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Zwey und fünfzigster Brief.

Berlin –

Wenn man in Linguets Annalen liest, der König von Preussen habe im letzten schlesischen Krieg mehr Soldaten als Bauern gehabt, so nimmt man es natürlich für einen witzigen Einfall. Ich glaube aber, es war voller Ernst und Unwissenheit. Der Mann, der den europäischen Mächten rathen konnte, dem Haus Oestreich zu einem Stück von Deutschland zu verhelfen, um es in den Stand zu setzen, den Türken zu jeder Zeit die Spitze bieten zu können, ist wenigstens eines solchen Versehens fähig. Er beguckte den preußischen Staat auf der Landkarte, und da derselbe wegen seiner Unförmlichkeit eine schlechte Figur bey einem flüchtigen Anblick macht, so fällte er das Urtheil: Auf einem so engen Raum von Papier können unmöglich 200.000 Bauern wohnen.

Was mich in dieser Meynung bestärkt, ist die Unwissenheit der Leute in Rücksicht auf die Stärke des preußischen Staates, die ihn doch theils aus dem Augenschein, theils aus öffentlichen deutschen Nachrichten besser kennen sollten.

Herr Pilati, einer von den seltenen ausländischen Schriftstellern, welche die deutsche Sprache verstehn, und also die Nachrichten aus der Quelle schöpfen können, behauptet, der König von Preussen habe nicht mehr als 1.200.000 Unterthanen gezählt, als er seine erste Eroberung machte.

Als der König die Regierung antrat, zählten seine Lande wenigstens 2.200.000 Einwohner. Brandenburg hatte 600.000, Preussen Preussen – Preußen bestand zu damaliger Zeit aus Teilen des heutigen Ost- und Westpreußens, die nicht zum Deutschen Reich gehörten. Das ermöglichte 1701 die eigenmächtige Königskrönung und die Übernahme des Namens auf den Gesamtbesitz der Hohenzollern. 600.000, Pommern 300.000, Magdeburg und Halberstadt 300.000, und seine westphälischen Staaten wenigstens 400.000 Seelen – Seine Einkünfte betrugen damals wenigstens 14 Millionen Gulden, und er hatte einen erstaunlichen Schatz an baarem Gelde von seinem sparsamen Vater geerbt.

Noch ist das Vorurtheil ziemlich allgemein, daß die preußischen Staaten nicht innere Kräfte genug hätten, sich in dem Glanz zu erhalten, worin sie der jetzige König gesetzt hat. Es ist wahr, an innerer Stärke kann sich die preußische Monarchie mit den europäischen Staaten vom ersten Rang nicht messen; allein, so lange das Verwaltungssistem des jetzigen Königs dauert, wird sie immer im Stand seyn, jeder europäischen Macht die Spitze zu bieten. Bekanntlich beruht die wahre Stärke eines Staates nicht auf der Masse seiner innern Macht, sondern auf dem Gebrauch derselben, und kein europäischer Staat ist jetzt noch im Stand, alle seine Fibern und Nerven so anzustrengen, als der preußische die seinigen wirklich angespannt hat. Wenn die Bebauung desselben in dem Verhältniß fortschreitet, worin sie unter der jetzigen Regierung bisher fortgeschritten ist, so nimmt seine innere Macht auch schneller zu, als die irgend eines andern Staates.

Die Grösse der preußischen Staaten, von welcher man sich auf einer Landkarte eine richtige Vorstellung machen kann, beträgt 3.650 deutsche Quadratmeilen, welches ohngefähr so viel ist, als die Königreiche Neapel, Sicilien und Portugall zusammen ausmachen. Die Volksmenge derselben beläuft sich wenigstens auf 6 Millionen. Die Königreiche Schweden, Dänemark und Portugall enthalten zusammengenommen nicht viel mehr Einwohner, und England für sich allein ist nicht so stark bevölkert. Da die Volksmenge der preußischen Lande mit ihrer Grösse auch noch nicht in dem Verhältniß steht, worin sie stehn könnte, oder da dieselbe noch lange nicht ganz angebaut sind, so kann Preussens Macht noch beträchtlich vermehrt werden. Im Durchschnitt gehören die Länder der Güte nach, unter die mittelmäßigen von Deutschland. So schlecht der Boden von Brandenburg ist, so vortreflich ist der vom Magdeburdischen, Halberstädtischen, von Kleve, Kleve – Herzogtum, zu Preußen gehörig. Das Gebiet um die Städte Kleve und Wesel der Grafschaft Mark und einigen Gegenden in Slesien, Pommern und Preussen. Wenn sie nach dem Verhältniß ihrer natürlichen Güte mit der Zeit auf den Grad von Anbau kommen, worauf die meisten übrigen Provinzen Deutschlands sind, so können sie leicht genug 8 Millionen Menschen ernähren. Nebstdem hat dieser Staat an den Fürstenthümern Anspach und Bayreuth noch einen beträchtlichen Zuwachs zu erwarten, und es ist Zehn an Eins zu wetten, daß er auch wieder sein Theilchen ziehen werde, wenn die Höfe von Wien und Petersburg ihren Plan gegen die Pforte ausführen sollten, womit sie seit des Kaisers Reise nach Mohiulow und Petersburg beschäftigt sind.

Hier spricht man seit einiger Zeit von diesem Entwurf mit ziemlich viel Zuverläßigkeit. Der hiesige Hof kann unmöglich gleichgiltig dabey bleiben. Ich will dir die Meinung derjenigen hiesigen Politicker mittheilen, die den meisten Glauben verdienen.

Sie sagen: Die beyden kristlichen Kaiserhöfe brauchen kaum den dritten Theil ihrer Truppen, um mit den Türken fertig zu werden. Der König sieht sich in der Mitte zweyer Mächte, derer jede ihm an Stärke gleich ist, wenn sie auch zusammen 180 bis 200 tausend Mann gegen die Pforte ausrücken lassen. Frankreich, welches seinem levantischen Handel, der der Krone allein gegen 8 Millionen Livres einträgt, mehr bey dieser Sache interessirt ist, als der hiesige Hof, müßte also natürlicher weise denselben unterstützen, wenn er sich diesen Entwurf gradezu entgegensetzen wollte. Nun begieng aber Frankreich die Thorheit, zu einer Zeit, wo der ganze Osten und Norden vor den zwo förchterlichsten Landmächten erbebt, welche die neuere Geschichte kennt, seine Stärke hauptsächlich auf die See anzustrengen. auf die See anstrengen – unter Ludwig XVI. wurde die französische Marine wieder der englischen ebenbürtig Die zween Kaiserhöfe liessen es an der Angel des amerikanischen Krieges, in die es sich unbesonnener weise verbissen, so lange zappeln bis es entkräftet war. Es hat sich mit Schulden überhäuft, und ist platterdings nicht im Stand, das Gleichgewicht in Osten herzustellen. (Im Vorbeygehn, Bruder, es ist für einen Franzmann kaum auszuhalten, wie verächtlich man hier von unserer Landmacht spricht. Man glaubt, daß sie höchstens nur gegen holländische, piemontesische Piemont – heute eine norditalienische Landschaft um Turin, seit 1718 Königreich zusammen mit Sardinien und ähnliche Truppen zu gebrauchen wäre, und hält sie vis à vis von der rußischen oder östreichischen Armee für ein plattes Null.) Der König von Preussen, dessen Alter und bekannte Liebe zur philosophischen Ruhe ihm ohnehin die friedlichern Auskunftmittel anrathen, wird sich also mit einem Stück von Polen befriedigen lassen, wenn es auch noch so klein seyn sollte. Etwas muß er haben, denn wenn es ihm einfiele, seinen alten Kopf aufzusetzen, so fände er vermittelst seines grossen Schatzes wahrscheinlicher weise in Schweden, Dänemark und an einigen deutschen Höfen doch noch so viel Unterstützung, daß er es wagen könnte, sich dem Entwurf der beyden Kaiserhöfe zu widersetzen, besonders wenn Frankreich mit seiner Flotte für die Pforte thäte, was es thun könnte, und allenfalls dem Kaiser in den Niederlanden und in Italien eine Diversion Diversion – Angriff von der Seite zu machen suchte, wo es die Holländer und die Könige von Sardinien und Neapel zu Hülfe nehmen könnte. So schwer auch diese Umstände zu kombiniren sind, so ist doch 20 an Eins zu setzen, daß die Höfe von Wien und Petersburg den König lieber auf die erste Art beruhigen, als zum Aeussersten reitzen werden. Giebt man ihm so viel, daß es der Mühe und Kosten werth ist, so trägt er vielleicht gar das Seinige zur Vertreibung der Türken aus Europa bey, oder garantirt die beyden Kaiserhöfe gegen alle Bewegungen, die andre kritische Mächte zu Gunsten der Pforte machen könnten. u. s. w. –

Wenn also die Höfe von Wien und Petersburg, wie es das Ansehn hat, wirklich zur Ausführung ihres Plans schreiten sollten, so ist der Verlust unsers so unschätzbaren levantischen Handels eine Folge von dem verderblichen amerikanischen Krieg, dessen Ende wir noch nicht absehn, und worin wir nie so viel gewinnen können, als wir hier verlieren müssen. Auch unser nordischer Weinhandel muß darunter leiden; denn die Polen arbeiten schon lange an einem Kanal, der vermittelst der vielen Flüsse, welche ihr Land durchkreutzen, die Ostsee mit dem schwarzen Meer verbinden soll, wodurch dann die Weine aus den Provinzen, welche jetzt die europäische Türkey ausmachen, auf eine leichte Art durch den ganzen Norden können gefördert werden. Nichts davon zu sagen, daß Europa alsdann zwo Seemächte mehr hat, die besonders für uns auf dem mittelländischen Meere beschwerlich werden können. Wir haben also gute Ursache, die auf Kosten unserer Landmacht gebaute Flotte zum Henker zu wünschen – Einen Trost haben wir noch übrig, nämlich daß Rußland und Oestreich wohl nicht lange Freunde bleiben können, wenn sie einmal so nahe aneinander gränzen.

Die preußische Monarchie hat sich also immer noch Wachsthum zu versprechen. Wenn sie arrondirt wäre, so würde sie schon um ein beträchtliches stärker seyn. Man sprach schon öfters von einer Vertauschung der preußischen Besitzungen in Westphalen Westphalen – Westfalen: die Herzogtümer Kleve und Geldern, die Grafschaft Mark und der Fürstenthümer Bayreuth und Anspach gegen das Meklenburgische, Anhaltische und die Lausitz: Sie würde für den König sehr vortheilhaft seyn; hat aber sehr viel Schwierigkeiten.

Die Einkünfte des Königs sollen sich auf 34 Millionen Gulden Sächsisch, oder auf ohngefähr 89 Millionen Livres belaufen. Seine Civilliste ist ausserordentlich und fast unglaublich gering. Sein Premier Minister hat 15.000 Gulden Einkünfte. Ich kenne einen Hofrath in Wien, der höher kömmt. Der Gehalt seiner Gesandten auf den ersten Posten beträgt auch nicht mehr als 15.000 Gulden. Das Publikum zu Wien mokirt sich über den Baron Riedesel, dem Verfasser der Reise durch groß Griechenland, weil er nicht, wie die kaiserlichen Gesandten seine 30 bis 40 tausend Gulden Gehalt hatte; allein er bewies gar bald, daß die Fähigkeiten eines tüchtigen Ministers nicht in seinem Beutel sind. Es währte nicht lange, so gab er in den besten Gesellschaften Ton, und sein Eifer für den Dienst seines Herrn hätte manchen kaiserlichen Bedienten beschämen sollen, der ungleich besser bezahlt wird.

Slesien ist nach dem Königreich Preußen die wichtigste Provinz des Königs. Sie ist nur halb so groß als dieses, und hat doch beynahe eben so viele Einwohner, und trägt auch fast eben so viel ein, als dasselbe. Die slesischen Leinwande sind durch ganz Europa berühmt. Der König hat jetzt seinen Unterthanen den unmittelbaren Handel mit denselben nach Spanien geöfnet, in dessen Besitz sonst die Hamburger waren. Mit Tüchern treibt dieses Land auch einen sehr ausgebreiteten Handel. Die slesischen Waldungen liefern vortrefliches Holz zum Schiffbau. Die am 12 April dieses Jahrs verlorne Stadt Paris war ganz aus slesischem Holz gebaut.

Auf den verschiedenen Ausfällen, die ich nun in einige preußische Provinzen gethan, hab ich bemerkt, daß nirgends so viel sichtbare Armuth herrscht, als in den 2 Hauptstädte, Berlin und Potsdam, die wahrscheinlicher weise das Land hauptsächlich wegen diesem Punkt bey den Fremden ins Geschrey gebracht haben. Der hohe Preis der Lebensmittel in diesen 2 Städten, die grössere Anzahl müßiger Leuthe, die geringe Besoldung der vielen Civil= und Militärbediensten, die kärgliche Lebensart des zahlreichern kleinen Adels, der doch seine Bedienten und guten Theils auch seine Schulden haben muß, und dann der durchaus herrschende Luxus in den Kleidungen mögen die Ursachen dieses Abstiches seyn, im Ganzen scheint mir das Land wo nicht reich, doch wohlhabend zu seyn. Die Masse des Geldes ist wegen seiner ziemlich gleichen Vertheilung nicht sehr auffallend. Ein Lord verdeckt mit seiner Verschwendung die Armuth von hundert seiner Landsleuthe, welches aber hier der Fall nicht ist. Es ist kein adeliches Haus in den preußischen Staaten, einige Herrschaften in Slesien ausgenommen, das von inländischen Gütern 30.000 Gulden Einkünfte hätte. Man findet vielleicht nicht über drey Häuser von 20.000 Gulden. Die Einwohner sind im Ganzen von übermäßigem Reichthum und drückender Armuth gleichweit entfernt, wie man denn hier zu Lande so wenig Bettler sieht, als irgend in einem andern Staat. Es ist auch falsch, daß die Manufakturen nicht gedeihen, wie verschiedne Reisende behaupten. Ich sah keine auch noch so kleine Stadt, worin nicht einige Manufakturen blühten. Man hat dem König Vorwürfe gemacht, daß durch seine Finanzoperationen die Messe von Frankfurt an der Oder sey zu Grunde gerichtet worden; allein das war auch nur eine Art Judenhandel, von welchem wohl die Kaufleute dieser Stadt Nutzen zogen, der aber dem übrigen Lande eher schädlich als nützlich war. Man macht dem Kaiser wegen dem Verfall der messen von Botzen in Tyrol die nämlichen Vorwürfe.


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