr wichtig. So finster und steif auch die Einwohner im Ganzen sind, so findet man doch unter dem bessern Theil derselben ganz artige Gesellschaften.

Emden ist nicht so ansehnlich als Bremen. Der König von Preussen soll einen heimlichen, unauslöschbaren Groll gegen die Bürger dieser Stadt haben, die wirklich auch überhaupt genommen, kein angenehmes Volk sind. Trägheit und Fühllosigkeit zeichnen es auffallend aus. Es währte lang, bis die grossen Bemühungen des Königs, die Einwohner zur Handlung und Schiffahrt aufzumuntern, einige Wirkung hatten. Die ostindische Handelsgesellschaft, Ostindische Handelsgesellschaft – Emder Ostasiatische Handelskompanie, von Friedrich dem Großen 1751 unter dem offiziellen Namen »Königlich-Preußische Asiatische Compagnie« gegründet, 1765 wieder aufgelöst welche er mit beträchtlichem Aufwand ehedem in dieser Stadt errichtete, zerschlug wieder in den ersten Jahren. Gewisse republikanische Begriffe, welche die Bürger dieser Stadt affektirten, vereitelten vollends alle Bemühungen des Königs, und erhielten sie in ihrer alten Trägheit. Endlich besiegten doch die Klugheit und Thätigkeit der Regierung und einige günstige Umstände die Haupthindernisse, welche der Aufnahme der Handlung, wozu die Stadt eine sehr vortheilhafte Lage hat, im Wege standen. Die Häringsfischerey, wozu der König die Einwohner auf alle Art aufmunterte, bringt jetzt der Stadt grosse Summen ein. Der amerikanische Krieg begünstigte die Absichten des Königs ungemein, und die Handlung der Stadt fängt an sehr blühend zu werden. Sie verführt viel Westphälische Leinwande in die Südländer, versieht einen Teil [!] von Westphalen mit Specereyen und Weinen, und ihr Handel mit Käsen ist auch sehr beträchtlich. Ihr Hafen ist vortreflich.

Die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst, welche der König von Dänemark auf Betreiben des rußischen Hofes gegen den Antheil desselben an Hollstein an einen Prinzen von Gottorf abtrat, machen nun ein sehr ansehnliches Fürstenthum aus, welches gegen 75.000 Einwohner zählt, und jährlich beynahe 400.000 rheinische Gulden abwirft.

Aus diesen Gegenden, besonders aus Frießland, kommen die starken, schweren und stolzen Kutschenpferde, deren mächtiger Trott die Strassen verschiedener Städte Italiens erbeben macht, und die man auch, zwar etwas seltener, bey uns erblikt. Der rußische Hof läßt auch viele dieser Pferde für seine schwere Reuterey aufkaufen, die in Betracht dieser ungeheuern Thiere förchterlich aussehn muß. Für die deutschen Küraßiers liefert Hollstein die meisten Pferde, die gewiß auch den Friesen und Oldenburgern zu diesem Gebrauch vorzuziehn sind, indem sie mit der nämlichen Stärke mehr Lebhaftigkeit und Leichtigkeit verbinden.

Hannover ist in jedem Betracht eine sehr schöne Stadt, von ohngefähr 20.000 Einwohnern. Hier giebt es vortrefliche Gesellschaften, zu deren Annehmlichkeit die Offiziers nicht wenig beytragen. Der Adel ist so gesittet und fein, als in irgend einer andern Stadt Deutschlands. Die Gegend um die Stadt ist wenigstens nicht so traurig, als die tiefern Gegenden an der Weser, und das Land fangt hier an, sich etwas zu erheben. Der Prinz Friedrich, zweyter Sohn seiner großbrittanischen Majestät, Großbrittanische Majestät – bis 1837 gehörte das Kurfürstentum Hannover (eigentlich Braunschweig-Lüneburg) zu Großbritannien ist wirklich hier, und macht einen gewissen Zirkel der Einwohner sehr lebhaft. Er ist Bischof von Osnabrük, welches Fürstenthum ihm jährlich gegen 180.000 rheinische Gulden einträgt. Er bekam es fast schon in der Wiege, und sein zärtlicher Herr Vater hat ihm seitdem die Revenuen desselben ohne allen Abzug zusammengespart, so daß er beym Eintritt in seine Majorennität Majorennität – Volljährigkeit weit über 3 Millionen Gulden baares Geld vorräthig hat. Man wünscht und glaubt hier, er werde nach einigen Jahren zu einem Statthalter der deutschen Lande seines Herrn Vater erklärt werden, und hier beständig residiren. In Betracht seiner ansehnlichen Einkünfte wäre es ein wichtiger Vortheil für diese Stadt, und seine vortrefliche Bildung verspräche dem ganzen Lande eine eben so weise als sanfte Regierung.

So fruchtbar auch einige Bezirke der hannövrischen Staaten seyn mögen, so sind sie im Ganzen doch ohne Vergleich der schlechteste Theil von Deutschland. Ihr Umfang beträgt ohngefähr 700 deutsche Quadratmeilen, und doch enthalten sie schwerlich 700.000 Einwohner; wenigstens hat man in denselben bey einer Zählung nicht über 100.000 Feuerstellen gefunden. Im letzten schlesischen Krieg fanden unsre Kommissärs bey einer Zählung in den gesammten hannövrischen Ländern nicht viel über 500.000 Seelen. Wenn man aber auch gegen alle Wahrscheinlichkeit die Zahl der sämtlichen Einwohner auf 700.000 sezt, so findet man doch im übrigen Deutschland keinen Umfang von gleicher Grösse, der im Durchschnitt nicht mehr als 1.000 Seelen auf einer Quadratmeile enthielte. Zwischen Schwaben, Sachsen, Oestreich, Böhmen und andern Provinzen Deutschlands und diesen Ländern ist der Abstand ungeheuer. Jene Staaten zählen im Durchschnitt 2.500 Seelen auf einer Quadratmeile, und zum Theil noch mehr. Die Natur hat hier fast alle Schuld der geringen Bevölkerung. Es giebt hier zu Lande ungeheure Sandheiden, die platterdings nicht anzubauen sind. Fast alles Land zwischen hier und Hamburg ist todter Sand. – Die sämmtlichen Einkünfte dieser Lande betragen ohngefähr 4.800.000 rheinische Gulden, wozu die Bergwerke im Harz allein gegen 1 Million beytragen. Die Länder des Kurfürsten von Sachsen, die nur um eine unbedeutende Kleinigkeit grösser sind, als die hannövrischen Staaten, werfen mehr als noch einmal so viel ab.

Die Regierung dieser Lande ist sanft, und die Staatsbedienung in Händen kluger und thätiger Patrioten. Von Erpressungen weiß man hier nichts. Wenig Geld geht aus dem Lande nach London. Fast alles wird zum Besten dieser Länder wieder verwendet. Die Armee, welche den größten Theil davon zieht, ist etliche und zwanzigtausend Mann stark. Sie ist unter allen deutschen Truppen am besten unterhalten; aber lange nicht so disciplinirt, als die östreichische oder preußische Armee. Vielleicht ist unter allen deutschen Regierungen die hiesige die gelindeste, und es herrscht in diesen Staaten durchaus ein Geist der Freyheit, der mit andern Gegenden Deutschlands stark genug kontrastirt.

Ich war kaum 3 Tage hier, als ich einen Ausfall nach Braunschweig that. Deutschland hat wenige Fürstenhäuser, auf die es so stolz seyn kann, als auf dieses. Es war wirklich eine Art von Begeisterung, womit ich einige der ersten Helden Germaniens anschaute, ob sie schon auf unsere Kosten Helden geworden sind. Der regierende Herzog regierender Herzog – August Wilhelm, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, preußischer Infanteriegeneral, nahm an allen drei Schlesischen Kriegen teil, † 1781 ist einer der ersten Generäle der preußischen Armee, ein ausgebildeter Staatsmann, und der Liebling des Königs von Preussen. Den Prinzen Ferdinand Prinz Ferdinand – Prinz Ferdinand von Braunschweig, preußischer Generalfeldmarschall, spielte eine wichtige Rolle im Siebenjährigen Krieg, besonders im Kampf gegen die Franzosen im Rheingebiet, † 1792 brauch ich dir nur zu nennen, um dich fühlen zu lassen, wie interessant es mir seyn mußte, ihn zu sehn. Er ist Euch andern nur als ein schrecklicher Feind bekannt; allein sein gutes Herz, seine ausgebreiteten Kenntnisse, seine Thätigkeit für das Wohl der Menschheit, in so weit sich seine Sphäre ausdehnt, und seine gegen jedermann zuvorkommende Höflichkeit würden Euch bald vergessen machen, daß er Euer Feind war, wenn Ihr ihn genauer kenntet.

Braunschweig ist der Mittelpunkt der deutschen Freymäurerey, an deren Spitze der Prinz steht. Die meisten protestantischen Fürsten Deutschlands sind Glieder dieses zahlreichen Ordens. Es ist noch nicht lange her, daß sich das Sistem der deutschen Logen fixirt hat, und sie einen vesten Zusammenhang haben. Deutschland hat ihnen unendlich viel zu danken, und wäre es auch nur, daß ein grosser Theil seiner Fürsten populärer dadurch geworden ist.

Fünf Prinzen aus diesem alten Heldenhaus kämpften im lezten slesischen Krieg für Deutschlands Ruhm und Freyheit. Der jüngste von ihnen ist 17 Jahre alt, blieb mit Wunden bedekt unter einem Haufen Husaren, die die Zeugen seiner bewunderswürdigen Dapferkeit waren, und denen er bis zum letzten Athemzug Muth einsprach; noch ein andrer blieb bey Hochkirchen – Vielleicht weißt du nicht, daß dieses Haus das eigentliche Stammhaus der Herzoge von Braunschweig, und das königliche Grosbrittanische nur ein Nebenast desselben ist.

Braunschweig ist eine ziemlich ansehnliche Stadt, die einen beträchtlichen Handel treibt, und auch verschiedene Manufakturen von Bedeutung hat. Die zahl der Einwohner, unter denen es sehr gute und feine Gesellschaft giebt, belauft sich auf ohngefähr 24.000. man schätzt die sämmtlichen Einkünfte des regierenden Herzogs auf ohngefähr 1.300.000 rheinische Gulden.


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