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XXVI

Der Béarner! – Der Name hing Heinrich sein Leben lang an und haftet bis heute an seinem Andenken. Wäre er in der Touraine, der Champagne oder etwa der Pikardie geboren worden, so hätte kein Franzose seinem Könige den Beinamen aus solch einer Landschaftsherkunft geschaffen. Daß Béarn mit Navarra eine Art Unabhängigkeit gehabt und ihm die Titel seiner Jugend gegeben hatten, hätte für solche Zähigkeit der Benennung nicht ausgereicht, wenn der Name Béarner nicht zugleich Gaskogner und damit ein Anderssein in Art und Wesen gemeint hätte. Denn Béarn liegt am Fuße der Pyrenäen, nahe baskischem und spanischem Land, und hat eine Sprache, die von der französischen so verschieden ist wie die provençalische und beinahe wie das Italienische und Spanische. Es ist Süden, rauher als die Randländer des Mittelmeeres, aber durchaus Süden mit Öl- und Feigenbäumen, den Macchien voll Myrte, Mastix- und Terebinthensträuchern. Und wenn Heinrich in seiner Jugend, vor der schicksalsvollen Fahrt an den Pariser Hof, schrieb, er gehe nach Frankreich, so hatte er so wenig den politischen Begriff gemeint wie die Franzosen, wenn sie ›der Béarner‹ sagten, sondern das andersgeartete Land, in dem schon ein Stück Norden war, in dem es herging wie in Flandern, dem Bier- und Butterland, wie der große Hehn den Gegensatz zu den Öl- und Weinländern des Südens formuliert.

Jetzt war Heinrich ein gutes Stück in die Fünfzig hineingewachsen, war dem Namen nach wenigstens mehr als anderthalb Jahrzehnte der König dieses Frankreich, und selten mehr sprach er die Sprache seiner Kindheit, ja, sein Französisch klang rein und war voll Fülle und legitimster Eigenart. Frankreich war ohne ihn nicht mehr zu denken, und die Pariser fühlten und erregten sich an seiner Gegenwart. Sie sahen ihn im Jagdgewande zu Pferde oder im Staatskleide in der Karosse, mit dem hohen, breitkrempigen schwarzen Hut, dem schwarzen Wamse, das Ordenskreuz an einer Kette darüber, den schwarzen Pluderhosen und der weißen Krause an Hals und Handgelenken, recht wie ein König von Frankreich um diese Zeit gewandet zu sein hatte – und sie sagten doch: der Béarner oder gar der Gaskogner, freundlich, herzlich, ja mit einem liebevollen kleinen Spott dieses Anderssein heraushebend. Jeder von ihnen kannte die Geschichte seiner Geburt (wie sie alle die hundert und aberhundert Geschichten seiner Heldentaten und Streiche kannten). Die Bourbonen waren keine Südländer, aber der da, der dieses Geschlecht auf den Thron von Frankreich und in die Weltgeschichte gebracht hatte, war es und blieb es für das Gefühl Aller. Ein Held, der Retter Frankreichs, der Friedengeber, der Erneuerer, und was man ihm sonst noch an antikisch geschmückten, hochklingenden Epitheta zulegen mochte, und dabei doch der Gaskogner, ein bißchen Schwadroneur und Großsprecher, ein Knoblauchesser. Auch sie taten Knoblauch in ihre Ragouts, hätten den Schweinebraten ohne ihn fade gefunden – aber ihm hatte nach seiner Geburt der Großvater d'Albret die Lippen mit einer Zehe Knoblauch eingerieben, damit er ein rechter Mann von seinem Schlage werde, wie er ihm ein paar Tropfen des Lieblingsweines der Gaskogner, des Jurançon, auf die Lippen geträufelt hatte. Als Jüngling schon hatte Heinrich im Feldlager sein Brot dick mit Knoblauch belegt und ihn das Fleisch der Soldaten genannt. Ein Frühstück aus Käse, Knoblauch und Oliven, von dem ein griechischer Dichter redet, hätte auch Heinrichs Beifall gefunden. Wenn er auch nicht bei Knoblauch und Zwiebel schwor, wie es jahrhundertelang im alten Ägypten Brauch gewesen war (nach dessen Lauchgewächsen die Juden sich später so sehnten), so war ihm dieser Knollen doch unerläßliche Würze vieler Speisen, nach der der Wein doppelt gut mundete. Und er teilte den Glauben, der seit Jahrtausenden von den mittelländischen Menschen weitergetragen wurde, daß dem Knoblauch wunderbare Heilkräfte innewohnten. Daß dieser Glauben von der neuen Heilkunde inzwischen vollauf bestätigt wurde und die medizinische Statistik heute das Fehlen einiger, die Herabminderung anderer Krankheiten in den knoblauchessenden Ländern findet, sei nebenbei angemerkt.

Der Nordländer, unter anderem Klima, anderen Lebensbedingungen und sozusagen aus anderen biologischen Mythen erwachsen, kann und mag sich weder die schöne Nephrotete, noch die Königin von Saba, weder Achill, noch Penelope, noch Mucius Scävola oder Julius Cäsar als nach Knoblauch riechend vorstellen, wie die Juden der Ghettos oder italienische Straßenarbeiter, spanische Matrosen oder etwa einen Marseiller Straßenbahnschaffner, an welchen ihm solcher Geruch zum ersten Male lästig geworden sein mag. Wer aber heute noch an einem Fasttage ein Gasthaus vornehmer oder geringer Art in den provençalischen Städten betritt, wird auf jedem Tische den Aioli sehen, diese Lieblingsfastenspeise des französischen Südens, eine aus einer Unmenge zerdrückten Knoblauchs gemachte Mayonnaise, und wird merken, daß nicht nur die kleinen Leute mit Genuß davon essen. Auch heute rümpfen die vornehmeren Nordfranzosen ebenso die Nase darüber, wie etwa Deutsche und Skandinavier, deren Magen auf die gleiche Art auch gegen die in Öl gebratenen Fische des Mittelmeeres revoltiert.

Auch innerhalb der deutschen Welt gibt es dieses Anderssein von Norden und Süden und den Unterschied der Stammesdialekte und Lebensformen nach den Bedingungen der Länder. Aber es gibt nicht diesen grundlegenden Unterschied in der deutschen Nation, der in der französischen besteht, diesen Unterschied zweier Welten, der von der Lebensführung bis in den Mythos hineingeht. Die überindividuelle Lebenstemperatur, all das zusammen, was man gemeinhin Temperament nennt, das Verhalten zum Eigentum, zur Wahrheit, zum Nächsten, zu Mensch oder Tier, zur Religion, ist in dem gallisch-germanischen Pikarden so sehr anders als in dem lateinisch-mittelländischen Provençalen, daß man hier besser den Knoblauch als ein Symbol einsetzt, anstatt den Unterschied mit wuchtigen Gemeinplätzen charakterisieren zu wollen.

Der weißbärtige König von Frankreich, der von der Mutter redete und nach den Gärten in Béarn fragte, wo die einst spielend gepflanzten Samen und Keime derweil breitkronige Pinien und große Feigenbäume geworden waren, war kein Ichfrager und Selbstbeschauer. Er hatte als Jüngling schon die südliche Heimat verlassen, hatte in ganz Frankreich und von Menschen aller französischen Regionen umgeben Krieg geführt, geliebt, den Gerichten, Weinen oder Zidern, wie er sie fand, wacker zugesprochen und wußte also kaum mehr von seinem Anderssein. Denn seine eingewurzelten Bedürfnisse schienen ihm so sehr selbstverständlich, daß er gar nicht erst fragte oder schaute, ob Andere etwa die gleichen hatten. Nach den bis zum Rande von Ilias-Taten und odysseischen Listen erfüllt gewesenen Jahrzehnten, die zwischen der südlichen Jugend und dem Königtume in Paris lagen, nahm er selber es doch noch für selbstverständlich, daß er den Franzosen weiter der Béarner hieß. Vor seiner Rückschau tauchte das auf, was nicht nur die andere Sonne, andere Jahreszeiten und Nahrung waren. Das waren die sonnenheißen Mauern voll Eidechsen, auf welche die vielen Katzen Jagd machten; oft schlugen sie zu kurz, und nur der goldgrüne Schwanz blieb ihnen in den Klauen und ringelte sich noch eine Weile wie ein Schlänglein. Das waren die Sommer voll Zikaden mit ihrem Sägen in den Platanen und Steineichen, die harzriechenden Macchien voll von Schlupfwinkeln für allerlei Getier, an dem man dornzerschunden das Jagen erlernt hatte; das waren die braunbeinigen Mädchen, frühreif und unbekümmert, die unter dem Leinenkittel nur noch den glatten Leib hatten. Das waren all die fröhlichen Gaskogner Feste – und dieser ganze Süden von damals war zugleich er selber, mit ihm zusammen war es der Süden gewesen, nicht draußen, nicht getrennt hatte er ihn. Was von dem Kinde in ihm etwa übrig war, fragte der König nicht. Die Substanz war wohl gründlich anders geworden, gar nicht zu reden von den Salzen, die sich schmerzhaft aus Trunk und Gefräßigkeit in den Gliedern niedergeschlagen haben, noch von den Drüsen, die um so heftiger Mannheit weiterspielten, je schwerer sie sich wieder füllten. Aber er selber war noch da, von damals und von heute, mit der gleichen Gier und der ihm gegebenen Art von Maß, mit aller Fröhlichkeit und Genüßlichkeit und der Lust am Frauenleibe und am Menschenrudel. Ja, das Zahnfleisch schob sich allmählich zurück, und der und jener von den unersätzlichen Kauern begann sich langsam zu lockern; beim Lesen mußten die Hände die Schriftstücke immer weiter ab halten, und diese Hände, die wohlbekannten, begannen sich auch zu verändern, sahen mit ihren Knötchen an den Fingergelenken und der sich runzelnden Haut des Rückens wie Baumauswüchse im November aus. Aber das kommt und geschieht alles so langsam und mählich – und wenn's nicht gerade ein Gichtanfall ist, nimmt man's schnell als dazugehörig zu dem, was man selber ist: der König, der Mann, der den weißen Bart trägt, als sei er immer so dagewesen, der Béarner.

In Hofmannsthals Aufsatz »Die Taten und der Ruhm« steht: »Denn was die Geschichte weiterträgt und was die Schule aus ihr schöpft und den Seelen der Nachgeborenen heimträgt, das sind nicht die Taten selber, die ja vor Gott unzerstörbar und unverwelklich, aber für uns in ihrer nackten Wahrhaftigkeit, in ihrer stummen Majestät wie schwer faßbar, wie selten sichtbar, sondern was die Geschichte weiterträgt, das ist der Ruhm, der Leumund, den die Taten bei den Mitlebenden genossen haben, die Zeugenschaft, die Ausschmückung, die Verstümmelung, der Bericht, die Anekdote ...« Heinrich IV. ist der populärste unter den französischen Königen geblieben, und man kann in Frankreich auch heute noch Leute aus dem Volk mit einem Lächeln und beinahe vertraulich, wie von einem guten Bekannten, von ihm reden hören. Fragt man sie dann näher, was sie denn von ihm wüßten, dann sagen sie wohl erst überzeugt, er sei groß und gut gewesen, worunter sie sich nicht viel denken können, sonst aber wissen sie hübsche kleine Geschichten von ihm, dazu die berühmten Aussprüche vom ›Huhn im Topfe‹ und ›daß Paris eine Messe wert sei‹, die gar nicht von ihm selber stammen. Was sie aber über alles Wissen hinaus von ihm in sich tragen, ist dieses Gefühl, das das Wort Gaskogner noch heute für sie begleitet: sie erzählen einem, er habe einem seiner Gärtner auf Klagen über schlechtes Wachstum in einem der Gärten gesagt, er solle doch Gaskogner anpflanzen, die wüchsen überall. Sie sagen, er sei in die Frauen vernarrt gewesen, habe gespielt, unmäßig gezecht, das lustige Reden geliebt und aller Welt alles versprochen. Manche nennen ihn den »französischsten unter den Königen«, sie haben vergessen, warum, aber soweit sie recht zu ihrem Lande gehören, brauchen sie dieses Warum gar nicht zu wissen, denn sie haben es in sich und in ihrem Lande weiter wirkend. Ludwig XIV. war mächtiger, gewaltiger, königlicher; von ihm reden die Gebildeten und die Bücher und sein Beiname, der nur noch in Zeitungsfeuilletons genannt wird, heißt »Sonnenkönig«. Von Heinrich IV. aber reden nicht nur die weiter, die den Knoblauch wie er lieben und den Jurançoner Wein trinken, nicht nur die Südländer also, sondern auch die anderen alle, die diesen vom so andersgearteten Rand der französischen Welt Gekommenen in deren Mittelpunkt weiter wirkend fühlen, in dieser Welt, die er als erster über Regionen und Stämme hinweg von Béarn bis nach Flandern und von der Bretagne bis an die Schweizer Berge zu einer, der französischen, gemacht hat.


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