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Drey und sechzigster Brief.

Maynz. –

Das Land zwischen hier und Frankfurt, besonders in der Nachbarschaft von Maynz, ist eines der reichsten, die ich in Deutschland sah; und die Strasse ist die beste und schönste, auf welcher ich noch in Deutschland ritterlich ausgezogen. Bis auf eine Stunde von Frankfurt ist sie schnurgerade, hochgewölbt, wohlgepflastert, und zu beyden Seiten dicht mit hohen Steinen besetzt, welche die Fußgänger gegen die Wagen und Pferde sicher setzen. Nur ist der Raum in der Mitte für 2 Wagen etwas zu enge. Frankfurt hat durch sein ganzes Gebiete die Strassen auf diese prächtige Art machen lassen, und jede Stunde Wegs soll die Stadt über 60.000 Gulden gekostet haben. Die Chaussee ist die 7 Stunden durch das Maynzische zwar nicht so kostbar gebaut, als durch das Gebiete der Stadt Frankfurt; allein sie ist breiter, durchaus zu beyden Seiten mit Bäumen besetzt, und sehr gut unterhalten. Hier und da bildet sie die schönsten Alleen von alten Wallnus- oder Obstbäumen, und die Dörfer am Ende derselben fallen im Perspektiv vortreflich ins Auge. Schwerlich wird in Deutschland eine Strasse stärker befahren als diese; wenigstens wird die Station des Postmeisters von Hatersheim, welches in der Mitte zwischen beyden Städten liegt, für die beste von den Reichspoststationen auf dem Lande gehalten. Das Pferd zahlt auf einer Station im Maynzischen 2 Pfennige Chausseegeld, und jede der 3 Chausseestationen trägt beinahe 6.000 Gulden ein. Nebstdem gehn täglich noch 2 grosse sogenannte Marktschiffe zwischen beyden Städten auf und ab, die immerfort mit Leuten und Waaren angefüllt sind. – Ich sah auf dieser Strasse Güterwagen, die in der Ferne wie grosse Häuser aussahen; 16 bis 18 der stärksten Pferde vorgespannt hatten, und, wie mich die Fuhrleute versicherten, gegen 140 bis 150 Zentner geladen hatten. Sie gehn meistens von Frankfurt nach Straßburg.

Wir kamen durch das artige Städtchen Höchst, welches 2 Stunden von Frankfurt auf einer Anhöhe eine vortrefliche und sehr gesunde Lage hat. Ich würde von diesem Ort keine Meldung gethan haben, wenn ich nicht eine Bemerkung des Herrn Moore über denselben berichtigen müßte, und ich dir nicht ein seltenes Beyspiel falscher politischer Grundsätze von 2 verschiedenen Regierungen bey diesem Anlaß zu geben hätte.

Nahe bey diesem Städtchen erblickt man einen prächtigen Pallast, dessen Bauart aber nicht sehr schön ist. Der Erbauer war ein gewisser Italiäner Namens Bolongaro, Bolongaro – Joseph Maria Markus Bolongaro, Tabakindustrieller, † 1779 der sich ohne Kreutzer und Pfennig, bloß durch seine Industrie, ein Vermögen von wenigstens 1 1/2 Million Gulden zu erwerben wußte. Er hat bloß durch den Schnupftobak, der seinen Namen trägt, und noch durch ganz Deutschland sehr bekannt und beliebt ist, sein Glück gemacht. Er war Beysässe zu Frankfurt. Ich weiß nicht, wollte er wegziehn oder wollte der Rath von Frankfurt ihn als einen Ausbürger Ausbürger – Ausländer von neuem taxieren; kurz, es kam darauf an, der Regierung den Zustand seines Vermögens vorzulegen. Er bot dem Rath eine ungeheure Summe Geldes an, um seine Foderungen überhaupt, und ohne genaue Untersuchung seines Vermögens zu befriedigen. Dieser beharrte aber mit einer sehr kleinstädtischen und unverzeihlichen Hartnäckigkeit auf einem Inventarium. Der Fürst von Maynz und die Stadt Frankfurt haben ihren Unterthanen durch einen Vertrag einen ganz freyen Abzug gestattet, wenn sie sich in einem der gegenseitigen Gebiete niederlassen. Herr Bolongaro, ein trotziger und rachsüchtiger Mann, ergriff diese Gelegenheit, um sich an dem Magistrat zu rächen. Er baute sich zu Höchst an, ward ein maynzischer Unterthan, braucht nun dem Rath von Frankfurt kein Inventarium seines Vermögens vorzulegen, und kann dasselbe aus dieser Stadt ziehn, ohne einen Kreutzer zurückzulassen. Herr Moore sagt, der ungeheure Pallast, den er zu Höchst gebaut habe, stünde ganz leer; allein, wie viel darinn gearbeitet werde, läßt sich zur Gnüge daraus schliessen, daß Herr Bolongaro jetzt der Stadt Frankfurt wenigstens 8.000 Gulden jährlich an Zöllen weniger bezahlt, als ehedem, wo seine ganze Handlung noch daselbst war. Nebstdem hat er einen guten Theil der Speditionen der Güter, welche von Bremen, Hamburg, aus dem Heßischen und Hannövrischen nach Schwaben, dem Elsaß, der Schweitz u. s. w. gehn, von Frankfurt nach Höchst gezogen, welches ihm die Regierung von Maynz durch Erbauung eines sogenannten Kranen am Mayn, vor seinem Pallast, ungemein erleichterte. Herr Bolongaro trieb seine Rache noch weiter. Er nahm einen seiner Landsleute Namens Beggiora, einen feinen, fleißigen und sehr geschickten Mann aus dem Komptoir eines der besten Handelshäuser von Frankfurt, und trat mit ihm in Gesellschaft zur Errichtung einer besondern Spezereyhandlung zu Höchst, welcher Handlungszweig der wichtigste von Frankfurt ist. Bloß die Firma des Herrn Bolongaro war für diese neue Handlung, welche bey demselben offene Kasse hat, und ihm die Summen, welche sie daraus nimmt, zu gewissen Prozenten verintereßirt, verintereßirt – verzinst ein unschätzbarer Vortheil. Nebstdem hat sie aber auch die Zollfreyheit zu geniessen, welche Herr Bolongaro in dem Vertrag mit der Regierung von Maynz auf 20 Jahre für sich bedungen hat. Durch diese ansehnlichen Vortheile unterstützt, ward diese neue Spezereyhandlung mit einer solchen Lebhaftigkeit eröffnet, daß sie nun schon gegen 160.000 Gulden aus der Kasse des Herrn Bolongaro umsetzt. Alles das beweist sattsam, daß der Rath von Frankfurt, durch seine Härte gegen einen seiner reichsten Unterthanen sich sehr gegen das Wohl seiner Vaterstadt versündigt hat, und daß Herr Moore, welcher ohne Zweifel das Gebäude des Herrn Bolongaro in Gesellschaft einiger Herren von Frankfurt und durch die Brille derselben besichtigt, dasselbe eben nicht so ganz leer würde gefunden haben, wenn er von seinen eignen Augen einen bessern Gebrauch gemacht hätte.

Die Regierung von Maynz begieng aber noch einen viel grössern Fehler bey der Aufnahme des Herrn Bolongaro, als die Stadt Frankfurt durch Vertreibung desselben. Millionärs sind, besonders für einen kleinen Staat, eben nicht allezeit Gewinn, und ein paar Dutzend Weberstühle, die einige Bürger redlich nähren, sind allzeit mehr werth, als eben so viele Palläste von der Art des bolongarischen. Der Hof von Maynz bezahlte die Ehre, einen Millionär zum Unterthanen zu haben, sehr theuer. Er bewilligte ihm Bedingungen, die überwiegend zu seinem Vortheil sind, ohne daß das Land etwas dabey gewinnt. Herr Bolongaro verpflichtete sich, 20 Jahre lang jährlich eine gewisse Summe, ich glaube, 20.000 fl. zu Höchst zu verbauen. Dagegen gestattete ihm die Regierung von Maynz eine 20 jährige Zollfreyheit, ganz freyen Handel und Wandel, die unerschöpflichen Steine aus den Trümmern eines alten Schlosses, und 4 freye Pferde zu seinem Gebrauch. Der ersparte Zoll und der freye Abzug von Frankfurt allein wogen die Anerbietungen des Herrn Bolongaro, jährlich 20.000 fl. zu verbauen auf. Allein dieser wußte den Vertrag vollends bloß zu seinem Vortheil geltend zu machen. Nach seiner pralerischen Art machte er die Regierung von Maynz glauben, er würde in den bedungenen 20 Jahren eine ganz neue und ansehnliche Stadt bauen, welche er selbst zu Ehren des verstorbenen Kurfürsten Emmerichsstadt nennte. Er baute zwar einige Häuser an seinen Pallast an, die Herr Moore ohne Zweifel für Flügel desselben ansah, die aber nun als Bürgerhäuser von dem Eigenthümer vermiethet werden. Allein es ist doch zuverläßig, daß Herr Bolongaro jährlich kaum die Hälfte von der bedungenen Summe Geldes verbaute, und sein Komptoir machte viele Jahre lang die ganze Emmerichsstadt aus, woraus er seine Briefe in die ganze Welt datirte.

Es wäre immer noch zu verzeihen, daß sichs die Regierung von Maynz so viel kosten liesse, einen Millionär zu akquiriren, akquiriren – akquirieren: erwerben, anschaffen wenn er wenigstens doch einige Hände im Land nützlich beschäftigt und einen beträchtlichen Theil seines Vermögens zu einem vesten und dauerhaften Gewerbe in demselben angelegt hätte. Allein, die wenigen Maurer und Zimmerleute abgerechnet, zieht sonst kein maynzischer Unterthan nur einen Kreutzer von Herrn Bolongaro. Fast all sein Tobak wird ausser Landes gemahlen, und der größte Theil desselben auch aus Frankfurt verschickt, wie denn sein Hauptkomptoir und Magazin immer noch in dieser Stadt ist. Er zog nur den Theil seines Gewerbes nach Höchst, den er zu Frankfurt nicht so vortheilhaft betreiben konnte, und machte die Rechte eines maynzischen Unterthans nur in so weit geltend, als er dieser Reichsstadt schaden konnte, ohne seinem neuen Souverän nur das geringste zu nutzen. Es stand auch ihm und seinen Erben frey, sich mit Frankfurt auszusöhnen, und augenblicklich Höchst zu verlassen. Alsdann hätte er sich auf die wohlfeilste Art einen Sommerpallast, wozu sein Gebäude eine unvergleichliche Lage hat, und auch eigentlich bestimmt zu seyn scheint, nebst einigen Bürgerhäusern gebaut, deren Miethe ihm das kleine Kapital, welches sie gekostet, reichlich verintereßirt, oder die er mit ansehnlichem Gewinn verkaufen könnte.

Allein das alles war noch eine läßliche politische Sünde der Regierung von Maynz. Eine unverzeihliche Todsünde im politischen und moralischen Betracht war es aber, daß man Herrn Bolongaro eine ganz unbedingte Handlungsfreyheit gestattete. Dieser Mann, der nun im Grabe Staub und Asche geworden ist, war ein Original von pöbelhaftem Geitz. Man hat Züge von Filzigkeit von ihm, die fast allen Glauben übersteigen, und mit einer gewissen groben und beleidigenden Pralerey, die ihm eigen war, einen seltsamen Kontrast machten. Ein schadenfroher Stolz trieb ihn an, auch die kleinsten seiner Mitbürger das Uebergewicht seines Geldes fühlen zu lassen, und alles zu thun, was ihn auf Kosten derselben nur um einige Pfennige bereichern konnte. In dem Städtchen Höchst waren 8 bis 9 Krämer, die sich redlich nährten, und auch einige Handlungsgeschäfte im Grossen machten. Es war Herrn Bolongaro nicht genug, unter dem Schutz des Hofes von Maynz einen Theil seines grossen Handels mit so überwiegenden Vortheilen betreiben zu können; sondern er war auch stolz darauf, durch diese Vortheile einen Theil der Krämer von Höchst, wo nicht ganz zu Grunde zu richten, doch sehr zurücksetzen zu können. Er eröfnete eine Spezereybude, wo er im kleinsten Detail verkaufte. Die Regierung von Maynz, die sich sonst von den geistlichen Regierungen Deutschlands sehr zu ihrem Vortheil auszeichnet, bedachte nicht, daß 8 mittelmäßig wohlhabende Bürger einem Staat viel werther seyn müssen, als ein sehr reicher, wenn auch das Kapital des letztern jenes der erstern tausendmal aufwiegen sollte, und sahe beym Detailhandel des Herrn Bolongaro durch die Finger, der über lang oder kurz ihr doch einige schätzbare Unterthanen auffressen wird. In jedem wohleingerichteten Staat unterscheidet man sorgfältig die Kaufleute von den Krämern. Die Dinge, welche im Lande verzehrt werden, ernähren auf diese Art einige Bürger mehr, und durch die Vertheurung, welche diese Einrichtung veranlaßt, wird die Verzehrung zum Vortheil des Staats vermindert. Auch kann der grosse Kaufmann, wenn er zugleich den Krämer macht, die Regierung viel leichter um die Akzise betrügen, als der grosse [bloße ?] Detailleur. Detaileur – Einzelhändler Noch mehr. Die Krämer, welche sich zu Höchst angebaut und ihr Bürgerrecht erkauft hatten, bildeten eine Art von geschlossener Zunft. Sie dachten nicht daran, daß die Landesregierung so unklug genug seyn würde, ihre Anzahl so zu vermehren, daß sie einander aufreiben müßten; aber noch viel weniger konnten sie daran denken, dieselbe würde ungerecht genug seyn und den gesellschaftlichen Vertrag so sehr brechen, daß sie einem neuangekommenen Fremdling Vortheile gestattete, die sie, wenigstens zum Theil, zu Grunde richten müssen. Die Niederträchtigkeit des Herrn Bolongaro gieng noch weiter. Er wollte sogar die wichtigsten Artikel der Krämer von Höchst zu einem Monopolium seiner Bude machen, und both in dieser Absicht der Regierung eine gewisse Summe Geldes, wozu sich aber der jetzige, sehr einsichtsvolle Kurfürst nicht verstehen wollte. Um das Maaß aller Niederträchtigkeit voll zu machen, brachte Herr Bolongaro bey der Regierung eine Klage gegen die sehr zahlreichen Fischer von Höchst an, einige derselben hätten, ich weiß nicht, eine Statue oder einen Baum seines Gartens beschädigt, und drang darauf, man sollte denselben die Fischerey auf dem Nidfluß, welcher an der Mauer seines Gartens sich in den Mayn ergießt, verbieten. Diese Fischerey machte einen wichtigen Theil der Nahrung dieser armen Leute aus. Die Regierung, welche sich schon in so vielen Fällen äusserst schwach in Rücksicht auf Herrn Bolongaro gezeigt hatte, nahm wegen einer zufälligen Beschädigung seines luxuriösen Gartens auch noch den Fischern von Höchst ein Theil ihres Brodes, und so richtet sie eine hübsche Anzahl ihrer Unterthanen zu Grunde, bloß des Titels halber, Herrn Bolongaro zum Unterthan zu haben, dessen Karakter ich dir nicht besser ausmahlen kann, als wenn ich dir sage, daß einer seiner Landsleute und besten Freunde, der durch Unglück in schlimme Umstände gerathen, und sich eine ansehnliche Unterstützung von ihm versprach, ein 4 Soustück, und zwar das schlechteste, welches der reiche Mann in seinen Säken aussuchen konnte, von ihm erhielt, nachdem er einen erstaunlichen Weg in dieser betrügerischen Hoffnung zu seinem vermeinten Freund gemacht hatte.

Ich wäre nicht so weitläufig über diesen Gegenstand gewesen, wenn ich dir nicht zugleich damit ein umständliches Beyspiel hätte geben wollen, wie die Stände des deutschen Reiches, oft auf ihre eigne Kosten, einander zu schikanieren suchen; denn zuverläßig hatte der gute Willen, der Stadt Frankfurt Abbruch zu thun, viel Einfluß auf das Betragen der Maynzischen Regierung gegen Herrn Bolongaro.

Ich besuchte zu Höchst die Porzellänfabrik. Ihre ökonomischen Umstände sind jezt nicht die beßten. Sie war in eine grosse Zahl Aktien vertheilt, und die Herren Aktionärs waren die Leute nicht, auf das gemeinschaftliche Beßte zu sehn. Man macht jezt Plane, um ihr wieder aufzuhelfen. Unter andern lernte ich in derselben Herrn Melchior Melchior – Johann Peter Melchior, Bildhauer und Porzellandesigner, seit 1768 in Höchst tätig, † 1825 kennen, den man immer unter die jeztlebenden grossen Bildhauer setzen kann, und der mit einer unbeschreiblichen Wärme seine Kunst studiert. Grosse Arbeiten hat man wenige von ihm; aber alles, was man in dieser Art von ihm hat, ist vortreflich. In kleinen Modellen ist er unnachahmlich, wie er denn vorzüglich durch seine Figuren diese Porzellänfabrik in ihren Ruf gebracht hat.

Die Dörfer und Flecken, welche man auf dem Weg von Frankfurt hieher erblikt, würden in Bayern oder Nord=Deutschland Städte heißen. Alle sprechen von einem hohen Wohlstand der Einwohner, und die Bettler, welche einen von Zeit zu Zeit anfallen, sind eine Folge von der Sinnesart der deutschen Katholiken und den Grundsätzen ihrer Regenten, welche ich dir zu Würzburg beschrieben. Der Bauer findet sich, überhaupt genommen, in diesem Strich Landes äusserst wohl. Er ist fast durchaus ein freyer Eigenthümer, der von keinen zu harten Auflagen gedrückt wird. Mit ein wenig mehr Bestrebung, die Hände, welche zum Bau des Landes überflüßig sind, nützlich zu beschäftigen, und durch die Erziehung der untersten Klasse der Landsleute etwas mehr Eckel gegen die Betteley beyzubringen, würde die Regierung allerdings vollkommen seyn. In den benachbarten Darmstädtischen Landen, die ich von Frankfurt aus besuchte, ist der Bauer im Ganzen nicht so reich, als der Maynzische, weil ihm die Natur nicht so günstig war, und er vielleicht auch etwas mehr Auflagen hat; allein er ist reinlicher und reger. Auch sieht man im Darmstädtischen fast gar keine Bettler.

Bis auf zwei Stunden von Maynz beruht die Nahrung der Einwohner des Landes hauptsächlich auf dem Ackerbau, der ausserordentlich ergiebig ist, und das Korn dieser Gegend wird weit und breit am Rheinstrom für das schwerste und beßte gehalten. Nebst dem zieht man eine unbeschreibliche Menge Obst und Zugemüß. Feiner Blumenkohl und vortrefliche Spargeln sind hier zu Lande das Essen des gemeinsten Bürgers, und ein Liebhaber von Zugemüsen und Küchenkräutern befindet sich in Deutschland, wo man überhaupt sehr viel auf diese Speisen hält, nirgends besser als hier. Der Kappes Kappes – Weißkohl wird aus dieser Gegend sowohl roh als eingemacht in grossen Schiffsladungen an den Niederrhein, ja sogar bis nach Holland verführt. Das kleine Städtchen Kronberg, welches ohngefähr zwey Stunden von der Landstraße entlegen ist, und welches man längst einem grossen Strich Weges hin auf seiner Anhöhe thronen sieht, verkauft jährlich für ohngefähr 8.000 Gulden Obst, Obstwein, Obsteßig und Kastanien, von denen es wirklich einen ganzen Wald hat, und die schiffsvollweise nach Holland geführt werden. Alle Dörfer dieser Gegend liegen in einem Wald von Obstbäumen, und beherrschen ausser demselben ungeheure Getreidefelder. Das Land sieht deswegen im Ganzen etwas öde aus, ob es schon so gut angebaut ist als irgend eine andre Gegend von Deutschland. In dem Strich von Frankfurt bis Maynz und vom Mayn bis an das nahe Gebirge gegen Norden, welcher ohngefähr vier Meilen in die Länge und zwey in die Breite hat, zählt man 8 Städtchen, 5 grosse Marktflecken und gegen 80 Dörfer, worunter wenige unter 60 Familien stark sind.

Zu Wikert, 2 Stunden von Maynz, verändert sich die Natur des Landes. Von der oben erwähnten Bergreihe der Wetterau Bergreihe der Wetterau – gemeint ist der Taunus, die Wetterau ist die fruchtbare Landschaft zwischen Taunus und Vogelsberg läuft hier ein Arm bis an das Ufer des Mayns herab und bildet unfern desselben 2 breite Hügel, auf deren einem Wikert, auf dem andern aber Hochheim liegt. Der südliche und westliche Abhang des erstern trägt einen vortreflichen Wein. Der östliche Abhang des zweyten ist unvergleichliches Getreidefeld, und seine Abhänge gegen Süden und Westen tragen ohne Vergleich den edelsten Wein von Deutschland. Der Flecken Hochheim, von welchem die Engländer allen Rheinwein Hock benennen, soll über 300 Familien stark seyn. Einen schönern und reichern Bauernort hab ich nicht gesehen. Er gehört dem Dohmkapitel von Maynz, und der Dechant Dechant – Erzpriester, der anderen Priestern vorsteht; auch Stellvertreter des Bischofs dieses Kapitels geniest die Revenüen desselben. In einem guten Jahr gewinnt derselbe hier für 12 bis 15tausend Gulden Wein. Er und die Augustiner Augustiner – Mönchsorden, geht auf Augustinus von Hippo zurück von Maynz und Frankfurt sind ausschließlich im Besitz der sogenannten Blume des Hochheimer Weines, von welcher in guten Jahren das Stük zu 600 Maaß für 900 bis 1.000 Gulden von der Kelter weg verkauft wird. Dieser Wein gehört also unter die theuersten der Welt. Wir waren begierig, diesen seltenen Wein zu kosten, und mußten im Ort selbst die gewöhnliche grüne Bouteille mit 1 Reichsthaler bezahlen. Dieser war aber vom besten Jahrgang in diesem Säkulum, Säkulum – Jahrhundert nämlich von 1766, den wir nicht bekommen hätten, wenn nicht ein Advokat von Maynz bey uns gewesen wäre, dem der Wirth, seines Vortheils halber, etwas zu Gefallen thun wollte. Dieß war der erste deutsche Wein, den ich ganz ohne Säure gefunden. Er war auf der Zunge blosses Gewürz. Der übrige Hochheimer Wein, so gut er auch seyn mag, ist doch nicht von Eßig frey, ob man schon die Bouteille vom geringsten desselben, wenn er seine Jahre hat, mit ½ Gulden im Ort selbst bezahlt.

Die starke Stunde Wegs von Hochheim bis nach Maynz war eine der angenehmsten auf meinen deutschen Reisen. Erst geht es den goldnen Hügel auf eine Viertelstunde durch ununterbrochene Weingärten herab, die an der Strasse stark von Obstbäumen beschattet werden. Auf diesem Abhang beherrscht man eine unvergleichliche Aussicht über ein kleines, aber ungemein reiches Land, welches die nördliche Erdzunge bey dem Zusammenfluß des Rheins und Mayns bildet. Die Blume des Hochheimer Weines wachst nicht auf dieser Seite des Hügels, die gegen die Morgensonne zu sehr gedekt ist, sondern grade gegen Süden. Hierauf kömmt man in eine Tiefe, welche von einem kleinen Bach bewässert wird, und wo Wiesen, Felder und Obstgärten die schönsten ländlichen Scenen darstellen. Zur Linken schimmert nahe bey durch einen Wald von Obstbäumen das wirklich prächtige Dorf Kostheim. Die schöne Strasse windet sich sodann durch die Obst= und Weingärten des grossen Flekens Kassel, Kassel – heute Mainz-Kastel welcher am Ende der mannichfaltigsten und natürlichsten Allee am Ufer des Rheines, grade gegen Maynz über, zum Vorschein kömmt.

So wie man auf die Schiffbrüke kömmt, welche über den Rhein führt, wird man von dem prächtigsten Anblik überrascht, den man sich denken kann. Der stolze Strom, welcher so eben das Gewässer des Mayns verschlungen, und hier gegen 1.400 Fuß breit ist, kömmt aus einer Ebene herab, die am Horizont den Himmel berührt. Abwärts stellen sich hohe Berge seinem Lauf entgegen, und zwingen ihn indem er einige Inseln bildet, sich gegen Westen zu wenden, nachdem er von Basel her immerfort gegen Norden geflossen ist. Diese Berge, zu deren Füssen und auf deren Abhängen man einige Oerter schimmern sieht, bilden amphitheatralisch das sogenannte Rheingau, welches der Thron des deutschen Bacchus Bacchus – der Weingott (Dionysos) ist. Der Rhein hat hier immer noch die schöne grünliche Farbe, die man in Helvetten an ihm bewundert, und noch auf eine weite Strecke hinab unterscheidet er sein Gewässer sorgfältig von dem trüben Mayn. Grade vor den Augen hat man die Stadt Maynz, die sich hier mit einer unbeschreiblichen Majestät darstellt. Die unzähligen Schiffe, welche die Rheden derselben bedecken, spiegeln sich, so wie die vielen und prächtigen Kirchenthürme im Kristallwasser des Rheines. Die Länge der Stadt am Rhein herab, beträgt, die weitläufigen Vestungswerke mit eingeschlossen, wenigstens eine gute halbe Stunde. Durch die grosse und etwas finstere Masse der alten Gebäude sieht man hie und da einige neuere hervorblicken, die sich im Abstich um so besser ausnehmen. Sowohl längst dem Rhein herab als auch zu beyden Enden ist der Häuserhaufen hie und da mit reichem Grün geschmückt. – Kaum läßt sich die Lage von Dresden mit der von Mainz vergleichen, so prächtig auch jene ist.

Die Reitze des Anblicks verschwinden, wenn man in die Stadt selbst kömmt. Die Strassen sind finster, enge und auch nicht sehr reinlich. Doch, ehe ich dir weitere Nachricht von dieser Stadt gebe, muß ich dir von einigen Ausfällen Bericht abstatten, die ich von Frankfurt in die benachbarten Länder gethan habe.

Ich machte einen Ritt nach Darmstadt, einem kleinen, aber allerliebsten Ort. Man beschrieb mir zu Frankfurt die Einwohner als steif; allein ich fand den Zirkel, worein ich gerieth und der aus einigen Räthen und Officiers bestand, ungemein artig, belebt und unterhaltend. Ich wünschte mir zur Würze meines Lebens keine andre Gesellschaft, als die mir Darmstadt darbot, wie dieser Ort auch überhaupt einer von denen wäre, worin ich meine Zelte für immer aufschlagen würde, wenn das Schicksal mich den Ort meines Aufenthalts frey wählen liesse. Man ist in der Mitte zwischen vielen grossen Städten, die alle nicht weit entfernt sind, hat eine Gesellschaft, so gut, als sie nur die größte Stadt geben kann, kann das Ländliche mit dem Städtischen ungemein schön verbinden, geniest eine sehr gesunde Luft, und die ausgesuchtesten Lebensmittel um den wohlfeilsten Preis. Die Popularität des Hofes, der niedliche, für jedermann geöfnete englische Garten, die schönen Wachtparaden, die hübschen und muntern Mädchen, die Jagdparthien, die man ohne besondre Kosten mitmachen kann, kurz, alles bietet Unterhaltung und Vergnügen im Ueberfluß dar.

Der regierende Fürst, der regierende Fürst – Landgraf von Hessen-Darmstadt, Ludwig IX., † 1790. Gründete Pirmasens und hielt sich meist dort auf. dessen Talente vorzüglich die militärischen seyn sollen, hält sich sehr wenig in Darmstadt auf. Der Erbprinz, der immer daselbst residirt, ist der artigste und beste Mann von der Welt. Er weiß nichts von dem Dunst affektirter Hoheit, der viele andre Fürsten Deutschlands umgiebt, und die Fremden von ihnen verscheucht. – Man schätzt die Einkünfte des Landes auf 1.150.000 rheinische Gulden, wovon aber ein guter Theil zur Verintereßirung und Tilgung alter Schulden verwendet werden muß, welches das Schiksal fast aller deutschen Höfe ist.

Dieser Theil der Darmstädtischen Lande, welcher zwischen dem Rhein, dem Mayn, der Bergstrasse und dem Odenwald liegt, ist zwar im Umfang der beträchtlichste, aber doch nicht der beste von denselben. Er besteht größtentheils aus Sandfeld und dicker Waldung, wovon der ansehnlichste Theil Schwarzholz ist. Einige Bezirke an der Bergstrasse und dem Odenwald sind ungemein ergiebig; allein im ganzen sind die in der Wetterau gelegenen Besitzungen dieses Hauses ungleich reicher, als dieser Theil der sogenannten Grafschaft Katzenelnbogen. Dessen ungeachtet herrscht hier durchaus unter den Bauern ein hoher Grad von Wohlstand. Ihr Fleiß und die kluge und thätige Regierung ersetzen das, was die Natur ihren Nachbarn vorausgegeben hat. Die Dörfer dieses Landes sehen ungemein reinlich und munter aus. Das Korn, welches dieser Sandboden trägt, vergütet durch die Schwere, was ihm an der Menge gebricht, und das viele Holz und die ungeheure Menge von Zugemüsen, welche man erzieht, tragen nebst dem Getraidebau dem Land eine grosse Summe ein. Der Flecken Gerav verkauft im Durchschnitt jährlich für 4 bis 5 tausend Gulden Kappes, welcher der berühmteste in diesen Gegenden ist. Die Spargeln von Darmstadt sind wegen ihrer Grösse und Feinheit durch ganz Deutschland bekannt. Man gewinnt auch an einigen Orten einen trinkbaren Wein.

Die Bauern dieses Landes sind ein sehr schöner und starker Schlag Leute. Sie sind alle schlank von Wuchs, knochigt und sehnigt. Schönere und geübtere Truppen, als die 3 Darmstädtischen Infanterieregimenter sind, sieht man in Deutschland nicht, die preußischen Truppen selbst nicht ausgenommen. Sie machen zusammen gegen 6.000 Mann aus. Das zu Pirmasenz einquartierte Regiment wird von unsern Officiers von Straßburg, Landau, Fortlouis und andern Plätzen stark besucht und bewundert. Es ist ein Muster von Taktik, Oekonomie und guter Unterhaltung. Wegen den vortreflichen Militärischen Grundsätzen des Fürsten von Darmstadt verspricht man sich bey unserer Armee viel von dem Regiment, dessen Inhaber nun derselbe ist, und welches vormal Royal-Baviere Royal=Baviere – königlich-bayrisch hieß, besonders da Herr von Pirch Kommandant desselben ist. Man macht dem Fürsten Vorwürfe wegen seinem Militäre; allein seine Truppen sind keine Last für das Land, weil sie unglaublich wenig kosten, auf Urlaub gehen können, und der Ackerbau also nicht darunter leidet. Sie sind nur eine Art reglirter und wohlgeübter Militz. Diese militärische Verfassung hat auch ihre sehr gute Seite. Man sieht allen Bauern an, daß sie gedient haben. Eine gewisse Regelmäßigkeit, Reinlichkeit und Thätigkeit, die eine Folge ihres Dienstes ist, zeichnet sie auffallend von ihren Nachbarn aus. Sie sind auch keine Waare zum Verhandeln, wie die Truppen andrer deutschen Fürsten. Der englische Negociateur Negociateur – Negoziation: Verkauf von Wertpapieren oder Wechseln, hier: Kauf von Truppen für den englischen König zum Einsatz in Amerika Faucitt bot dem Darmstädtischen Hof ein beträchtliches mehr an, als der Fürst von Hessenkassel bekam; allein man schlug ihm sein Gesuch rund ab, obschon man in Betracht der drückenden Landesschulden das Geld sehr wohl gebrauchen könnte.

Auf dem Weg von Aschaffenburg nach Frankfurt kam ich durch Hanau. Die Länder dieses Hofes haben einen Ueberfluß an Getreide, Holz, Wein und Salz, und tragen ihrem Besitzer gegen 500.000 rheinische Gulden ein. Hanau ist eine sehr schöne und volkreiche Stadt, welche beträchtliche Manufakturen, besonders von Wollenzeug hat. Der regierende Fürst der regierende Fürst – Wilhelm I., Graf von Hanau, † 1821 ist der liebenswürdigste Mann, den ich unter den Fürsten Deutschlands fand. Jeder Fremde, den sein Stand, seine Verdienste, oder seine Kenntnisse vom Pöbel auszeichnen, hat sich an diesem Hof die beste Aufnahme zu versprechen. Ich kenne keine Person von so hohem Stand, die einen Fremden ihre Höhe so wenig fühlen läßt, als dieser Fürst. Sein Umgang macht so wenig verlegen, daß er allen Leuten, sowohl in der Wahl des Stoffes zur Unterredung als auch in wahrer Gefälligkeit zuvorkömmt. Er und sein liebenswürdiger Bruder sind sehr eifrige Mäurer. Mäurer – Freimaurer Man macht ihm, wie dem Fürsten von Darmstadt, seiner Soldaten wegen Vorwürfe; allein da er Erbe von Kassel ist, und dieses Land ohnehin durchaus eine militärische Verfassung hat, so sind diese Vorwürfe sehr unbillig.

Auf allen Seiten beherrscht Frankfurt die vortreflichste Landschaft. Die Dörfer und Flecken dieser Gegend würden in andern Ländern alle als Städte paradiren, wie denn ganz Bayern, München ausgenommen, keine Stadt hat, die den ysenburgischen ysenburgisch – die Grafschaft Ysenburg (Isenburg) umfaßte Gebiete in Hessen Flecken Offenbach, anderthalb Stunden von Frankfurt, an Schönheit, Bevölkerung und Reichthum überträfe.

Ich machte in Gesellschaft einiger Herren von Frankfurt auch eine Wanderung nach Homburg von [vor ?] der Höhe, der Residenz eines Fürsten Residenz eines Fürsten – Residenz der Landgrafschaft Hessen-Homburg aus dem heßischen Haus, der von dieser kleinen Stadt benennt wird. Das Gebiete dieses Fürsten besteht nur aus einigen wenigen Dörfern, worunter aber eine sehr ansehnliche und reiche Hugenottenkolonie ist. Diese heißt eigentlich Friedrichsdorf, wird aber in der ganzen Gegend Wälschdorf genannt, wie man denn uns hier zu Lande überhaupt Wälsche Wälsche – welsch: italienisch, heute noch in Welschkraut, welsche Haube und Kauderwelsch gebräuchlich heißt, welchen Titel man in Oestreich und Bayern ausschließlich den Italiänern giebt. Sie hat sehr ansehnliche Manufakturen, besonders von verschiedenen Wollenzeugen. – Der Hof ist, wie das Städtchen selbst, sehr klein. Die Fremden aber sind hier, besonders wegen der Entlegenheit des Orts, sehr willkommen. Die Fürstin, Fürstin – Karoline von Hessen-Darmstadt, † 1821 eine Schwester der verstorbenen Großfürstin von Rußland, der Herzogin von Weimar und der Markgräfin von Baden, ist eine der ausgebildetesten Damen, die ich kenne. Die Erziehung dieser Prinzeßinnen macht ihrer vortreflichen Mutter, deren Geprängloses Grab in dem Park zu Darmstadt ein ewiges Denkmal ihres unverdorbenen Geschmacks und ihrer edeln Denkensart ist, so wie ganz Deutschland sehr viel Ehre. Auch der Fürst von Homburg Fürst von Homburg – Friedrich V. Von Hessen-Homburg, † 1820 ist ein sehr ausgebildeter Mann, und dieser Hof, so klein er auch ist, war für mich einer der merkwürdigsten in Deutschland – Alles zusammengerechnet, sollen die Einkünfte desselben nicht viel über 100.000 Reichsthaler betragen.

Die Gegend zwischen Frankfurt, Homburg, Kronberg und Rödelsheim ist dicht mit Dörfern und Flecken besäet, welche die schönsten ländlichen Gemählde darstellen. Eine lachendere Landschaft siehet man selten, als in der Gegend von Oberursel, einem sehr grossen maynzischen Flecken, welcher zwischen Kronberg und Homburg liegt. Das Getöse einiger Eisen= und Kupferhämmer thut in derselben eine ungemein gute Wirkung. Wir bestanden in dieser Gegend ein Abentheuer, dessen ich mich ewig mit der größten Lebhaftigkeit erinnern werde. Hinter Kronberg erhebt ein hoher Berg, Altkönig genannt, sein kahles Haupt hoch über die lange Bergreihe empor, welche die schöne Ebene am Ufer des Mayns zwischen Frankfurt und Maynz gegen die rauhen Nordwinde deckt. Man erzählt viel abentheuerliches von diesem Berg und den Ruinen eines alten Schlosses auf demselben. Wir erstiegen ihn mit etwas Beschwerde, und hatten auf seinem Gipfel eine Aussicht, die keine Zeit aus meiner Seele löschen wird. Gerade gegen Süden überblickt man eine 14 Stunden weite Ebene, welche von den Gipfeln der Bergstrasse und des Odenwaldes geschlossen wird. Hier kann man alle die Städte, Flecken und Dörfer zwischen Maynz und Frankfurt und eines großen Theils des darmstädtischen Landes zählen. Gegen Osten ruht der Himmel auf dem Spessart, der gegen 17 Stunden von hier entfernt ist. Das ganze Land von Aschaffenburg längst dem Mayn herab bis an den Rhein, bis an den Neckerfluß und bis an den Donnersberg in der Pfalz, jenseits des Rheines, lag wie eine Landkarte zu unsern Füssen. Solche ungeheure Aussichten sind eben nichts seltenes; allein über ein so angebautes und vom Menschengewühle belebtes Land findet man deren gewiß wenige. Rückwärts, gegen Norden, und zu beyden Seiten gegen Westen und Ostnorden übersieht man theils rauhe und waldigte Berge, theils das schönste Gemische von sanften Hügeln, Thälern und Ebenen. Gerade gegen Westen bildet die fortlaufende Bergreihe das schönste Amphitheater, das man sehen kann. Allein das schönste Schauspiel both uns der andre Morgen dar. Dieser Berg hat eine ungemein vortheilhafte Lage, um die Sonne aufgehn zu sehn. Wir hatten uns in der Absicht, diesen majestätischen Naturauftritt zu geniessen, mit Pelzen versehn; allein ein schneidender Ostwind zwang uns in der Nacht Holz zu stoppeln, und Feuer zu machen, obschon die Täge des Augusts sehr heiß waren. Die Reitze des Morgens belohnten uns reichlich für die Beschwerden der Nacht. Eine höhere Empfindung von dem Wesen, welches die Natur belebt, und von mir selbst, hatte ich in meinem Leben nicht, als in dem Augenblik, wo am fernen Horizont der erste Blick der Morgenröthe die Gipfel des Spessarts und Odenwaldes vergoldete, die in der grossen Ferne Feuerwogen zu seyn schienen. Noch war alles bis zu diesen Gipfeln hin dickes Dunkel, und diese Ostgegend schien eine beleuchtete Insel zu seyn, die zur Nacht auf dem schwarzen Ocean schwimmt. Nach und nach breitete sich das Morgenroth weiter aus, und legte uns die schönsten perspektivischen Landschaften in Miniature vor die Augen hin. Wir entdeckten in schattigten Vertiefungen Ortschaften, die ein Blick der Morgenröthe traf, und der Finsterniß entriß. Wir konnten nun zusammenhängende Bergreihen, ihre Krümmungen und Einschnitte deutlich unterscheiden. Alles das stellte sich nicht anderst dar, als wenn man eine stark und schön beleuchtete Landschaft durch ein umgekehrtes Sehrohr betrachtet. Eine nie gefühlte Beklemmung bemächtigte sich beym Anblick dieser Scenen meiner Brust. Aber das erste Lächeln der Sonne selbst über den Horizont übertraf noch alle Schönheiten der Morgenröthe. Die Grösse, Mannichfaltigkeit und Pracht dieses Auftrittes übersteiget alle Beschreibung. Die 25 Stunden lange und 14 Stunden breite Ebene zwischen dem Spessart, dem Donnersberg, den westlichen Theilen des Odenwaldes und unserm Berge, die wir ganz übersehen konnten, ward von grossen Lichtstreifen durchschnitten, die mit dicken Schattenmassen auf die seltsamste Art abstachen. Wir sahen den Rücken des Donnersbergs vergoldet, während daß sich noch zu seinen Füssen und über den Rhein her ein tiefes Grau gelagert hatte. Wir selbst standen im Licht, und zu unsern Füssen dämmerten die Thäler und Ebenen noch in einem Halbdunkel, das sich bloß durch den Widerschein der Beleuchtung unsers Berges von der Finsterniß unterschied. Die erhabnern Theile der vor uns liegenden ungeheuren Ebene stachen mit einer Lebhaftigkeit aus der Dämmerung hervor, die sie uns wenigstens um die Hälfte näher setzte, und die angenehmste Täuschung für uns bewirkte. Dort erhob sich ein Kirchthurm aus dem Dunkel, hier ein behölzter Gipfel; dort schien ein ganzes Dorf mit seinen Bäumen über der Erde zu schwimmen; hier lag ein erhöhteres Getraidfeld im Licht, wodurch es von dem angränzenden Gefilde, so zu sagen, abgeschnitten und erhoben ward. Der sich durch die Ebene schlängelnde Mayn, welcher zuvor wie ein hellgrauer Streif die dunkle Landschaft durchzog, begann nun Theilweise mit Silberglanz zu schimmern, und auch ein Stück des Rheines ward durch einen blendenden Silberschimmer uns näher gebracht – Allein, ich wage zu viel, da ich dir ein Schauspiel beschreiben will, das an sich selbst so weit über alle Beschreibung ist, und für welches Ihr andern in der grossen Welt gar keinen Sinn habt – Ich sah schon oft die Sonne aufgehn, aber nie so prächtig, als auf dem Altkönig, und vielleicht kann man auch manches grosse Land durchwandern, ohne einen so vortheilhaften Standpunkt zum Genuß dieses Schauspiels zu finden, als dieser Berg ist.


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