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Ein und siebenzigster Brief.

Amsterdam –

Dieses, nach dem Urtheil eines unserer Landsleute, den Fröschen gestohlne Land, Bruder, ist ursprünglich nichts als Sand, den der Rhein aus Helvetien und den obern Gegenden Deutschlands herabgeschwemmt hat, und Seeschlamm, den die Fluthen bey wüthenden Nord= und Westwinden hie und da aufgetragen haben. Es hat nirgends veste Erde, und noch auf den Gränzen des Herzogthums Kleve findet man die deutlichsten Spuren, daß der Landstrich wie das Delta von Aegypten geschaffen worden, nur mit dem Unterschied, daß der Nil mit der fruchtbarsten Erde, der Rhein aber mit dem dürrsten Sand immerfort schwanger geht. Ein Theil von Brabant und Flandern ist von der Schelde, oder Maas, und einigen andern Flüssen auf die nämliche Art gezeugt worden. Man hat unwidersprechliche Beweise davon. Ziemlich weit von der Küste findet man in Flandern unter der guten Erde, die eine Deke ist, welche das lange Gewühl der Menschen, das Düngen, Pflügen, Säen, die Fäulung von Früchten, Bäumen, Wurzeln u. s. w. und zum Theil auch der Schlamm des Meeres aufgetragen haben, trockenen Sand, und unter diesem wieder unregelmäßige Lagen von guter Erde, so wie nämlich bald die Flüsse mit gehäuftem Sand, bald die See mit angespieltem Schlamm das Land nach und nach und wechselweis geschaffen haben. Von gleicher Art ist die ganze Küste Deutschlands bis an die Elbe hin. Nirgends findet man in diesem Strich vesten Boden. An Felsen oder Berge ist da nicht zu gedenken.

Die See macht sich selbst ihre Gränzen, die sie nur in der äussersten Wuth überschreitet. Ihre spielenden Wogen bilden die Dünnen, welche von Kalais bis zum Texel Texel – eine Nordseeinsel in Nordholland, die größte der Westfriesischen Inseln. hin das Land, welches an einigen Orten tiefer als die horizontale Oberfläche der See ist, gegen die Fluthen decken. Wird sie aber von den gewaltigen Nord= und Nordwestwinden ausser ihrer gewöhnlichen Laune und in Wuth gebracht, dann verschlingt sie auf einmahl wieder, was sie mit Hülfe der benachbarten Flüsse in Jahrtausenden gebaut hat.

Noch zu Zeiten der Römer war die Südsee Südsee – Zuiderzee, ursprünglich ein Binnensee, infolge einer Sturmflut 1228 zu einer Meeresbucht geworden. Seit 1932 durch eine Deichanlage abermals ein See, der seinerseits wieder geteilt ist. Teile wurden trockengelegt. Heutiger Name: IJsselmeer. von Amsterdam bis zum Texel hin ein vestes Land, welches auf der Ostseite von der Yssel, und, wie einige glauben, auf der Westseite vom Rhein bespühlt ward. In einigen Stürmen riß die See ihre Dünnen ein, die von der nördlichen Küste Frießlands bis in die Gegend des Texels standen. Die Flüsse hatten ihre Mündungen in dem Sandboden erweitert, der ihr Geschöpf war, und nun kam eine ausserordentliche Fluth, welche die Flüsse hemmte, und sich mit ihnen vereinigte, um das ganze Land zu verschlingen. Seit der Zeit, besonders aber seit der Unabhängigkeit dieses Landes ist man immerfort beschäftigt, die kleinen Trümmer Landes, welche diese Fluth zurückgelassen, wieder mit dem vesten Land zu verbinden. Diese Trümmer sind eigentlich nur Sandbänke, deren einige man wirklich schon mit Nordholland zusammen gedämmt hat. An andern wird noch gedämmt, weil jeder Fleck Landes, wenn er auch noch so öde ist, für die Einwohner von unsäglichem Werth ist – Zwischen Grönningen und Ostfrießland, bey der Mündung der Ems, geschah der nämliche Auftritt. Der grosse Busen Dollar ist auch durch eine gewaltige Fluth entstanden, und seit dem hat man wieder auf eine grosse Strecke hin den Seeschlamm eingedämmt und vortreflich bebaut. So wie man an einigen Orten dem Meer Land entreißt, so rächt sich dieses an andern. Das Haarlemer=Meer erweitert sich immer, und droht die Dünnen zwischen Leiden und Harlem durchzubrechen, und Nordholland zu einer vollkommenen Insel zu machen – Erst im vorigen Jahrhundert verschlang die See einen grossen Theil der Insel, worauf Dortrecht liegt. Ueberhaupt 60.000 Menschen kamen bey diesem Vorfall um.

So schrecklich die See für das veste Land der Republik ist, so ist sie doch für die Inseln, welche die Provinz Seeland bilden, noch ein viel gefährlicherer Feind. Hier thut sie mit List, was sie auf dem vesten Land mit stürmender Hand unternimmt. Die meisten dieser Inseln sind durchaus tiefer als die Oberfläche des Meeres. Gegen die Fluthen haben sich die Einwohner durch unsäglich kostbare Dämme zu decken gesucht. Diese Dämme ruhen auf den größten Bäumen, die durchaus mit breitköpfigten Nägeln beschlagen sind, um den Kakerlak Kakerlak – Mensch oder Tier als Albino, hier als ungebärdige Gewalt zu verstehen abzuhalten. Die See minirt immerfort an ihnen, und spühlt die Erde zwischen ihnen weg. An manchen Orten steht sie schon durch grosse Strecken hin nackt da, und die auf ihnen ruhenden Wälle drohen den Einsturz. Die Einwohner sahen sich deshalb gezwungen, hinter diesen Dämmen noch andre Wälle um ihre Inseln zu ziehn, auf welche das Schicksal der erstern wartet, und so müssen sie endlich ihrem unversöhnlichen Feind unterliegen.

Die Bewohner der Mitte des Landes sind nicht besser daran. Die Gegenden von Nimwegen und Arnheim, die schönsten und fruchtbarsten in ganz Holland, werden vom Rhein ins Gedränge gebracht. Dieser setzt ungeheure Sandbänke mitten im Land an, wodurch er mit der Zeit in seinem Lauf gehemmt und gezwungen wird, sich neue Wege mit Gewalt zu öfnen. An verschiedenen Gegenden von Betuve hat er den Sand schon so gehäuft, daß er beym Anschwellen mit förchterlicher Ungestümme an das entgegengesetzte Ufer getrieben wird. Dieses geschieht so lang, bis er durch wiederholte Ausbrüche sich endlich den Grund zu einem neuen Bette gegraben hat, und dann mit seinem Gewässer bedeckt, was itzt gepflügt wird, oder gar mit Städten und Dörfern bebaut ist – nunc Rhenus est ubi Troja fuit nunc Rhenus ... – jetzt fließt dort der Rhein, wo einst Troja stand – Die vielen Kanäle, worein ein Theil des Gewässers der Flüsse vertheilt wird, sind nicht, wie man glaubte, hinreichend, ihre Gewalt zu brechen. Ihr Sand, besonders jener der Maas, setzt sich auch an ihren Mündungen selbst an, und verstopft sie. Die Vertheilung ihres Gewässers dient also zu nichts, als daß sie nicht Stärke genug behalten, ihre alten Mündungen zu behaupten, und bey grossen Ueberschwemmungen mit der Zeit sich desto mehr über die Mitte des Landes ausbreiten können.

Diese Kanäle und das unbesonnene häufige Torfstechen nehmen diesem tiefen und lockern Land, welches ohnehin ein Spiel des Rheines, der Maas und der See ist, vollends seine Vestigkeit. In der graden Linie zwischen Rotterdam und Amsterdam ist Teich an Teich, und alle diese Pfützen sind durch das Torfgraben entstanden. Die meisten sind so tief, daß man ihr Gewässer nicht einmal in die Kanäle ableiten kann, welche mit der See gleiche Oberfläche haben. Welche Gefahr, wenn einmahl das Gewässer der benachbarten Flüsse in sie austreten, oder gar sich einen beständigen Weg durch sie öfnen wird!

Kein Holländer hat seinen Kindern einen vesten Wohnsitz zu versprechen, die Bewohner eines Theils von Gelderland, welcher aber bloß aus dem unbrauchbarsten Sand besteht, und jene von Oberyssel und Dreuthe ausgenommen, welche Länder aber fast durchaus Moräste und Heiden sind, die immerfort Katharre, Schnuppen und Fieber aushauchen – Wenden wir die Augen von dem physischen Zustand des Landes auf seinen itzigen politischen, der noch viel schlimmer ist.

Viele auswärtige Geschichtschreiber von Holland haben die Bemerkung gemacht, die Republik wäre noch zu jung, und ihre Verfassung noch nicht reif und vest genug. Ein ganzer Schwarm von inländischen Schriftstellern suchte dieses Urtheil zu widerlegen. Man führte die glänzenden Thaten dieser Republikaner als einen Beweis an, wie wenig die Verfassung dem Nachdruck gemeinschaftlicher Operationen hinderlich sey, und räsonnirte und deräsonnirte in die Kreutz und Quere. Allein man hat die Erfahrung auf einmahl alle Räsonnemens und Deräsonnemens zu Schanden gemacht. Das Glänzende, was die Väter dieses ausgearteten Volks gethan haben, war theils die Wirkung einer patriotischen Begeisterung, die, besonders in einer bloß handelnden Republik, nie von einiger Dauer ist, auch nach den Gesetzen der Natur von keiner Dauer seyn kann, theils des wohlthätigen, persönlichen Einflusses einiger Halbgötter aus dem Nassauischen Haus Nassauisches Haus – das Haus Nassau-Oranien, die Prinzen von Oranien waren seit 1747 Erbstatthalter der Vereinigten Provinzen. Nie war der Erfolg ihrer Operationen das Resultat einer soliden Verfassung, die den Körper in einer gleichen Stimmung erhält, und zum Agiren geschickt und rund macht. Auch mitten im Lauf der Kriege, wodurch sich die Republik unter die europäischen Mächte vom ersten Rang emporgeschwungen, empfand sie öfters, daß die Fugen ihres Körpers nicht in einander passen.

Die Begeisterung der Einwohner, der Drang der Umstände und die erstaunliche Thätigkeit einiger Prinzen von Oranien konnten Wunder thun, und die Republik über sich selbst erheben, als andre Mächte Europens noch nicht vollkommen ausgebildet waren, und ihre Stärke noch nicht ganz zu gebrauchen wußten. Allein diese machten seit der Zeit ungemein grosse Vorschritte, und die Republik blieb zurück. Zum Theil mußte sie auch zurückbleiben, weil es ihr wirklich an innern Kräften gebricht. In den Kriegen, wo die Seemacht der Republik so sehr glänzte, hatte keine europäische Seemacht über 30 unserer Linienschiffe. Linienschiff – der schwerste Typ von Kriegsschiffen, mit Kanonen bewaffnet. Sie fuhren stets in einer Linie, daher der Name. Die Engländer konnten ihr höchstens nur 20 entgegensetzen, und in den blutigsten Gefechten zwischen beyden Nationen waren gemeiniglich auf jeder Seite nur 12 bis 16 Linienschiffe. Der grosse Haufen der Armee bestand aus Fregatten Fregatte – relativ kleines, schnelles Kriegsschiff und andern Fahrzeugen.

Diese Zeiten sind längst vorüber. Großbrittanien wuchs so stark heran, daß es nun seine 104 Linienschiffe hat, die vielen 50 Kanonenschiffe ungerechnet. Wenn die Republik auch durch gehäufte ausserordentliche Auflagen die nöthigen Summen zur Herstellung einer ansehnlichen Seemacht aufbringen könnte, so wäre es ihr doch platterdings unmöglich, die Schiffe zu bemannen. Nach den Listen der Admiralitätskollegien sollen künftiges Jahr 60 Linienschiffe, die von 50 Kanonen mitgerechnet, fertig seyn; allein jetzt schon, da sie nicht über 16 solcher Schiffe in segelfertigem Stand haben, fehlt es in allen Ecken an Matrosen. Schon sind die Werbgelder verdoppelt worden, schon hat man Entwürfe gemacht, einen Theil der Landtruppen zum Matrosendienst zu gebrauchen, und schon hört man hier in allen öffentlichen Häusern die Seeleute den Dienst der Republik verfluchen.

Die Republik müßte ihre Kräfte aufs äusserste anstrengen, wenn sie sich heut zu Tage nur im zweyten Rang der Seemächte erhalten wollte. Die Einwohner müßten Patrioten genug seyn, um auch zur Friedenszeit dem Staat, der eben so arm ist, als sie reich sind, nach dem Verhältnis ihres Vermögens zu opfern. Die indische Kompagnie, Indische Kompagnie – Niederländische Westindien Kompanie, erhielt 1621 ein Monopol für den Handel mit Westafrika und Amerika, lebte später vom Sklavenhandel, 1791 aufgelöst deren Wirthschaft noch unendlich schlechter ist, als jene der englischen, und die, was fast unglaublich, durch die Räubereyen ihrer Bedienten und den Privatgeitz ihrer Interessenten in drükende Schulden gerathen, müßte unterdrükt, und ihr grosses Reich vom Staat selbst wohl verwaltet werden. Die Landtruppen, die ein plattes Null sind, und unter denen die Schweizer und Deutschen allein den Namen eines Soldaten verdienen, müßten abgeschafft, und ihr ungeheurer Sold bloß zur Seemacht verwendet werden. Alsdann wäre die Republik im Stand, immerfort gegen 50 bis 60 Linienschiffe zu unterhalten. Allein in der jetzigen Lage der Sachen würde man wohl thun, die 60 Linienschiffe, wenn sie, nach dem Versprechen der Admiralitätskollegien künftiges Jahr fertig sind, geradezu an den Meistbiethenden unter den Seemächten zu verkaufen. Der Staat hat jetzt weder Kräfte genug, sie im Fall der Noth hinlänglich zu bemannen und einige Kampagnen durch in Thätigkeit zu setzen, noch guten Willen und Anstrengung genug, sie nach dem Krieg in gutem Stand zu erhalten. Sie müssen wieder verfaulen. – Die Republik hat auswärts Eroberungen gemacht, deren Behauptung in unsern Zeiten wirklich ihre Kräfte übersteigt. Dem guten Willen und der Eifersucht ihrer Nachbarn hat sie es zu verdanken, daß sie noch im Besitz derselben ist.

So unbeträchtlich im Grund die innern Kräfte der Republik nach dem jetzigen politischen Verhältnis Europens sind, so wenig läßt es ihre Verfassung zu, von denselben, so gering sie auch seyn mögen, den gehörigen Gebrauch zu machen. Auswärts, und zum Theil auch im Land selbst, stellt man sich die Republik als einen Bund von nicht mehr, als 7, oder, die Landschaft Drenthe mitgerechnet, von 8 Souveräns vor. Dieser Begriff ist grundfalsch. Holland zählt mehr unabhängige Staaten, als die Schweiz, oder auch das ganze Deutsche Reich; und sogar der Bund dieser Länder ist, so sehr auch der Anschein widerspricht, im Grund viel vester, als jener der Staaten von Holland. Jede Stadt, jedes Landgericht dieser Republik ist ein freyer Staat. Die Glieder einer Provinz sollten nur Landesstände seyn, wie sie es auch ursprünglich waren, sind aber wirklich Staaten geworden, so wie sie sich auch betiteln. Die sogenannten Generalstaaten Generalstaaten – Generalstände, das Parlament der Vereinigten Niederlande. Damals bestehend aus Holland, Zeeland, Utrecht, Overijssel, Gelderland oder Gelre, Groningen und Friesland. sind keine Repräsentanten von 7 oder 8 Souveräns, sondern nur Resultate von Berathschlagungen vieler Staaten, die einen besondern Bund unter sich haben, und sich eine Provinz nennen. Die Städte Amsterdam, Rotterdam, Leiden u. a. m. haben während dieses Krieges Während dieses Krieges – der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, an dem die Niederländer gegen Großbritannien teilnahmen und am Ende Westindien abtreten mußten. mehrmalen sogar die Provinzialgerichte, die sie mit den übrigen Staaten der Provinz als eine Art von Kongreß errichtet haben, nicht anerkannt, sondern sind ganz eigenmächtig verfahren. Ich sage, als eine Art von Kongreß; denn daß sie keine obersten Tribunalien seyn sollen, sondern die Glieder des Kongresses sich in beliebigen Fällen die höchste Jurisdiktion vorbehalten haben, beweißt die Eigenmächtigkeit, womit sie Sachen von diesen Gerichten vor ihre Stadtgerichte abgefodert haben. Alle sogenannte Gerichte in Holland muß man als Kongresse verschiedener Souveräns betrachten, die sie nach Belieben trennen können. Man geht jetzt sogar damit um, den Kriegsrath aufzuheben, der ein so hohes Ansehn hatte. Die Bezirke von Ostergo, Westergo, Sevenwouden in Frießland u. s. w. die eigentlich nur Vogteyen seyn sollten, sind jetzt damit beschäftigt, sich von den Provinzialversammlungen gänzlich zu trennen, und ihre eigne inappellable inappellabel – durch Berufung nicht anfechtbar Tribunalien auf dem Land zu errichten. Sie haben auch schon ausschließlich in ihrem eignen Namen und ohne Berathung der andern Stände oder Staaten ihrer Provinz häufige Vorstellungen an den Staathalter Staathalter – Statthalter: der Prinz von Oranien, Wilhelm V. von Oranien-Nassau, † 1806 gemacht, worin sie sich ausdrüklich Souveräns nennen. – Die Versammlung der Generalstaaten selbst repräsentirt auch nichts weniger, als Einen selbstständigen Souverän. Die Glieder derselben, ob sie gleich beständig beysammen sind, sind doch nur augenblikliche Gesandten, die jeden Vorfall an die verschiedenen Provinzen berichten müssen, wo dann in allen Städten und in allen Landbezirken unabhängig vom Ganzen, sehr verschiedenlich berathschlaget, und ihnen endlich das Resultat all der Berathschlagungen mitgetheilt wird.

So groß nun auch die Anarchie in Rücksicht auf die Fugen des Ganzen ist, so ist sie in den einzeln Städten und Bezirken doch noch grösser. Das Kreuzen der verschiedenen Interesse, der Geitz, der Nationalhumor, die träge Dummheit des grossen Haufens der Mitbürger, alles biethet dem Demagogen Gelegenheit in Ueberfluß dar, sich geltend zu machen. Jede besondre Regierung ist ein Spiel der Faktionen, worin der Geschiktere über die Köpfe der Ungeschikteren zu dem Zweck schreitet, den ihn seine Privatabsichten vorgestekt haben. Während dieses Krieges hatte man häufige Beyspiele, daß sogar wirkliche Staatsverbrecher von irgend einer Faktion einer Stadt gegen alle Ahndung sicher gestellt worden. Hier in Amsterdam sind es 4 bis 5 Häuser, die platterdings machen können, was sie wollen. Man bethört das Publikum durch falsche Gerüchte, bestochene Journalisten und alle politische Marktschreyereyen. So wie diese Stadt mehr Vortheile von Frankreich, und jene mehr von England zieht, so bilden sich auch ohne alle Rüksicht auf das ganze Vaterland bald französische, bald englische Faktionen. Das Interesse der Städte, welche unmittelbaren Seehandel treiben, ist ohnehin von jenem der Städte des festen Landes, die bloß vom Landbau und Kunstfleiß subsistiren, subsistiren – subsistieren: seinen Lebensunterhalt haben sehr verschieden. Der Adel hängt wegen den Beförderungen dem statthalterischen Haus an, und die Bürger müssen eben deswegen gegen dasselbe eingenommen seyn, und so ist das Gezerre unendlich.

Das Gefühl der Verlegenheit, worin der Staat durch dieses Gezerre in Fällen, wo Eintracht und schnelle Thätigkeit erfodert wird, gesetzt werden muß, war die Ursache, warum man die Statthalterschaft nicht entbehren konnte, wie man schon öfters wünschte. Allein, der unselige Genius der Republik hat sie fast allezeit in den Fällen, wo sie ihren Zwek erreichen und die Wirkung thun sollte, die man sich von ihr versprach, unwirksam gemacht. Im Fall eines Krieges werden die Gemüther allzeit erhizt, und dann sieht man die Dinge in einem falschen Licht, welches theils durch eigne Leidenschaften, theils durch die gefärbten Gläser der Häupter der Faktionen auf sie geworfen wird. Es geschah fast allzeit, daß man mitten im Krieg die statthalterische oder diktatorische Gewalt einzuschränken suchte, wo sie doch ganz allein für den Staat wohlthätig hätte seyn können, und so hatte die Republik bloß die Ungemächlichkeiten der Statthalterschaft zu tragen, ohne die Vortheile derselben zu geniessen.

Es ist platterdings unausstehlich, alle die Vorwürfe zu hören und zu lesen, die man jetzt der Statthalterschaft macht, und die bloß auf Argwohn und falschen, von Demagogen geflissentlich ausgestreuten Gerüchten beruhn. Nicht nur die jetzigen persönlichen Eigenschaften des Statthalters, sondern auch physische und moralische Unmöglichkeiten müßten die Leute beruhigen, wenn sie kaltblütig genug wären, die Gegenstände in ihrem rechten Licht zu sehn. Bald dichtet man ihm eine geheimes Verständnis mit dem Hof von St. James, bald Anschläge auf eine Oberherrschaft über die Republik an. Zuverläßig wünscht der Prinz, mit England in gutem Vernehmen zu stehn; allein er ist weit davon entfernt, ein Verräther des Landes zu werden, von welchem er den größten Theil seines Unterhalts zieht. Sein Wunsch stimmte mit dem Interesse der Republik vollkommen überein, und hatte den Zwek, die Republik möchte sich in den Stand setzen, die Neutralität behaupten zu können. Allein man war taub gegen seine Vorstellungen, und nun muß er die Sünden büssen, die Sünden büssen – der Statthalter (Herzog von Braunschweig) wurde 1781 von reaktionären Kräften verdrängt und des Landes verwiesen die andre aus Geiz und verschiedenen Nebenabsichten begangen haben, und denen er zuvorkommen wollte. Schon lange vor dem Bruch machte er den Generalstaaten die dringendsten Vorstellungen, sie sollten, um das drohende Ungewitter abzuhalten, ihre See= und Landmacht auf einen bessern Fuß setzen. Sie waren umsonst. Nun rächte man sich an ihm und an dem Herzog von Braunschweig, Herzog von Braunschweig – Ludwig Ernst Herzog zu Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern, Vormund Wilhelms V., führte bis 1766 die Staatsgeschäfte, † 1788 welcher der undankbaren Republik sehr wichtige Dienste geleistet, daß sie beyde es mit dem Staat zu gut gemeint haben. Sie sind Märterer der Wahrheit – und wie sollte der Prinz nach der Oberherrschaft über die Republik streben können? Mit 28.000 der elendesten Soldaten von der Welt, die 9.000 Mann Schweitzer und Deutsche ausgenommen, die nicht einmahl zur Einnahme der einzigen Stadt Amsterdam hinreichend wären? Und was hätte er dann, wenn er ganz Holland hätte? Frankreich, England und zum Theil die ostindische Gesellschaft selbst würden dafür sorgen, daß er nichts von den auswärtigen Besitzungen in die Hände bekäme. Die Reichen würden aus dem Lande fliehn, das nach ihren Begriffen keine Freyheit, und also keinen Reitz mehr für sie hat, um sich unter einem andern Himmel, in England oder Amerika anzubauen. Der Kunstfleiß, welcher ganz allein dem Land einigen Werth giebt, würde gehemmt seyn, und dem Prinzen würde nicht so viel übrig bleiben, daß er seine errungene Oberherrschaft gegen das Meer, die Flüsse und Frösche vertheidigen könnte.

Die Eifersucht der Eingebohrnen auf die vielen deutschen Prinzen und Adelichen, welcher der Prinz und seine rechte Hand, der Herzog von Braunschweig, in die Dienste der Republik gezogen, trug viel dazu bey, sein Ansehn zu schwächen. Allein es war unumgänglich nothwendig, diese Fremden zu gebrauchen, um wenigstens den Landdienst einigermaassen zu bilden. Die Faktionen unter den Eingebohrnen standen aller Subordination und Regelmäßigkeit aller militärischen Verfassung im Weg. Jedes Söhnchen eines Demagogen von Amsterdam, Rotterdam u. s. w. wollte sich als ein Partikelchen der Souveränität geltend machen, und man fände unerschöpflichen Stof zu Satyren, wenn man alle Züge von Unregelmäßigkeit sammeln wollte, die dadurch im Dienst der Republik veranlaßt wurden – Auch auf die Schweitzer, die allem Adel so gram sind, hat dieß Betragen des Prinzen und des Herzogs keinen guten Eindruck gemacht.

Das Uebel, welches die Statthalterschaft allgemach untergräbt, liegt aber noch viel tiefer an der Wurzel. Es ist das nämliche, welches den König Karl in England auf das Blutgerüste und den Kromwell unter dem Titel eines Protektors auf den Thron brachte, auf das Blutgerüste ... auf den Thron brachte – s. Sieben und vierzigster Brief. die Parthey der Whigs Parthey der Whigs – die einflußreiche Fraktion der aristokratischen Grundbesitzer und des Großbürgertums im englischen Parlament erzeugte, und so lange der Gegenstand von Swifts Geissel Swifts Geissel – der Satiriker Swift wandte sich 1710 von den Whigs ab war. Man glaubt, das Beyspiel der Amerikaner habe den demokratischen Geist, womit auf einmal die Holländer besessen wurden, in Aufruhr gebracht; allein er lag schon lange in ihnen. Er schlief nur in der Wiege des Geitzes, bis ihn der itzige Krieg aufweckte. Nicht die Reformirten, deren Grundsätze ohnehin der Demokratie so günstig sind, sondern die Mennoniten, die Gleichheit unter allen Menschen predigen, aber alle, die sie in die Hände bekommen, ohne alle Barmherzigkeit schinden, sind die Triebfedern der Revolution, womit die Statthalterschaft wirklich bedroht wird. Diese Schwärmer sind ohne Vergleich die reichsten Leute in der Republik. Von einigen der wichtigsten Städte, z. B. von Harlem machen sie auch die gröste Zahl der Einwohner aus. In Betracht des Geldes, welches diese Eiferer für die Gleichheit unter den Menschen zu 6, 8 bis 10 Prozent ausleihn, ist ein grosser Theil des inländischen Adels, der sich wie in allen andern europäischen Ländern seit einiger Zeit in schreckliche Schulden gestürzt hat, von ihnen abhängig geworden. Wenn sie gleich nach ihren Religionsgrundsätzen äusserlich keinen Theil an der Regierung haben wollen, so ist doch ihr heimlicher Einfluß unbeschreiblich stark. Sie sind in allen Handlungsgesellschaften, in allen Unternehmungen wegen ihrem Geld am meisten intereßirt, und, nebstdem, daß die Schwärmerey an sich schon so ansteckend ist, so sind ihre Vorschüsse an klingender Münze die überzeugendsten Gründe gegen die Statthalterschaft, die sich mit ihrem Katechismus Katechismus – im Frage-und Antwort-Stil gefaßtes Lehrbuch [einer Kirche so wenig verträgt. Diese Heuchler, die es für eine Sünde halten, Schnallen und Knöpfe von Zinn zu tragen, aber sich durch alle niederträchtigste Schliche auf Kosten jedes ehrlichen Mannes die Börse mit Dukaten füllen, und eben so sehr auf den Wegen der Finsterniß nach der Herrschaft über die Gemüther ihrer Mitbürger streben, als sie öffentlich alle obrigkeitliche Gewalt verabscheuen, haben es wirklich schon so weit gebracht, daß die Statthalterschaft, das wesentlichste und einzige Band der Republik, nah an ihrem Untergang ist Fußnote im Original: Der Herausgeber möchte zuvörderst hinweißen, daß es auf die Parthey der Mennoniten, nicht auf den päbstliche Hof zielt. Aller Unsinn, den nur die unbändigste Schwärmerey ausbrüten kann, hat sich durch die Inspiration dieser Heuchler der Köpfe des Janhagels von Holland bemeistert – Man wußte, daß der Statthalter zu harmlos, zu nachgiebig, zu gutherzig und zum Theil auch zu unerfahren wäre, als daß er allein seiner Gegenparthey die Spitze biethen könnte. Man hatte also nichts angelegeneres, als den schlauen, entschlossenen und hartnäckigen Herzog von Braunschweig von ihm zu entfernen, welches auch gelang. Sein Sturz war das Präludium zum Sturz des Statthalters. Nichts kann ihn retten, als ein baldiger Friede, der diese Republikaner in ihre vorige Unthätigkeit setzt, und den sogenannten Patriotismus durch den Wucher wieder erstickt, der alsdann wieder in seinen alten Glanz kömmt, woraus ihn der Krieg auf einige Zeit sprengte.

Genug, dieser Krieg hat die Republik vor den Augen Europens in ihrer Blösse dargestellt. Man sah offenbar, daß sie keine veste Verfassung hat, und nach dem itzigen Verhältniß der andern Mächte nicht stark genug ist, um als Freundin geehrt, aber als Feindin geförchtet zu werden. Seit den vierziger Jahren war sie gänzlich vergessen. Die Gewinnsucht der Einzeln hatte alles Gefühl ihres ehemaligen Gewichtes und des gemeinen Wohls erstickt. Ihre Nachbarn gewannen unterdessen einen gewaltigen Vorsprung. Die Engländer peitschten sie aus ihrem Schlaf auf. Sie rieben sich die Augen, und sahen nun wie weit sie zurück waren. Sie wollten ihre Nachläßigkeit verbessern; ihre Bemühungen waren aber nur Grimassen, die sie in den Augen der Welt lächerlich machten.


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