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Neun und sechzigster Brief.

Köln –

Ehemals zählte Köln gegen 30.000 wehrhafte Männer, und im zwölften Jahrhundert konnte sie gegen das gesammte deutsche Reich eine Belagerung aushalten. Ihre Handlung war so blühend, daß sie das Haupt der Handelsstädte von der zweyten oder dritten Ordnung ward.

Ihre Lage an einem der schiffbarsten Flüsse Europens, dessen Ufer so stark bewohnt ist, als irgend ein Land in der Welt, der Stappel, Stappel – Köln besaß das Stapelrecht seit 1259 die republikanische Verfassung, die vortreflichen Landstrassen, die sie mit ganz Deutschland verbinden, und verschiedene andre Umstände begünstigten sie so sehr, daß es unter allen den Wundern, welche die Stadt enthält, gewiß nicht das kleinste Wunder ist, wie sie zum Schatten ihres ehemaligen Wesens, der sie wirklich ist, zusammenschwinden konnte. Sie zählt itzt kaum 25.000 Seelen.

Von Manufakturen kennt man hier nichts, als eine Tobaksfabrike, und die Spitzen, welche die Weiber und Töchter der geringern Bürger klöppeln. Aller Industriegeist ist durch das Mönchswesen und die von ihm unzertrennliche Liederlichkeit unterdrückt. Der sogenannten hiesigen Kaufleute, welche zur Bürgerschaft gehören, sind meistens nur Krämer und Kommißionärs für die Kaufleute von Frankfurt, Nürnberg, Augspurg, Straßburg, der Schweitz und anderer Länder. Nebst einigen wenigen Wechslern sind kaum 10 bis 12 Bürgerhäuser hier, die einen beträchtlichen soliden Handel treiben. Dieser beruht auf Spezereyen, womit sie Deutschland ein unbeschreibliches Geld abzapfen, auf Weinen, rohem und verarbeitetem Eisen aus den Nassauischen Bergwerken, die nebst den Steierischen und Kärnthnerischen dieses Metall in der ersten Güte liefern, auf Holz aus den obern Rhein= Main= und Neckerländern, und auf einigen andern unerheblichern Artikeln. Unter diesen wenigen Bürgerhäusern vom Gewicht sind einige Italiäner und Franzosen, die den Eingebohrnen an Verstand, Fleiß und Sparsamkeit unendlich überlegen sind, und mit diesem Kapital leicht hier ihr Glück machen konnten. Den wichtigsten soliden Handel treiben hier einige Dutzend Protestanten, die weder das Bürgerrecht erhalten können, noch öffentlichen Gottesdienst haben. Sie gehen nach Mühllheim, einem schönen und nahrhaften pfälzischen Städtchen, zwey Stunden von hier, in die Kirche. Sie haben nicht nur hier selbst einige Manufakturen, sondern sind auch bey verschiedenen in den benachbarten pfälzischen und preußischen Ländern intereßiert.

Wenn man den Kölnern Vorwürfe wegen ihrer Intoleranz gegen diesen bessern Theil der Einwohner ihrer Vaterstadt macht; wenn man ihnen die Stupidität, Trägheit, Liederlichkeit und Armuth ihrer Bürger mit der Aufklärung, dem Fleiß, der Sparsamkeit und dem Reichthum dieser Beysässen Beysässen – Beisassen: Stadtbewohner ohne volles Bürgerrecht in einen Kontrast stellt, so haben sie nicht nur keinen Sinn für diesen so auffallenden Unterschied, sondern sie deuten ihn noch obendrein zum Nachtheil der Protestanten und ihrem eigenen Vortheil aus. »Diese Ketzer, sagen sie, sind verworfene Geschöpfe. Ihre Herzen hängen an den irdischen Gütern, die ihnen Gott zuwirft, damit ihre Verdammniß noch größer werde. Gott hat in der Schrift die Reichen ausdrüklich verflucht, und ihre Schätze sind die Scheiterhaufen, auf denen sie in der andern Welt braten werden.« – Bey diesen Grundsätzen, welche die Mönche hier auf allen Kanzeln predigen, ist es kein Wunder, daß ein Drittheil der Einwohner dieser Stadt bettelt.

Die vielen Schiffe, welche man hier immerfort in dem sogenannten Hafen sieht, sind der stärkste Vorwurf gegen die hiesigen Einwohner. Schwerlich ist ein Fluß in Europa, der so weit über seiner Mündung so stark befahren wird, als der Rhein in dieser Gegend. Die ganze Rhede an der Stadt, die beynahe eine Stunde lang ist, ist fast immer dicht mit Schiffen bedeckt. Allein die Güter dieser Schiffe, die dem Stappelrecht gemäß hier auf kölnische oder maynzische Schiffe geladen werden müssen, sind fast bloß für Rechnung auswärtiger Kaufleute.

Die holländischen Schiffe sind unter denselben die zahlreichsten, und nehmen sich durch die, den Holländern eigne Pracht und Reinlichkeit unter den übrigen stark aus. Sie sind wenigstens um ein Drittheil länger als unsere gewöhnlichen Seekauffahrtschiffe von zwey Masten, und laden 3.000 bis 3.600 Zentner, also um ein beträchtliches mehr, als besagte Seeschiffe. Sie werden von Pferden heraufgezogen, können aber mitunter auch die Segel gebrauchen, und nach dem Verhältniß ihrer Fracht haben sie kaum die Hälfte der Pferde nöthig, die ein Donauschiff zu seiner Fahrt zwischen Wien und Ulm braucht. Die Eigenthümer dieser ungeheuern Flußschiffe wohnen beständig auf denselben, wenn sie auch in Rotterdam sind. So lange sie vor der hiesigen Rhede liegen, schenken sie alle Gattungen fremder Weine und bedienen die Liebhaber mit verschiedenen Erfrischungen nach holländischer Art. Ich hab mit verschiedenen meiner hiesigen Freunde einige sehr artige Lustparthien auf solche Schiffe gemacht, wobey auch waker getanzt wurde. – Die hiesigen und maynzischen Schiffe, welche hier ausschließlich für den Oberrhein Güter laden dörfen, sind viel kleiner als die holländischen; aber viele derselben sind doch groß genug um 2.400 Zentner, oder soviel als ein ordinäres zweymastiges Seeschiff laden zu können. – Alle diese Schiffe sind von Eichenholz gebaut, wohl vertheert, und ganz nach der Seeart eingerichtet, nur daß sie mehr in die Länge, als Höhe und Breite gebaut sind.

Nichts stellt die Verfassung des deutschen Reiches in ein besseres Licht, als die Beschiffung des Rheines. Jeder Fürst, so weit sein Gebiethe am Ufer des Flusses reicht, betrachtet die vorübergehenden Schiffe als Fahrzeuge fremder Nationen, und belegt sie ohne allen Unterschied mit fast unerzwinglichen unerzwinglich – unerschwinglic Zöllen. Es wird hiebey nicht die geringste Rüksicht genommen, ob die vorübergehenden Waaren deutsche oder fremde Produkten sind, ob das deutsche Reich dabey zu gewinnen oder zu verlieren hat. Im Gegentheil werden einige Artikel der Ausfuhr Deutschlands, z. B. Wein, Holz u. a. m. nach dem Verhältnis des Werthes stärker verzollt, als irgend eine fremde Waare. So blühend auch die Ufer des Rheines sind, so würden sie doch ungleich reicher seyn, wenn sie nur einen Oberherrn hätten, und man die Grundsätze einer klugen Staatswirthschaft geltend machen könnte. In den jezigen Umständen wird die Ausfuhr der inländischen Produkte durch die unzähligen Zölle gehemmt, und es ist fast unbegreiflich, wie die Schiffahrth auf diesem Strom noch so stark seyn kann.

Im zwölften und dreyzehnten Jahrhundert, als sich Deutschland der Anarchie näherte, in welcher es noch wirklich ist, wußten sich die rheinischen Fürsten, besonders die Geistlichen, von den unmächtigen Kaisern so viele Zölle zu erschmeicheln und zu ertrotzen, daß endlich fast jede Stadt eine Zollstätte ward. Ursprünglich gehörten alle Zölle den Kaisern selbst, allein sie brauchten so oft Geld, Mannschaft und andre Dienste, daß sie die meisten weggeben mußten, um sich Freunde zu machen. Während der Anarchie nahm man ihnen mit Gewalt, was sie nicht gutwillig hergaben, und durch Wahlkapitulationen wußte man sich im Besitz des Raubes zu erhalten. Kaiser Albrecht Kaiser Albrecht – Albrecht I., König seit 1298, † 1308 (im Kloster Königsfelden ermordet) hatte endlich den Einfall, die der Kaiserkrone entzogenen Rheinzölle wieder mit derselben zu verbinden; allein er war dieser Unternehmung nicht gewachsen.

In dem kleinen Strich zwischen Maynz und Koblenz, welcher, die Krümmungen des Flusses mitgerechnet, kaum neun deutsche Meilen beträgt, zählt man nicht weniger dann 9 Zollstätte. Zwischen Koblenz und Holland sind ihrer wenigstens noch 16, und jede dieser Zollstätte wirft In einem Jahr selten weniger als 25.000, gemeiniglich aber 30.000 rheinische Gulden und drüber ab. Hier sind eine Menge Artickel, welche in natura verzollt werden und einen Theil der Besoldung der Zollbedienten ausmachen, nicht mitgerechnet. – Ein alter englischer Schriftsteller hat schon dieses Zollsystem der deutschen Fürsten, welches zum allgemeinen Verderben ihrer Länder gereicht, eine unbegreifliche Raserey genennt. Es ist auch gar zu sehr von den Grundsätzen einer Regierung verschieden, die, anstatt von den auszuführenden inländischen Produkten Abgaben zu nehmen, für dieselbe noch Prämien bezahlt. Alles, womit nur feindselige Mächte einander schikaniren können, wird hier zur gegenseitigen Bedrückung gebraucht. Die Stadt Trier behauptet auf der Mosel das Stappelrecht. Nun hat man Beyspiele, daß die Stappelgerechtigkeit eines Ortes an einen gemächlichern Platz des nämlichen Fürstenthums verlegt wurde. Um die Stappelorte Maynz und Köln zu kränken, fiel der Kurfürst von Trier demnach auf den Einfall, sein Stappelrecht von Trier nach Koblenz zu verlegen, wo es für ihn ungleich einträglicher, aber auch für die Schiffahrt auf dem Rhein und die Ausfuhr von Deutschland überhaupt viel verderblicher seyn würde. Zum Glück konnte er wegen zu starkem Widerspruch zu Wien seinen Einfall nicht realisiren. Das ewige Gezerre zwischen diesen Fürsten veranlaßte schon einige Kongresse, woran auch unser Hof wegen Elsaß, welches unbeschreiblich darunter leidet, Theil nahm. Allein alles, was beschlossen ward, diente nur zum Stoff neuer Zerrereyen. Man muß sie sich balgen lassen, bis sie irgendein Mächtiger auf einmal zusammen ausbalgt. – Eine grosse Revolution steht für diese Länder zu erwarten, wenn der Erzherzog Maximilian Erzherzog Maximilian – Erzherzog Maximilian Franz Xaver Joseph Johann Anton de Paula Wenzel von Österreich, wurde 1783 Kurfürst von Köln, 1784 Fürstbischof von Münster. † 1801 einst die Regierung von Köln und Münster wird angetreten haben. Schwerlich könnten diese Länder bey dieser Revolution, sie mag ausfallen, wie sie will, etwas verlieren.

Die itzige Regierung des Erzbisthums Köln und des Bisthums Münster Köln ... Münster – beide Bistümer wurden seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Personalunion regiert ist ohne Vergleich die aufgeklärteste und thätigste unter allen geistlichen Regierungen Deutschlands. Die ausgesuchtesten Männer bilden das Ministerium des Hofes von Bonn, und nebst dem Einfluß desselben wirkt für das Wohl des Bisthums Münster besonders noch der kluge und warme Patriotismus seiner Landstände. Die Geistlichkeit beyder Fürstenthümer sticht mit jener der Stadt Köln durch gute Sitten und Aufklärung erstaunlich ab. Vortrefliche Erziehungsanstalten, Aufmunterung des Ackerbaues und der Industrie, und Vertreibung des Mönchswesens, sind die einzigen Beschäftigungen des Kabinets von Bonn.

Das Kurfürstenthum Köln trägt jährlich gegen eine Million rheinische Gulden ein, und die Einkünfte des Bisthums Münster sollen gar 1.200.000 Gulden betragen. Nebst diesen zwey mächtigen Fürstenthümern soll der Erzherzog Maximilian auch noch das Bisthum Paderborn erhalten, welches jährlich gegen 600.000 Gulden abwirft. Einige lassen es für diesen liebenswürdigen Prinzen noch nicht genug seyn, und behaupten, der kaiserliche Hof habe die Sache auch zu Lüttich schon dahin eingeleitet, daß auch das dortige Kapitel seine alte Halsstarrigkeit vergessen und sich geneigt gezeigt habe, nach dem Tod des jetzigen Fürsten den Erzherzog zum Bischof zu wählen. Dieses Bisthum wirft wenigstens 1.200.000 Gulden ab, wovon aber, so wie zu Münster, der beträchtlichste Theil in die Kasse der Landsstände fließt, die gegen die Eingriffe des Fürsten ziemlich gesichert ist. Der Prinz würde also, die Einkünfte des Deutschmeisterthums, Deutschmeisterthum – der Deutsche Orden, ein geistlicher Ritterorden seit 1190 welche ohngefähr 400.000 Gulden betragen, mitgerechnet, ein Fürst von 4.400.000 Gulden Revenüen, und nach den weltlichen Kurfürsten der mächtigste in Deutschland seyn. In Rücksicht dessen machte der preußische Hof, dessen westphälische Staaten auf diese Art sehr ins Gedränge kommen, nachdrückliche Vorstellungen zu Bonn und Münster gegen die Ernennung des Erzherzogs zu einem Koadjutor, die aber keine Wirkung hatten. Wirklich ist diese Beförderung des kaiserlichen Prinzen ein grosser Schritt zur Aufhebung des Gleichgewichts in Deutschland. Eine Sprosse des übermächtigen kaiserlichen Hauses, welches ihn mit der Macht seiner Niederlande so leicht unterstützen kann, mitten zwischen vielen kleinen Fürstenthümern, die theils mit Kreaturen seines Hauses besetzt sind, theils sich an ihn schmiegen müssen, und so überlegen, wie er den benachbarten westphälischen Staaten des Königs von Preussen und des Kurfürsten von der Pfalz würde, wär nicht nur für den größten Theil des deutschen Reiches, sondern auch für die Republik Holland in gewissen Umständen sehr förchterlich. Er könnte, besonders wenn er mit einigen Subsidien von Wien unterstützt würde, leicht eine Armee von etlichen und zwanzig tausend Mann auf den Beinen halten, die, vereinigt mit den kaiserlichen Truppen in den Niederlanden, in sehr kurzer Zeit eine Armee von etlichen und fünfzig bis sechzig tausend Mann bilden, und weit und breit umher Schrecken verbreiten könnte. Ein Bischof von Münster ganz allein konnte ehedem der Republik Holland genug zu schaffen machen.


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