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Sechs und vierzigster Brief.

Leipzig –

Ich that von hier einen Ausfall nach Weimar und Gotha. Dieser Strich Landes ist der angebauteste und im politischen Betracht der schönste, den ich noch in Deutschland gesehn. Alle 2 bis 3 Meilen hat man eine Stadt, und fast in allen blühen Manufakturen. Die Dörfer sind unzälig, und der Feldbau ist auf dieser Seite mannichfaltiger, als gegen Dresden hin. Die Natur scheint auch dieser Gegend günstiger gewesen zu seyn.

Weimar ist ein artiges Städtchen. Der Hof ist äusserst populär, und der regierende Herzog treibt die Popularität und Philosophie vielleicht zu weit. Er setzt sich mit allen Menschen parallel, und nimmt Rollen in gesellschaftlichen Schauspielen, welche die schönen Geister und Bedienten seines Hofes unter sich aufführen. Er liebt das Romantische, und erkletterte nicht sonder Lebensgefahr in Gesellschaft seines eben so ritterlichen Busenfreundes, Herrn Göthe, auf seiner letzten Schweitzerreise den sturzdrohenden Felsen, mitten im Fall des Rheines unter Schafhausen, an dem die Gewalt des Sturzes schon grosse Stücke weggerissen hat, und der immerfort bis in seine Grundveste erbebt; eine That, die des berühmtesten Ritters aus den vorigen Jahrhunderten würdig wäre. Mit diesem liebenswürdigen Gefühl für das Kühne und Abentheuerliche verbindet er einen ausgebildeten Geschmak an allem, was Kunst heißt. Sein Hof besteht fast bloß aus schönen Geistern, und sogar sein Generalsuperintendent Generalsuperintendent – Johann Gottfried Herder, Sprach- und Geschichtsphilosoph, der 1776 dieses Amt in Weimar erhielt. † 1803, (welcher dir ganz unbekannte Titel soviel als ein kleiner Pabst heißt) ist ein schöner Geist, der das erste Buch Moses als eine poetische Rapsodie erklärt und auch in der neuern rapsodischen Gestalt unter dem Titel: Urkunde der Menschheit, herausgegeben hat.

Die vortrefliche Bildung des Herzogs ist ein Werk des berühmten Wielands, den romantischen Zug seines Karakters ausgenommen, den er Herrn Göthe größtentheils zu verdanken hat. Wieland ist ohne Widerrede der beste Kopf unter den Schriftstellern Deutschlands. Keiner verbindet so viel Studium mit soviel Genie als er, den einzigen Leßing ausgenommen. Er hat nicht nur sein literalisches Augenmaß durch anhaltendes und durchdringendes Anschauen der Schönheiten des Alterthums geübt und fixirt, sondern umfaßt auch die ganze Literatur der Franzosen, Italiäner und Engländer. Seine Werke sind keine Rapsodien im Geschmack der neuern deutschen Dichterlinge, sondern haben das wahre Gepräge der Kunst. Auch die flüchtigen Produkte seiner frohen und launigten Augenblicke verrathen eine Meisterhand, die im Zeichnen geübt ist, und ihren gewissen Pinselstrich hat. Man sagt von den grossen Mahlern, daß man sie sogar in den Zügen erkennt, die sie mit dem Abwischen ihrer Pinsel machen. Wieland ist einer von den wenigen deutschen Schriftstellern, welche die Nachwelt unter die klaßischen setzen wird, nachdem die Schriften der meisten andern zum Düngen der Felder werden verbraucht seyn. Man macht ihm den Vorwurf, er wiederhole sich zu oft. Ich meines Theils hab in seinen Schriften wenig eigentliche Wiederholungen bemerkt, wohl aber, daß er, wie alle grossen Schriftsteller, seine Lieblingsideen hat, die er immerfort dreht und wendet, um sie den Lesern auf allen Seiten und in jedem Licht zu zeigen. Ich wüßte nichts an ihm zu tadeln, als daß er sein Studium zu wenig verstekt, seine ungeheure Lektüre zu viel auskramt und manchmal vergißt, daß seine Leser in gewisse Vorstellungen nicht so verliebt seyn mögen, als er; und dann auch, daß er ehedem, als er noch nicht Hofrath und Prinzenhofmeister war, wahrscheinlicherweise manchmal schreiben mußte. Seine Epoche ist nun vorüber. Sein ungemeiner Scharfsinn und seine unbeschreibliche Thätigkeit, alle Vortheile, welche die Umstände seinem Beutel darbieten, so viel als möglich zu benutzen, brachten ihn auf den Einfall, ein Journal in die Abschnitte seines grossen Ruhms zu emballieren emballiren – emballieren: verpacken, um im Alter seinen literarischen Handel nicht ganz aufgeben zu müssen. Keiner der deutschen Schriftsteller kennt sein Publikum so gut als Wieland. Er ist unerschöpflich in Erfindungen, seinem Merkur Merkur – ›Teutscher Merkur‹;, eine von Wieland seit 1773 herausgegebene Zeitschrift, der immer noch soviel werth ist als der unsrige, durch abwechselnde Kleinigkeiten den Abgang zu erhalten. Bald klebt er, wie die holländischen Tobackshändler auf ihre Päkchen, ein Bildchen auf die Emballage Emballage – Verpackung, bald verspricht er, in folgenden Bänden Schlüssel zu Dingen in den vorhergegangenen zu liefern, und giebt dann dem Publikum anstatt des Schlüssels eine Rassel oder ein Pfeifchen, womit die Kinder zu spielen pflegen, in die Hand; bald dehnt er ein Stück durch einen ganzen Jahrgang aus, bald füllt er ganze Bände auf einmal damit an. Räthsel, Zeitungen, Anekdoten, Zänkereyen andrer Schriftsteller, kurz alles mögliche nahm er zu Hülfe, um seiner Waare immer den Anstrich von Neuheit zu geben, und das Publikum zu – amusiren. In Deutschland kann man es einem grossen Mann weniger übel nehmen, wenn er zu all den schriftstellerischen und buchhändlerischen Pfiffen und Kniffen seine Zuflucht nimmt, als in andern Ländern; denn der größte Mann könnte da Hungers sterben, wenn er nicht die Industrie aufs äusserste treibt.

Wieland ist, was sonst wenige Dichter sind – ein guter Hausvater. Wirklich lebt er jetzt mehr für seine Familie als für das Publikum. Er ist ein neuer Beweis von dem Satz, der den Schluß meines letzten Briefes ausmachte, nämlich daß die Zeugungskräfte des Menschen mit dem Genie in einem Verhältniß stehn, und daß es gut ist, wenn man den zum Zeugen erforderlichen Vorrath von Säften eben so vorsichtig und ordentlich abrahmt, als den Witz vom Hirn. Er hat 7 oder 8 eheliche Kinder. So viel hat kein Dichter je zur Welt gebracht, wie er selbst versichert; indem er die Lebensbeschreibungen der Dichter bloß in der Absicht, um sich dieses Vorzugs zu vergewissern, nachgeschlagen hat. Eine artige Pension von Hofe setzt ihn nebst dem Gewerbe mit seinem Merkur, in den Stand, seinem herannahenden Alter mit Ruhe entgegenzusehn, die Freuden des Lebens bis an sein Ende zu schmecken.

Sein Karakter hat viel sonderbares. Ich will dir nur einige Züge von ihm mittheilen, die mit seiner Schriftstellerey in Verbindung stehn. Aus allen seinen Schriften leuchtet eine grosse Weltkenntniß, und man sollte ihn nach denselben für einen ausgedienten Hofmann halten. Er ist aber nichts weniger als dieses. Er weiß sich weder in grossen und feinen Gesellschaften, noch in irgendeiner Intrigue des alltäglichen Lebens, die eine Dreistigkeit erfodert, so zu fassen, als man von einem gewöhnlichen Weltmann erwarten sollte. Man weiß Fälle, wo er vis à vis vis à vis – gegenüber von einer Dame in seinem Reden und Betragen verlegen war, ob er gleich damals schon den Agathon und eine Menge Werke herausgegeben hatte, die ihm unter den politesten politest – feinster, geschliffenster Schriftstellern einen Rang anweisen. Seine Kenntniß der feinern Welt ist bloß theoretisch, und man muß ihm etwas Zeit lassen, wenn er Gebrauch davon machen soll. Er ist nicht einmal im alltäglichen Leben ganz abgeründet. Der Mangel an Umgang mit der grossen Welt und ein anhaltendes Studieren scheinen nicht die einzige Ursache davon zu seyn. Sein Temperament mag viel dazu beytragen. Er ist von Natur sehr lebhaft, aber nicht sehr entschlossen, mißtrauisch auf sich selbst und leichtgläubig gegen andre, und kurz, einer von denen, welchen die Natur alle Anlage zur Suffisance Suffisance – Süffisanz: Selbstgefälligkeit im menschlichen Leben versagt hat, von welcher doch eine kleine Dosis sehr nützlich ist. Seine Weltkenntniß ist, wie Montagne von einem seiner Art sagt, en lieu d'ou il l'emprunte, & non en lui en lieu ... franz. – ›entlehnt, und nicht von ihm selbst‹;. Das Gefühl hievon in Fällen, wo er Blösse gab, mag ihn vollends zu einem Poltron Poltron – Hasenfuß gemacht haben. Daraus muß man die schnellen Uebergänge in seiner Denkensart, die Schmeicheleyen gegen Leuthe, die ihm den Rücken decken können, das Nachgiebige gegen die, welche ihm die Stirne biethen, seine verträgliche Art gegen jene, deren Grundsätze von den Seinigen himmelweit entfernt sind, seine Liebe zum Partheymachen, und alle die Retiraden erklären, zu denen er seine Zuflucht nahm, so oft er seinen Ruhm in Gefahr glaubte, für welchen er doch nie etwas wichtiges zu[ ]beförchten gehabt hätte, wenn er seine Stärke besser gefühlt hätte.

Vor Göthes Epoche stand Wieland, wie er es verdiente, an der Spitze des Heeres der deutschen Pallas. Das Schicksal fügte es, daß sich gegen seinen Willen eine ungeschikte Rezension des Götzes von Berlichingen in sein Merkur einschlich. Göthe rächte sich durch eine Farce Farce – derb-komisches Lustspiel, nach seiner Gewohnheit, auf eine – starke Art. Wieland, immer bereit, auf den ersten Wink ins Bokshorn zu kriechen, suchte den Fehler durch eine zweyte, geschicktere Rezension gutzumachen. Zum Glück für ihn reisete sein Eleve, der regierende Herzog bald darauf nach Frankfurt, wo er Herrn Göthe besuchte, ihn mit sich nach Weimar nahm, und natürlicher Weise mit seinem ehemaligen Hofmeister aussöhnte. Der geschmeidige Wieland nahm hierauf nicht nur etwas von Göthes Ton an, sondern schrieb auch Apologien Apologie – Verteidigungsrede für Leuthe von der Parthey desselben, auf welche doch fast alle seine vorhergehenden Schriften Satyren waren. Ueberhaupt ist er einer der größten Sophisten Sophist – Rechthaber unsers Jahrhunderts der auf alles eine Apologie und Satyre fertig hat, und das hergiebt, was man ihm bezahlt.

Göthe ist der Liebling des Herzogs. Sie sind Du zusammen. Was die Natur Herrn Wieland gänzlich versagte, das gab sie Herrn Göthe im Uebermaaß. Ehedem verleitete ihn seine Suffisance wirklich zu Ausschweifungen; allein er hat sich seit einigen Jahren merklich geändert. Er ist nicht nur ein Genie, sondern hat auch wirklich viel Ausbildung. Einige sonderbare Grundsätze trugen mehr dazu bey, als seine natürliche Raschheit, daß er – gewiß gegen seine Erwartung – einer Kalmückenhorde das Signal gab, den deutschen Parnaß, der in voller Blüthe stand, vor einigen Jahren zu verheeren. Er ist in allen Dingen – aus Grundsatz – für das Ungezierte, Natürliche, Auffallende, Kühne und Abentheuerliche. Er ist der bürgerlichen Polizey eben so feind als den ästetischen Regeln. Seine Philosophie gränzt ziemlich nahe an die rousseauische. Ich will mich nicht damit aufhalten, sie zu zergliedern – Als das Gefühl seines Genies in ihm erwachte, gieng er mit abgekremptem Hut und unfrisiert, trug eine ganz eigne und auffallende Kleidung, durchirrte Wälder, Hecken, Berg und Thal auf seinem ganz eignen Weg; Blick, Gang, Sprache, Stock und alles kündigte einen ausserordentlichen Mann an. Auch in seinen Schriften hielt er eine gewisse Nachläßigkeit für anständiger, als eine gesuchte Delikatesse. Er kürzte seine Perioden auf die seltsamste Art ab, nahm veraltete und vulgare Wörter an, und apostrophirte apostrophien – apostrophieren, hier: verkürzen, entfallen lassen die Hälfte der Vokalen, welches für die so vokalenarme deutsche Sprache eben kein Freundschaftsdienst war. Seitdem er sich aber auch seine Waden und Backen apostrophirt hat, ist er in allen Sachen geschmeidiger und gelassener geworden – Seine Schriften enthalten sehr viele von den glücklichen Zügen, die eine richtige Menschenkenntniß mit einer starken und reichen Phantasie und einer piquanten Laune vereinbaren. In allen sieht man auch, daß er einen Plan anlegen und übersehen kann, und Herr von den Mitteln ist, ihn auszuführen, wodurch er sich von allen seinen Nachahmern auffallend unterscheidet. Wenn irgendwo ein Theil nicht sehr genau mit dem Ganzen zusammenhängt, so sieht man, daß es nicht aus Ungeschicklichkeit geschah, sondern er sich nur die Mühe nicht nehmen wollte, denselben besser anzuknüpfen. Er hat viel Studium, ist ein Kenner der alten und bekanntesten neuen Sprachen, zeichnet, ist Musikant, ein guter Gesellschafter, Bonmotist und herzoglicher Legationsrath.

Ohne Zweifel sieht er itzt selbst ein, daß er der deutschen Litteratur viel geschadet hat. Viele junge Leute glaubten, es wäre bloß um Dreistigkeit, Unverschämtheit, Verunstaltung der Sprache und Vernachlässigung alles dessen, was Ordnung und Wohlstand heißt, zu thun, um Genies zu werden. Sie behaupteten öffentlich, daß alles Studieren, alle Regel und aller Wohlstand Unsinn, und alles, was natürlich ist, schön wäre, daß ein wahres Genie keine Bildung nöthig hätte, sondern, wie Gott, alles aus seinem Wesen schöpfen, und sich selbst genug seyn müßte, daß ein Genie berechtigt wäre, sich im blossen Hemd oder auch nach Belieben in puris naturalibus in puris naturalibus – im reinen Naturzustand, nackt auf dem offenen Markt und bey Hofe zu produzieren, daß die kalte Vernunft die Menschen zu Schöpsen Schöps – hier: Kastrat, eine unbezähmte Phantasie aber zu Halbgöttern machte; daß Träumen, entzückt seyn und Rasen der natürliche und glückliche Zustand des Menschen wäre, daß alle Beschäftigungen, wodurch der Mensch sein tägliches Brod verdiente, ihn unter seine Natur und Würde erniedrigten, daß in der besten Welt in der besten Welt – s. Fußnote 2 im Ein und zwanzigsten Brief die Menschen auf allen vieren gehn und Eicheln fressen müßten u. s. w. Du mußt nicht glauben ich übertreibe. Ich kann dir das alles urkundlich vor Augen legen. Göthe hatte das mit Rousseau gemein, daß seine Philosophie, die (auf falschen oder wahren[)], Grundsätzen beruhte, der Liederlichkeit und Ausgelassenheit schmeichelte, und deswegen von Leuten ausgeübt ward, die gar keine Grundsätze hatten, sondern durch blinden Glauben an ihren Propheten selig werden wollten. Seine Jünger begiengen die lächerlichsten Ausschweifungen, indessen er immer seiner selbst Meister war, und das Eigensinnige seines Betragens durch eine Uebereinstimmung desselben mit seinen Grundsätzen, durch eine gewisse Mäßigung und durch eine Umgänglichkeit mit allen Menschen rechtfertigte. Nun erschien ein Schwall von dem elendesten Geschmiere, das je die Welt gesehn. Ich glaube, viele dieser Herren wären selbst nicht im Stand, von manchen Stellen ihres Geschreibsels eine Erklärung zu geben. Der platteste Unsinn ward von Kritikern dieser Parthey als die Quintessenz des menschlichen Witzes und der menschlichen Phantasey (dem menschlichen Verstand kündigten sie, wie ich dir oben sagte, öffentlich und ausdrücklich den Krieg an) ausgeschrieen. Wenn man den Beyfall des Publikums, im Grossen genommen will verachten lernen, so muß man die Produkte mancher dieser Herren lesen, die zum Theil noch izt für Wunder gehalten werden. Diese Kalmückehorde rekruttirte unter allen Klassen Künstler. Es gab Aerzte, die ihr Sistem nach den Glaubensartikeln dieser Schwärmersekte einrichteten, und lehrten, sich im Schnee wälzen, im kältesten Wasser baden, Bocksspringe machen, sich auf den Kopf stellen, abstürzige Felsen erklettern, nichts warmes zu sich nehmen, sondern bloß von den rohen Früchten der Erde leben, der Natur nicht den geringsten Zwang anthun, sondern sich der Naturlast stehenden Fusses an jedem Ort und zu jeder Zeit entbürden, u. dgl. m. wäre alles, was der Mensch sowohl zur Erhaltung als zur Wiederherstellung seiner Gesundheit thun könnte. Ein bekannter Doktor, welcher verschiedne Leute durch diese Kur zu Grunde gerichtet, berief sich in seinen Vorschriften bloß auf das Beyspiel der grossen Geister Deutschlands. Wenn er einem Kranken das kälteste Bad verordnete, und dieser aus Erfahrung beförchtete, er möchte ein Fieber oder einen Fluß holen, so versicherte ihn der Herr Doktor, er habe nichts von allem dem zu beförchten, denn der grosse Göthe gieng mitten im Winter ins Wasser und ins Eis – Die jungen Mahler mahlten nichts mehr, als Stürme, Blitze und Alpengebirge; Elephanten, Löwen und Tiger; Didonen Dido – die karthagische Königin Dido verbrannte sich selbst aus Liebeskummer auf den Scheiterhaufen, Lukretien Lukretia – Lukretia verübte nach ihrer Schändung Selbstmord und Medeen Medea – Medea tötet sich selbst und ihre Kinder, weil Jason sie verlassen hatte, die ihre Kinder zerrissen. Alle sanftern Landschaften, die alltäglichen Thiere und die gewöhnlichern Situationen der Menschen schloß jeder aus seinem verschiedenen Fach aus. Um Zeichnung, Haltung und Wahrheit war es ihnen nicht zu thun. Diese Kleinigkeiten überliesse ein Genie, sagten sie, den kalten Vernunftmenschen und Brodarbeitern. Die Kunst bestand nach ihren Begriffen darin, daß alles, was sie machten, ausserordentlich wäre. Je unnatürlicher ein Dido die Arme zerränge, je gewaltsamer sie die Augen verdrehte, und je mehr Unordnung im Haar und in die Draperie herrschte, desto schöner wäre sie – Auf diese Art mißbrauchten Künstler jeder Gattung Göthes Theorie. Seine Anhänger ahmten ihm auf die lächerlichste Art in der Kleidung, im Gange und sogar im Reden nach.

Ganz unschuldig ist er nicht an diesen Ausschweifungen. Er entdeckte bey einigen seiner Freunde, z. B. Lenz Lenz – Jakob Michael Reinhold Lenz, wichtiger Vertreter des »Sturm und Drang«, † 1792, Klinger Klinger – Friedrich Maximilian von Klinger, gab mit seinem Drama »Sturm und Drang« der literarischen Epoche den Namen, † 1831 und andern, Funken von wahrem Genie, die durch einige Aufmunterung in lichte Flammen zu bringen wären. Da er aber einmal angefangen hatte, den Protektor zu machen, so drängten sich auch Leute an ihn zu, die seiner Protektion ganz unwürdig waren, und die er geraden Weges wieder zu ihren Brüdern auf die Waide hätte zurückweisen sollen. Der Kitzel des Ruhms mogte ihm aber vielleicht nicht mißbehagt haben, und er schämte sich nicht, wenigstens einige Zeit lang wirklich an der Spitze der Rotte zu stehen. Rousseau war hierin sehr verschieden von ihm. Der protegirte nicht und kommandirte nicht. – Itzt scheint sich Göthe um das Litteraturwesen überhaupt wenig mehr zu bekümmern. Er arbeitet an einer Lebensbeschreibung des berühmten Bernards von Weimar Bernard – Bernhard von Sachsen-Weimar, Feldherr unter Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg, † 1639, und genießt das Leben in so weit es sich mit ziemlich welken Lenden geniessen läßt. Er wird, wie man mir in Weimar sagte, von allen Seiten her unabläßig mit Rekommandationen Rekommandation – Empfehlungsschreiben bestürmt, und aus Osten, Süden, Westen und Norden besuchen ihn zu Zeiten Jünger seiner Apostel, in der Hofnung, angebracht angebracht zu werden – hier: durch Vermittlung einen fetten Posten zu erlangen zu werden. Er hat es sich aber itzt zur Regel gemacht, mit seiner Protektion sehr haushälterisch zu seyn; und da thut er wohl daran. Die Sottisen Sottisen – Dummheiten, Frechheiten dieser Leute würden alle auf ihn fallen. Es ist auch keine Folge, daß, wenn die Minister, Räthe und Kabinetssekretäre eines Hofes schöne Geister sind, auch die Küchen= und Kellermeister, Kammerdiener, Laquayen, Jäger und endlich auch die Stallknechte schöne Geister sein müssen.

Gotha ist viel grösser, reicher und schöner als Weimar. Man schätzt die Anzahl der Einwohner auf neun bis 10.000 Menschen, die einige beträchtliche Manufakturen treiben. Der Hof ist so populär und artig gegen Fremde, als der zu Weimar. Der Herzog hatte eines der besten deutschen Theater, dankte aber die ganze Gesellschaft vor einigen Jahren ab, weil der Aufwand ein wenig zu groß ward, er sich satt gesehen hatte, und die Herren Schauspieler den Kavalierton übertrieben.

Die Unterthanen beyder Herzoge befinden sich sehr wohl. Die Abgaben sind mäßig und reglirt reglirt – eindeutig festgesetzt. Die Verwaltung der Gerechtigkeit und Polizey ist vortreflich. Beyde Herren haben die Schwachheit anderer Fürsten Deutschlands nicht, den größten Theil ihrer Revenüen an ein oder zwey Regimenter Soldaten zu wenden, und die gesammte junge Mannschaft ihrer Lande, anstatt pflügen, exerzieren zu lassen. Die Einkünfte eines jeden derselben sollen sich auf beynahe 500.000 rheinische Gulden belaufen. Ihre Länder sind sehr fruchtbar und ausserordentlich stark bewohnt.

Erfurt ist eine sehr grosse, alte, finstre und schlecht bewohnte Stadt. Sie hat beynahe eine Stunden im Umfang, und enthält kaum 18.000 Menschen. Das merkwürdigste hier ist der Gartenbau, der an keinem Ort in Deutschland, den ich gesehen, so hoch getrieben ist, als hier. Man treibt mit verschiednen Pflanzen und Früchten einen ziemlich beträchtlichen Handel. Die Einwohner sind, so wie in ganz Sachsen, sehr artige, gesellige und freundschaftliche Leute. Der jetzige Statthalter des Kurfürsten von Maynz, welchem die Stadt nebst etlichen und 70 umliegenden Dörfern zugehört, ist ein Baron von Dahlberg Dahlberg – Carl Theodor Anton Maria Reichsfreiherr von Dalberg, bekleidete hohe klerikale Ämter, war Erzbischof von Mainz, † 1817, Dohmherr von Maynz, den du vielleicht zu Paris sahest. Er war in dem Haus des Marquis de V – te, und, wenn ich nicht irre, auch bey dem Herzog von Choiseul Choiseul – Étienne-François, duc de Choiseul d'Amboise, französischer Staatsmann, zeitweilig Außenminister, † 1785 nebst dem Baron von Gr – g, maynzischen Gesandten, wohlbekannt. Er ist ein Mann von ungemeiner Weltkenntniß, ein Gelehrter im ganzen Umfang des Worts, ein Menschenfreund und Patriot. Er hat in allen Geschäften der höhern Welt und in allen Fächern der Staatsverwaltung ausserordentlich viel Routine, beschützt die Wissenschaften und Künste, und steht mit den besten Köpfen Deutschlands in Verbindung. Er hat Hoffnung mit der Zeit der erste Fürst des deutschen Reichs und nach dem Pabst der reichste und angesehenste Prälat in der katholischen Welt zu werden – Der Staat von Erfurt soll jährlich gegen 180.000 Gulden rheinisch abwerfen. Er zählt in allen gegen 36.000 Menschen.


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