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Siebenzigster Brief.

Amsterdam –

Ich wollte von Köln auf dem Rhein nach Holland fahren, und versprach mir viel Vergnügen von dieser Wasserreise; der König von Preussen verdarb mir aber die Freude. Er läßt niemand zu Wasser durch das Klevische paßieren, damit seine verpachteten Landposten nicht darunter leiden. Auf der Gränze muß man Post nehmen, oder wenn man einen eignen Wagen oder eine Miethkutsche hat, der Post doch gewisse Abgaben entrichten. Das ist ja gegen das Naturrecht, gegen das Völkerrecht, gegen das Gastrecht und gegen alle Rechte von der Welt, sagte ich zu den Schiffleuten von Rotterdam, die mir das erklärten. Das wissen wir schon lange, antworteten sie.

Da ich die Wasserfahrt doch einmal aufgeben mußte, so wollte ich das veste Land so viel als möglich benutzen, und streifte die Kreutz und Quere bald zu Fuß, bald zu Pferd und bald auf der Landkutsche durch die westphälischen Staaten des Königs von Preussen und des Kurfürsten von der Pfalz. Mein Koffre Koffre – Koffer, Gepäck hatte ich auf das Schiff gegeben, und nie hab ich mich so gänzlich der Direktion meiner Nase überlassen, so wie sie jeder Wind und jede Grille, die mir in den Kopf flog, drehte und wendte, als auf dieser irrenden Fahrt.

Es lohnt sich aber wirklich der Mühe, diese Länder nach meiner Art zu durchwandern. Ihr Anbau und Reichthum übertraf meine Erwartung so sehr, daß ich nicht genug staunen konnte. Alle Städte und Städtchen wimmeln von Fabrikanten. Mühlheim, Elberfeld, Solingen, Soest, Ham, Duisburg, Meurs, Wesel, Kleve und noch viele andre Städte sind voll der wichtigsten Manufakturen. Man verfertigt eine unglaubliche Menge Leinen und Baumwollenzeuge, versieht fast alle Gegenden des Oberrheins, fast ganz Schwaben und Franken mit gebleichtem Zwirn, hat Tuch, Seiden und Kottonmanufakturen, und verarbeitet, besonders zu Solingen, Stal und Eisen so gut, daß es nach den Engländern keine andre europäische Nation hierin den Einwohnern gleich thut. Ihr Handel breitet sich durch die Niederlande, einen Theil von Frankreich und durch das ganze Reich, nämlich die zerstückten, vorliegenden Kreise aus.

Dieser bewundernswürdige Fleiß, verbunden mit der natürlichen Fruchtbarkeit, sezt diese Länder unter die Klasse der reichsten und merkwürdigsten in Deutschland. Eine sanfte Regierung, die von patriotischen Landsständen gegen Despotie gesichert ist, trägt nicht wenig zu ihrem blühenden Zustand bey. Die Einwohner sind munter, gastfrey und wohlgesittet. Sie sind ein neuer Beweis, daß, wie ich schon einigemal bemerkt habe, die Religion wenig Einfluß auf den bürgerlichen Zustand der Menschen hat, wenn ihr nicht zufällige Lokalumstände eine gewisse Richtung geben. Sogar die Protestanten dieser Länder sind lange nicht so aufgeklärt in ihrer Religion und so tolerant, als die Protestanten in andern Gegenden Deutschlands. Auch haben sie ungleich mehr Hang zum Genuß sinnlicher Vergnügungen, als ihre Religionsverwandten gemeiniglich zu haben pflegen. Dessen ungeachtet sind sie das fleißigste Volk, und die besten Bürger, die man finden kann. Die Bigotterie der Katholiken dieser Gegenden schadet dem Kunstfleiß und Anbau des Landes nicht, weil sie durch die Erziehung bloß auf solche Dinge gerichtet wird, die auf die Sitten und das bürgerliche Leben keinen Einfluß haben. Alles hängt von den herrschenden Gebräuchen ab, worunter der Mensch aufwächst. Wenn der Fleiß einmahl Sitte unter einem Volk ist, so ist auch der unsinnigste Aberglauben seinem bürgerlichen Glück nicht hinderlich. Die Pfaffen selbst machen ihre Lehre den Sitten anpassend, und die Mönchstheorien können die herrschenden Sitten nicht überwiegen. Man hat in diesen Ländern so viele Legenden, als in Köln. Man liebt sogar auch die Prozeßionen und Winkelandachten, so stark als zu Köln; aber bey allem dem ist man unendlich fleißiger, nüchterner und reicher, als zu Köln. Nicht die Religion, nicht der Aberglauben, sondern die Regierung ist Schuld, daß der Kölner so liederlich ist, und seine Pfaffen öffentlich die Liederlichkeit predigen dörfen. Durch Verordnung der Erziehung ihrer Unterthanen ließ die Regierung dieser Stadt die Religion zum abscheulichsten Misbrauch ausarten, so wie auch das Zunftwesen durch Indolenz eitel Misbrauch geworden ist, so unschädlich sie es durch etwas mehr Klugheit und Thätigkeit hätte machen können. Polizey=Gerechtigkeit, Regierungsverfassung, alle bürgerliche Verhältnisse sind unter einer indolenten Regierung mit der Religion der nämlichen Verwilderung ausgesezt, und man muß es dann nicht der Religion selbst zur Last legen, wenn sie der bürgerlichen Gesellschaft nachtheilig ist.

Der übrige Theil von Westphalen, welcher vom Rhein weiter entfernt ist, als diese Länder, ist überhaupt genommen ungleich weniger angebaut, auch von Natur ungleich weniger ergiebig, als dieselben. Er hat ungeheure Heiden und Moräste, die bloß zum Torfstechen, und an den bessern Plätzen auch allenfalls zu Waiden können gebraucht werden. Einige Gegenden derselben, z. B. ein Theil des Fürstenthums Minden, Fürstentum Minden – seit 1648 zu Preußen, das Gebiet um die Stadt Minden an der Weser der Grafschaft Teklenburg Teklenburg – Tecklenburg: Grafschaft, seit 1707 preußisch, Gegend um die Stadt Tecklenburg Im Emsland und anderer mehr, sind fast unmäßig stark bewohnt; allein desto öder sind verschiedene Bezirke der Bisthümer Münster, Osnabrük und Paderborn, der Grafschaft Bentheim und einiger hannövrischen Herrschaften. Unterdessen ist dieser Theil von Westphalen das eigentliche Vaterland des Hanfes und Flachses, welche unter die vorzüglichsten Produkte Deutschlands gehören. Der größte Theil des Hanfes und Flachses, welcher in den westphälischen Rheinländern, in Holland, in den östreichischen Niederlanden und auch in unsern Niederlanden verarbeitet wird, kömmt aus diesen westphälischen Ländern. Nebstdem wird noch eine ungeheure Menge nach England, Spanien, Portugall und sogar auch unmittelbar nach Amerika roh ausgeführt. Im ganzen übrigen Deutschland, besonders in den hannövrischen Ländern des niedersächsischen Kreises, in Hessen, im Waldekischen und Fuldischen werden diese Produkte auch in erstaunlicher Menge gewonnen; allein ich zweifle, ob aller Flachs und Hanf des übrigen Deutschlands zusammen die Menge aufwiegt, die in Westphalen gebaut wird. Nach dem mäßigen Ueberschlag eines meiner Freunde von Münster wird jährlich für 5 Millionen Gulden Flachs und Hanf, roh und gesponnen, aus allen westphälischen Kreisländern ausgeführt. Hier ist die grosse Menge dieser Produkte nicht mitgerechnet, die auf verschiedne Art in den rheinisch=westphälischen Ländern verwebt und ausgeführt wird. Die ganze Menge des Hanfes und Flachses, welcher roh und verarbeitet aus ganz Westphalen ausgeführt wird, muß wenigstens auf 7 Millionen Gulden geschätzt werden – Der feinste Flachs und Hanf wird in der Gegend von Bielefeld und Hervord gewonnen. Er gleicht fast der Seide.

Wenn man auf die Gränze von Holland kömmt, glaubt man aus einem Schweinstall in einen niedlichen Garten zu tretten. Besonders sticht die herrliche Gegend von Nimwegen mit Westphalen zum Erstaunen stark ab. Ich sage dir nichts von der Pracht, Symmetrie und Reinlichkeit der holländischen Städte; nichts von den unzähligen, kostbaren und größtentheils mit schönen Alleen besetzten Kanälen; nichts von den vielen Gärten. Man hat Beschreibungen ohne Zahl und Ende davon. Aber gewiß ist all die Pracht und Herrlichkeit in die Länge verflucht ennuyant. Wenigstens für mich ist die durchaus herrschende Einförmigkeit dieses Landes und seiner Bewohner unausstehlich. Alle Städte, alle Dörfer, alle Strassen und Kanäle sehen sich so gleich, daß man nur immer Kopieen des nähmlichen Gemähldes zu Gesicht bekömmt. Das Land ist bloß zu einer flüchtigen Spazierreise gemacht. Ohne dafür bezahlt zu werden, wird sich selten jemand lange hier aufhalten. Im Grund ist es auch eine frisirte Bettlerin, die in einer gestohlenen, prächtigen Andrienne Andrienne – Adrienne: loses Frauenüberkleid des Rokoko paradiert. Die Rheinpfalz, die nicht den fünften Theil des Umfangs von Holland einnimmt, hat ungleich mehr natürlichen Werth, als dasselbe.

Auch die Einwohner, überhaupt genommen, sind im Grund nur geputzte Bettler. Ihr Reichthum gehört nicht ihnen zu, denn sie geniessen ihn nicht: Sie sind nur Wächter ihres Geldes. Kömmst du an die Tafel eines Mannes vom Mittelstand, so läßt dich die Pracht des Tischgeräthes, die Reinlichkeit des Speisezimmers, die kostbare Ausmeublirung ein fürstliches Essen erwarten. Allein wenn die Schüsseln aufgetragen sind, dann hast du nicht mehr noch weniger, als an der Tafel des ersten besten westphälischen Bauers. Alles entspricht der Natur des ganzen Landes, welches einer schlechten Wassersuppe in einer goldnen Schüssel gleicht. Alle Kaufleuthe sitzen die ganze Woche an ihrem Schreibtisch, und schwemmen sich die Bäuche mit Thee auf. Sie sind so fühllos bey ihren Beschäftigungen und werden in ihrem Schlendrian so dik, daß man sie mit Pfriemen Pfriem – ein Schusterwerkzeug zum Stechen von Löchern in den Leib stechen kann, ohne daß sie sich regen. Am Sonnabend ziehn sie in ihre prächtigen Gärten, wo sie den Sonntag zubringen. Da geniessen sie aber soviel, als in ihrem Komtoir. Ich kenne Einen der hiesigen Grossen, den ich in seinem Garten besuchen mußte. Er war von Mittag bis gegen Abend bloß mit Salatputzen für seine Küche beschäftigt. Ein andrer schloß sich ein, und schlug den ganzen Sonntag die Fliegen auf den Wänden seines Lusthauses todt. Linsen, Erbsen und Bohnen belesen für ihre Küchen, ein Pfeiffe Tobak rauchen, und sich die Hosen lüften, die von ihren Bäuchen immer abwärts gedrückt werden, das sind ihre Arbeiten in ihren Erhohlungsstunden. Versammeln sie sich in Gesellschaften, so nageln sie sich an die Stüle an, begaffen einander, und in Pausen von Viertelstunden wissen sie dann von nichts zu sprechen, als was die Zeitungen des Tages darbieten, die unter allen Zeitungen die elendesten sind, die französische von Leiden ausgenommen. Da hörst du nun die Quintessenz von allem politischen Unsinn, so wie du von ihren Pfaffen, die Trotz der Reformation doch ungleich mehr Mönche sind, als die Kapuziner Deutschlands, allen theologischen Unsinn hören kannst. Wären die Fremden, besonders die Offiziers, und einige adeliche nicht, die sich auf Reisen gebildet haben, so würde man in ganz Holland eine unterhaltende Gesellschaft umsonst suchen.

Staatsverwaltung und Polizey, alles ist hier so sonderbar als das Land selbst, und hat durchaus das Gepräge von dem schwerfälligen, melancholischen und filzigen Humor der Einwohner. Es ist ein Sprüchwort, daß man hier zu Lande keine Tracht Fische, die das gemeinnützigste Naturprodukt dieses Landes sind, auf die Tafel bringen kann, ohne sie sechsmal dem Staat und einmahl dem Verkäufer bezahlt zu haben. Der Geitz der Einwohner, der sich gegen alle Opfer für das gemeine Beste sträubt, zwang den Staat so unnatürlich hohe Auflagen auf die ersten Bedürfnisse des Lebens zu machen. Diese ungeheuern Akzise tragen eben so viel, als die übertriebne Sparsamkeit der Bürger, dazu bey, daß man in diesem reichen Lande so elend lebt – Von ihrer Polizey will ich dir nur einen Zug mittheilen, der eigensinnig genug ist. Schickt ein Fremder, der der Landesgebräuche und Gesetze nicht kundig ist, seinen Bedienten zu einem Weinhändler, um eine Bouteille zu kaufen, so giebt sie ihm dieser mit aller Willfährigkeit, ohne ihm ein Wörtchen von der Gefahr zu sagen. Der Kerl trägt seine Bouteille offen nach Haus. Unterwegs packt ihn ein Stadtknecht an, und erkundigt sich, wo er den Wein gekauft. Der Pursch nennt ihm ohne allen Argwohn den Weinhändler, und nun wird er arretirt, gestäubt stäuben – stäupen: öffentlich auspeitschen und des Landes verwiesen. Nicht der Kaufmann, der den Wein im Kleinen verkauft, welches nach den Gesetzen das ausschließliche Gewerbe der Weinschenken seyn sollte, auch nicht der Herr, der ihn geschickt, sondern der arme unkundige Kerl allein wird gestraft.


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