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XXIX

Heinrich, Gestalt und Gestalter eines Zeitalters, dem das vordem selbstverständlich Gewesene des Gottesglaubens nach Inhalt und Form so sehr zum Problem geworden war, wird von Zeitgenossen und Nachfahren in Hinblick auf die Religion so verschiedenartig beurteilt und dargestellt, daß man in ihm je nach den Quellen einen protestantischen Glaubenshelden, einen vorbildlichen Katholiken oder einen von Grund auf Gottlosen zu sehen vermöchte, der die eine wie die andere Frömmigkeit jeweils aus politischer Klugheit geheuchelt habe. Wenngleich aus dem bisher Erzählten schon abzulesen sein müßte, daß Heinrich nichts von alledem gewesen ist, muß ein Stück Lebensgeschichte aus einer Zeit, in der um der Art des Glaubens willen die verschiedenen Parteigänger Christi schlimmer gegeneinander gewütet hatten, als je Heiden oder Moslemin gegen Christen, der Frage nach der Religion die Antwort suchen, so gut es geht.

Heinrich hatte den Protestantismus als ein Erbgut von seiner Mutter mitbekommen und war ihm als der nach seinem Sinne helleren und vernünftigeren, weil der neuen Zeit entsprechenderen Art des Christenglaubens angehangen, bis die bluttriefenden Schwerter und Piken der Bartholomäusnacht ihn vor die Wahl zwischen Tod und Abschwören gestellt hatten. Als ihm endlich die Flucht vom Valoishofe glückte, war er sogleich zu den Protestanten zurückgekehrt und hatte ihre Führung übernommen. Zwar hatte er dann, als er in dem zur Trutzburg des Protestantismus gewordenen La Rochelle Aufnahme suchte, etliche seiner vertrautesten Freunde, wie Fervaques, fallen lassen, die eifrige Katholiken und Würger der Bartholomäusnacht gewesen waren, und hielt sich so genau, als es sich mit seiner Natur vertrug, an die Vorschriften und Bräuche des kalvinischen Glaubens. Doch Glut und Eifer dieses Glaubens, nun seine heroische Kampfzeit vorbei war, waren in den meisten der noch für ihn Streitenden lauer und lauer geworden, und für Heinrich und andere Protestantenführer wurde der Glaubenskampf immer mehr zum Vorwande für den Krieg gegen die Guise und den spanischen Anhang in Frankreich. Ein neuerer Historiker schreibt: »In Frankreich kam, eher als in den übrigen Ländern Europas, die Zeit, wo die religiösen Beweggründe nur als Vorwand für persönlichen oder staatlichen Ehrgeiz dienten. War das noch ein angemessener Führer für die Scharen Kalvins, dieser Heinrich von Navarra, der nach jedem glücklichen Gefecht das Kriegslager verließ, um in den Armen einer seiner zahlreichen Geliebten sich den Lohn seiner Taten zu holen? ... Die reformierten Soldaten ahmten das Beispiel ihrer Führer nach, und religiöse Gleichgültigkeit, Ausschweifungen, Raubgier wurden derart unter ihnen vorherrschend, daß die Geistlichen erklärten, sie wollten lieber die Scheiterhaufen wieder glühen sehen, als die Fortdauer eines so entsittlichenden Kampfes.« Dazu kam, daß der französische Protestantismus fast ausschließlich im Adel und im wohlhäbigem Bürgertum Wurzeln geschlagen hatte, dem aufgeklärteren und ungebärdigeren Teil der Bevölkerung also, die nicht nur aus Rebellion gegen die Mißbräuche der Kirche, sondern auch ihrer Intoleranz und ihrer Feindschaft gegen die neue geistige Humanität wegen, sich von Rom abgewandt hatten. Und eben die sahen Genf zu einem neuen, unduldsameren und sinnenfeindlicheren Rom werden. Während die Geistigeren unter ihnen etwa an der Haltung Montaignes oder an den klargefaßten menschlicheren Idealen des Kreises um Valdes in Neapel, der sich um Duldsamkeit im Geiste, Achtung vor dem Leben und Brandmarkung der Tortur bemühte, ein Beispiel nahmen, empfanden die schlichteren, sinnengesunden Zeitkinder unter den Protestanten Frankreichs den auf Gewissen und Leben ausgeübten Zwang der Eiferer immer härter. So hörte nicht nur das Übertreten der Katholiken fast völlig auf, die inzwischen vor der nun zum kalvinischen Grunddogma gewordenen Prädestinationslehre ebenso zurückscheuten wie vor der die römische Kirche weit übertreffenden Strenge und Unduldsamkeit, von der das Regiment in Genf, an dem gemessen Spanien mit seiner Inquisition noch freiheitlich anmutete, beredt genug Zeugnis ablegte; auch unter der Mehrzahl der Reformierten selber hatte, seit es nicht mehr auf Leben und Tod ging, jene Lauheit begonnen, die nichts anderes bedeutete, als daß diese nicht mehr gehetzte religiöse Minderheit eben zu leben begann, wie die meisten ihrer katholischen Zeitgenossen. Die Zeit war vorbei, da das kalvinische Konsistorium Heinrich noch hatte zwingen können, vor dem ganzen Heere die Verzeihung einer Sünde zu erbitten, da es den Prinzen von Conde wegen unrechtmäßiger Kriegsbeute exkommunizierte oder »einen angesehenen Edelmann wie Du Plessis-Mornay mit seiner ganzen Familie vom Abendmahle ausschloß, weil seine Frau mit einem unpassenden Kopfputze erschienen war«. Vorbei war die Wirksamkeit der Verbote unangemessener Kleidung und von Vergnügungen, wie Tanz, Maskeraden, Komödie-Spielen, Theaterbesuch, ja selbst des Marionettentheaters, sowie aller Glücksspiele; vorbei das Befolgen der strengen und genauen Vorschriften über Kleidung, Mäßigkeit in Speise und Trank und dergleichen. Mit dieser Anpassung an den Charakter ihrer Zeit und der Rückkehr zu den Sitten ihres Landes hatten die französischen Protestanten den Weg zur äußerlichen Wiedereinfügung in den Staat begonnen. Als aber ihr Führer Heinrich sie darauf noch weiter führen wollte, begannen sie das in Jahrzehnten geübte Politikmachen gegen ihn zu kehren. Heinrich war durch das Andenken seiner Mutter an sie gebunden, durch lange Waffenbruderschaft und empfangene Dienste, durch Erinnerungen und Gefühle, ohne jedoch durch die unauflöslichen Bande eines festen, wohlverwurzelten Glaubens bei ihnen festgehalten zu werden. Je mehr ihm die Reformierten dann bewiesen, daß sie für ihre Kirche und nicht für ihn kämpften, um so mehr glaubte er sich einer persönlichen Dankbarkeit entbunden. Als er sich nach jahrelangem Zögern zur Erfüllung der Bedingung entschloß, unter der er die Erbschaft Heinrichs III. angetreten hatte, zur Rückkehr in die katholische Kirche, war das ein Akt staatskluger Einsicht gewesen, daß er das doch vorwiegend katholische Land nur als Katholik würde zu Frieden und Ordnung bringen können. Daß er hernach vorerst einen großen Teil der Protestanten gegen sich und nur einen kleinen der Katholiken für sich hatte, focht ihn nicht an, nun er sich seinen Weg vorgezeichnet hatte. Wenngleich er aber »den gefährlichen Sprung«, wie er seinen Übertritt genannt hatte, lediglich um der Befestigung seiner Herrschaft willen unternommen hatte, ohne sich auch nur vorher in der katholischen Glaubenslehre unterweisen zu lassen, hielt er sich nachher recht genau an die kirchlichen Vorschriften, wie erwähnt worden ist, und nannte sich selber einen guten Katholiken. Das ist das Äußerliche.

In seinem Gefühle aber war Heinrich »weder Gottes noch des Teufels«, wie Madame de Sevigne von sich gesagt hat, sondern ein vom Herzen diesseitiger Mann. Er kannte kein Traumspielen mit Jenseitsgedanken. Hierzusein war so gut, daß ihn jede Stunde verdroß, die er es nicht mit ganzer Kraft und ganzem Fühlen sein konnte. Er betete, aber es war aufs Hiersein bezogen. Kein Himmel, den ihm die Sakramente erwerben sollten, konnte süßer sein, als er's hier kannte, trotz allem, mit allem, mit den Menschen, wie sie eben waren, der Last der Pflichten und dem Kampf gegen Dummheit und Schlechtigkeit; denn an alledem fühlte man sich ja leben. Er »glaubte« an Gott, er ließ ihn gelten, er hielt die Abmachungen eines vernünftigen, durch die Taufe zum Christen gewordenen Mannes mit ihm ein, und was die Gebote anlangte, so hatte dieser Gott ja selber ein Einsehen gehabt und dem Menschen, der durch die Nachgiebigkeit gegen seine gottgeschaffene Natur schon sündig werden konnte, das Mittel gegeben, dieser Sünde auch wieder ledig zu werden. Heinrich hatte eine Fülle großartiger und kleiner Religionsgespräche mit angehört, Dispute zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Frommen und Skeptikern, doch beteiligt hat er sich an keinem. So sehr es ihm in allen Lebensdingen um Begreifen, um Einfügen in eine Sach- und Daseinsvernunft ging: an die »Geheimnisse« trug er kein Sinnen und Deuten heran. Er hatte mit dem Katholizismus Unbegreifliches als Wahrheit übernommen, die Transsubstantiation, die Dreifaltigkeit, an die zu glauben Gesetz ist; so glaubte er, indem er sie da sein ließ und nicht fragte. Er fragte auch nicht, wenn nicht nur unfaßbare, sondern sogar gegen seine Vernunft gehende Dinge in seinen Kreis kamen, wie etwa der Satz aus den Protokollen des Tridentiner Konzils, der in der Zeit nach seinem Übertritte und während des Papstes Zögern mit der Absolution in seiner Gegenwart öfters besprochen wurde: »Probabile est pieque credi potest Summum Pontificem non solum ut Pontificem errare non posse, sed etiam, ut particularem personam, haereticum esse non posse, falsum aliquid contra fidem pertinaciter credendo.« (Es ist wahrscheinlich und kann frommerweise geglaubt werden, daß der Höchste Priester nicht nur als Papst nicht irren könne, sondern daß er auch als Privatperson kein Ketzer sein könne, auch wenn er etwas Falsches gegen den Glauben hartnäckig glaubt.) Heinrich fragte nicht, er brachte seine Vernunft gar nicht an solche Dinge heran, die ihm doch unwißbar schienen. Er lebte mit diesen Geheimnissen ohne Beunruhigung, wie er etwa das so viele Köpfe und Herzen erregende dunkle Gesetz zwischen dem Sternengange und den Menschengeschicken als gegeben hinnahm und aus seinem sicherlichen Vorhandensein das Verhältnis der ihm nahen Menschen zu ihm und zueinander auffaßte, wie das der Gestirne in einem Sternbilde. Er hielt auf die Vernunft, aber innerhalb ihrer Reichweite. Theologie und Philosophie sollten die treiben, die sich dazu berufen fühlten, seines Amtes war das nicht. Mochte ihn auch zuweilen bei manchem gelehrten Tun und Urteilen ein kleines Unbehagen ankommen, wie etwa, als er von dem Manne hörte, der im Jahre 1607 in Paris öffentlich verbrannt wurde, weil er eine Stute geliebt und zwei Kinder von ihr gehabt habe, und daß über das Schicksal der angeblichen Kinder der mit dem Verbrecher mitverbrannten Stute ein Collegium plenum der Doktoren der Sorbonne die Entscheidung übernommen habe. Das ging eben doch nur die Gelehrten an und hinter ihnen den Weltregenten mit seinen Geheimnissen.

Nach einem Siege, fünfzehn Jahre früher, hatte er einmal gesagt: »Es scheint mir, daß wir alle Gott Dank sagen müssen, und es wird nicht von Übel sein, das Tedeum singen zu lassen, damit er, wenn er sieht, daß wir nicht undankbar sind und ihm für die uns erwiesenen Gunstbeweise danken, damit fortfahre.« Darin ist seine ganze Religiosität ausgesprochen, seine durchaus sachliche Beziehung zu Gott, die ihre Art von Dienstreglement mit dem Glaubenswechsel geändert hat, aber auf protestantisch wie auf katholisch dieselbe geblieben ist. Denn da gab es keinen Weg nach Damaskus, keine Seelenkämpfe um Gut und Böse – aber auch ganz und gar keine Zweifel. Gott war da, der große Herr der anderen Seite. Und man zahlte ihm den Tribut, das war Dienst. Alles und jeder hatten Dienst zu tun in der Weltordnung, wie Heinrich sie verstand, der König, dem ein Teil dieser Ordnung obliegt, wie der Mensch, der sich einzufügen und seine Sache zu tun hat, das Tier, das ziehen und tragen, Milch und Fleisch oder sein Leiden und seinen Tod für die Jagdlust geben muß, alles dient einander und Gott, der das Hier angefangen und den Kreaturen zum Weitermachen übergeben hat und der dann drüben erst den rechten Dienst an seinen Geschöpfen tun muß. In diesem Jenseitsglauben war jedoch keine Erlösungssehnsucht, nur die Überzeugung einer großen Liebe zum Sein: daß Es nicht zu Ende gehen könne, dieses süße, glühende, genießen- und schaffenwollende Es-Ich, das Da- oder Dort-Sein haben will. Die große Bruchstelle in der Daseinsvernunft, die finstere Geheimnispforte Tod, die er so oft offen gesehen, tapfer und unverzagt, so lange sie drohte, und listig blinzelnd, wenn sie sich wieder schloß, war freilich mahnend da in diesem widersinnigen Gang, in dem der Jahre mehr wurden und des Lebens weniger. Der starb und die. Es gab gute Nachrede, üble Nachrede. Wer hat recht? Recht hat, was auf dieser lieben Erde übrigbleibt an Getanem – aber mehr noch haben vorerst doch die Überlebenden recht, solange es denen noch gegönnt ist, im schönen Lichte zu gehen, zu atmen, zu lieben und so zu tun, als ob es für immer wäre. Nachher, wenn man selber kein Überlebender mehr ist, geht das Gott an, den König des anderen Reiches, für den man ja eine Menge getan hat, Sakramente, Gebete, Exerzitien, Kirchenbau und Unterstützungen der geistlichen Orden, für den man in seinen geweihten Zeiten sich des Fleisches enthalten hat, sogar dessen der schönen Frauen.

So war Heinrich niemals auf dem Wege zum »Engel« gewesen, auf dem nach Nietzsches Wort »der Mensch sich jenen verdorbenen Magen und jene belegte Zunge angezüchtet hat, durch die ihm nicht nur die Freude und Unschuld des Tieres widerlich, sondern das Leben selber unschmackhaft geworden ist: so daß er mitunter vor sich selbst mit zugehaltener Nase dasteht und mit Papst Innozenz mißbilligend den Katalog seiner Widerwärtigkeiten macht: unreine Erzeugung, ekelhafte Ernährung im Mutterleibe, Schlechtigkeit des Stoffes, aus dem der Mensch sich entwickelt, scheußlicher Gestank, Absonderung von Speichel, Urin und Kot«.

Heinrich war soweit ein Christ, als das Christentum von dieser Welt und der Christenglaube ohne Gottesfurcht sein und sich mit fröhlichem im Leibesleben Zuhausesein vertragen kann.


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