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XXIII

Die Sprache der Tatsachen in dem nun begonnenen Prozesse war zu deutlich, als daß die Richter sich noch der zeitüblichen kleinen Hilfsmittel zur Erforschung der Wahrheit zu bedienen brauchten; wie etwa seinerzeit in dem Verfahren gegen Chastel, währenddessen einer der Richter, als Priester verkleidet, versucht hatte, dem jungen Angeklagten in der Beichte die Namen von etwaigen Mitschuldigen zu entlocken. Die Aussagen Morgans, die Geständnisse d'Entragues', mehr noch die Auvergnes, und ihre Korrespondenzen und schriftlichen Abmachungen mit Spanien und Savoyen boten ein Beweismaterial, in dem kaum noch Lücken zu füllen waren. Nachdem die Verhöre zu den Akten genommen und diese in ihre dunkle alchimistenartige Ordnung gefügt waren, konnte die Untersuchung abgeschlossen werden, zumindest, was die männlichen Angeschuldigten anging. Daß Henriette ein Maß an Schuld in dem ganzen Verschwörertum gehabt hat, daraus sich etliche Todesurteile brauen ließen, bezweifelten weder Richter noch Laien. Es ihr aber prozeßmäßig zu beweisen, fiel umso schwerer, als sich aus Rücksicht auf gewisse Beziehungen die Folter nicht anwenden ließ, die sonst leicht über solche Unklarheiten hinwegzuhelfen pflegte. Auvergnes Anwürfe gegen seine Schwester durften, zufolge der gegenseitigen Feindschaft, so wörtlich nicht genommen werden, und d'Entragues versicherte, er habe wohl im Interesse der Tochter, doch ohne ihr Mitwissen gehandelt; und aus Henriette selber waren nichts als kühle und glatte Versicherungen herauszuholen, daß sie mit alledem nichts zu schaffen gehabt habe. Ja, sie habe daran gedacht, sich vor allfälligen Bedrohungen durch die Königin mit ihren Kindern ins Ausland zu begeben, doch eben nicht nach Spanien. Da außer der wenig beweiskräftigen Biron-Büste keinerlei verdächtige Korrespondenzen noch sonst sie belastende Dinge bei ihr gefunden werden konnten, mußte sich die Anklage gegen sie auf Wahrscheinlichkeiten stützen, die nun allerdings juristisch wie vernunftgemäß höchst beträchtlich waren.

Heinrich sah den raschen Fortgang des Prozesses mit wachsendem Mißvergnügen. Er übte seinen Einfluß, um ihn zu verzögern, wo er es nur vermochte, aber da das böse Räderwerk einmal in Gang gekommen war, mußte er es gehen lassen. Was er wollte und jeden Tag erwartete und herbeizuführen suchte, gemahnt an die Biron-Zeit: Henriette sollte ein völliges und offenes Geständnis ablegen. Da von ihrem wohlgewappneten, kühlen Hochmute dergleichen jedoch nicht zu erhoffen war, hätte Heinrich sich nur zu gerne mit ihrer Unterwerfung und einer Bitte um Vergebung begnügt, die er unter gewissen Bedingungen und endlich sogar ohne alle Bedingungen gewährt hätte. Aber auch eine solche Bitte kam nicht. Die Freunde und Vertrauten, die er als Unterhändler zu Henriette schickte, bekamen immer wieder nur zu hören, es brauche keiner Vergebung, wo keine Schuld sei. Oder: der König möge sie nur ruhig sterben lassen, sie sei dazu bereit, nur würde alle Welt dann sagen, er habe seine gesetzliche Gattin und die Mutter seines Erben töten lassen. Wie wenig die kleine Bueil, nun schon Gräfin Moret, trotz dem für sie gemachten Aufwand zur wirklichen Geliebten geworden war, beweist die Verstörtheit, mit der Heinrich jede dieser Antworten aufnahm. Seine Niedergeschlagenheit muß so groß gewesen sein, daß einer seiner Freunde es mit einer Mitleidslüge versuchte und von einem Gang zu Henriette die Mitteilung zurückbrachte, sie wolle um Vergebung bitten. Doch ehe Heinrich noch zur rechten Freude über diese Nachricht kam, war Henriette schon davon unterrichtet und widerrief sie aufs heftigste. Leider sind die drei Briefe nicht mehr vorhanden, die sie, wie aus einem Schreiben Heinrichs hervorgeht, in dieser Zeit an ihn gerichtet hatte. Es ist wohl möglich, daß sie nur praktische Bitten an den Vater ihrer Kinder und dergleichen enthielten, aber selbst dann noch wäre ihr Ton eine aufschlußreiche Ergänzung der Berichte über sie gewesen. Doch wir haben diese Briefe so wenig wie andere von ihr und müssen Henriettens Sein und Tun aus den oft schon erblindeten Spiegeln der alten Zeiten zurückholen.

Sully
Portraitsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Der Urteilsspruch des Parlamentes erfolgte am 1. Februar 1605 und lautete für d'Entragues und Auvergne auf Tod durch Enthauptung, für Henriette auf Einschließung in sicherem Gewahrsam, bis etwa die fortgesetzte Untersuchung ihre Schuld offenkundig machte und ein anderes Urteil ermöglichte. Bis zu solchem höchst ungewissen Zeitpunkte wurde der Marquise von Verneuil das Kloster von Beaumont-les-Tours zum Aufenthalte »unter guter und sicherer Hut nach dem Willen des Königs« angewiesen. Mit diesem Urteilsspruche war das Räderwerk der Justiz abgeschnurrt, und was weiter zu geschehen hatte, stand beim Könige.

Die Gräfin d'Entragues hatte Audienz beim König erbeten. Sie betrat das Gemach, in dem sie selber in den Tagen der größeren Medicikönigin ihr feindseliges Zuhause ebenso gehabt hatte, wie Henriette vor einer Weile noch; sie kam, um für den Gatten – nicht für die Tochter – Vergebung zu erflehen, halb gramgebeugte niobehafte Flehende, halb alternde höfische Buhlerin, welche den Königen allesamt hinter die Majestät geschaut zu haben meinte. Nachdem sie ihren demütigen und schlau blinzelnden Spruch hergesagt hatte, wenig berührt davon, daß das hatte in Gegenwart der Königin geschehen müssen, nahm Heinrich Maries Arm und erwiderte gaskognisch großsprecherisch: gewährte er hier Verzeihung, so hieße das zugleich, seine Gemahlin zur Konkubine und den Dauphin zum Bastard machen, von den Gefahren für den Staat gar nicht zu reden. So labend diese Worte für Marie erklangen, sie beschwichtigten doch ihre Zweifel über das Schicksal der Verurteilten nicht. Denn wie es um das Gefängnis der »Hure« (so nannte Marie Henriette meist, als Entgegnung für deren »fette Florentiner Bankierin«) und um das sichere Gewahrsam stand, schloß sie daraus, daß Henriette bereits vom Könige die Erlaubnis erhalten hatte, ihre Kinder und ihren Vater im Gefängnis zu besuchen. Maries bißchen Hoffnung, der Feindin endgültig ledig zu sein, wäre aber völlig geschwunden, hätte sie den Brief gekannt, mit dem Heinrich diese Erlaubnis erteilt hatte, diesen Brief, der mit der Anrede »Mein liebes Herz« beginnt und mit den Worten endet: »Lieben Sie mich ..., denn ich schwöre Dir, daß alles übrige auf der Welt mir nichts ist neben Dir, die ich eine Million mal küsse und wieder küsse.«

Maximilien de Sully
Quelle: Wikipedia

Im übrigen mußte Marie allmählich aus ihrer Florentiner Umgebung erfahren haben, was von dort, als Geheimbericht, fast drei Wochen nach der Urteilsfällung nach Florenz ging: »... Man entschließt sich nicht dazu, die Marquise dort einzuschließen, wo es bestimmt worden ist. Der König ist von neuem leidenschaftlich bestrebt, sie zu sehen, was sie aber unter der Hand recht kunstvoll verweigert hat. Der König läßt sich noch von der Achtung der Menschen und der Furcht vor der Verachtung der Königin davon abhalten. Indessen will er augenblicklich erreichen, bei der Schwester der Frau von Verneuil willkommen zu sein; man ist dahin übereingekommen, daß ihr dreißigtausend Taler gegeben werden sollen, damit sie dem Könige als Deckmantel diene, die Marquise sehen zu können. Aber die Schwester hat diesem Handel nicht zustimmen wollen, solange der König ihren Vater, ihren Bruder und ihre Schwester gefangenhielte. So wird der König allgemach wieder in die Gefahr zurückgeworfen, sein Leben aufs Spiel zu setzen und das Königreich in Brand zu stecken. Die Gefangenen, obwohl unter Verschluß, verfehlen nicht, in ihren Praktiken fortzufahren, und ihre Anhänger fassen wieder Mut, mit Spanien zu verhandeln. Dieser Hof und das ganze Königreich sind voll von Parteiungen und Spaltungen, Spanien schürt und unterhält sie und erfüllt genau die Anweisungen, die der Graf von Auvergne dahin gesandt hat.«

Sowenig Heinrich aber auch an noch weitergehende Verschwörungen der d'Entragues mit Spanien glaubte oder gar sie fürchtete, so willkommen war ihm, daß weiterhin Kluge wie Törichte den alten Angsttraum Spanien in den Nerven hatten und immer neues Gerede über spanische Machenschaften in Umlauf brachten. Denn seit dieses Urteil gesprochen und die letzte Entscheidung wieder an ihn zurückgefallen war, begann er, allen Tatsachen zum Trotz, in kleinen Rucken die ganze Sache wieder dahin zu schieben, wo er sie schon am Anfang gehabt hatte, als er die Angeschuldigten lediglich als unglückliche Verführte spanischer Ränke betrachtet sehen wollte. In der schönen und aufschlußreichen Korrespondenz Heinrichs mit dem Landgrafen Moritz dem Weisen von Hessen findet sich in dem Briefe des Königs vom 26. Februar (also sechs Tage nach dem oben angeführten florentinischen Berichte) die folgende Stelle: »Der Graf von Auvergne und seine Mitschuldigen sind endlich von meinem Parlamente gerichtet und zu sterben verurteilt worden, als des crimen laesae majestatis schuldig; aber seither habe ich auf das sehr große Flehen und Drängen des Herzogs von Lennox hin, eines Neffen des Herrn d'Entragues, der von seiten des Königs von England zu mir gekommen ist, bis jetzt die Verkündigung und Vollstreckung besagten Urteils aufschieben wollen. Aber ich habe wohl festgestellt, daß Johann Baptist von Taxis, der dem Könige von Spanien als Botschafter bei mir gedient hat, der hauptsächliche Urheber und Anstifter dieser unglückseligen Verschwörung gewesen ist, für den Dienst seines Königs, welcher ihn nichtsdestoweniger hierin Lügen straft und nichts gewußt zu haben behauptet, was so wenig wahrscheinlich ist, daß es sich durch das einfache Lügenstrafen selber kundtut. So haben wir entdeckt, daß der erste Sekretär des Königs von Spanien seine Hand im Spiele gehabt hat, was er nicht getan hätte, wenn sein Herr es ihm nicht erlaubt hätte. Aber das ist ihre Gepflogenheit, die Dinge zu leugnen, die ihnen nicht nach Wunsch ausgehen ...«

Daß hier nur noch Auvergne mit Namen genannt wird, zeugt von Heinrichs Absicht, gegen den bösen Bruder Henriettens am strengsten zu verfahren. Was den Herzog von Lennox anlangt, hat dieser in der Tat Fürsprache für die Verurteilten eingelegt, wenn auch wohl nicht so heftig und dringlich – und daß dies gar im Auftrage seines Königs geschehen sei, ist um so unwahrscheinlicher, als Jakob I. wesentlich dazu beigetragen hatte, daß die ganze d'Entraguessche Verschwörung ans Licht und vor die Richter kam. Daß Heinrich es übrigens in Briefen dieser Art liebte, mit der Wahrheit so umzuspringen, wie es ihm in den Kram paßte, zeigt eine frühere chiffrierte Briefstelle, in der er dem Landgrafen zum erstenmal von dieser Verschwörung folgendermaßen Mitteilung macht: »Ich habe den Grafen von Auvergne, seinen Stiefvater und seine Schwester der Justiz übergeben, die beschuldigt und angeklagt sind, sich mit dem Großherzog von Toskana weiter in Verhandlungen eingelassen zu haben, als sie gedurft hätten.« Den Oheim Maries in diesem Zusammenhang zu finden, läßt über das Erheiternde hinaus sehen, mit welcher naiven Selbstherrlichkeit Heinrich, der Realist, mit der Wirklichkeit umging, wenn sie einmal nicht seinem Sinn oder vielmehr seinen Sinnen gefügig sein wollte. Wie er dem befreundeten Landgrafen gegenüber die innerlich schon getroffenen Entscheidungen in der Anordnung der Tatsachen vorwegnahm, so fand er vor den Mitgliedern seines eigenen Rates eine noch wunderlichere Form, indem er erklärte, eine Eingebung von oben habe ihm vorgeschrieben, wie er gegen die Verurteilten zu verfahren habe. Hätte Sully ein klein wenig Sinn für Humor gehabt, so hätte er sich wohl des Lachens nicht enthalten können, wenn er seinen alten Heinrich von Eingebungen reden hörte! Nach solchen krummen Vorbereitungen kam dann endlich, was längst fertig und bereit war und keinen Menschen mehr verwunderte: Der König kündigte an, daß er den beiden zum Tode Verurteilten das Leben schenken und Gnade walten lassen wollte. Ehe er dieses sehr ungleiche Maß der Gnade in unwiderrufliche Worte gefaßt hatte, gab es noch allerlei Widerstand von Seiten der Königin, des Rates und etlicher Freunde. Dabei tauchte wieder der ihm schon gemachte Vorschlag auf: wenn er die Marquise von Verneuil durchaus begnadigen wolle, dann solle er sie, mit Geld wohl versehen, für immer aus Frankreich verweisen und als Gegenopfer von Marie fordern, daß Eleonora und Concini gleichfalls endgültig über die Grenzen geschickt würden, womit er der Viper und der Skorpionen zugleich ledig würde. Aber davon wollte Heinrich nichts hören. Er machte Ausflüchte, und er polterte, wenn die Warnungen und Mahnungen dringlicher werden wollten. Wenn aber Freundeseinwände klüger und gerechter seinen willentlich sich verhüllenden Verstand trafen, dann sah er den Sprecher auf ganz ungewohnte Art an, zuckte die Achseln, und in seinem Barte und auf den eingefallenen Wangen begann ein Lächeln, stark und nicht ohne Heiterkeit, das Lächeln derer, die tun, was ihres Schicksals ist, dieses lebenstiefe lateinische Lächeln von Heroen, Heiligen und Narren, undurchdringlich wie auf den Gesichtern Tassos, Mirabeaus oder vielleicht des Kolumbus in den Stunden ihrer Prüfungen.

Heinrich verzieh, nicht nur als König und höchster Richter. Der begnadigte d'Entragues konnte bald die Bastille verlassen, in der freilich Auvergne noch jahrelang gefangengehalten wurde.

Von Henriettens Gefangenschaft war weiter keine Rede mehr. Sie war auf ihrem Besitztum Verneuil zu bleiben verwiesen, und auch dieser bloße Schein von Verbannung hatte bald ein Ende: im September des Jahres 1605 wurde in aller Form das gegen sie ausgesprochene vorläufige Urteil als nichtig erklärt und jedes gerichtliche Verfahren gegen sie eingestellt, womit sie wieder in den vollen Besitz aller ihrer Rechte gelangte. Mit diesen von Zeitgenossen und Nachfahren viel und hart getadelten Entschließungen hatte der Prozeß d'Entragues sein Ende. Wenn Marie oder der eine oder andere Kumpan Heinrich nachher gelegentlich noch seine Schwäche in alledem vorhielten, dann erwiderte er, die Milde habe sich als berechtigt erwiesen, indem es ja von der d'Entragues-Seite her mit allen verschwörerischen Umtrieben seitdem ein Ende gehabt habe. Den übriggebliebenen großen Verschwörer Bouillon, der unter den schlimmsten Unruhestiftern dieser Jahre gewesen war, wolle er nun auch zu fassen versuchen, und, wenn das anging, zuletzt ihm Milde erzeigen, die an den d'Entragues so gute Früchte gezeitigt habe. Daß unter diesen Früchten Henriette ihm noch manche ungute, ja, recht bittere, darbot, ließ ihn seine »Schwäche« dennoch nie bedauern; denn im Innersten seines Wesens wußte er, daß sie die tiefe Liebessanftmut des alternden Mannes gewesen war, aus dem gegen Vernunft und Selbstbewahrungswollen auf diese Art der Dank kam, daß er sich hatte so sehr hingeben dürfen und daß er der Entzückung seines Leibes gegen alle und alles hatte glauben können.


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