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XXXVI

»Es ist die Strafe derer, welche die Frauen allzusehr geliebt haben, daß sie sie immer weiter lieben müssen.«

Joubert.

 

Daß es wieder Krieg geben könnte, ging vorerst nur als ein Raunen durch die Städte und das Land. Aber ein Ziehen in den kaum vernarbten Wunden, ein dumpfes, ängstliches Unbehagen antwortete den Gerüchten, und die Priester, die dem Volke die Zeichendeuter waren, sparten nicht mit Deutungen je nach ihrer Menschen-, Glaubens- oder Ordensart. Solche oft recht gefährlich klingende Deutungen drangen bis in die »obere« Welt vor, wurden auf Italienisch gewispelt und eilig nach Toskana gemeldet, und etliche Bankiers bekamen große Aufträge. Im ganzen aber ging es bei Hof womöglich noch fröhlicher zu als bisher. Der König fühlte sich durch die Aussicht auf dieses größte Abenteuer und Wagnis seines Lebens verjüngt und beschwingt, er ritt, häufiger als in den letzten Jahren, beim Ringelstechen mit und blieb öfter denn seit langem Sieger über junge Herren, die ihm den Sieg um seines Ranges und weißen Bartes willen nicht leichter gemacht hatten. Er hatte sich auch vorher nicht etwa müde gefühlt, es war ihm nur schon etwas zu gewohnt und gewöhnlich zugegangen. Jetzt, da ein wenig Gefahr und eine große Hoffnung lockte, war das immer köstliche Leben nur noch schöner. Die Arbeit wuchs gewaltig an und war doch nie Bürde. Das Hundegeläut in den Wäldern und das Klingen der Goldstücke auf dem Spieltische gaben eine neue, fröhliche Erregtheit. Und wie hübsch, wie lockend die Frauen waren, die jungen natürlich, die sehr jungen. Er war sein Lebtag kein guter Tänzer gewesen, aber nun ließ er sich verleiten, zuweilen mit einem so hübschen beweglichen Ding zum Tanze anzutreten, wobei er freilich weniger auf seine Füße als auf die verschämte Antwort achtete, die seinem Blicke kam. Er war jetzt in seinem sechsundfünfzigsten Jahre. Nicht, daß es ihn wie den alten König David nach einer Abisag verlangt hätte, um ihm den kühlen Leib zu wärmen! Er fühlte sich ganz und gar nicht kühl, und hundert gelüstige Flämmlein konnten in ihm aufzucken, wenn so ein Frauenwesen ihn auf die rechte Art ansah, aber eine Junge mußte es sein, eine Neugierige. Er gestand es auch gern zu. Als zum Beispiel der Erste Parlamentspräsident schwer krank wurde und der Präsident des Toulousaner Parlaments diese vielbegehrte Stellung gern gehabt hätte und seine hübsche Frau zu Hof schickte, damit sie dem König um den Bart ginge, fand Heinrich die Bittstellerin zwar recht gut anzusehen, doch nicht mehr jung genug für seinen Geschmack. Da wurde eine blutjunge Nichte ins Treffen geschickt. Und als dieses Fräulein von Maupeou schnell erreichte, was der Tante nicht gelungen war, erwiderte Heinrich auf Bemerkungen von Freunden: Zum Teufel, er sei wirklich nicht mehr in dem Alter, das Amt eines Parlamentspräsidenten zu versehen.

Es ging laut und fröhlich und festlich her am Hofe, nicht zierlich, noch gar prüde. Keiner schonte den Anderen in seinem Allermenschlichsten, ein jegliches Gebrechen war ein Spaß Gottes, darüber man sich weidlich erlustigte, und was allen Menschen als die Kehrseite von Speise und Trank anhaftet, war ein unerschöpflicher Stoff hahnebüchener Scherze. Ein herzhaftes Rülpsen galt so viel wie der beste Einfall, und große Damen, Prinzen und Prälaten hielten sich den Bauch vor Lachen, wenn in des Mitmenschen Bauch der eben genossene Truthahn kullerte. Sogar die sonst so ungespäßige Königin lächerte es bei solchen, auch ihr verständlichen Anlässen oder bei den Erzählungen der Streiche, die man einander bei Hof und in den großen Häusern zur allgemeinen Erlustierung spielte. Die Einfälle zu diesen Streichen waren nicht eben glorreich, doch auf ihre Ausführung ward eine Mühe aufgewandt wie auf ein ganzes Theaterstück. Gelang das Begonnene aber, dann wurde eine Geschichte daraus, die bald den Hofkreis überwuchs und, nachdem sie jedem erzählt worden war, am Ende in die Tagebücher und Lebenserinnerungen der Zeit einging. Ein solcher viel belachter Streich, um nur ein Beispiel anzuführen, war der, der dem Grafen von Guiche (dem späteren Marschall Grammont) im Palais Rambouillet gespielt wurde. Guiche hatte dort eines Abends eine ungeheure Menge von Pilzen gegessen. Ein paar Spaßmacher bestachen den Kammerdiener des Grafen und ließen sich nachts von ihm alle Wämser Guiches bringen, welche die mitverschworenen Damen eine Handbreit einnähten. Am Morgen versuchte der Graf vergeblich eines nach dem anderen der gewohnten Kleidungsstücke und wurde dabei immer unruhiger – da erscholl die Meßglocke, er mußte sich entschließen, im Hausgewande die Messe zu hören, und er merkte nicht, daß bei seinem Anblicke alle Gesichter sich tief über die Gebetbücher neigten. Hernach wurde ihm mit tiefem Bedauern gesagt, er sei natürlich von den Pilzen so aufgetrieben, und das sei ein keineswegs ungefährliches Anzeichen. Endlich wurde ein Arzt gerufen und ins Geheimnis gezogen, der Guiche eine Schere mit einem Rezepte übergab, auf dem stand, wie seine Wämser zu operieren seien.

In dem beginnenden Frühlinge des Jahres 1609, da die Jülich-Clevesche Erbfrage sich eben stellte und Heinrich die erste Erregung seiner Antwort darauf zu fühlen begann, bereitete die Königin eines der etwas langweiligen und höchst kostspieligen Vergnügen vor, die sie vom Florentiner Hofe mitgebracht hatte. Sie ließ ein Ballett, natürlich mythologisch-allegorischen Inhalts, einstudieren. Ihre Aufforderung an den König, die letzte Probe mitanzusehen, fand Heinrich höchst verdrossen und ungeneigt, sich dieses geschraubte Getue von Göttinnen und Nymphen anzusehen, deren Namen und Geschichten er bis zum Überdruß kannte. Um es kurz zu sagen, das Abendessen tagszuvor war wohl zu kräftig und der Rotwein zu füllig gewesen, und jetzt kniffen und zogen die Gichtteufel an ihm. Als er stöhnend und griesgrämig die Tür seines Arbeitszimmers öffnete, huschte etwas Junges, Behendes vorbei, gerade nur einen Blick lang. Heinrich ging, der »ungalanten« Gichtstimmung zum Trotz, sich die Ballettprobe anzusehen. Eben da er den Saal betrat, hoben zur Musik der Lauten, Geigen und Flöten als antike Jägerinnen gewandete Mädchen ihre Bogen. Eine schien auf ihn zu zielen: es war das Mädchen, dessen Vorbeieilen ihn in diesen Saal gezogen hatte, Charlotte von Montmorency, fünfzehn Jahre alt und, wie es vielerorten von ihr heißt, »die Schönste auf dieser Erde«. Heinrich sagte, er habe empfunden, wie der Pfeil des Spielzeugbogens ihn getroffen habe, das Herz sei ihm beim Anblicke dieses Mädchens stehengeblieben, und er habe fast das Bewußtsein verloren. Von dieser Stunde an war Charlotte für ihn alle Frauen, alle Schönheit, alle Jugend zusammen. Henriette hätte nun ihr Herz ändern und engelhaft sanft und liebevoll werden, Marie witzig wie Henriette, wohlgelaunt wie einst Gabriele werden und Concini samt Eleonora zum Teufel jagen können: ihm hätte es nichts mehr ausgemacht.

Charlotte war die Tochter seines alten Freundes und »Gevatters«, des Connétable von Montmorency, und sie war einem andern, trotz des Unterschieds der Jahre nahen Freunde Heinrichs verlobt, Bassompierre.

Bassompierre hat viel später, als Heinrich längst in der Königsgruft von St. Denis ruhte und sein Frankreich ihn nicht nur den Großen, sondern auch den Guten zu nennen begann, heimwehvoll der Zeit gedenkend, da er der glänzendste Edelmann am Hofe gewesen war, all das von Charlotte und seinem Könige aufgezeichnet: in langen Jahren der Haft in der Bastille diesem allerschönsten Mädchen nachträumend, das fast sein geworden wäre, den vielen anderen Frauen, den Festen und Spielen und seinen sagenhaften Prunkkleidern, die nicht ihresgleichen gehabt hatten.

Heinrich ließ Bassompierre kommen und verlangte von ihm die Auflösung seines Verlöbnisses mit Charlotte. In dieser Nacht hatte die Gicht den König wachgehalten, und Bassompierre kniete nach dem Zeitbrauch vor dem Bette des Stöhnenden, der ihm endlich sagte: »Bassompierre, ich will mit dir als Freund sprechen. Ich bin nicht nur verliebt in Fräulein von Montmorency, sondern ich bin rasend und von Sinnen nach ihr. Wenn du sie heiratest und sie dich liebt, werde ich dich hassen; wenn sie mich liebte, würdest du mich hassen. So ist es besser, daß das nicht der Anlaß werde, unser gutes Einverständnis zu zerstören, denn ich habe dich gern und bin dir herzlich zugetan. Ich bin entschlossen, sie mit meinem Neffen, dem Prinzen von Condé, zu verheiraten und sie bei meiner Frau zu halten. Das wird der Trost und die Unterhaltung meines Alters sein, in das ich nunmehr eintrete. Ich werde meinem Neffen, der jung ist und die Jagd mehr liebt als die Damen, hunderttausend Franken im Jahr geben, damit er sich die Zeit vertreiben kann, und ich will von ihr keinen anderen Dank als ihre Zuneigung und werde nichts weiter beanspruchen.« Bassompierre sah zu klar, wie es um den König stand, als daß er sich Hoffnungen hätte machen können, ihn umzustimmen. Dem allmächtigen Verliebten Nein zu sagen, wäre »eine unnütze Keckheit« gewesen; so stimmte er gutwillig dem zu, das er kaum hätte verhindern können, und er brachte sein Opfer aus rechtem Freundesherzen, denn er liebte Heinrich wahrhaft. Leicht wird es dem tapferen und stolzen Manne nicht angekommen sein, dem verächtlichen Blick der jungen Charlotte standzuhalten, mit dem sie ihm bei der ersten Begegnung diesen Verzicht heimgezahlt hat.

Der junge Condé hatte von seinem tapferen Vater eben nur den Namen und war ihm ebenso ungleich wie dem »großen Condé«, den die Natur aus diesem unbedeutenden Mittelsmanne zwischen zwei starken Generationen hernach entspringen ließ. Er war klein von Wuchs, »häßlich, dem Weine und den Tafelfreuden ergeben, und er gefiel sich nur in den allerübelsten Gesellschaften«. Heinrich brauchte sich angesichts dieses Ergebnisses seiner »wahrhaft väterlichen Fürsorge« nicht eben zu rühmen, die er dem Sohn des einstigen Waffengefährten habe angedeihen lassen. Ob sich der junge Bourbonenprinz durch die Rührung über diese Fürsorge oder unter der Autorität des Königs und Familienoberhauptes oder von der Aussicht auf das ansehnliche Jahrgeld schließlich dazu hatte bringen lassen, das schöne Mädchen zu heiraten, wird nicht berichtet. Es mochte dem trotz seiner einundzwanzig Jahre in den Dingen der Welt schon recht Wohlerfahrenen von Anfang an geahnt haben, worauf der Oheim mit dieser Heirat hinauswollte; aber seine Einwände waren schnell entkräftet, vor allem dadurch, daß Charlotte aus so großem Hause war. (So groß, daß der Connétable die vorgeschlagene künftige Vermählung der Tochter Henriettens mit dem jungen Montmorency Heinrich verweigern konnte; sehr zum Unheil des Montmorency freilich, den die Verbindung mit einer, wenn auch illegitimen Bourbonentochter später vor Richelieus Schafott zweifellos gerettet hätte.) So weit jedoch ging des Connétables Dünkel doch nicht, dem Condé, dem ersten Prinzen von Geblüt, die Tochter zu versagen, obwohl er wie alle Welt wußte, daß dieser Posthumus den großen Namen durch stillschweigende Nachsicht und nicht rechtens trug. So sehr der Connétable sich auch dagegen verwehrt hatte, noch mehr Bastarde in seine Familie zu bekommen, die von den eigenen übervölkert war, so willfährig nahm er den trübseligen Burschen zum Eidam, dem das Gerede ebenso viele und verschiedene Laster wie Väter zuschrieb. Und als er bei diesem zu gründenden Ehestande die ihm wichtigen Bedingungen erfüllt sah, lachte er über Gerede und Bedenken, die er selber sein Lebtag nicht gehabt hatte. Der alte Freund, welcher auch noch der König war, wurde ihm denn doch wichtiger als das Bürschchen. Bei ihm jedenfalls sollte Heinrich keine Widerstände finden. Die Kleine war wirklich ein wahrer Königsbissen – schade nur, daß sie nicht ins königliche Ehebett käme. Aber wer weiß – der König war mächtig genug, wenn er nur wirklich wollte, käme er mit diesem Papste schon zurecht.

Die schöne Charlotte war zwar erst fünfzehn Jahre alt, aber sie war ein Kind des Hauses Montmorency und hatte von früh auf so viel mit angesehen und gehört, daß man ihr getrost den Dekamerone oder gar den Aretino hätte zu lesen geben können. Sie wußte, was immer man nur eben vom Hörensagen wissen kann, nahm es hin als Weltbrauch und sah und hörte ohne Erröten das unaufhörliche dreiste und verliebte Getue rundum. Aber als sie mit ihrer Tante Angoulême dem noch immer bettlägerigen König den ersten Besuch machte und seinen Blick sah, stieg ihr die Röte doch vom feinen Halse bis zur Stirn. Gabriele war noch ganz aus der Valoiszeit gewesen, Henriette hatte ihre Kindheit in der Welt der Liga verbracht – aber als Charlotte geboren wurde, war Heinrich schon König von Frankreich gewesen, er war der König, wie seit immer da. Mochte auch der Vater mit ihm jagen und zechen, mochten auch die Geschichten über ihn daheim kein Ende nehmen, es waren lustige Geschichten, die nur noch etwas zu dem Königtume hinzufügten. Was immer das durchtriebene Jüngferlein Charlotte auch wußte, das Erröten kam, so oft der Blick des Königs ihre Gestalt entlang ging und ihre Augen suchte. Und dieses Erröten machte Heinrich noch närrischer verliebt. Charlotte kam, wieder in ziemender Begleitung, zu einem zweiten Krankenbesuche, und der arme Bassompierre konnte nicht einfach aus dem königlichen Gemach verschwinden und mußte verbittert Heinrichs Reden über die ihm so erwünschte Beschleunigung der Heirat mit Condé anhören.

Sobald der Gichtanfall endlich vorüber war und Heinrich wieder unter den Menschen erschien, ging eine von Tag zu Tag sichtbarere Veränderung mit ihm vor. Er hatte sein Leben lang über alles Geckentum gelacht und dazu sogar wohlgekämmtes Haar gerechnet. Jetzt kämmte er sich Haar und Bart und beriet sich zum Erstaunen seines Kammerdieners mit ihm über seine Kleidung. Zum Ringelstechen legte er eine parfümierte Krause um und trug Ärmel aus chinesischem Atlas. Und Malherbe bekam tüchtig zu tun, des Königs Gefühle in Verse zu bringen, denen Heinrich glücklicherweise nicht ansah, daß sie ihres Verfassers Alter allzusehr verrieten; denn der gute Malherbe, der immer eher geistvoll als empfindungsreich gewesen war, war in den bald zwei Jahrzehnten, seit er Gabriele für Heinrich besungen hatte, vom Zierlichen ein wenig ins Gezierte und von der klaren Formfreudigkeit in eine edle Öde geraten.

Im Mai fand dann die mit einer ganz unfürstlichen Eile betriebene Vermählung ohne das gebotene Gepränge statt. Von da ab war Heinrich unermüdlich im Arrangieren von Festlichkeiten und Erfinden von Anlässen, Charlotte zu sehen. Ging es nicht anders, so verbarg er sich hinter einem Vorhang, um die Schöne während eines Essens zu sehen, zu dem er sich schicklicherweise nicht hatte einführen können. Aber Charlotte wußte, daß er sie sah, und genoß es, von ihm angeschaut zu werden. »Er erwirkte sogar einmal von der Prinzessin, daß sie sich eines Abends mit aufgelöstem Haar, Fackeln zu beiden Seiten, auf einem Balkon zeige. Er wurde dabei fast ohnmächtig, und sie sagte: ›Jesus, er ist närrisch!‹« Charlotten aber so nahe zu kommen, wie der Verliebte es wünschte, erwies sich von Anfang an als unmöglich. Ihren eigenen Widerstand dagegen, aus dem aufregenden Spiel mehr werden zu lassen, hätte Heinrich wohl mit mancher sich ihm gern bietender Hilfe besiegen können; die eigentlichen und unliebsamsten Hindernisse kamen ihm jedoch von der unerwartetsten Seite, von der des Gatten. Die erhaltenen Berichte geben keinen Anlaß zur Annahme, daß Condé plötzlich Gefallen an dem schönen Mädchen gefunden oder sich gar verliebt hätte. Viel glaublicher scheint, daß er die erste Gelegenheit, die sich ihm im Leben bot, nutzen wollte, um einmal recht nach Herzenslust aufzutrumpfen und seine Wichtigkeit zu zeigen. Das tat er auch nach Kräften, so daß Heinrich sehr bald diese ganze Ehe und die darauf gewandten hunderttausend Franken im Jahr bitter leid wurden. Ein paar Wochen nach der Heirat schon schrieb Heinrich seinem Freunde Montmorency, dessen Bundesgenossenschaft er sich inzwischen gesichert hatte, den folgenden Brief: »Mein Gevatter, ich schicke diesen Boten zu Ihnen aus Gründen, die er Ihnen sagen wird, Sie sollen ihm glauben und auch daran, daß mein Neffe, Ihr Eidam, hier recht sehr den Teufel spielt. Es ist nötig, daß Sie und ich zusammen mit ihm sprechen, damit er Vernunft annehme, aber ich warte nicht bis zu Ihrer Ankunft, um damit anzufangen ...« Und am selben Tage schrieb er an Sully: »Mein Freund, der Prinz von Condé ist hier und spielt den Teufel. Sie wären voll Zorn und Scham über die Dinge, die er von mir sagt; schließlich wird mir die Geduld reißen, und ich entschließe mich, ordentlich mit ihm zu reden ...« Darauf folgt ein Verbot, Condé bis auf weiteres das fällige Viertel seines Jahresgeldes auszuzahlen. Über dieses angekündigte Gespräch erzählt l'Estoile dann: »Der König zeigte sich so hitzig auf der Jagd nach dieser schönen Beute ..., daß er dem Herrn Prinzen gerechten Anlaß gab, sich zu beklagen ... Er erbat Urlaub von Seiner Majestät für sich und sie (Charlotte), um sich in eines seiner Schlösser zurückzuziehen. Aber da fehlte viel, daß dieses Ansuchen von Seiner Majestät wohl aufgenommen worden wäre; im Gegenteil, als der König sah, daß dieser Prinz ihm ein wenig viel zu tun gab und mehr, als er gewollt hätte, und da er selbst für geringe Zeit den Kummer des Fernseins dieser Dame nicht ertragen konnte, erging er sich, nachdem er ihn barsch abgewiesen hatte, in Drohungen und Schmähungen. Auf diese, hat man behaupten wollen, habe der Herr Prinz ein wenig hochmütig geantwortet und habe unter seine Bemerkungen das Wort Tyrannei gemischt; dieses Wort habe der König mit Schärfe aufgegriffen und ihm entgegnet, er habe niemals in seinem Leben eine Tyrannentat getan, außer damals, da er den genannten Prinzen habe als den anerkennen lassen, der er ganz und gar nicht sei, und wenn er es möchte, würde er ihm seinen Vater in Paris zeigen ...«

Als bald darauf Condé trotz des ausdrücklichen Verbotes Charlotte auf eines seiner Landgüter brachte, war Heinrich anfangs wie von Sinnen und wurde erst wieder einigermaßen umgänglich, als er die Sicherheit gewann, daß die Allerschönste mit dem Gatten, den er ihr zu seinem Unheil gegeben hatte, zu einer in naher Zeit angesetzten Festlichkeit wieder bei Hof erscheinen würde. Die Vorbereitungen zu dieser, der Vermählung von seinem und Gabrielens Sohn Vendôme, nahmen ihn glücklicherweise, zusammen mit der jetzt gewaltigen Fülle der Geschäfte, genügend in Anspruch, so daß die Wartezeit auf Charlottens Wiederkehr (wieder ein paar unwiederbringlich verlorene Wochen!) ihm endlich recht schnell verging. Denn so unerträglich das Warten dem Alternden auch sein mag, so schnell rinnt ihm die Zeit nun schon durch die Finger, so daß die Monate rascher hinzueilen scheinen als einst die unendlichen Sommernachmittage der Kindheit.

Diese Vermählung des jungen Vendôme mit der Tochter des letztbesiegten Ligakämpfers, des Herzogs von Mercoeur, war schon bei dessen Unterwerfung beschlossen worden. Da aber die Kinder der Vereinigung näher wuchsen, hatte erst die Herzogin, die dank den ungeheuren Summen, die Mercoeur noch vor Heinrichs Machtentfaltung aus seiner Provinz, der Bretagne, herausgepreßt hatte, eine der reichsten Frauen Frankreichs war, Schwierigkeiten zu machen begonnen. Ihr war die Tochter gefolgt, die lieber Nonne als Gattin des königlichen Bastards zu werden erklärte, und endlich hatte der ungefragte Bräutigam auch den Mut, seine geringe Neigung zu dieser Ehe einzugestehen. Aber Heinrich hatte größere Schwierigkeiten als solche in seinem Leben besiegt. Er wollte diese Ehe, so mußte sie geschlossen werden. Eine Woche vorher aber kamen ihm Bedenken, ob sein junger Sohn auch erfahren genug sein würde, den Widerstand des bigotten Mercoeur-Mädchens zu überwinden und die Ehe baldmöglichst zur vollendeten Tatsache zu machen. Da ließ er ihn von einer der berüchtigtsten, »in allen Betten des französischen Adels erprobten« Dame des Hofes in die Lehre nehmen, bei der er dann genaue Erkundigungen einzog, was für Fortschritte der Schüler mache und wie er sich anstelle.

Zu den Hochzeitsfestlichkeiten kamen dann die Condés in der Tat zu Hof, und nun war für Heinrich kein Halten mehr. Um diese Zeit sagte Henriette dem einstigen Geliebten, ob er sich denn nicht schäme, mit der Tochter seines Sohnes schlafen zu wollen, denn er habe nach seinen eigenen Worten den Prinzen doch immer wie seinen Sohn gehalten. Der eigentliche Stachel dieser Bemerkung (die freilich so wenig traf, wie irgendeine über diese Liebe spottende) sollte in dem Worte Sohn sitzen, denn es galt für ausgemacht, daß Heinrich einer der Liebhaber der Prinzessin Condé gewesen war. Deren Vergangenheit, die sie noch in ein gut Stück Zukunft weiter zu führen gedachte, bot freilich Anlaß genug zu Vorwürfen. Aber krasser mag diesen kaum ein anderer Ausdruck gegeben haben als der eigene Sohn. Denn als er in dem Verfolgungswahn, in den er allmählich hineinwuchs, auch die Mutter – sehr zu Unrecht übrigens – anschuldigte, für den König zu arbeiten, nannte er sie in Gegenwart anderer »Zuhälterin, Kupplerin und andere Sachen, die auch nicht besser waren«.

Charlotte war so genau überwacht, daß Heinrich das ersehnte Alleinsein mit ihr auch jetzt nicht erreichen konnte. Um so heftiger drängte er sich bei jeder gebotenen oder herbeigeführten Gelegenheit in ihre Nähe, um wenigstens einen Blick von ihr zu erhaschen, die Hand auf sein Herz zu legen oder ihr einen, ach, nur symbolischen Kuß zu senden. Condé, der von Natur mißtrauisch war, sah bald in jedem Menschen des Hofes einen Boten des Königs an Charlotte, vermutete in jedem leisen Gespräche eine Verschwörung gegen seine Ehre oder ein Gespött über sein drohendes Hahnreitum, und das Hofleben, an dem er nie viel Gefallen gefunden hatte, wurde ihm solcherart vollends unleidlich. So entschloß er sich bald, diesmal ohne vom Könige Urlaub zu verlangen, sich mit Charlotte auf ein anderes, Paris ferneres Landgut zurückzuziehen, und er beredete auch die Mutter zum Mitkommen, die unter den Augen zu haben ihm doch sicherer schien. Alsbald tauschte er sein erst gewähltes Gut Muret, das bei Soissons lag, gegen einen noch ferneren Aufenthaltsort am Rande der Pikardie. Heinrichs Bitten und Drohungen vermochten ihn so wenig zur Rückkehr zu bestimmen, wie die Aufforderungen Montmorencys an den Schwiegersohn. In einem an den Connétable gerichteten Brief Heinrichs steht, daß Beaumont, der offenbar als Unterhändler zu Condé geschickt worden war, zurückgekehrt sei und diesen noch schlechter als je zuvor gefunden habe.

Heinrich ertrug die tatenlose Sehnsucht nicht lange. Er mußte Charlotte sehen, mit ihr sprechen, womöglich sie in seinen Armen halten und mit ihr gemeinsam den Ausweg aus dieser Lage finden. Diese verfluchte Ehe durfte nicht weitergehen! Doch damit sie aufgelöst werden könne, bedurfte es Charlottens Zustimmung, ja, ihres ausdrücklichen Verlangens. Aber das kam alles nachher – erst mußte er sie sehen! Da unternahm es dieser mächtigste König seines Zeitalters, dieser Mann im weißen Barte, wahrhaftig, mit ein paar Gefährten verkleidet eine Abenteuerfahrt anzutreten, um die kleine Charlotte zu sehen. Wie das Unternehmen schon zu Ende des ersten Tages ruchbar wurde, hat l'Estoile aufgezeichnet: Der kleine Trupp von Männern mit falschen Bärten wurde bei einer Flußübersetzung auf einer Fähre für eine Bande von Dieben oder Wegelagerern angesehen, angehalten und der herbeigerufenen Wache übergeben. Als dann deren Anführer den Fang genauer besah, jagte er mit den Seinen wie vom Teufel getrieben davon. Ob Heinrich während der Zeit, da er mit allen Listen Charlottens Aufenthalt umstellt hielt, mit ihr auch nur hat sprechen oder ob er ihr seine Liebesbeteuerungen und Aufforderungen zum Verlassen Condés nur heimlich in Briefen hat zustecken lassen können, geht aus den erhaltenen Berichten nicht hervor. Wir wissen nur, daß er, diesmal als Wildhüter oder als Hundewärter verkleidet, mit einem Pflaster über einem Auge, in Charlottens Nähe gelangt ist. Endlich wurde er während einer Jagd auf einem Nachbargute, von der er mit vielen Künsten den Prinzen hatte fernhalten lassen, von der Schwiegermutter Charlottens doch entdeckt, die ungeachtet des Flehens und Beschwörens des Königs die Schöne sogleich hinwegführte und dann nicht wagte, dem Sohne die Begegnung geheimzuhalten.

Über diesen noch immer unerfüllt gebliebenen Hoffnungen und erfolglosen Bemühungen war der größere Teil des Jahres 1609 hingegangen. Für den Anfang November aber erwartete Heinrich, Charlotte bei Hof wiederzusehen: zur großen Jagd am Hubertustage würde der dazu gerufene Condé wohl kommen. Er kam auch – doch ohne Charlotte. Heinrich hielt seinen Groll an sich, bat den Prinzen zu bleiben und seine Gemahlin kommen zu lassen: ihre Anwesenheit sei erwünscht und geziemend, da eine abermalige Niederkunft der Königin nahe bevorstand. Jedoch die mühsame Freundlichkeit Heinrichs gegen Condé war nicht von langer Dauer. Es gab neues Wettern und Drohen, und auch der Connétable sparte nicht mit Poltern über die Undankbarkeit gegen den König und das Unrecht, eine so junge Frau im Winter dem Hofleben fernzuhalten. Es wurde Condé zuviel, und er verließ, wieder ohne Abschied, den Hof, in Eitelkeit und Eigensinn tief beleidigt und rachsüchtiger Entschlüsse voll.

Am 25. November kam die Königin nieder. Als Heinrich erfuhr, daß das Kind eine Tochter sei, sagte er, er hätte gern hunderttausend Taler gegeben, wenn es ein Sohn gewesen wäre, und das Volk war diesmal kräftigst einer Meinung mit seinem Könige, denn man hörte allerorten sagen, Töchter machten die Könige nur noch geldgieriger. Die neuerliche Vaterfreude war also nicht dazu angetan, Heinrich das nie zuvor gefühlte Schmachten vergessen zu lassen. Zwei Tage später kam die Nachricht, die, nach allen ihren Wirkungen zu urteilen, ihn zutiefst in allem noch Verwundbaren seines Wesens traf: die Nachricht, daß Condé Charlotte außer Landes, nach Spanisch-Flandern, gebracht habe! Bassompierre erzählt: »Der König spielte in seinem kleinen Zimmer, als erst Elbène« (ein Kammerherr), »dann der wachthabende Offizier ihm die Neuigkeit brachten. Ich war ihm am nächsten, und er sagte mir ins Ohr: ›Bassompierre, mein Freund, ich bin verloren; dieser Mann hat seine Frau in einen Wald gebracht. Ich weiß nicht, ob er das getan hat, um sie zu töten oder um sie aus Frankreich fortzuführen. Gib auf mein Geld acht und halte das Spiel weiter, währenddessen ich gehe, um genauere Nachrichten zu erfahren.‹ Hierauf betrat er mit Elbène das Schlafzimmer der Königin, die in ihrem Zimmer zu Bett lag, seit der Niederkunft mit ihrer letzten Tochter, die sie schlimm hergenommen hatte. Nachdem der König gegangen war, bat mich der Herr Graf« (von Soissons), »ihm zu sagen, was denn sei; ich sagte ihm, daß sein Neffe und seine Nichte davongegangen seien. Als hierauf die Herren von Guise, von Epernon und von Créqui mir dieselbe Frage stellten, gab ich ihnen die gleiche Antwort. Da zogen sich alle vom Spiel zurück, und ich nahm die Gelegenheit wahr, dem Könige sein Geld zurückzubringen, das er auf dem Tische gelassen hatte, und trat dort ein, wo er sich befand. Ich habe niemals einen Mann so außer sich und verstört gesehen. Der Marquis von Coeuvres, der Graf von Crémaille, Elbène und Loménie waren mit ihm. Er stimmte jedem Vorschlag oder Hilfsmittel zu, die einer von den Dreien vorschlug, und befahl Loménie, sie weiter zu befördern, wie den Wachoffizier mit seinen Garden hinter dem Herrn Prinzen herzuschicken, eiligst Balagny nach Bouchain zu entsenden, um ihn zu ergreifen, Vaubecourt, der damals in Paris war, an die Verduner Grenze zu schicken, um seinen Übergang dort zu verhindern, und andere lächerliche Dinge. Er hatte seine Minister holen lassen, die bei ihrer Ankunft ihm statt eines Rates etwas nach ihren Handwerkskünsten oder ihrer Natur vorsetzten.

»Der Kanzler und Herr von Villeroy, offensichtlich außer Fassung, schlugen nichts Annehmbares vor. Der Präsident Jeannin, der als dritter sprach, hatte Zeit gehabt, sich zu fassen, und war schlauer als sie. Er sagte dem Könige ohne Zögern, daß er unverzüglich einen der Hauptleute seiner Leibgarden hinter dem Prinzen hersenden müsse, damit er ihn zurückzubringen versuche, und hernach zu dem Fürsten der Staaten, in die er gegangen sei, um diesem mit Krieg zu drohen, wenn er ihn nicht in seine Hände überliefere; denn nach seiner Meinung sei das Fortgehen nicht vorher überlegt gewesen, noch habe er im voraus das Ansuchen um Aufnahme und Schutz gestellt; er sei ohne Zweifel nach Flandern gegangen, und der Erzherzog, der den Herrn Prinzen gar nicht kenne, noch ausdrücklichen Befehl von Spanien habe, ihn bei sich zu behalten, und der den König achte und fürchte, werde sich ihn nicht für nichts auf den Hals laden, sondern ihn ohne Zweifel zurückschicken oder aus seinen Staaten vertreiben.

»Der König fand diesen Ausweg nach seinem Geschmack, aber er wollte sich nicht entscheiden, bevor er nicht Herrn von Sully darüber gehört hätte, der recht lange nachher und recht grob und barsch ankam. Der König ging ihm entgegen und sagte ihm: ›Herr von Sully, der Prinz von Condé ist davongegangen und hat seine Frau mit sich geführt.‹ – ›Sire‹, erwiderte er ihm, ›ich bin darüber gar nicht erstaunt, ich habe das wohl vorausgesehen und es Ihnen auch gesagt, und wenn Sie dem Rat geglaubt hätten, den ich Ihnen vor vierzehn Tagen gegeben habe ..., hätten Sie ihn in die Bastille gesteckt, wo Sie ihn jetzt finden könnten, und ich hätte ihn Ihnen wohl bewacht.‹ Der König sagte: ›Das ist eine abgetane Sache, über die man nicht mehr zu sprechen braucht; aber was soll ich nunmehr tun? Sagen Sie mir Ihre Meinung darüber.‹ – ›Bei Gott, ich weiß es nicht‹, antwortete er, ›lassen Sie mich doch ins Arsenal zurückkehren, wo ich zu Abend essen und mich schlafen legen werde, diese Nacht dann werde ich an einen guten Rat denken, den ich Ihnen morgen früh überbringen werde.‹ – ›Nein‹, sagte der König, ›ich will, daß Sie mir zur Stunde einen geben.‹ – ›Dann muß ich also nachdenken‹, sagte er ihm und drehte sich zum Fenster, das auf den Hof hinausgeht, trommelte eine Weile darauf und kam dann zum Könige zurück, der ihn fragte: ›Nun, haben Sie nachgedacht?‹ – ›Ja‹, erwiderte er ihm. – ›Und was soll getan werden?‹ fragte der König. – ›Nichts‹, erwiderte er ihm. – ›Wie, nichts?‹ sagte der König. – ›Ja, nichts‹, antwortete Herr von Sully, ›wenn Sie nichts tun und zeigen, daß Sie sich darum nicht kümmern, wird man ihn mißachten, kein Mensch wird ihm helfen, nicht einmal seine Freunde und Diener dort drüben; und in drei Monaten wird ihn die Not und das geringe Aufhebens, das man von ihm machen wird, so weit gebracht haben, daß Sie ihn unter den Bedingungen, die Sie wollen, zurückhaben werden. Wenn Sie aber zeigen, daß Sie darüber bekümmert sind und den Wunsch haben, ihn zurückzuhaben, wird er dort in Ansehen gehalten und von denen drüben mit Geld unterstützt werden, und manche, die glauben, Ihnen Mißvergnügen zu bereiten, werden ihn bei sich behalten, die ihn sonst im Stich gelassen hätten, wenn Sie sich nicht um ihn gekümmert hätten.‹ Der König, der voll Verwirrung und Ungeduld war, konnte diesen Rat nicht annehmen und hielt sich an den Präsidenten Jeannin, der schärfer und mehr nach seiner dermaligen Laune war, und sandte tags darauf Herrn von Praslin sowohl an den Herrn Prinzen als an den Erzherzog.«

Hätte Heinrich doch Sullys Rat befolgt, denken wir heute. Aber er befürchtete dabei wohl, am Ende einen de- und wehmütigen Conde zurückzubekommen, der aber Charlotte derweil ihm vollends unerreichbar gemacht hätte. Und dann: wie konnte er drei Monate warten! Jeder Tag ohne sie war sinnlos vertan. Charlotte konnte warten, er nicht mehr. Selbst wenn er sie hätte, nähmen ihm Staat und Hof und Familie so viele Zeit fort, die er zu seiner Freude an ihr nutzen könnte. Aber sie nicht zu haben und die Zeit, die ihr gehören müßte, hinrinnen zu fühlen, war unerträglich. Wenn er den verfluchten Bastard nur jetzt in die Hände bekäme ... Er raufte sich die wieder ungekämmten Haare und schrieb Brief nach Brief, ohne Überlegung, aller Staatsklugheit und Würde vergessend. Er mußte etwas tun, und er fand nichts als dieses Briefschreiben, das Andere zum Tun aufrief. Er sah krank und elend aus, hetzte die Vorbereitungen zu dem gottlob nahen Krieg vorwärts, schrieb, beriet, ließ die Minister nicht zur Ruhe kommen. Und mancher Hirsch mußte für das Fernsein der Allerschönsten büßen.

Erst allmählich kamen dann die Einzelheiten dieser närrischen Flucht zu Heinrich: wie Condé unterwegs mehrere Pferde verloren habe, wie die Flüchtigen in einer Mühle im Heu übernachtet hätten und Charlotte von dem langen Ritte auf einer Pferdekruppe durch den eisigen Winterregen so durchnäßt angelangt war, daß sie die Handschuhe nicht mehr von den Händen gebracht hätte. Aus Brüssel, wohin Condé seine nun schon gar nicht mehr so willige Gefährtin gebracht hatte, mangelte es Heinrich dann schon nicht mehr an Nachrichten, denn die Größe des Skandals dieser Flucht stachelte den ganzen in Spanisch-Flandern unterhaltenen französischen Geheimdienst an, jede erspähte Einzelheit nach Paris zu melden. Trotz der gastfreundlichen Aufnahme durch den Erzherzog Albrecht und seine Gattin, die Infantin Isabella, begann Condés Hochgefühl, der Mittelpunkt einer gewaltigen Staatsaffäre geworden zu sein, bald um so mehr einzuschrumpfen, als er nun wirklich von Spitzeln und Spionen umgeben war und sich seiner Frau von Tag zu Tag weniger sicher fühlen konnte. Hätte er nicht den ihm geltenden Aufwand an Diplomateneifer und das Getue der Kabinette gesehen, was ihm immer wieder ein wenig Wichtigkeit einpumpte, so wäre er wohl schon weit früher, als Sully es vorausgesagt hatte, seiner anstrengenden Rebellion müde geworden und zu seinen gewohnten kleinen Pariser Freuden zurückgekehrt. Aber Heinrich selber machte ihm die zerknirschte Rückkehr vorerst unmöglich. Denn auf die zwei Königsbriefe, die vom Erzherzog und der Infantin so entschieden die Auslieferung der Flüchtlinge verlangt hatten, hatte es für Albrecht und Isabella nur eine Antwort geben können: die Verweigerung, unter Berufung auf das Völkerrecht und die Gesetze der Gastfreundschaft. Da konnte für Condé vom Kleinbeigeben die Rede nicht mehr sein, wie sehr ihm auch danach zumute sein mochte, zumal er Charlotte jetzt immer mehr unter den Einfluß des Königs und der Seinen geraten sah. Sie glaubte jetzt schon selber, daß sie am Ende Königin werden könnte, und mit der Entfernung gewann ihr der feurige alte Liebhaber mehr und mehr an Reiz. Zudem nahm sie sich und Condé die Flucht um so übler, als sie jetzt seiner lieblosen Eifersucht und rohen Schwäche vollends überdrüssig war und es nur der Fürsorge der Infantin zu danken hatte, daß sie den gröbsten Mißhandlungen entging.

Ohne es zu merken, daß er damit den Nimbus eines Opfers königlicher Tyrannei zerstörte, ließ Condé es sich angelegen sein, aller Welt nicht nur Heinrichs Bemühungen um Charlotte in wahren wie erfundenen Einzelheiten zu erzählen, er trug auch alle seine Klagen über seine Frau unter die Leute. Wenn er auch damit erreichte, daß da und dort über den hitzigen alten Liebhaber Heinrich gelacht wurde, verdarb Condé sich doch selber damit gründlich das bißchen Sympathie und Teilnahme und war zwar, wie er es ersehnt hatte, in aller Welt Mund, aber als ein quenglerischer Hahnrei und Narr. Er schrieb recht großartig an den König: Nur mit großem Bedauern habe er den Hof verlassen, um sein Leben und seine Ehre zu retten, mit der Absicht, dem Könige stets ein sehr untertäniger Verwandter zu bleiben, sein getreuer Untertan und Diener. Er flehe Seine Majestät an, die Versicherung entgegenzunehmen, daß er, wo immer er auch sei, niemals etwas gegen seinen Dienst unternehmen werde, sofern man ihn nicht dazu zwinge; aber er bitte auch, es nicht als übel zu vermerken, daß er sich weigere, Briefe von wem immer zu sehen und zu empfangen, die ihm vom Hofe geschrieben würden, ausgenommen solche des Königs, die, wenn Seine Majestät ihn damit beehren wolle, er stets mit solcher Untertänigkeit und Verehrung empfangen werde, daß Seine Majestät daraus erkennen könne, es liege ihm nichts mehr am Herzen, als nach seinem Vermögen Dero Befehle und Verordnungen auszuführen. – Das meinte, kurz gesagt: jetzt erst recht ...!

Die Briefe, die Heinrich durch seine Mittelsmänner Charlotte endlich zukommen ließ und von ihr erhielt, sind sämtliche verlorengegangen. Überliefert sind nur ein paar recht herzlich und vertraulich klingende Anreden, mit denen die Schöne ihre Briefe an »ihren teuren Ritter«, wie sie Heinrich meist nannte, begonnen hatte. Er war also wieder in Verbindung mit ihr, in einer recht unsicheren freilich, denn aus einem erhalten gebliebenen Billett an einen seiner Vertrauten, der offenbar als Nachrichtenbringer verwendet worden ist, geht hervor, daß der ungeduldige König weit mehr Briefe geschrieben haben muß, als der argwöhnisch bewachten Charlotte übergeben werden konnten. Unter den auf uns gekommenen Briefen, die Heinrich in dieser Zeit an das Regentenpaar in Brüssel, an Gesandte und andere Personen gerichtet hat, von denen er sich Hilfe in seiner Herzensnot erhoffte, spricht dieses Schreiben an Aubéspine, Abbé von Préaux, die beredteste Sprache. Es lautet: »Préaux, ich schreibe an meinen schönen Engel, lassen Sie ihr meinen Brief zukommen, wenn Sie können. Girard« (der Sekretär Montmorencys) »und unsere Gastfreundin begeben sich zu ihr, und da alle anderen Mittel mir versagt sind, können sie es nicht verweigern, mich dadurch zu verpflichten, daß sie ihr die Briefe übergeben; bitten Sie die Eine darum und befehlen Sie es dem Anderen. Schicken Sie mir diejenigen Briefe zurück, die ich ihr geschrieben habe und die ihr nicht übergeben worden sind ... Der Vater und die Tante« (Charlottens nämlich) »haben mit Pecus« (dem Pariser Gesandten des Erzherzogs) »gesprochen; sie machen mir viel Kummer, denn sie sind kälter, als es die Jahreszeit jetzt ist, aber unter meinem Feuer tauen sie auf, sobald ich mich ihnen nur nähere. Schicken Sie mir so viel Nachrichten, als Sie nur irgend können, hauptsächlich über die Gesundheit unserer Gefangenen ... Ich komme unter meinen Kümmernissen so sehr herunter, daß ich nur noch Haut und Knochen bin. Alles mißfällt mir, ich fliehe die Gesellschaft, und wenn ich, dem Brauch zuliebe, mich in eine führen lasse, bringt sie mich fast um, statt mich zu vergnügen. Leben Sie wohl.«

Ein paar Monate zuvor noch wäre es für Heinrich alle Glückseligkeit gewesen, zu wissen, daß Charlotte aus dieser höllischen Ehe fortwolle und ihn auch nur als ihren Beschützer zu betrachten geneigt wäre. Jetzt hatte er die Gewißheit, daß sie seine Liebe zu dulden, seine Zärtlichkeiten zu empfangen bereit sei. Und diese Gewißheit war nicht nur kein Trost, sondern machte ihn fast rasend. Die gute Zeit, das einzige sichere Besitztum, rann schaurig schnell aus dem Stundenglase, wieder ein Tag, wieder eine Woche, wieder ein Monat dahin, ohne sie! Jetzt war der unselige Narr Condé nicht mehr in Brüssel. Endlich hatte er den in aller gastfreundlichen Höflichkeit immer dringlicher werdenden Andeutungen, er könne doch nicht der Anlaß eines ernsten spanisch-französischen Konfliktes werden wollen, Folge geleistet und sich auf entfernteres spanisches Gebiet zurückgezogen, ins Mailändische, wo sein Bleiben politisch als weniger bedeutungsvoll betrachtet werden konnte. Charlotte hatte sich zwar geweigert, ihm dahin zu folgen, aber sie stand weiter unter dem Gesetze, in das Heinrich sie verblendet gezwungen hatte, unter dem Gebot des Gatten, der ihr befahl, in Brüssel unter der Obhut der Infantin zu bleiben. Ein von Heinrich ausgeheckter Entführungsplan hatte sich als undurchführbar erwiesen. Und Charlotte war, solange diese Ehe noch zu Recht bestand, unter dieser ebenso fürsorglichen, wie sittenstrengen Obhut der Tochter Philipps II. wie eingemauert. Der mächtigste König der Christenheit, nun ein trauriger und sehnsüchtiger alter Mann, stieß sich wund an diesen Mauern.


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