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Acht und vierzigster Brief.

Berlin –

Mein Weg hieher gieng über Wittenberg, einer mittelmäßigen Stadt von ohngefähr 6.000 Einwohnern, die aber noch Spuren von den öftern Verheerungen hat, die sie im letztern schlesischen Krieg trafen. Sie hat sich seit dieser Zeit noch nicht ganz erholen können. Sie sollte eigentlich die Hauptstadt der kursächsischen Lande seyn, muß aber Leipzig den Vorrang lassen, und steht in Rücksicht auf Bevölkerung und Reichthum weit hinter mehrern sächsischen Städten. Auf dem sogenannten Kurkreis, dessen Hauptstadt sie ist, und welcher einer von den kleinern Kreisen der sächsischen Lande ist, beruht nicht nur die kurfürstliche Würde, sondern auch jene eines Reichshalters Reichshalter – Statthalter bis zur Kaiserwahl während des Interregnums Interregnum – die Zeit vom Tod eines Regenten bis zur Einsetzung eines neuen in Norddeutschland.

Bis über die Elbe hin war das Land so gut angebaut als das übrige Sachsen, und schien durchaus den nämlichen Boden zu haben; allein kaum hat man von Wittenberg eine Station zurückgelegt, so bemerkt man eine auffallende Veränderung des Erdreichs. Anstatt der grauen und fetten Erde in Sachsen erblikt man nichts mehr als Sand. Das Land sticht mit Sachsen durch eine fast ermüdende Einförmigkeit ab. An den Flüssen erblickt man weite Moräste, und das viele und dicke Schwarzholz Schwarzholz – Erlen giebt der Landschaft eben kein munteres Aussehn. Unter allen deutschen Provinzen, die ich noch sah, scheint Brandenburg von der Natur auf das stiefmütterlichste behandelt worden zu seyn.

Die Einwohner ersetzen zum Theil durch ihren Fleiß die Kärglichkeit der Natur. Wo der Boden nur irgend einigen Anbau gestattet, haben sie daraus gemacht, was möglich ist, und das Aeußerliche der Flecken und Dörfer und ihrer Einwohner verräth ziemlich viel Wohlstand.

Ich kann es bestätigen, was schon einige andre Reisende angemerkt haben, daß das Visitiren in den preußischen Landen weder so langweilig, noch so lästig und kränkend für einen ehrlichen Mann ist, als bey den östreichischen Mauthen. Die hiesigen Zollbedienten sind vernünftige und artige Leuthe, und handeln bey weitem nicht so eigenmächtig und herrisch als die östreichischen Mauthbeamten.

Berlin ist eine ausserordentlich schöne und prächtige Stadt. Man darf sie immer unter die schönsten Städte Europens setzen. Sie hat die Einförmigkeit nicht, welche den Anblick der meisten neu und regelmäßig gebauten Städte in die Länge ennuyant ennyant – langweilig, verdrießlich macht. Die Bauart, die Eintheilung, die Gestalt der öffentlichen Plätze, die Besetzung derselben und einiger Strassen mit Bäumen, kurz, alles ist abwechselnd und unterhaltend.

Ich bin seit einigen Tagen nach meiner Art die Kreutz und Quere durch die Stadt gerennt. In der Grösse giebt sie Paris und Wien nichts nach. Sie hat beynahe anderthalb Stund in die Länge, nämlich von dem sogenannten Mühlenthor gegen Südosten bis an das Oranienburgerthor gegen Nordwesten, und eine starke Stunde in die Breite, nämlich von dem Bernauerthor gegen Nordosten bis an das Potsdamerthor gegen Südwesten. Allein in diesem ungeheuern Umfang sind eine Menge Gärten, und auf einer Seite sogar auch Felder mit eingeschlossen. Sie hat nicht viel über 6.000 Häuser, da Paris hingegen beynahe 30.000 zählt. Die Oedheit vieler Gegenden sticht mit der Pracht der Gebäude sonderbar ab.

Der Abstich dieser Pracht ist noch auffallender in Rücksicht auf den Zustand der Einwohner. Du stehst voll Bewunderung vor einem Gebäude in ionischem Stil, das niedlich vergypset ist, eine prächtige Fronte darbiethet, und eine Miene macht wie die Wohnung eines Fermier=General fermier=General – Steuerpächter oder wenigstens wie die eines Ducs. Ducs – Herzog Auf einmal öfnet sich im untern Stock ein Fenster, und da stellt dir ein Schuhflicker einen neuversohlten Stiefel vor die Nase, um auf dem Gesimse die Schwärze eintrocknen zu lassen. Du fängst an über dieses Räthsel Betrachtungen zu machen, und siehe, da geht dir im zweyten Stock ein anderes Fenster auf, wo ein Hosenflicker dir ein Paar neugefärbte Beinkleider zur beliebigen Schau vor die Augen hängt. Wenn du das Räthsel noch nicht aufgelöst hast und noch einige Minuten stehen bleibst so thut sich auf der andern Seite des nämlichen Stockes wieder ein Fenster auf, und da lüftet dir ein Schneider einen geflickten Wams vor der Nase aus. Hast du noch nicht Erläuterung genug, so schwingt dir endlich aus dem dritten Stock jemand das Tischtuch über dem Kopf aus, und da fällt dir nichts heraus, als die Haut von einigen Erdäpfeln – Du gehst nun einige Schritte weiter, und setzest Fuß vor einem Pallast in korinthischem Stil, der die Miene hat, als wenn er einer Mätresse des Königs oder einem Prinzen von Geblüt zugehört. Kaum hat dein bewunderndes Auge sich bis zum Dach erhoben, so sieht dir aus dem obern Stockwerk ein Jud heraus, der dich fragt, ob du was zu schachern habest. Du schlägst die Augen um ein Stockwerk nieder, und da hängt dir zur Rechten ein Musquetier Musquetier – Musketier: Fußsoldat mit schwerer Handfeuerwaffe ein gewaschenes Hemd vor die Nase, welches einem Officier gehört, den du zur Linken am Fenster stehn und sich rasiren siehst, und wobey du leicht ausrechnen kannst, daß der Herr Officier nur im Besitz von 2 Hemdern ist. Deine Augen fallen noch um ein Stockwerk, und da nickt dir ein Jüngferchen durch das Fenster zu, und winkt dir gar herzig, ihm auf einige Minuten einen Besuch hinter der Bettgardine abzustatten, die du im Hintergrund des Zimmers erblickst. – Du gehst durch 2 bis 3 Strassen fort, deren Gebäude alle im größten Stil sind, und in allen entdeckst du die nämliche Art von Hausleuthen. Endlich kömmst du an die Wohnung eines Generals, wie du leicht an der Wache vor der Thüre sehen kannst. Aber da siehst du weder Portiers, noch Läufer, noch irgend etwas von dem Gefolge des Adels von Wien.

Seit 3 Tagen habe ich mich bey einem Kriegsrath eingemiethet, und hätte auch die Ehre haben können, neben einem Geheimen Rath in einem Pallast von toskanischem Geschmack zu wohnen. Ich konnte in dem Wirthshaus, wo ich abstieg, unmöglich länger bleiben. Der Wirth machte Büklinge über Büklinge, und that so geschäftig um mich, daß ich gleich in der ersten Minuten Verdacht schöpfte. Den zweyten Tag war ich Gast zu Mittag in einem Haus, an welches ich von Dresden aus addreßiert war, und Abends machte mein Herr Wirth schon seine Bemerkungen darüber. Des andern Tages verlief ich mich etwas weit von meinem Logis, und speiste in einem Gasthaus, welches einen schönen Garten und gute Gesellschaft hatte. Ich war im Rekognosciren rekognosciren – rekognoszieren: auskundschaften, erkunden der Stadt begriffen, und wollte mich nicht durch den weiten Rückmarsch zu meinem Wirth irre machen lassen. Ich erzählte ihm Abends von dem Garten des Gasthauses und der guten Gesellschaft, mit welcher ich zu speisen die Ehre hatte, und da nahm es der Herr Wirth ernstlich übel, daß ich nicht eine Stunde Wegs machen wollte, um ein neues Item item – Einzelheit, Rechnungsposten auf seine Rechnung zu machen. Er sah, daß ich einer von denen bin, die mit Wirthen kurzen Prozeß machen, und da kam er des andern Tages mit der hiesigen Zeitung, die im Unsinn und in der Heucheley der Gazette de France nichts nachgiebt, zu mir auf mein Zimmer gekrochen – wirklich gekrochen, denn er berührte in seinen Büklingen beynahe mit der Nase die Erde – las mir die wichtigen Neuigkeiten vor, daß ein preußischer Major am Podagra Podagra – Gicht gestorben, daß se. königl. Hoheit der Prinz Heinrich nach Rhinsberg abgereiset ist, daß ein Pastor in der Neumark, der ein Gelehrter seyn soll, mit der Kolik geplagt ist, und daß in Slesien eine Frau Generalin glücklich ist von einem Töchterchen entbunden worden. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand, um nicht mit noch mehr Neuigkeiten von der Art überhäuft zu werden. Er that so demüthig, daß ich ihm seine Grobheit vom vorhergehenden Abend eben vergeben wollte, als er mir zu verstehn gab, daß ich auch bey ihm nach Belieben mit einem lebendigen Bedürfniß zu Bette bedient werden könnte. Nun entschloß ich mich augenblicklich, auszuziehn, und in einem Bürgerhaus Quartier zu suchen, denn der Wirth, welcher zugleich ein Maquerau Maquerau – Kuppler, Zuhälter macht, ist gewiß ein Schurke.

Ueberhaupt scheinen die hiesigen Wirthe ein ganz eigener Schlag Leuthe zu seyn. Sie sind alle kriechend höflich, zudringlich bis zum Eckel, grob, wenn sie einen finden, der sich nicht von ihnen beschneiden läßt, lästig durch eine Menge Querfragen, von denen du gar keine Absicht errathen kannst, und wenn sie auch gleich keine Mädchen im Haus haben, so machen sie doch kein Geheimnis daraus, daß sie die Fremden mit diesem Artickel reichlich bedienen können. Sie haben ihre Listen, worauf die schöne Jugend der ganzen Nachbarschaft nach den verschiedenen Preisen sortirt ist, und der Hausknecht ist immer bereit, die Waare herbeyzuschaffen, die sich der Fremde auszusuchen beliebt. Mein Hausherr, der Kriegsrath versicherte mich, daß unter hiesigen 20 Wirten kaum einer wäre, der sich mit diesem Nebenhandel nicht abgebe.

Wenn man aus Böhmen nach Sachsen kömmt, so fällt einem die Theurung der Lebensmittel in dem letztern Lande stark auf; allein noch viel auffallender ist sie hier im Vergleich mit Sachsen.

Die Armuth des Landes an vielen Bedürfnissen, die ungeheuern Accise Accise – Akzise: eine vom Staat erhobene Luxussteuer und dann die vielen Monopolien Monopol – verbietet privatwirtschaftliche Produktion oder Handel mit einer bestimmten Ware sind Schuld daran. Um dir von den letztern einigen Begriff zu geben, so dient dir zur Nachricht, daß das pariser Klafter Brennholz, welches hier auch ein Monopolium ist, ohngefähr auf 40 Livres zu stehen kömmt, obschon das Brandenburgische einen Ueberfluß an allen Holzarten hat. Berlin hat in Rücksicht auf die Masse des zirkulirenden Geldes und der Theurung der Lebensmittel ein umgekehrtes Verhältnis mit Wien. In der leztern Stadt wundert man sich, daß bey der ungeheuern Geldmasse, welche im Umlauf ist, alles so wohlfeil seyn kann, und in der ersten kann man kaum begreiffen, wie bey der kleinen Geldmasse alles so ungeheuer theuer ist. Denke dir Bruder, man zahlt hier die Bouteille Burgunder mit 5 bis 6 Livres, und der hat doch öfters nichts als den Namen von Burgund. Von unsern ordinären Weinen aus Orleannois, Isle de France, Guyenne u. s. w. die man hier überhaupt unter dem Titel Franzweine begreift, wird die Bouteille mit 3 bis 4 Livres bezahlt. Der König geht mit den Weintrinkern wirklich zu grausam um.

In den Privathäusern, die ich bisher sah, herrscht eine fast eckelhafte Kärglichkeit in der Küche, im Keller und in allen Theilen derselben. Nur in der Kleidung bemerkt man einigen Aufwand, und vielen sieht man an den Gesichtern an, daß sie Hunger leiden, um sich pudern und Manschetten tragen zu können. Der Putz der Damen ist ganz nach der Mode, und ich sah auch wirklich schon etwas Schmuk von beträchtlichem Werth und von Geschmack.

Es ist wohl keine Stadt in Europa, Konstantinopel ausgenommen, die eine so zahlreiche Garnison hat, als Berlin. Es liegen hier gegen 26.000 Mann. Man kann zu allem einen Soldaten um ein kleines Geld haben. Sie putzen die Schuhe, waschen, fliken, kuppeln und thun alles, was anderstwo die Savoyarden Savoyarden – Einwohner Savoyens und alten Weiber thun. Sie sprechen auch die Fremden – nicht um ein Almosen – sondern um ein Trinkgeld an, wofür sie sich aber gemeiniglich etwas zu Essen kaufen, denn um ihren Durst zu löschen hat die Spree Wasser genug. Sie sind lange nicht so grob, als die kaiserlichen Soldaten, und man findet sehr viele offne Köpfe unter ihnen.

Soviel seh' und hör ich überall, daß das hiesige Publikum, in seiner höhern Region, nämlich, um die Köpfe besser bestellt ist, als das wienerische, ob es sich schon in der mittlern Gegend, um den Bauch und die Hosensäcke herum, mit demselben nicht vergleichen kann. Da die Leerheit, welche in dieser Gegend, besonders in den Börsen herrscht, ziemlich allgemein ist, so hat man sich dieselbe durch einen stillschweigenden Vertrag im gesellschaftlichen Leben verziehen, und nur ein Fremder bemerkt sie. Sie hat für hiesige Augen und Ohren so wenig auffallendes, daß Officiers und Räthe auf den offenen Kaffeehäusern, ohne Zurückhaltung, bey Juden einige Gulden negociren, negociren – negoziieren: auf Wechsel leihen wovon ich schon den zweyten Tag nach meiner Ankunft ein Augenzeug war. Die Kaufleute, Fabrikanten und der Theil des Adels, welcher einiges Vermögen hat, thun so geheim mit der Münze, daß man sie im alltäglichen Umgang von dem grossen Haufen, der völlig ausgebeutelt ist, nicht unterscheiden kann. Dagegen herrscht hier eine Aufklärung über den Zustand des Landes, eine Freyheit in Beurtheilung der Regierung, ein Nationalstolz, eine Theilnehmung an den öffentlichen Angelegenheiten, und unter den Militär= und Civilbedienten eine Thätigkeit für den Staat, und, der geringen Besoldungen ungeachtet, ein Bewerbungseifer, daß man in Betracht alles dessen glauben sollte, man wäre nach London versetzt worden. Ein offenbarer Beweis, daß nicht die Verfassung der Regierung, sondern die Verwaltung den Geist eines Volkes bildet, und daß das patriotische Gefühl kein ausschließliches Vorrecht des Republikaners ist. Man spricht hier von den Verordnungen des Königs König – Friedrich II., der Große, regierte von 1740 bis 1786, s. Fünfter Brief. und seinem häuslichen Thun und Lassen mit einer Freyheit, die man nur von einem Engländer erwarten sollte.

So kurze Zeit ich auch hier bin, so glaube ich doch mit aller Zuverläßigkeit der Vorstellung widersprechen zu können, die man auswärts von der preußischen Regierung hat, und die durch die Relationen einiger Extrapostreisenden ist ausgebreitet worden, nämlich daß der König wie aus einem undurchdringlichen Gewölke durch Machtsprüche seinen Staat verwalte. Ich meines Theils habe noch keine offenere und populärere Regierung gesehn als die hiesige, die von England nicht ausgenommen. Der ganze Verwaltungsplan scheint mir so einfach zu seyn, und liegt so offen vor jedermanns Augen, daß es mir fast unbegreiflich ist, wie man sich eine so falsche Vorstellung machen konnte. Einige Engländer, die den Werth und das Wesen der Freyheit darein setzen, daß sie in ihren Parlamentskammern ihren schalen Witz, ihren Spleen, ihre Radoterien Radoterien – leeres Geschwätz und ihre Sottisen ungehindert auslassen können und die trotz ihrer Sufficance Sufficance – Süffisanz: Selbstgefälligkeit und Dreistigkeit, unter allen Reisenden die schlechtesten Beobachter sind, haben vermuthlich das meiste zur Verbreitung derselben beygetragen. Man braucht nicht lange in den preußischen Landen zu seyn, um sich zu überzeugen, daß der König von geheimnißvollen Anstalten so wenig als von eigentlichen Machtsprüchen Liebhaber ist. Das Departement der auswärtigen Geschäfte, und vielleicht einige Dinge, welche das Grosse der Armee betreffen, sind die einzigen Gegenstände, worüber etwas Dunkel liegt, und man wird doch nicht begehren, der König solle die Briefe seiner Gesandten und seine Schreiben an dieselbe, so wie auch seine Taktik öffentlich drucken lassen? – Doch hievon will ich ein andermal umständlicher mit dir reden.


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