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Drey und fünfzigster Brief.

Berlin –

Berlin ist in Rücksicht auf Wissenschaften und Künste ohne Vergleich die erste Stadt in Deutschland. Sie hat diesen Vorzug bloß dem jetzigen König zu verdanken. Sein Vater dachte so orthodox und züchtig, als die verstorbene Kaiserin, und ohne Freyheit befinden sich die Musen nicht wohl. Er vertrieb sogar den berühmten Wolf aus seinen Landen, der doch nichts weniger als ein Ketzer war. Er hielt alles Studieren, das theologische und kameralische ausgenommen, für Unsinn und Betrug des Teufels, und sein Hofjude war in seinen Augen ein grösserer Mann, als Wolf, oder Leibnitz, oder Newton. Newton – Isaac Newton, Physiker, Mathematiker und Astronom, forschte über die Natur des Lichtes und über Planetenbewgungen sowie über die Gravitation. Newton ist der Begründer der klassischen theoretischen Physik und der Himmelsmechanik. † 1727

Der jetzige König, ein vertrauter Freund der Wissenschaften und Künste, gestattete in seinen Landen dem Denken eine Freyheit, die man ausser denselben nur in Großbrittanien findet. Weder die Orthodoxie noch die Politik schränkt hier die Philosophie ein. Indessen die Lehrer der Staatswissenschaft zu Wien behaupten, Land und Leute gehörten mit Haut und Haar dem Souverän als ein ererbtes Eigenthum zu, darf man hier ohne die geringste Gefahr mündlich und schriftlich behaupten, der König sey nichts mehr noch weniger als der Statthalter oder Vormund des gesammten Volks – Die Juden därfen öffentlich beweisen, daß der Meßias noch zu erwarten sey; die Katholiken, daß sie ihn täglich essen, täglich essen – das heilige Abendmahl, ein kannibalisches Ritual und der Pabst der Lehnsherr aller Fürsten sey; die Protestanten, daß der Pabst das apokalyptische Thier und die babylonische Hure sey; die Griechen, daß Mahomed Mahomed – der Prophet der Mohammedaner ein grösserer Prophet gewesen, als Kristus und Moses; und die ganz Ungläubigen, daß es nie einen Propheten gegeben. Die Polizey sorgte dafür, daß es bloß bey theoretischen Beweisen bleibt, und der Priester, Rabbiner oder Kadi, welcher ein Autodafe Autodafe – Autodafé: Ketzerverbrennung machen wollte, würde gewiß zuerst auf seinem Scheiterhaufen sitzen.

Der König hat eine Akademie, die eben nicht aus den besten Köpfen besteht, welche man hier auffinden könnte. Unterdessen hat sie unter den vielen mittelmäßigen Leuten doch einige Männer von wahrem Verdienst. Der König hat, wie viele Fremden schon bemerkt haben, ein Vorurtheil für die Ausländer, und beschreibt sich lieber einen unserer Journalisten, um seine Akademien zu kompletiren, als daß er einen deutschen Gelehrten in dieselbe aufnähme. Herr Pilati hat schon bemerkt, daß einige hier angesessene Deutsche eine bessere Figur in der Akademie machen würden, als manche dieser Ausländer. Allein der König hat durch sein sur la litterature allemande sur la litterature allemande – Über die deutsche Literatur den Deutschen ein öffentliches Zeugnis gegeben, daß er ihre Litteratur und sogar ihre Sprache nicht kennt.

Als er seine Bildung erhielt, war die deutsche Litteratur noch ein Unding. Besonders herrschte zu Berlin eine Barbarey, die ihn anekeln mußte. Sein Geschmak war an die Franzosen und Italiäner gewöhnt, und als er die Regierung angetretten hatte, machten bloß diese Ausländer in den Erholungsstunden seine Gesellschaft aus. Unterdessen gieng das Licht in Deutschland auf, ohne daß er es sah. Er sprach und schrieb nur französisch, und der Spott der fremden schönen Geister, die ihn umgaben und kein Deutsch verstanden, bevestigte sein Vorurtheil gegen eine Sprache, die er nie gut sprechen und schreiben lernte, und gegen eine Nation, die er bloß nach dem finstern Humor und steifen Schnitt beurtheilte, der die Einwohner von Berlin unter der Regierung seines Vaters auszeichnete, und den sie noch nicht ganz abgelegt haben. Als das Geschrey von der deutschen Litteratur zu laut ward, und man ihm einige Pröbchen vorlegte, konnte er unmöglich den Gang einer Sprache fassen, die er von jeher als barbarisch betrachtet hatte, und von welcher er selbst nur das elendeste Jargon sprechen und schreiben konnte. Randverfügung auf das Gesuch eines Weinhändlers, der König möge ihm den Verlust von 82 Weinfässern ersetzen, die ihm die Russen gestohlen hatten (Die Russen hatten im Siebenjährigen Krieg für kurze Zeit Berlin besetzt.): »Warum nicht auch Was er bei der sündfluth gelitten Wo seine Keller auch unter wasser gestanden.«
Dito auf ein Gesuch des Predigers Pels um Gehaltserhöhung: »Die apostelen Seindt nicht gewinn Süchtig gewesen Sie haben umb Sonst gepredigt, der Herr Pels hat keine apostolische Sehle und denket nicht das er aller güther in der Welt vohr nichts ansehen mus.«
Um an einer Sprache Geschmak zu finden, muß man nothwendig mit ihren eigenthümlichen Wendungen bekannt seyn. Es verhält sich damit, wie mit einem Schauspieler, der die Stelle eines andern ersetzt, welcher der Liebling des Publikums war. Der neue Akteur mag bey seinem ersten Auftritt aller Kunst aufbieten, er wird doch nie dem Publikum genug thun. Es muß sich erst an seine besondre Aussprache, seine eigenthümlichen Gebehrden, und an eine Menge Kleinigkeiten gewöhnen, die ihm bloß durch den Vergleich mit seinem verlornen Liebling auffallen und ekelhaft sind, und die es an diesem nicht mehr bemerkte, weil es derselben durch die lange Bekanntschaft gewohnt worden war. Der König, der sich wegen seinen Regierungsgeschäften die Mühe nicht nehmen konnte, durch häufigen Umgang mit der deutschen Litteratur sich an die Eigenthümlichkeiten der Sprache zu gewöhnen, und den Ekel zu besiegen, den er gegen sie gefaßt hatte, ward durch diese ihm vorgelegten Pröbchen immer noch mehr in seinem Vorurtheil bestärkt. Vielleicht war man auch in der Wahl derselben nicht glücklich.

Wenn man bedenkt, daß er seit seiner Regierung die Litteratur bloß zu seiner Erholung und seinem Vergnügen gebraucht, so kann man ihm seine Abneigung gegen die deutschen Gelehrten vollends nicht verübeln. Selten verbinden sie den feinen Weltton mit ihren Kenntnissen, und ihr Witz stumpft sich an dem trocknen Studieren ab. Indem andre Nationen öfters den Verstand dem Witz schlachten, opfern sie diesen jenem gänzlich auf. Der Hunger und der Mangel an Bekanntschaft mit der grossen Welt macht ihre schönen Geister schüchtern, kriechend und abgeschmackt im Umgang, wenn sie auch in ihrer Welt hinter dem Ofen noch so herrisch und gebietherisch thun, und ihren Luftgeschöpfen eine Politur zu geben wissen, wovon sie selbst in ihrem alltäglichen Umgang und gesellschaftlichen Betragen keine Spur haben. Die Professormiene der deutschen Gelehrten, und das Studentenmäßige der Schöngeister, welche der König zu Gesicht bekam, konnten ihn nicht für die deutsche Litteratur einnehmen. Ohne Zweifel trug auch der Nationalhumor dazu bey, daß er ihnen die Franzosen und Italiäner immer vorzog. Ihr Genie ist langsam, und wenn gleich vielen ihrer witzigen Produkten der Stachel Fußnote im Original: Les Pointes nicht fehlt, so merkt man doch zu deutlich, daß er ihnen hart aus dem Leibe geht. Sie empfehlen sich daher selten als gute Gesellschafter, wenn sie in ihren Schriften auch noch so unterhaltend sind. Sie haben die Lebhaftigkeit nicht, welche die Franzosen und Italiäner in den Stand setzt, das Sonderbare eines Dinges augenblicklich zu fassen, und seine schnellen Beobachtungen dreist heraus zu sagen. Die Religion hat auch einige Schuld daran. Sie gewöhnt die Protestanten das Angenehme dem Nützlichen zu weit nachzusetzen, und da die Katholiken in Deutschland, deren Religion der Phantasie und dem Witz mehr freyes Spiel gestattet,noch in der tiefen Barbarey sind, so hat man sich eben nicht sehr zu wundern, daß sich der König zum Behuf seiner Erholungsstunden lieber italiänische Abbes wählt, als deutsche Pastors, die in Rücksicht auf gründliche Kenntnisse oft freylich viel vor jenen voraus haben, aber immerfort auf die Kanzel und in den Predigerton fallen, womit dem König eben nicht gedient seyn kann. Eben so verhält es sich mit den deutschen Politikern und Geschichtschreibern. In Rücksicht auf Wahrheit und Genauigkeit der trokenen Thatsachen übertreffen sie die Geschichtschreiber und Politiker aller andern Nationen; aber sie wissen diese Thatsachen nicht sprechen zu machen, noch ihnen ein schönes Gewand zu geben. Es ist freylich besser, wahrhaft und trocken, als unrichtig und witzig zu seyn; allein die Wahrheit läßt sich auch mit dem Witz verbinden, und wenn sie dieser gefälliger und einnehmender macht, so ist er eben nicht zu verachten.

Die Vorwürfe, welche der König in seinem sur la literture allemande seinen Landsleuten hierüber macht, sind ziemlich gegründet: allein seine Bemerkungen über die Schulen sind, so wie die Pröbchen vom Witz einiger deutscher Schriftsteller sehr übel angebracht. Der Schesser Armdicker Stralen und der Ring an dem Finger der Zeit wäre in den letzten 20 Jahren allgemein in Deutschland ausgepfiffen worden. Was die Schulen betrift, so sind sie in keinem Land in Europa in dem vortreflichen Zustand, worin sie in des Königs Landen selbst sind. Regeln sind der Deutschen eigentliche Sache, und auch über Dinge, die sie selbst zu leisten gar nicht aufgelegt sind, wissen sie die besten Vorschriften zu geben. Keine Nation kömmt ihnen in Beurtheilung des Werthes der Genieprodukten bey. Sogar über die Art, wie eine Geschichte gut geschrieben werden soll, haben sie die besten Regeln gegeben, die aber, wie alle Regeln in der Welt, noch kein Genie hervorgebracht haben. Indessen sind Regeln und Beurtheilung der Schriftsteller doch alles, was sich in der Schule leisten läßt.

Nichts hemmt die Entwicklung des Genies der Deutschen so stark, als die Gleichgiltigkeit der Fürsten gegen die deutsche Litteratur. In meinen Augen verdienen sie keine Vorwürfe darüber. Wenn sie fortfahren, wie sie seit einiger Zeit angefangen haben, den Landbau zu befördern, den Kunstfleiß rege zu machen, die Gesetzgebung und die Sitten zu verbessern, und ihre Schulden zu bezahlen, so wird diese männliche Thätigkeit, wie sie der König in seiner Abhandlung über die deutsche Litteratur nennt, mehr zum Glück und Ruhm der Nation beytragen, als wenn ihre Dichter und Redner jene der alten und neuern Zeiten verdunkelten. Allein, wenn einer der ersten Fürsten Deutschlands selbst seinen Landsleuten Vorwürfe macht, daß sie noch keinen Virgil, keinen Horaz, Horaz – eigentlich Quintus Horatius Flaccus, Schöpfer der römischen Lyrik, † v.C. 8 keinen Tullius, Tullius – Marcus Tullius Cicero, s. Sieben und vierzigster Brief. keinen Korneille, Korneille – Pierre Cornaille, franz. Dramatiker, der Vollender des klassischen französischen Dramas, † 1684 keinen Moliere, Moliere – eigentlich Jean-Baptiste Poquelin, franz. Theaterdichter, (»Der eingebildete Kranke«), † 1673 keinen Voltäre und keinen Tasso Tasso – Torquato Tasso, italienischer Dichter (»Das befreite Jerusalem«), † 1595 hervorgebracht haben, so sollte er doch bedenken, daß die Fürsten das meiste zur Bildung des Geschmackes und der Sprache, und zur Entwicklung des Genies beytragen müssen. Ich fand noch keinen Hof in Deutschland, wo nicht eine fremde Sprache herrschte. Die Hofleute, Sachsen ausgenommen, sprechen gemeiniglich ihre Muttersprache am schlechtesten, so erbärmlich auch ihr französisches oder italiänisches Jargon ist. Ohne die französische Sprache kömmt einer nicht einmal an den deutschen Höfen fort. An den meisten derselben hält man es für unanständig und pöbelhaft, seine Muttersprache zu sprechen. Und doch ist der Hof der Ort, wo die Sprache die Ründung, den Schlif und die Leichtigkeit am schnellsten bekommen kann, die sie von dem Jargon der Barbaren auszeichnen sollen. In Frankreich und Italien trugen die Höfe das meiste zur Verfeinerung der Sprache bey. Der Schriftsteller schaft sich so leicht seine Sprache nicht. Die Wörter und Redensarten müssen erst in den guten Gesellschaften das Bürgerrecht bekommen haben, ehe er sie ohne Anstoß gebrauchen kann. Der Eifer, seine Sprache rein und mit Geschmack zu sprechen, muß unter den Leuten der höhern Klasse, die allezeit den Ton des Hofes annehmen, zu dem Stolz, und so zu sagen, zu der Eitelkeit werden, welche in der Kleidung, im Putz und in den Gebehrden derselben zu herrschen pflegt. Auch in Griechenland und Rom haben die guten Gesellschaften zuverläßig mehr zur Ausbildung der Sprache beygetragen, als die Schriftsteller, deren Erscheinung allzeit schon einen hohen Grad von Kultur bey ihrer Nation voraussetzt – Wo soll sich der deutsche Redner bilden? Auf der Kanzel? Vor dem Pöbel? Denn wenige Leute aus der feinen Welt legen der Kanzelberedsamkeit einigen Werth bey. In der Gerichtsstube? Bey dem unsinnigen Kanzleystyl, und der kalten und schwerfälligen Prozeßordnung? Es muß erst ein römischer Rath, es muß erst römische Gesetzverwaltung da seyn, ehe man einen Cicero erwarten kann. Die auswärtigen Staatsverhandlungen, die noch ein grosses Feld für den deutschen Redner wären, geschehen durchaus in der französischen Sprache. Es giebt sogar Fürsten, deren Verordnungen für ihre Unterthanen erst aus dem Französischen übersetzt werden müssen, ehe sie publicirt werden. Der Reichstag zu Regensburg, der einzige Ort, den die zerrissene deutsche Nation als ihren Mittelpunkt und Sammelplatz betrachten kann, und wo die Liebe zur Staatsverfassung, zum Vaterland, und der Nationalstolz der Demosthenen, Demosthen – Demosthenes, der größte Redner des Altertums, † v.C. 322 die Ciceronen, die Burkes Burke – Edmund Burke, britischer Staatsmann † 1797 und Foxes Fox – Charles James Fox, britischer Politiker, † 1806 bilden sollten, dieser Reichstag ist der Tempel des Schlafes, der Fühllosigkeit, der stillen Bestechung, der finstern Rabulisterey Rabulisterey – die Kunst, einen Sachverhalt glaubhaft so darzustellen, daß er nicht der Wahrheit entspricht; Wortverdrehung und der stummen Verrätherey. Die Verhandlungen mit den fremden Gesandten, und sogar auch die meisten unter den inländischen, geschehen wieder in französischer Sprache, und in den Versammlungen der Deputirten selbst hängt alles von einem dürren Ja ab. Selten hört man ein Nein; denn es ist gemeiniglich alles vorläufig schon ins Reine gebracht. Der Reichshofrath zu Wien spricht eine Sprache, die unter 10 deutschen Gelehrten kaum einer versteht, und ohne Zweifel giebt ihm die Kammer zu Wetzlar Kammer zu Wetzlar – das Reichskammergericht an der Umständlichkeit nichts nach. Nirgends sonst ist die deutsche Nation konzentrirt. Sie ist auch gar nicht gewöhnt, sich als eine einzige, selbstständige Nation zu betrachten, und ihre Sprache kann sich daher so wenig fixieren, als ihr Karakter.

Wenn aber auch dieses Hinderniß gehoben wäre, so würde es dem deutschen Genie immer doch noch an der Belohnung, und also an der stärksten Aufmunterung fehlen. Der kleine Weimarsche Hof ist der einzige, den ich noch in Deutschland fand, welcher das vaterländische Genie nicht hungern läßt. Da er aber seine Nebenausgaben sehr einschränken muß, so muß er die schönen Geister zu Räthen, Sekretären und Superintendenten Superintendent – s. Sechs und vierzigster Brief. machen, um sie belohnen zu können. Klopstok Klopstok – Friedrich Gottlieb Klopstock, sein Hauptwerk »Der Messias« hatte großen Erfolg, † 1803 ist unter den jetztlebenden Dichtern vielleicht der einzige, der einige unbedeutende Zeugnisse von werkthätigem Patriotismus einiger Grossen Deutschlands empfängt. Der elendeste unserer Journalisten macht an den deutschen Höfen unendlich leichter sein Glück, als der größte unter den inländischen Schriftstellern. Einer der auffallendesten Beweisen hievon ist die hiesige Akademie.

Unter den vielen hiesigen Gelehrten von Verdienst, qui ne font rien, pas même academiciens, qui ne font rien, ... – die kein öffentliches Amt haben und keiner Akademie angehören war mir die Bekanntschaft mit dem Juden Moses Mendelssohn, Moses Mendelssohn – Moses Mendelssohn, jüdischer Philosoph. Lessing setzte ihm mit der Gestalt des Nathan ein bleibendes Denkmal. † 1786 den Herren Büsching, Teller, Teller – Wilhelm Abraham Teller, ev. Theologe, † 1804 Spalding, Spalding – Johann Joachim Spalding, protestantischer Theologe. Er hatte Zweifel an der Orthodoxie und prägte den Satz »Religion, eine Angelegenheit des Menschen«. † 1804 Ramler, Ramler – Karl Wilhelm Ramler, deutscher Dichter und Philosoph, † 1798 Nicolai, Nicolai – Friedrich Nicolai, deutscher (Reise)schriftsteller der Aufklärung und Buchhändler. Er begründete die »Allgemeine deutsche Bibliothek«, in der sämtliche Neuerscheinungen im Geist der Aufklärung rezensiert wurden. † 1811 und der Frau Karschin Karschin – Anna Louisa Karsch, »die Karschin«, deutsche Lyrikerin, zu ihrer Zeit wenig gewürdigt, † 1791 vorzüglich interessant. Der erste ist einer der merkwürdigsten Schriftsteller Deutschland. Seine Werke haben eine Eleganz und seine Sprache ist so reich, rund und bestimmt, daß er mit der Zeit klaßisch werden muß. Er ist Direktor einer ziemlich beträchtlichen Handlung und übt seine Philosophie aus, so viel er kann. Jetzt beschäftigt er sich in seinen Nebenstunden mit Beyträgen zur Aufklärung seiner zerstreuten Glaubensgenossen. Er hat auch in seinem Umgang die Eleganz, die ihn als Schriftsteller auszeichnet, und die seine unvortheilhafte körperliche Bildung überwiegend verbessert. Büsching, Teller und Spalding sind Oberkonsistorialräthe. Der erste ist der größte bekannte Geograph in Europa. Seine Beschreibung von Europa übertrift in Rücksicht auf Genauigkeit und Vollständigkeit unendlich weit alles, was hierin andre gethan haben. Man muß immer bedenken, daß diese Wissenschaft wegen den vielen Veränderungen, die in jedem Lande beständig vorfallen, nothwendige Mängel haben muß. Allein ich zweifle, ob es möglich sey mehr zu thun, als Büsching gethan hat. Nicht nur sein unsäglicher Fleiß, welcher zu [k]einer Unternehmung von der Art erfodert wird, sondern auch sein Scharfsinn in Beurtheilung seiner Hülfsmittel ist zu bewundern. Sein historisches und geographisches Magazin enthält die wichtigsten Beyträge zur neuern Geschichte, besonders der rußischen. Er selbst ist das unerschöpflichste Magazin von Anekdoten der europäischen Höfe. Es ist kein Hof in Europa, dessen wirklichen Zustand er nicht aufs genaueste kennt. Da er einer ungeheuern Menge lebender Sprachen mächtig ist, so entgeht ihm nichts von den historischen, politischen und geographischen Produkten der Europäer. Die ganze Welt liegt immerfort wie in der erhobenen Arbeit vor ihm, worin der General Pfyffer Pfyffer – Franz Ludwig Pfyffer von Wyher, schweiz. Topograph, gestaltete als Erster eine detailgetreue dreidimensionale Gebirgslandschaft. † 1802 zu Lucern einen Theil der Schweiz dargestellt hat, und worauf er nicht nur den natürlichen Zustand und den physischen Anbau der verschiedenen Länder, sondern auch die Bewegung der Menschen wie lebendig erblickt. Ich sprach mit ihm von der Vollendung seiner unschätzbaren Erdbeschreibung. Er schützte seine vielen Berufsgeschäfte vor, die ihm die Hände binden, so sehr er auch dazu geneigt sey. Allein ich konnte doch mit unter bemerken, daß er die damit verbundenen Schwierigkeiten scheut. Asien, Afrika und Amerika lassen sich so leicht auch nicht beschreiben, als Europa. Unterdessen hat er doch erstaunlich viel vorgearbeitet. Teller und Spalding sind die unpriesterlichsten Priester, die ich kenne. Keine Seele auf Gottes Erdboden ist in Gefahr von ihnen verdammt zu werden. Ihre Religion ist die theoretische und praktische Philosophie. Beyde sind vortrefliche Prediger, elegante Schriftsteller und Pröbste, Probst – Propst: Klostervorsteher, Superintendent die gegen die Art der protestantischen Geistlichen ihr ziemlich schönes Auskommen haben, dem sie vielleicht einen guten Theil ihrer gemäßigten Denkensart zu verdanken haben; denn der Hunger macht die Priester am leichtesten ungesittet, grob und unverträglich. Ramler ist einer der liebenswürdigsten Dichter Deutschland. Keiner hat es in der Ausfeilung seiner Verse so weit gebracht als er. Er hat etwas von Horazens scharfen und kurzen Pointen, und den gedrängten und kräftigen Perioden desselben. Seine Sprache ist klaßisch. Er ist Professor bey der Kadettenschule, und eben in keinen glänzenden Glücksumständen. Herr Nicolai ist für die deutsche Litteratur als Schriftsteller, besonders aber als Sammler ein äusserst merkwürdiger Mann. Sein Sebaldus Nothanker Sebaldus Nothanker – »Leben und Meinungen des Herrn Magisters Sebaldus Nothanker«, im Gutenbergprojekt vorhanden ist einer der besten deutschen Romane; ganz Original und voll treffender Karaktere,und interessanter, wahrer Schilderungen. Da er Buchhändler ist, so kann man es ihm nicht verübeln, daß er seine Schriftstellerey nach den Pfunden auswiegt, die sie ihm eintragen kann. Kein deutscher Schriftsteller, den einzigen Wieland ausgenommen, der ihm seines eignen schriftstellerischen notorischen Judenthums ungeachtet Vorwürfe darüber gemacht hat, versteht es so gut, seine Waare für das Publikum zu appretiren, appretiren – appretieren: einem Ding ein besseres, gefälligeres Aussehen geben und die Zeitläufte zu benutzen, als Nikolai. Unterdessen trift sein Vortheil doch öfters den wahren Nutzen des Publikums, und läuft mit ihm parallel. Deutschland hat ihm ein kritisches Journal zu verdanken, das an Vollständigkeit und innern Werth seines gleichen jetzt in Europa nicht hat. Da er nur der Sammler ist, so kann man es ihm nicht auf die Rechnung setzen, wenn sich manchmal eine partheyische und leidenschaftliche Rezension in seine deutsche Bibliothek einschleicht. Die Zahl der unpartheyischen und gründlichen Rezensionen ist doch allzeit weit überwiegend, da hingegen die Rezensionen andrer Nationen heut zu Tage durchaus die Wirkungen von Komplotten sind. Sein Umgang ist unbeschreiblich interessant, weil er einen unerschöpflichen Vorrath von Anekdoten deutscher Schriftsteller hat, von denen er eine skandalöse Kronik liefern könnte, die alles überträfe, was skandalös heißt. Er kennt alle Klubs derselben, und ihre häuslichen Angelegenheiten. Madame Karschin ist eine liebenswürdige Dichterin. Ihre Gedichte athmen Unschuld, sanfte Empfindsamkeit und philosophische Seelenruhe. Sie ist auch eine vortrefliche Gesellschafterin, und um so merkwürdiger, da sie sich selbst gebildet hat.

Unter dem hiesigen Frauenzimmer findet man sehr viele, welche mit den schönen Künsten und Wissenschaften Umgang pflegen. Madame Reklam ist unter andern eine glückliche deutsche und französische Dichterin. Ich war in vielen Gesellschaften, wo das Frauenzimmer an allem litterarischen Gespräche Theil nahm.

Nirgends findet man unter den Hofleuten so viel Aufklärung, als hier. Alle Minister und wirkliche Räthe sind die ausgesuchtesten Männer, unter denen kaum einer ist, der nicht in seinem Fach ein[er] merkwürdiger Schriftsteller seyn könnte. Der jetzige Fiskal Fiskal – Vermögensverwalter; hier : Finanzminister des Königs hat in einer kurzen Abhandlung über die peinliche Gesetzgebung mehr geleistet, als alle Folianten und Quartanten Folio, Quart – Buchformate: etwa wie DIN A3 bzw. A4 und auch alle philosophische Deklamationen in Bekkarias Bekkaria – s. Neunter Brief. Geschmack hierin geleistet haben. Der Minister von Herzberg, an den des Königs Abhandlung von der deutschen Litteratur addreßirt ist, und welcher mit Wärme die Parthey seiner Landsleuthe nimmt, hat sich als Geschichtsschreiber, besonders aber als Verfasser vieler merkwürdigen Staatsschriften bekannt gemacht. Er ist das Muster eines braven Ministers, und wird dir durch die Verhandlungen des Streites über die bayrische Erbschaft und des Teschner Friedens bekannt seyn. Der königliche Justitzminister von Zedlitz hat einige sehr treffende Bemerkungen über die Erziehung herausgegeben, und viele der königlichen Räthe sind wirklich Schriftsteller – Nach dem alten Sprüchwort erkennt man den Herrn an seinem Diener, und es giebt so wenig einen grössern König in der Welt, als man eine aufgeklärtere, patriotischere und thätigere Staatsbedienung findet, als die preußische ist.

Was die Gelehrten von Norddeutschland besonders auszeichnet, ist ihre Bekanntschaft mit der Litteratur der kultivirtesten europäischen Nationen. Weder hier noch in Sachsen fand ich einen Gelehrten von Bedeutung, der nicht mit den berühmtesten Schriftstellern Großbrittaniens, Italiens und unsers Vaterlandes genau bekannt gewesen wäre. Sie sind in der Litteratur wahre Kosmopoliten, und ganz ohne Vorurtheil für ihre einheimischen und gegen die ausländischen Produkte. Nirgends fand ich so viel allgemeine und unpartheyische Weltkenntniß als hier. Dieß ist ein Vorzug, den weder die Franzosen, noch die Engländer und Italiäner den Deutschen streitig machen können.


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