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Fünf und fünfzigster Brief.

Berlin –

Unter den verschiedenen öffentlichen Vergnügungen zieh ich, wenigstens zu der jetzigen Sommerzeit, das Spatzieren in dem hart bey der Stadt auf der Südseite der Spree liegenden Park weit vor. Ich habe noch keinen schönern öffentlichen Spazierplatz gesehen. Die Mannichfaltigkeit des Gehölzes, der Alleen, Gebüsche, bedekten Gänge und Irrgärten übertrift alle Phantasie. Er hat weit über eine Stunde im Umfang, und auch Wasser genug, um ihm mehr Leben zu geben, als die Spatzierplätze grosser Städte gemeiniglich zu haben pflegen. Ein Theil desselben berührt die Spree. Schade, daß man ihn nicht hart unter der Stadt über den Exerzierplatz und den königlichen Holzmarkt bis an den Fluß gezogen hat, an dessen Ufer man in dieser Gegend sowohl abwärts des Stromes als auch aufwärts, in einen Theil der Stadt eine ungemein schöne Aussicht beherrscht.

In diesem Park sieht man auf die Sonntäge Berlin in seinem Glanz. Er ist für das hiesige Publikum, was die Tuilleries Tuilleries – der Tuilerienpark, Jardin des Tuileries für die Pariser sind, nur ist das Gemische der Spatzierenden hier mannichfaltiger. Er wird vom Pöbel und der feinern Weit gleich stark besucht. Man fährt und reitet darin ohne Einschränkung herum. Auf einigen Plätzen desselben findet man, wie in den Tuilleries, grosse und prächtige Zirkel von Damen auf Ruhebänken sitzen, und die Freyheit, sie zu beschauen und sie unter die Nase zu beurtheilen, ist hier so groß als zu Paris. Man trift hier auch zu gewissen Zeiten einen grossen Theil der hiesigen Gelehrten beysammen. Man hat Erfrischungen von jeder Art. Man spielt, verirrt sich mit Damen oder Mädchen in einsame Gebüsche, verabredet Zusammenkünfte, und es steht hier nicht wie zu Wien, immer ein Polizeydiener auf dem Sprung, einem verirrenden Paar auf dem Fuß nachzuschleichen.

Die grosse königliche Oper, die man für eine der besten in Europa hält, konnt ich noch nicht sehn. Ausser dem Winter spielt sie höchst selten. Es ist sonst wirklich kein Schauspiel hier, ausser einem deutschen sehr mittelmäßigen Theater, welches sich mit den deutschen Schauspielen zu Wien und München nicht vergleichen läßt. Der Entrep[r]eneur desselben, Herr Döbbelin, hat sehr sonderbare Grundsätze. Er setzt seine Stärke bloß in die grosse Anzahl von Schauspielern, unter welche er die Rollen nach dem Loos zu vertheilen scheint. Ich habe gar oft bemerkt, daß der, welcher den Bedienten macht, viel mehr Geschick hatte, die Rolle seines Herrn zu spielen, der nach der Ordnung der Natur die Stelle des Bedienten hätte vertreten sollen. Unter 40 bis 50 Subjekten hat er kaum 4, die man zu Wien erträglich finden würde. Nebstdem ist seine Garderobe seltsam arrangiert. Ich sah zwey Stücke in spanischer Kleidung spielen, die doch bekanntlich nicht mehr existirt. Das Zeitalter der Stücke war neu. Mitten unter Kleidungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert erblickt man öfters, besonders an Frauenzimmern, eine ganz moderne. Selten verändert das Frauenzimmer seine Koeffüre, und wenn der Schauplatz auch in Indien wäre. Und doch macht Herr Döbbelin viel Aufsehens von seiner Garderobe und seinem richtigen Kostume. Sein Theater ist so klein, daß einige seiner Schauspieler sich wohl in Acht zu nehmen haben, damit die Wolken des Himmels über ihnen nicht in ihren Haaren hängen bleiben. Ich sah Bäume auf demselben, die gar füglich den Akteurs zu Spatzierstöcken hätten dienen können. Einige seiner Subjekte sind Gerippe, an denen der Hunger alles Fleisch abgenagt hat, und manche sind kaum Meister von ihren Beinen und Armen, woran vermuthlich die Aktrizen Aktrize – Schauspielerin schuld sind, wie man auch aus ihrer holen Stimme schließen kann. Herr Döbbelin giebt Gagen von 6 und 8 Gulden die Woche, wobey seine Leute freylich nicht viel Schnellkraft in ihren Körpern haben können. Ohnmachten sind daher ihre Stärke, und zwey bis drey von seinen Frauenzimmern übertreffen alles, was Ohnmacht heissen mag. Sie fallen nach dem Sprüchwort zusammen, wo die Taschenmesser, wenns zu einer Ohnmacht kömmt, und wenn sie dann im Fallen die Schminke rein vom Gesicht weggewischt haben, so sehen sie aus wie die leibhaften Gespenster. Auch im Sterben sind sie nicht zu verachten. Besonders künstlich sah ich vor einigen Tagen einen seiner Akteurs in einem deutschen Originalstück sterben, worin viel gestorben werden muß. Der Mann lag, nachdem er seinen Theil bekommen hatte, der Länge nach auf der Erde ausgestreckt, einige Sekunden lang ohne alle Bewegung. Endlich wars, als wenn seine Seele in einer schnellen Wuth seinen ganzen Körper durchstreifte, um sich einen Ausweg zu öfnen. Erst rennte sie in die Füsse, die Konvulsionen bekamen, und dann wieder durch alle Glieder in den Kopf zurück, wo sie die Augen des Sterbenden gräßlich verdrehte. Er bäumte sich, daß einer unter seinem holen Rücken gemächlich hätte durchkriechen können. Vermutlich wollte seine Seele in diesem Augenblick zum Bauch heraus. Der Mann mochte stark im Balancieren sein; denn in den Todeszuckungen kam er einmal in eine der schwersten Stellungen für den menschlichen Körper, die man sonst zur Folter braucht. Er erhob den Obertheil des Körpers und zugleich die Beine so hoch, daß er wirklich bloß auf dem untersten Knochen des Rückgrates ruhte. In dieser Lage wollte seine Seele ohne Zweifel zur Hinterthür heraus. Er warf sich hierauf noch einigemal von einer Seite zur andern, und gab endlich seinen Geist auf, wie ich aus dem betäubenden Geklatsche schloß, das sich auf einmal erhob; denn ich war gefaßt, ihn wenigstens noch eine Viertelstund lang seine Sterbekünste machen zu sehn, und hatte an ihm nicht das geringste bemerkt, welches man für ein gewisses Zeichen seiner Hinscheidung hätte halten können. Vielleicht hatte er gesagt, daß er jetzt todt sey, und ich hatte es nicht gehört – Ich bin so umständlich hierüber, um dir einen richtigen Begriff vom jetzigen Zustand des deutschen Theaters zu geben. Sterben ist für jeden Schauspieler Sterben ist für jeden Schauspieler ... – vgl. auch Achter Brief. die Hauptsache, und wenn er seinem Tod, wie der oben beschriebene Sterber, recht viel Leben zu geben weiß, so kann er sicher auf den lauten Beyfall des Parterres rechnen. Die tragische Wuth, welche in Deutschland vom adriatischen Meer bis an die Ostsee herrscht, sollte einen Fremden glaubend machen, die deutsche Nation bestünde aus lauter Mördern, Scharfrichtern, Vater= und Brudermördern, rasenden Liebhabern, Jungferräubern u. dgl. m. Die meisten ihrer neuern Romane athmen den nämlichen kannibalischen Geist.

Berlin, eine Stadt von 142.000 Menschen, die Garnison mitgerechnet, ist nicht im Stand, ein gutes Schauspiel zu unterhalten; denn ich schreibe es bloß dem Mangel an Unterstützung zu, daß Herr Döbbelin die Hälfte seiner Leute hungern läßt, und in einem Gebäude spielt, welches man in jeder andern grossen Stadt für ein Winkeltheater halten würde – Diese Stadt ist gewiß in diesem Punkt einzig. Man sollte glauben die acht bis neunhundert Officiers, welche hier sind, wären allein hinlänglich, um eine Schauspielergesellschaft bey Fleisch zu erhalten – Gewiß ist dieß der stärkste Beweis von der Armuth und Sparsamkeit des hiesigen Publikums.

Man hat sich nicht zu wundern, daß das Publikum der grossen Städte der preußischen Monarchie den Schauspielen eben so ungünstig ist als jenes der Hauptstadt. Die grosse Arbeitsamkeit, welche in denselben herrscht, muß diese Wirkung haben; dahingegen die Hauptstadt der Mittelpunkt aller Müßiggänger des Landes ist, deren Anzahl zwar jener in andern Staaten nicht gleichkömmt, aber doch hinreichend seyn sollte, um ein paar Dutzend Schauspieler nicht hungern zu lassen. Man kann dieses Paradoxon dadurch erklären, daß die Müßiggänger, wenn sie auch ihr vestes und gemächliches Einkommen haben, hier doch im Grunde sehr arme und gestrafte Leute sind. Es ist eine Folge von dem weisen Finanzsystem des Königs. Der industriose Theil des hiesigen Publikums empfindet die Theurung der Lebensmittel nicht, die eine Folge der Akzise und Monopolien ist, weil er seinen Arbeitslohn nach dem Verhältniß derselben anschlägt. Allein der, welcher von seinen Renten und Gütern und von der Besoldung lebt, fühlt ihre ganze Last, und kann unmöglich das Gleichgewicht zwischen seinen Renten und dem arbeitenden Publikum, zu dessen Vortheil dasselbe ist, herstellen. Wenn er gemächlich und im übrigen seinem Stand gemäß leben will, so macht die Ausgabe für das Theater ein zu wichtiges item in seinen Rechnungen. Die arbeitenden Leute gehn also nicht ins Schauspiel, weil Arbeitsamkeit sparsam macht, und die Müßiggänger, weil sie hier arm sind.

Ich kenne keinen unterscheidendern Zug im Karakter der Preussen und Oestreicher als das Theater. Die preußische Monarchie hat doch viele ansehnliche Städte. Königsberg zählt etwas über 60.000 Seelen; Breßlau hat über 40.000; Stettin, Magdeburg und Potsdam enthalten beynahe 30.000 Einwohner und drüber. Frankfurt an der Oder, Halle, Wesel, Emden und einige andre sind Städte von 18 bis 25.000 Einwohnern. Von 8 bis 10 tausend Seelen giebt es eine grosse Menge. Und doch können sich in diesem ganzen Lande 2 Schauspielergesellschaften kaum des Hungers erwehren! Im Oestreichischen hingegen findet man in jedem Städtchen ein Theater. Ich fand zu Linz, zu Wienerisch Neustadt, zu St. Pölten und sogar zu Krems Schauspielergesellschaften. Die grössern Städte, als Prag, Preßburg, Gräz, Brünn u. a. m. haben alle ihre beständigen Theater. Der Reichthum macht diesen Unterschied nicht; denn Wien ausgenommen, welches vom Mark der ganzen Monarchie und auch von einem Theil des Markes von Deutschland fett wird, ist in den preußischen Städten ungleich mehr Geld, als in den östreichischen, obschon in jenen keine adelichen Häuser von 50, 100 bis 200 tausend Gulden sind. Unter der Mittelklasse der Einwohner der preußischen Provinzialstädte herrscht ein Wohlstand, von dem man sich in jenem der östreichischen Monarchie, die Lombardey und die Niederlande ausgenommen, keinen Begriff machen kann. Bloß die grössere Industrie der Preussen und die von ihr unzertrennliche Sparsamkeit macht diesen Unterschied. Die östreichischen Städte wimmeln von Müßiggängern, Taugenichtsen und Verschwendern, welche dagegen in den preußischen Städten die seltenste Menschenart sind. Nebstdem macht die Aufklärung und Sittlichkeit des bessern Theils der Einwohner der preußischen Landstädte dieselbe aufgelegt, reinere Vergnügen zu schmecken, als Theater, Tanzböden, Tische und Keller gewähren können. In den kleinsten preußischen Landstädtchen findet man mehr Geselligkeit, als in mancher grossen Stadt in Oestreich, und in der erstern wird von Privatleuten gewiß auch mehr Gutes gethan als in einer der letztern. –

Schon lange wirst du gewünscht haben, ich möchte dir etwas von dem künftigen Kronerben Preussens sagen. Die öffentlichen Nachrichten, die man von ihm hat, sind eben so lächerlich, als widersprechend. Ein deutscher Journalist ist sogar unverschämt genug zu behaupten, der König habe die Bildung des Prinzen vernachläßigt, damit seine Regierung durch den Schatten der Verwaltung seines Nachfolgers mehr Licht in den Augen der Nachwelt erhalte. Dummer und abscheulicher kann weder der König noch der Prinz gelästert werden. Der Prinz von Preussen ist nicht nur ausgebildet, sondern der König sucht ihn auch auf alle Art an sein Regierungssistem zu attachiren. attachiren – attachieren: zuteilen, hier: ihn daran zu beteiligen Sein heftiges Temperament riß ihn in der Jugendhitze zu einigen Ausschweifungen hin; allein er wird nun immer kälter und gesetzter. Er ist nach dem Zeugniß des Königs selbst, der nicht gerne lobt, ein grosser General, und alle Leute hier, die ihn kennen, versichern, daß er auch ein grosser Staatsmann ist. Er liebt die Wissenschaften und Künste, und, was ihn den deutschen Journalisten besonders werth machen sollte, er denkt für die deutsche Litteratur günstiger, als sein grosser Onkel. Man macht ihm den Vorwurf, er sey verschlossen und kenne die Freundschaft nicht. Dieses war eine Folge von seinem ehemaligen Betragen, welches er eben nicht aufs genauste nach seinen bessern Einsichten abmaß, und ihn die Zeugen und Referenten scheuend machte. Es ist zugleich ein Beweis, daß der König von jeher ein wachsames Auge auf seine Aufführung hatte. Seit mehrern Jahren hat sich das sehr geändert, und sein Karakter hat sich nun zu seinem Vortheil fast ganz entwickelt. Er ist würdig sich an die Reihe grosser Regenten anzuschliessen, die seit hundert Jahren durch ein Wunder, von welchem die Geschichte kein Beyspiel hat, den preußischen Staat fast aus nichts zu einem der förchterlichsten Staaten von Europa gebildet haben.

Nichts als ein kleiner Zug von Prachtliebe und zu wenig eingeschränkter Freygebigkeit macht den preußischen Patrioten nach dem Tod des jetzigen grossen Regenten eine Aendrung beförchten. Es ist wahr, dieser Fehler kann für die preußische Monarchie, die bloß auf Simplicität und Sparsamkeit gebaut ist und keine andre Stärke hat als ihre strenge Oekonomie, unter allen der verderblichste seyn. Allein der König, welcher dieses besser einsieht, als irgend ein anderer, und von jeher für den Prinzen und sein Land ein sorgfältigerer Vater war, als der oben berührte Journalist wähnt, ließ denselben auch einigemal schon das Unangenehme fühlen, welches eine Folge unökonomischer Grundsätze ist, und wenn der Prinz auch nicht mehr bey Lebzeiten seines hohen Onkels das Sistem der Sparsamkeit desselben annehmen sollte, so wird nach seiner Thronbesteigung ein halbes Jahr hinreichend seyn, ihn zu überzeugen, daß er es annehmen müsse. Der preußische Staat ist ein Uhrwerk, welches stille steht, sobald nur ein Zahn eines Rädchens fehlt, und der Prinz hat Klugheit, Thätigkeit und Ehrgefühl genug, um den bündigen Lehren der Erfahrung Gehör zu geben und seinen Staat durch seine Indolenz nicht sinken zu lassen.

Die Einkünfte der Prinzen und Prinzeßinnen von Preussen sind eben so eingeschränkt nicht, als man glaubt. Jeder Prinz hat, wenn er majorenn majorenn – volljährig, mündig ist, 50.000 Thaler Appanage, und die Brüder des Königs haben so wie der Erbprinz, nebstdem noch sehr beträchtliche Einkünfte von Gütern und Stellen. Der Prinz Heinrich kömmt beynahe auf 400.000 und der Erbprinz auf ohngefähr 350.000 Livres zu stehn – Beyde reichen das Jahr durch mit ihren Einkünften nicht aus. Der König versagt ihnen im Nothfall seine Hülfe so wenig, als seine brüderlichen und väterlichen Ermahnungen – Ueberhaupt ist es seine Art, bey Geldauslagen Bemerkungen zu machen und Ermahnungen und Verweise zu geben. Demungeachtet zahlt niemand richtiger als er, und man hat kein Beyspiel, daß er an einer gewissenhaften Rechnung nur einen Kreutzer abgezogen hätte.

Ich muß dir noch einige Karakterzüge des Königs mittheilen, der von vielen so sehr verkennt wird. Ich will keine der Anekdoten wiederholen, die häufig von ihm bekannt sind, und ihm als Regenten und Privatmann so viel Ehre machen als seine Kriegesthaten. Was ich dir zu sagen habe, betrift sein Betragen gegen Leute, mit welchen er unzufrieden seyn könnte, welches seine gemäßigte, und undespotische Denkensart am besten an den Tag legt; und dann seine genaue Kenntniß des Zustandes aller europäischen Staaten und seinen durchdringenden Blik in die Kabinette der verschiedenen Mächte.

Ich kenne 2 Leuthe, die eine Zeit lang vom König zu wichtigen Staatsgeschäften gebraucht wurden. Beyde sind Avanturiers Avanturiers – aventurier: franz. Projektemacher, Glücksritter, Abenteurer von der ersten Klasse. Der eine hat einiges Talent, welches aber mehr blendenden Glanz als ächten Gehalt hat, weil seine Kenntnisse zu sehr auf sein Fach eingeschränkt sind, und er die Verbindung desselben mit andern politischen Gegenständen gar nicht kennt. Der andre hielt die Hände nicht rein genug, wozu ihn mehr sein Hang zu Ausschweifungen, als sein Eigennutz oder eine schändliche Gewohnheit verleitete. Beyde setzten den König in beträchtlichen Schaden. Sie bekamen von der dritten Hand einen Wink, und entfernten sich – zu verschiedenen Zeiten – von Berlin. Die Sache hatte weiter kein Aufsehen gemacht. Es fügte sich nachher, daß beyde, der eine an der Ostsee, und der andre am Niederrhein, dem König Dienste thun konnten. Alle Leute, die ehedem mit dem König in einiger Verbindung gestanden sind, wenn sie auch Beschwerden gegen ihn zu haben glauben, behalten immer noch einen Diensteifer für ihn in ihrem Busen, der mehr als irgend etwas anders beweißt, daß der König das Gerade und die Billigkeit liebt, und veste Grundsätze hat, die alle Menschen, welche ihn umgeben, gegen willkürliche und gewaltthätige Verfügungen, gegen sultanische Launen und fürstliche Possen sicher setzen. Der nämliche Diensteifer, der mehr eine Folge wahrer Hochachtung und Zuneigung als des Eigennutzes ist, bewegte die 2 Flüchtlinge, an den König zu schreiben, und ihm von der Lage der Dinge Nachricht zu geben, worinn sie ihm dienen könnten. Dieß geschah immer zu sehr verschiedenen Zeiten, und ihre Umstände hatten gar keine Verbindung mit einander. Der König nahm ihr Anerbieten an, belohnte sie nach dem Maaß ihrer Dienste, und ob er schon mehrere Briefe, wovon ich einige gesehen, mit eigenhändiger Unterschrift ihnen zuschikte, so berührte er doch ihre ehemalige Aufführung in seinen Diensten mit keinem Wort. In mehr als einem Brief waren offenbare Spuren, daß er es aufs sorgfältigste auswich, sie auch nur in der größten Ferne an das Vergangene zu erinnern. Noch mehr; Der Eine von ihnen ist seit 3 Jahren wieder hier, und hat mehrmalen die Ehre gehabt, den König mündlich zu sprechen, ohne daß er nur einen zweydeutigen Wink auf seine alte Geschichte bekommen hätte.

Einige Anekdoten, die man mir hier für zuverläßig gab, und die ich mich nicht erinnere, gedrukt gelesen zu haben, beweisen, daß dieß Betragen des Königs gegen die zwey besagten Avanturiers keine Folge von dem Eigennutz desselben war, sondern auf Grundsätzen beruht, die er gegen jedermann beobachtet – Der Minister ** war im letzten slesischen Krieg Major. Da er ungemein grosse militärische Talente hatte, so gab ihn der König dem General Hilsen, der brav wie sein Degen, aber kein Denker war, auf einige der wichtigsten Expeditionen zum Adjutanten. Der König gebraucht zu gewissen Operationen gerne Leute mit eisernen Köpfen, die anrennen ohne zu beförchten, sich ein Loch in die Stirne zu stossen; aber dann steht sicher ein Adjutant hinter ihnen, der ihnen die Direktion Direktion – Richtung giebt. Der Major that seine Schuldigkeit, und der König war so wohl mit ihm zufrieden, daß er sich schnelle Beförderung versprach. Diese erfolgte aber nicht. Der Herr Major hatte zu viel Saltz in seinem Humor, und machte einige sehr beissende Bemerkungen über die Kriegsoperationen des Königs. Dieser erfuhr es, und begnügte sich damit, seinen dreisten Rezensenten wissen zu lassen, »daß er ein naseweises Herrchen wäre.« Der Major glaubte, es wäre nun um seine Promotion Promotion – Beförderung gänzlich geschehen, setzte sich in einer Provinzialstadt in Ruhe, und philosophirte wie ein förmlich Disgrazirter. Disgrazirter – Disgrazierter: ein in Ungnade Gefallener Der König fieng nach einiger Zeit an, sich um denselben zu erkundigen. Man sagte ihm, er studiere zu seinem Vergnügen die Politik, die Finanzwissenschaften u. dgl. m. Der König ließ es noch einige Zeit gut seyn; als er ihn aber reif zu seyn glaubte, beförderte er ihn zu einer der ansehnlichsten Stellen in der Provinz, und da er sich allda durch seine Verdienste sehr auszeichnete, ward er endlich gar ins Ministerium gerufen. Nie wurde er nur in der größten Ferne daran erinnert, was zwischen ihm und dem König ehedem vorgefallen – Quintus Icilius ward einst wegen einem seiner Werke von jemand in einer Schrift erbärmlich mitgenommen. Er wollte einige Zeit hernach wieder etwas unter die Presse geben, und bath den König deswegen um Erlaubniß. »Ich habe nichts dawider«, antwortete Se. Majestät. Sie müssen Herrn N – Ihren Rezensenten um Erlaubniß fragen«! Das wurmte dem Quintus Icilius. Authorstolz war seine schwache Seite. Aus einer kleinen Rachsucht blieb er einige Abend aus der gewöhnlichen und alltäglichen Gesellschaft des Königs. Als der König glaubte, sein Authorzorn werde sich gelegt haben, ließ er ihm sagen; »Er habe mit Vergnügen vernommen, seine Unpäßlichkeit wäre vorüber, und er erwarte ihn deßwegen diesen Abend zur gewöhnlichen Stunde« Quintus fand sich ein, und kein Blick, keine Miene, keine Frage setzte ihn in Verlegenheit. Der König kam derselben mit Leitung eines Gespräches auf gleichgiltige Gegenstände und mit einer Artigkeit zuvor, die einem Partikulier Partikulier – Partikülier: Privatmann Ehre machen würde, und die nur einem grossen Menschenkenner, Menschenfreund und Weltmann eigen ist. Man hat noch sehr viele Züge von der Art, welche beweisen, wie unsultanisch der König von Preussen denkt und handelt.

Indessen die preußische Regierung so allgemein verkannt wird, indessen auch diejenigen Höfe, welche die Anstalten Friedrichs aufs genauste nachzuahmen suchen, doch nie in den Geist seiner Staatsverwaltung eindringen, und gemeiniglich das für den Endzweck halten, was bey ihm nur Mittel ist, oder auch wegen Mangel an durchgedachten Grundsätzen grade das, was das Einfachste und Offenste in seiner Regierung ist, als eine künstliche und geheimnißvolle Täuscherey betrachten; indessen die Regenten Europens noch nicht einmal dazu aufgelegt sind, Friedrichs Regierungssystem kennen zu lernen, ist Er mit der Verfassung, Verwaltung und den äussern Angelegenheiten auch der kleinern europäischen Staaten aufs genauste bekannt. Er kennt Frankreich vielleicht besser als unser ganzes Ministerium. Ich bin von guter Hand versichert worden, er habe 4 Personen in verschiedenen Gegenden unsers Vaterlandes einige Jahre lang reisen lassen, um genaue Kundschaft von der Bevölkerung, dem Anbau, dem Ertrag und besonders von den Manufakturen unserer Provinzen einzuziehn. Gewiß weiß ich, daß er auf diese Art die östreichischen Provinzen besser kennen lernte, als man sie zu Wien selbst kennt. Die Anekdote vom König in dem Discours préliminaire Discours préliminaire – Vorrede des Buches Grande tactique & Manœuvres des Guerre suivant les principes de sa Majesté Prussienne &c. Grande tactique & ... – Über das Wesen der Kriegskunst gemäß den Prinzipien seiner preußischen Majestät wo sein Gesandter zu Paris, Lord Marschall, unserm Minister der auswärtigen Geschäfte über den Zustand Rußlands die Augen öffnen sollte, aber wegen der Dicke des Staares Staar – Star: die Augenkrankheit, Jeremia 5.21 »Hört zu, ihr tolles Volk, das keinen Verstand hat, die da Augen haben und sehen nicht, Ohren haben und hören nicht!« nicht konnte, hat ihre völlige Richtigkeit. Unser Ministerium hätte von dem König von Preussen noch öfters zu unserm Nutzen können belehrt werden, wenn es seine Präsumtion Präsumtion – Voraussetzung, Annahme, hier: Vorurteil nicht ganz ungelehrig machte.

Die Emissärs, Emissär – Abgesandter welche er zur Auskundschaftung der geheimen Kabinetsverhandlungen der europäischen Höfe gebraucht, erlauben sich freylich öfters Mittel und Wege, wobey die Ehrlichkeit zu kurz kömmt. Als die Theilung von Polen projektirt war, wurden die Papiere eines Geheimnißschreibers eines gewissen Kabinets auf eine Art kopirt, wobey die Freundschaft aufs äusserste geschändet, und eine Dreistigkeit gebraucht worden, die fast allen Glauben übersteigt. Allein diese Spionenkünste erlauben sich alle europäischen Höfe; nur ist keiner so glücklich damit als der preußische, weil keiner überhaupt so getreu und fleißig bedient wird, wie er. Die Geschäftigkeit, Treue und Verschwiegenheit, womit sie betrieben werden, sind die Ursachen, warum die preußischen Gesandten an allen Höfen so kurze Prozesse zu machen pflegen, und gemeiniglich schon das Resultat hinwerfen, wenn andre erst zu räsoniren, zu kombiniren und sondiren anfangen. Das Kabinet, welches etwas von Wichtigkeit, wobey der König von Preussen nur einiger Massen intereßirt ist, ohne Wissen desselben zu verhandeln glaubte, ist betrogen. Auch bey der jetzigen Unterhandlung der Höfe von Petersburg und Wien in Betreff der Pforte hat der König einige Federn springen lassen, welche ihm die Kabinette beider Mächte ziemlich weit öffneten – Er sagte den Jesuiten zwey Jahre ihren Fall voraus; ihren Fall voraus – nachdem die Jesuiten das große Erdbeben von Lissabon von 1755 als Gottes Strafe für die Gottlosigkeit der portugiesischen Regierung bezeichnet hatten und 1758 ein Attentat auf den König stattfand, wurde der Orden 1759 in Portugal verboten. (Auf der offiziellen Homepage des Ordens wird das als »Verfolgung des Ordens im 18. Jahrhundert« bezeichnet.) Es folgten Verbote in weiteren Ländern und 1773 wurde er durch den Papst aufgehoben. aber sie glaubten ihm nicht, weil sie sich für grössere Propheten hielten.

Zuverläßig beruht Preussens Stärke zum Theil auf der deutlichen Kenntniß seiner eignen Kräfte und jener seiner Rivalen. Der Vortheil ist doppelt wichtig, da die Begriffe der letztern eben so verworren und unvollständig, als jene des Königs und seiner Minister deutlich und präzis sind. Verwirrung der Begriffe ist die Mutter des blendenden Stolzes, welcher uns zu dem größten politischen Fehler verführt, und uns unsere Feinde zu unserm grossen Schaden verachten macht. Diese Blendung hat Oestreich um Slesien und Großbrittanien um Amerika gebracht, wie der König von Preussen öfters selbst bemerkt hat. Er ist sicher, nie in diese Grube zu fallen; denn seine Eigenliebe blendet ihn nicht. In den preußischen und östreichischen Staatsschriften herrschte bisher ein merkwürdiger Kontrast. Diese suchen auf alle Art und öfters auch offenbar gegen ihr eignes besseres Wissen ihre Macht mit Posaunentönen zu vergrössern und den preußischen Staat zu verkleinern. Jene hingegen reden sogar im Krieg mit Hochachtung von Oestreichs Macht, und bis itzt hat man noch kein Beyspiel, daß ein Preusse in einer öffentlichen Schrift sich Mühe gegeben hätte, die Stärke seines Vaterlandes zu vergrössern. Alles, was inländische Schriftsteller hierüber gesagt haben, beruht auf Rechnungen und Thatsachen, ohne Pauken und Trompeten. Ein stark unterscheidender Karakterzug beyder Nationen. Während daß im bayrischen Krieg vor einigen Jahren die östreichischen Staatsmänner behaupteten, »der König von Preussen müsse nothwendiger weise Krieg anfangen, um seine Soldaten, für die er weder Geld noch Brod mehr hätte, nicht Hungers sterben zu lassen«, sagten die preußischen Minister in den öffentlichen Staatsschriften: »Es wäre unbegreiflich, wie sich ein so grosses und mächtiges Haus, als das östreichische, bey seiner gewaltigen Ueberlegenheit über seine Nachbarn und seiner so hochgepriesenen Großmuth auf Kosten eines alten und ihm so wenig förchterlichen deutschen Hauses zu vergrössern suchen könnte« – Mit einem Wort, der preußische Staat wird durch Ueberzeugung, und der größte Theil der übrigen Welt durch Wahn regiert.


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