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II

Heinrich trug drei Monate lang die schwarzen Kleider, er trug sie noch in das neue Stück hinein, das eilfertig anhob. Da er den dunklen Vorhang seiner Trauer hob, um als der König, der er nun ausschließlich zu sein begehrte, sich wieder in die Welt seiner Herrschaft zu begeben, fing dieses Stück auch schon an. Und der Mann kam schnell hinter dem Könige hervor, anders freilich als in dem Gabriele-Stücke. In schneller Folge traten alle die Gestalten dazu, mit denen zusammen der nun immer größere König sein Herbst- und Abendstück zu spielen hatte. In diesen Frühlingstagen voll der einsamsten Trauer seines Lebens hatte Heinrich mit aller Schmerzenskraft in die Jahre mit Gabriele geschaut, bis das Furchtbare und Unabänderliche mit ihnen geschah, daß Ewigkeitsnebel über sie zogen, und Heinrich verstand, daß diese Jahre vergangen waren. Es war aber nicht in seiner Natur, einsam zu sein und sich in Vergangenes zu versenken. Zuviel war schon gewesen und wieder fortgegangen, sehr groß Gewesenes oder Furchtbares, wie der Brief, der den Tod der Mutter meldete, und zu dem alle sagten, sie sei von der Katharina, deren Tochter er eben heiraten sollte, vergiftet worden. Oder die Nacht, da sie den Coligny mordeten und die vielen seiner Freunde und Gefährten und er die Todesschreie durch die Türen des Louvre hörte. So viel Tod war in ihm aufbewahrt, Freunde und Feinde lagen durcheinander in der großen Trauerkapelle der Vergangenheit; die erschlagenen Gefährten vieler Kämpfe, die Jugendgenossen, dann die furchtbaren Guise, die Heinrich III. hatte in Blois morden lassen, die beiden jungen Joyeuse, die er nackt und blutig, damals nach der Schlacht von Coutras, in der Stube des Bauernhauses hatte liegen gesehen, in dem er sein Nachtessen fand. Der Weg, auf dem der kleine Béarner Prinz zum Throne von Frankreich gegangen, war voll von Toten, und viele derer, die lebendig geblieben, waren so anders geworden, daß ihr Gewesenes wie tot war: der dicke Mayenne zum Beispiel, der ihn wie den Antichrist gehaßt, der Armee nach Armee gegen ihn geführt und Jahre seines Lebens dafür gegeben hätte, ihn mit eigenen Händen zu erwürgen – der sich dann hatte teuer, aber redlich die Unterwerfung abkaufen lassen und der seither in Rat und Tat verläßlicher war als viele der alten Gefährten. Viel war geschehen, und immer wieder war er aus einer Tür getreten, zu Pferd gestiegen, und Neues war zu tun gewesen. Auch das Vergangene war da, und es war gut, mit denen, die es miterlebt hatten, zuweilen beim Wein davon zu reden, mit Montmorency, Rosny, Crillon, Lesdiguière und all den Freunden, nach der Jagd, die Füße gegen die flammenden Buchenscheiter gestreckt. Allmählich verlangte es dann Heinrich mit letzter Sehnsucht nach der vollen Trauer um Gabriele, die ins Vergangene mitging.

Aber wem die Sinne noch blühen und wen die Erde noch lockt mit Genüssen und Aufgaben, dessen Teil ist es noch nicht, mit Gedanken und Gefühlen hinabzusteigen in das Totenreich, wo die Namen wohnen, die einmal Leben waren; die können erst Besitz ergreifen von der Besinnung, wenn der Lebendige selber schon nahe dem Tore ist, das dahin führt, wo das Gewesen-Sein beginnt und die Schatten der Namen wohnen.

Heinrich liebte das Alleinsein nicht, er hatte es nicht gelernt, es bekam ihm nicht. Selbst im Gebete suchte er es nicht, er betete, wie in den Hugenottentagen, laut vor Freunden wie Fremden. Er brauchte auch die Bücher nicht, von denen die anderen soviel Wesens machten und bei denen sie Gesellschaft für das Alleinsein suchten. Die Mutter hatte ihm, als er noch ein Knabe war, eine Übersetzung des Plutarch gegeben, den hatte er damals so gut gelesen, daß ihm lebenslang Stücke davon in Erinnerung blieben. Was es sonst etwa für ihn zu lesen gab, waren nicht Dichter und Philosophen, nicht Staatslehrer noch Juristen – wenn von solchen einmal etwas zu lesen wirklich nötig schien, ließ er sich es in Gesellschaft vorlesen – nein, es waren immer wieder, Tag um Tag, die Stöße von Berichten der Gesandten und Agenten, der Parlamentsräte und Intendanten, der fremden Fürsten und der Spione. Darin hatte er seine bunte, heftige Welt, da war das Lesen auch Tun, hier gab es zu antworten, zu widerlegen, anzuordnen und all das zusammenzufassen, sich zueigen zu machen, zu Eigentum. Er war der Südländer geblieben, der als Jüngling, sooft er die heimischen Provinzen verließ, noch gesagt und geschrieben hatte, er gehe »nach Frankreich«. Wie sehr er auch in dieses Königtum von Frankreich hineinwuchs und es überwuchs, es war die Mitgift eines anderen Himmelsstriches in ihm geblieben, einer Rasse, die nicht allein schläft noch ißt, deren Niedrige sich bei der Arbeit, vor den Haustüren und in den Schenken zueinanderdrängen und deren Hohe in Schlössern und Parken, bei nicht endendem Spiel und Gelage, in den Heeren und an den Höfen nach ihrem Herzen gesellig leben.

Vergangenheit also stillte den Gegenwartssüchtigen so wenig wie getanes Tun den Tätigen. Mochte auch das innerste Herz anders geworden sein, wer merkt es am Ende, wenn es nur weiter schlägt! Die Aufgaben waren wieder voll aller Lebenswirklichkeit. Und die alten Kumpane holten ihn zu Reiherbeize und Hirschhetze, suchten ihn mit Würfelspiel und Karten zu erheitern. Sie wollten die Trauer, die sie nicht teilten, nicht wahrhaben, und lauerten, wo der alte gefräßige, gelüstige Adam in dem Könige wieder hervorkäme. Wo er sich zeigte, sahen sie das veränderte Gesicht so wenig, wie er es selber sah, denn was Schicksal ist, schaut aus keinem Spiegel zurück. Und Heinrich, der südlich-gesellige, dem dreißig Jahre lang in Heerlagern, auf Märschen und in Hofhaltungen die Kumpanei zur Lebensluft geworden waren und dazu das Liebesspiel so nötig wie Speise und Trank, ließ sich nur zu gerne zu diesem alten Adam und zur Eva dazu überreden. Die »Tröster« stellten es recht verschieden an, doch beide Arten hatten ihre erfahrene Kenntnis von des Königs zwiefachem Wesen mit Frauen, und packten ihr nicht unberechnendes Tröstertum, die einen bei der einen Gefühlsart, die anderen bei der anderen, an, und da, so kurz zuvor noch auf die arme Gabriele bezogen, diese beiden Grundtriebe in Heinrichs Liebeswesen beinahe zu einem geworden waren, hatten alle beide Arten von Überredern auf die wunderlichste Art ihren Erfolg.

Hatte Heinrich, wie eingangs erwähnt wurde, schon immer seine Freude daran gehabt, wenn seine Umarmungen fruchtbar zu werden versprachen, so war dieser Wunsch nach Kindern seines Blutes immer stärker geworden, je mehr sein Königtum sich festigte und jetzt auch Herrschervernunft die Erben forderte und vor Augen zu haben sehnte, für wen er dieses verelendete Land Frankreich zu Kraft und Ergiebigkeit zu führen unternahm. Dieses Verlangen, ein Herrschergeschlecht Bourbon aus seinen Lenden aufzubauen, hatte den vom Tode zerstörten Plan, Gabrielen zu ehelichen, gezeitigt. Doch mit der Trauer um die Verwichene verließ ihn dann bald auch die Betrübnis seines Leibes, als der herbeigerufene Arzt Berault ihn durch den geglückten Eingriff von der wohl in Wirklichkeit kaum beträchtlich gewesenen Gefahr befreit hatte, keine Kinder mehr haben zu können.

Da es Heinrichs Art war, zu den ihm Vertrauteren des Hofes gelegentlich von allem zu reden, was in ihm umging, wußten die guten und die schlechten Freunde meist genau, wie es um den König stand. Die unter ihnen, die diese Herrschaft mit ihm Schritt um Schritt dem Schicksal abgerungen hatten und der Zukunft gedachten, sahen jetzt die Gelegenheit gekommen, Heinrichs umschattet gewesene Sinnengier und Zeugefreudigkeit zu dem rechten Weg zu verführen: so beredeten sie ihn, Rosny vor allem, eine Ehe einzugehen nach seinem Stande, die zu der Aussicht auf Gott und der Welt wohlgefällige Kinder vielleicht noch eine in diesen kargen Zeiten nur zu willkommene Mitgift und etwa eine Mehrung der Macht oder eine nutzvolle Familienverbindung bringen möchte. Die Auswahl unter den Prinzessinnen, die in Frage kämen, indem sie weder Protestantinnen noch Abkömmlinge des Hauses Habsburg wären, sei freilich gering, und unter ihnen rage eine vor allem hervor durch hübsche Leibesbildung und die Herkunft aus einem zwar nicht alten, aber an Gütern reich gesegneten Fürstenhause. Sie machten dem König den Mund wässern nach dieser von Gesundheit strotzenden, liebreizenden und zugleich hoheitsvollen Prinzessin, deren Oheim nichts sehnlicher für sie wünsche, als sie dem Könige von Frankreich vermählt zu sehen, und mit der Mitgift nicht kargen würde. Überdies sei der andere Oheim der nunmehrige Papst, Klemens VIII., so daß es in diesem Falle hinsichtlich der Ehescheidung von Margarethe von Valois keine Schwierigkeiten mehr geben könne. Es bedurfte keines langen Drängens, um Heinrichs Ehewilligkeit heftig zu entfachen und seine Zustimmung zu erhalten, daß die ersten Schritte zur Gewinnung dieser Prinzessin Marie von Medici in Florenz unternommen und zugleich die Ehescheidungsbitte dem Papste aufs Neue vorgelegt werde. Alsbald war Heinrich mitten im Anordnen, im Instruieren der Gesandten und im Briefschreiben, welch letzteres Tun ihm übrigens so leicht und glücklich von der Hand ging wie die gewandte, saftige Rede von der Zunge.

Während solcherart die staatsbedächtigen Fürsorger in dem Könige mit dem Verlangen nach neuen Liebesfreuden erfolgreich auch die Lust auf eheliche Geborgenheit und rechten Nachwuchs weckten, hatten es Kumpane des Königs verstanden, auch seine alte Gelüstigkeit ohne das Mäntelchen höherer Zwecke wieder rege zu machen. Die einen von diesen mochten lediglich im Auge gehabt haben, den Spiel- und Zechgefährten wieder so zu haben, wie sie ihn all die Jahre gekannt hatten, doch andere unter diesen Lusterweckern und bald auch Kupplern hatten dabei schon weit mehr an mögliche eigene Vorteile als an das Heil ihres königlichen Herrn gedacht. Es fing damit an, daß, sooft die Rede auf Frauen kam (und wie oft kam sie unter diesen Männern nicht darauf?), immer von neuem ein Mädchen herausgestrichen wurde, das das feinste, leckerste junge Frauenzimmer im Lande sei, dazu voll Kurzweil und Mutwillen und mit einem Schnabel begabt, dessen Späße die königliche Majestät bald aus aller Verdüsterung aufwecken würde. Ja, wenn Eine in Frankreich dazu angetan sei, dem Könige all den Spaß und das Behagen zu geben, darauf er in seinem schweren Amte wohl ein Recht habe, dann sei es eben diese junge Hübsche, diese Henriette, die zu all ihrem Weiberreize auch darum als Heinrichs Widerpart wie geschaffen sei, weil sie so kunstfertig und geschickt in der Rede sei, wie der König es selber war und wie er es bei anderen nur allzuoft vergeblich suchte. Diese immer wieder gepriesene Henriette wurde ihm endlich als das Fräulein Balsac d'Entragues genannt, eines Tourainer Edelmannes Tochter. Heinrich kannte den Namen wie jeder bei Hof, er klang nicht eben gut und doch in einem Sinne nach Wunsch. Denn dieser d'Entragues war der Mann, der seinerzeit die Geliebte Karls IX. geheiratet hatte, die ihm außer Geld und Gut den königlichen Bastard in die Ehe gebracht hatte, diesen ehrgeizigen, empfindlichen und übellaunig lasterhaften Grafen von Auvergne, der bei jeder Gelegenheit am Hofe zu sehen war. Wie weit dieser Halbbruder der Henriette d'Entragues die täglichen Anpreisungen der Schwester mit verursacht hat, ist nicht mehr zu erraten. Sicher ist jedoch, daß er eines der Werkzeuge war, deren das Schicksal sich zum Zustandekommen dieses Stückes bediente.

Heinrich hatte indessen schon wieder ein wenig von der Liebe genascht – ein hübsches Dirnlein wird genannt, das ihm Zamet als Nachtisch geboten, und ein Hoffräulein der Witwe Heinrichs III., der er einen Besuch abgestattet hatte. Dieses Kosten von den lang entbehrten Freuden machten den Ausgehungerten nur noch bereiter für den ihm täglich vorgeredeten »Königsschmaus«. Da schon die Mutter dieser gepriesenen Henriette eines Königs Bettschatz gewesen war und der Vater sich darob nicht empfindlich gezeigt hatte, würde es wohl von Seiten der Familie keine sonderlichen Schwierigkeiten geben, wenn man nur tief genug in die Tasche griff und vielleicht auch mit einigen Ehren oder Rangserhöhungen nicht knauserte. So stimmte Heinrich endlich zu, sich den Kumpanen anzuschließen, wenn sie die d'Entragues das nächste Mal besuchen wollten.

Henriette d'Entragues war damals annähernd so alt wie Gabriele zu der Zeit, da Heinrich ihr das erstemal begegnet war. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit, die zwischen der sanften, zärtlichen, weichherzigen blonden Gabriele und der koboldischen, durchtriebenen brünetten Henriette aufzufinden wäre. Auch Gabrielens Gewinnung damals war ein kaum verhehlter Handel gewesen, und die also Erkaufte hatte es noch eine kleine Weile nach ihrem Herzen und Gelüst weitergetrieben. Aber sie war so völlig undirnenhaft gewesen, daß sie Liebe nicht lange spielen konnte, ohne sie wirklich zu empfinden. Allerdings war Heinrich auch jünger gewesen, noch nicht vierzig Jahre alt. Und wenn er auch damals schon fast grau und der König gewesen war, so war doch noch genug Gefahr und Abenteuerlichkeit um ihn gewesen, daran ein Mädchenherz sich hatte entzünden können. Als er jedoch Henrietten begegnete, war er fast achtundvierzig Jahre alt, sein Bart war beinahe völlig weiß, und er war jetzt ganz und gar der König, der Herr der Macht, der Schätze, der Ehren so sehr, daß wessen junges Herz sehr heftig nach all diesen Gütern verlangte, wohl den Mann als einen alten ansehen und Geist und Kraft und was sonst an Lebensschönheit in ihm war, gar nicht mehr beachten konnte, oder nur soweit beachten, als diese Menscheneigenschaften Zugänge zum Könige sein konnten, Einbruchspförtchen in die unnahbare Majestät, Diebsleitern in die irdische Allmacht.

Als Henriette des Königs Blicke über ihre wohlgerundet schlanke Gestalt immer wieder hingleiten fühlte und sein lautes genießerisches Lachen auf jede ihrer flinken Bosheiten über ihm bekannte Leute hörte, wußte sie, daß sie wohlgerüstet in ihr Unternehmen hineinging. Diese Sicherheit, daß sie begehrt wurde und daß es in ihres Verstandes Macht lag, Heinrich, der so gerne lachte, zu unterhalten, machte sie von Anfang an glauben, daß es an dem Erfolge gar nicht fehlen könne, um den es ihr ging. Sie wollte sich schon die Erfahrungen ihrer Mutter, welche die schöne Marie Touchet gewesen war und von ihrer langen Liebschaft mit dem blaßblütigen König Karl nichts weiter gehabt hatte, als die Frau des Gouverneurs von Orleans zu werden, recht zunutze machen. Sie wußte, daß ihr die Eltern dabei helfen würden. So äugelte »die hübsche Wespe« den König an, der immer öfter kam, ließ ihn die zarte Rundung ihrer Brüstlein ahnen, den schönen Schwung der Hüften, ihre Biegsamkeit und glatte Straffheit; sie bereitete immer neue Geschichtchen vor, erfand im Nu welche dazu, und je mehr der König lachte, desto mehr entzündete sie sich an ihrem eigenen Witz. Der noch nicht lang zu Hof gekommene und beim König rasch in Gunst gelangte junge elsässer Edelmann Besenstein, nun schon Bassompierre geheißen, erzählt von diesen fröhlichen Tafelrunden im Schlosse von Malesherbes und auf den anderen Gütern der d'Entragues. Alle Schwermut um Heinrich war verweht, alle gewußte wenigstens, denn was davon in Leib und Leben eingegangen war, begann nun schon einfach lebenhaft ihm zu geschehen. Der Wein aus Anjou, den er so sehr liebte, fröhliches Schmausen – es gab schon die ersten jungen Rebhühner und auch Frühbirnen und Melonen, wie sie Gabriele immer für ihn gesucht hatte – Henriettens helles Gelächter in das dröhnende der Männer hinein; dann auf Gängen durch den hochsommerlichen Park ein schneller Griff, ein Kuß, der die vollen Lippen nicht fand und auf dem runden weißen Halse ein Mal hinterließ, und versprechensvolles Gurren und Lachen, wenn Henriette wie ein Schlänglein dem Drängenderen entwich. Das war der Anfang. Doch dabei blieb es länger, als dem entzündeten Manne lieb war. Gut, sagte er sich, man will die Form wahren, aber wie lang denn noch? Sein Drängen wurde heftiger, und aus dem verliebten Werben wurden deutliche Fragen: wann denn endlich? Die d'Entragues wechselten in diesem Sommer recht oft den Wohnsitz, und immer wieder kam der König mit einem kleinen Gefolge. Er begann schon die Absicht zu ahnen und wußte, was sie bedeutete. Wenn es nicht gerade um Frauen ging, in die er verliebt war, kannte Heinrich die Menschen wie kaum einer, illusionslos, ohne Bitterkeit, einfach damit rechnend, daß sie sind, wie sie sind, auf eine Art also wie die klügsten Jesuiten, mit denen er sich hernach, da sie ihm nicht mehr offen ans Leben wollten, darum auch so prächtig verstand. Was von den tugendhaften Bedenken der Eltern d'Entragues', die die Tochter immer im ihm unerwünschtesten Augenblicke wegführten, zu halten sei, darüber war Heinrich schon nicht mehr im unklaren. Diese elterliche Züchtigkeit zu besiegen, würde ein gut Stück Geld kosten. Dennoch schrieb Heinrich die Widerstände völlig den Eltern zu. Dieses gute Stück Geld war dann, als es endlich zur Sprache kam, ganz und gar ungeheuerlich. Heinrich, der eine wunderbare Mischung von einem Knauser und einem Verschwender war, erschrak zutiefst, als diese Forderung der hunderttausend Taler schließlich ausgesprochen war. Er kannte die Finanzen seines durch die jahrzehntelangen im eigenen Lande geführten Kriege nur zu gut, er wußte, daß vom erschöpften Kapital des verheerten Reiches gezehrt würde. Zwar hatte er den glücklichsten Griff getan, da er die Verwaltung der Finanzen dem alten hugenottischen Waffengefährten Rosny in die Hände gelegt hatte, diesem Rosny, den die Geschichte als den Herzog von Sully kennt und dessen vielbändige Aufzeichnungen über Heinrichs Aufstieg und Regierungszeit eine kostbare Quelle sind, wenn man daraus richtig zu schöpfen gelernt hat. Aus diesem großen Memoirenwerke Rosnys, dessen Platz in Heinrichs Leben bald bezeichnet werden wird, sei nun ein erster Auszug angeführt. Rosny schreibt dort, oder vielmehr seine Sekretäre, die ihn in den ganzen Memoiren an alles Geschehene zu erinnern hatten, bringen ihm ins Gedächtnis, wie entsetzt er über die Kaufsumme dieser Tugend war, über diese hunderttausend Taler, die aufzubringen ihm oblag, und das in einem Augenblicke, da außer den schon schwer zu beschaffenden laufenden Ausgaben drei bis vier Millionen Subsidien an die Schweizer gelegentlich der Erneuerung des Allianzvertrages zu bezahlen waren. Sullys Memoiren, die »Économies Royales«, berichten nun: »Diese (Henriette) nichtsdestoweniger endete jetzt« (nämlich nach der Aufbringung dieser gewaltigen Summe) »nicht ihre Geschicklichkeiten und Ränke, noch vollzog sie, wofür sie alle Versicherung gegeben hatte, sondern sie fügte List zur Schlauheit und bewirkte, daß ihr Vater und ihre Mutter immer in die Quere kamen und sie so genau beobachteten, daß es außer ihrer Macht schien, einen geeigneten Ort zur Erfüllung der Versprechungen zu finden, die sie für diese hunderttausend Taler gemacht hatte. Als sie sich hinsichtlich dieser Versprechungen vom Könige gedrängt sah, sagte sie, es mangle ihr keineswegs an gutem Willen für ihn, aber man müßte auch versuchen, den Willen ihres Vaters und ihrer Mutter günstig zu stimmen, damit diese sie nicht mehr so genau beobachteten; daran arbeite sie selber ihrerseits, um dafür Wege zu finden. Nach etlichen Langwierigkeiten und Aufschüben sagte sie, sie habe die Eltern nicht dazu bringen können, alledem zuzustimmen, was dem Könige genehm sei, es sei denn, daß seine Majestät, um ihr Gewissen gegen Gott und ihre Ehre vor der Welt zu sichern, ihr ein Heiratsversprechen zu machen bereit sei. Sie habe sehr versucht, die Eltern mit einem mündlichen, in ihrer Gegenwart gegebenen Versprechen zu beschwichtigen, doch hätten sie das nicht gewollt und ganz und gar darauf beharrt, ein solches schriftlich zu haben, obgleich sie selber sich darüber lustig gemacht und ihnen bewiesen habe, daß das eine nicht sicherer als das andere sei. Denn sie wisse wohl, daß es keine Gerichtsbarkeit gebe, um einen Mann vorzuladen, der so viel Mut und einen so guten Degen habe und der zu jeder Gelegenheit dreißigtausend wohlbewehrte Männer und dreißig Kanonen einsetzen könne, um sein Wort aufrechtzuerhalten. Doch da sie so sehr auf dieser eitlen Formalität beständen, dürfe er, wenn er sie ebensosehr liebe wie sie ihn, keine Schwierigkeiten machen, den Eltern darin Genugtuung zu geben, sondern solle sich, was sie selber anlange, damit begnügen, daß sie mit allen von ihm gewünschten Bedingungen einverstanden sei. Und dieses hoffärtige und listige Frauenzimmer verstand es so gut, dem Könige schönzutun, ihn nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen und so sehr alle die Briefchenzustecker, Speichellecker und Köderer zur Ausschweifung auf ihre Seite zu bringen, die ihm tagtäglich in den Ohren lagen, um ihm dieses oder jenes Vergnügen vorzuschlagen, daß er sich endlich überreden ließ, das Versprechen zu geben, da er sonst nicht in den Genuß ihrer Gunst gelangen konnte, die ihm schon so viel gekostet hatte und ihm so viele Male versprochen gewesen war.« Sully, zu jener Zeit noch (erst Baron und dann Marquis) Rosny geheißen, Heinrichs treuester Diener und Freund, erzählt über dieses Heiratsversprechen weiter: »Und da der König damals wenige Dinge, wie groß oder klein sie sein mochten, unternahm, ohne mir davon Mitteilung zu machen, ließ er mich eines Morgens in Fontainebleau holen, bevor er zur Jagd aufbrach. Er ergriff mich bei der Hand und führte mich allein in seine Erste Galerie. Dann sagte er mir, da er sich gewöhnt habe, mir alle seine Geheimnisse mitzuteilen, wolle er mich wohl jetzt eine Sache sehen lassen, welche er zur Eroberung einer Jungfernschaft tue, die er am Ende dabei vielleicht gar nicht finden werde; und da gab er mir ein Papier in die Hände, drehte sich nach der anderen Seite in einer gewissen Art, als ob er sich schämte zu sehen, wie ich es lese, und sagte mir: ›Lesen Sie das und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.‹ Nachdem ich es gelesen hatte, fand ich, daß es eine Art Heiratsversprechen sei, das er diesem Fräulein d'Entragues gab ... Ich wandte mich wieder dem Könige zu, dieses Papier ganz zusammengefaltet in der Hand haltend; und als dieser mich fragte, was mir davon dünke, erwiderte ich ihm, ich hätte nicht genügend nachgedacht über eine so sehr bedeutsame Angelegenheit seines Gefühles, um darüber zu sagen, was mich bedünke. ›Nun, nun‹, sagte mir der König, ›sprechen Sie mir freimütig davon und spielen Sie nicht den Zurückhaltenden; Ihr Schweigen kränkt mich mehr, als es all Ihr Widersprechen tun könnte; denn über einen solchen Gegenstand, den Sie, wie ich wohl fürchte, nicht billigen werden, sei es auch nur wegen der hunderttausend Taler, die ich Sie habe unter so viel Bedauern ausgeben lassen, verspreche ich Ihnen, mich nichts verdrießen zu lassen, was immer Sie mir sagen könnten; vorwärts also, sprechen Sie freimütig und sagen Sie mir, was Sie bedünkt, ich will es und ich befehle es Ihnen unbedingt.‹ – ›Sie wollen es also, Sire, und versprechen mir, darob nicht in Zorn gegen mich zu geraten, was immer ich sagen und tun könnte.‹ – ›Ja, ja,‹ sagte der König, ›ich verspreche Ihnen alles, was Sie nur wollen, denn was Sie auch sagen, es wird darob um nichts weniger und nichts mehr geschehen.‹ Darauf nahm ich dieses Versprechen, als ob ich es ihm hätte zurückgeben wollen, aber anstatt es ihm in die Hand zu legen, zerriß ich es in zwei Stücke. ›Hier, Sire, da es Ihnen zu wissen beliebt, was mich von solch einem Versprechen bedünkt.‹ – ›Wie zum Teufel!‹ sagte der König, ›was wollen Sie denn tun, ich glaube, Sie sind närrisch!‹ – ›Es ist wahr, Sire‹, sagte ich, ›ich bin ein Narr und ein Tor, und ich möchte es so sehr sein, daß ich der einzige in Frankreich wäre.‹ – ›Nun gut, gut‹, sagte der König, ›ich verstehe Sie wohl und sage Ihnen nichts weiter darüber, um Ihnen mein Wort zu halten, aber geben Sie mir dieses Papier zurück.‹ – ›Sire, ohne Ihren ausdrücklichen Befehl hätte ich mich wohl gehütet zu unternehmen, was ich getan habe, freilich, wenn Sie sich dessen erinnern wollen, was Sie mir einst über dieses Mädchen und seinen Bruder gesagt haben, zur Zeit der Frau Herzogin‹ (Gabriele) ›und der Reden, die Sie ganz laut geführt, und der Befehle, die Sie mich der ganzen Bande geben hießen – denn so nannten Sie damals das Haus und die Familie des Herrn und der Frau d'Entragues –, Paris zu verlassen, dann wären Sie ein wenig mehr im Zweifel über den glücklichen Kauf, den zu machen ich Sie im Begriffe sehe; und Sie würden auf jeden Fall urteilen, daß das nicht ein Dokument sei, das verdiente, um hunderttausend Franken gekauft zu werden, und Gott wolle, daß es uns in Zukunft nicht noch mehr koste, gar nicht zu reden davon, daß ein solches Papier, sei es wert, was es wolle, den Schlimmen Stoff geben wird, um übel von Eurer Majestät zu reden ... Sie zerstören damit alle Vorbereitungen zu Ihrer Eheauflösung und nehmen sich in der Folge die Möglichkeiten, eine gesetzliche Ehe einzugehen, um so mehr, als dieses Versprechen ja bekanntgemacht werden wird (denn zu keinem anderen Zwecke wird es von Ihnen verlangt), wird die Königin, Ihre Gemahlin, niemals das Nötige tun, um Ihre Ehescheidung gelten zu lassen, noch auch wird selbst der Papst hierzu seine apostolische Autorität hergeben, und das weiß ich mit Gewißheit.‹ – Der König hörte mir bis zu Ende zu, und dann verließ er, ohne mir zu antworten, die Galerie, ging in sein Arbeitszimmer, verlangte Tinte und Papier von Loménie, und nachdem er ungefähr die Hälfte einer Viertelstunde damit zugebracht hatte, ein anderes gleiches Schriftstück, wie ich vermutete, eigenhändig zu verfassen, kam er wieder heraus, und obgleich er mir unten begegnete, stieg er vor mir zu Pferd, ohne mir ein einziges Wort zu sagen, und brach zur Jagd auf gegen die Wälder von Malesherbes zu, wo er zwei ganze Tage oder annähernd soviel blieb.«

Daß dieses Malesherbes eine Besitzung der d'Entragues war, ist schon erwähnt worden. Eine andere hieß Marcoussis, und diese beiden Namen sowie der von Orléans, wo d'Entragues Gouverneur war, sind die Orte, woher in dieser Zeit die meisten von Heinrichs Briefen datiert sind. Unter diesen Briefen findet sich einer, der den Bericht Sullys fortsetzt. Er ist an Bellièvre, den Kanzler von Frankreich, gerichtet, vom Anfang August 1599 datiert und lautet folgendermaßen: »Herr Kanzler, ich sende Ihnen durch diesen Kurier, den ich besonders an Sie abschicke, die Erhebung des Besitzes Verneuil zum Marquisat, zugunsten des Fräuleins d'Entragues, damit Sie diese Briefe, sobald Sie sie gesiegelt haben, an mich zurückschicken, ohne in diese Angelegenheit irgend Schwierigkeit oder Länge zu bringen. Damit möge Gott Sie, Herr Kanzler, in seinem Schutze halten. Henry.«

Dieses Verneuil, das damit in den Besitz Henriettens überging, war ein nächst Senlis an der Oise, also nicht zu fern von Paris, gelegenes Besitztum mit einem hübschen Schlosse, ansehnlichen Ländereien und überdies eines der bevorzugten Ziele von Heinrichs Jagdausflügen und ländlichen Gastereien im Kreise der Freunde gewesen.

Im August 1599 also war Henriette d'Entragues die Marquise von Verneuil und war, da es um diese Zeit noch keine Titel gab, die nicht an Land gebunden gewesen wären, zu den ihr schon ausgestellten hunderttausend Talern auch noch Besitzerin dieses Gutes geworden, was alles zusammen sie wohl hätte über die Hingabe einer – so vielfach angezweifelten – Unschuld hinwegtrösten können. Daß diese Gegengabe aber doch noch nicht gegeben, sondern dem Könige für eine ganze Weile vorenthalten wurde, zeigt, daß diese wahrhaft königlichen Geschenke als ein Zubehör zu dem betrachtet wurden, worum es eigentlich ging, zu dem Heiratsversprechen. Bevor aber von diesem weiter die Rede ist, soll dem Leser eine annähernde Vorstellung gegeben werden, was die hunderttausend Taler, an Wertmaßstäben der Zeit gemessen, bedeuteten. Die ganzen Staatseinkünfte Frankreichs betrugen damals etwa fünfzehn Millionen. Die als ungeheuer angesehene Mitgift der künftigen Königin bestand in sechshunderttausend Talern. Die unerhörte Summe, um die Heinrich den Frieden mit dem letzten Heerführer der Liga, dem Herzog von Mercoeur, erkaufte, der selber riesige Reichtümer aus der Bretagne herausgepreßt hatte, betrug zweihundertsechsunddreißigtausend Taler. Einen anderen bezeichnenden Betrag nennt l'Estoile bei einer Gelegenheit, die zugleich schon etwas von Heinrichs Verhältnis zum Geldausgeben ahnen läßt. Als im Jahr zuvor, nach dem Friedensschlusse von Vervins, der Herzog von Ascot mit großem Gefolge als spanischer Botschafter nach Paris kam, beklagte sich Heinrich bitter über die Kosten, diese mehr als siebenhundert Leute zu ernähren, die ihm bei all dem gebotenen Gepränge zweitausend Taler im Tag kosteten, so daß er selber auch weit mehr Vergnügen daran fand, sie alle auf die Jagd zu führen als zur Tafel, und darauf drang, daß die kostspieligen Zeremonien möglichst abgekürzt würden. In denselben Aufzeichnungen finden sich des öfteren Bemerkungen von Heinrichs Besuchen auf dem Jahrmarkte von Saint Germain, der ihn sehr belustigte, aber auf dem seine Einkäufe die Händler stets sehr enttäuschten, da er für Gegenstände, für die zwanzig Taler gefordert wurden, nicht mehr als deren sechs geben wollte. Dieses Verhalten in Dingen des Geldes, von dem noch manchmal die Rede sein wird, erinnert an den Bruder der Gabriele, den nachmaligen Marschall d'Estrées, der ein leidenschaftlicher Spieler war wie Heinrich auch. Von ihm wird erzählt, er habe in einer Nacht eine ungeheure Summe im Spiel verloren und dann eine Kerze in einem Leuchter, die ihm zuviel schien, ausgelöscht, unter Flüchen gegen die Dienerschaft, die ihn zugrunde richte. Zu Henriettens hunderttausend Talern ist ferner noch zu sagen, daß in diesen Jahren das Geld so knapp war, daß zwölf und mehr Prozent Zinsen für Darlehen zu zahlen die Regel war. Und schließlich sei angeführt, was l'Estoile von seinen eigenen Ausgaben vermerkt: er war, gemessen an dem ungeheuren Elend in Frankreich (im Jahre 1596 wurden in Paris an einem Tage mehr als vierzehntausend von auswärts gekommene Bettler gezählt), ein wohlhäbiger Mann, er lebte im eigenen Hause, hatte mehrere Dienstleute, war das Haupt einer kinderreichen Familie und hatte eine für seine Verhältnisse kostspielige Leidenschaft für Bücher und Münzen, deren er unaufhörlich kaufte. Seine gesamten Ausgaben jedoch betrugen in achtzehn Monaten dreihundert Taler!

Es war Juni gewesen, als Heinrich Henrietten das erste Mal begegnet war, und der ganze Sommer war mit diesem Werben, Bitten, Beschenken von seiner Seite und mit Locken, Versprechen und Entschlüpfen von der ihren hingegangen. Zwischendrein hatte er ihr noch ein anderes kleines Gut bei Blois geschenkt und ihr, als er sie in Paris aufsuchte, ein kostbares Halsband dargeboten, das er aber, als sie nicht sogleich zugriff, wieder forttrug, dem Goldschmied zurückgeben ließ und an seiner Stelle Henrietten ein Körbchen mit Aprikosen sandte. Endlich, immer wieder von Henrietten versichert, daß das Ganze ja nur eine bedeutungslose Äußerlichkeit und eine bloße Formsache sei, hatte er ihrem Vater das Heiratsversprechen übergeben. Es lautete: »Wir, Heinrich der Vierte, von Gottes Gnaden König von Frankreich und Navarra, versprechen und schwören vor Gott, auf Königstreue und -wort, dem Herrn François von Balsac, Herrn von Entragues, Ritter unserer Orden, da wir uns das Fräulein Henriette-Catherine von Balsac, seine Tochter, zur Gefährtin geben, daß wir im Falle, daß sie innerhalb von sechs Monaten, vom ersten Tage dieses Monats an gerechnet, schwanger wird und mit einem Sohne niederkommt, sie dann alsogleich zur Frau und gesetzlichen Ehegattin nehmen, mit der wir die Heirat öffentlich und vor unserer heiligen Kirche feiern werden, gemäß der in einem solchen Falle erforderten und gewohnten Feierlichkeit. Zur größeren Rechtskraft dieses gegenwärtigen Versprechens geloben und schwören wir wie oben, es mit unserem Siegel zu bestätigen und zu erneuern, sogleich nachdem wir von unserem Heiligen Vater dem Papst die Auflösung der Ehe zwischen uns und der Dame Margarethe von Frankreich erlangt haben werden, mit der Erlaubnis, uns wieder zu verehelichen, wann es uns gut dünken wird. Zum Zeugnisse dessen haben wir Gegenwärtiges geschrieben und gezeichnet. Malesherbes, an diesem heutigen Tage 1. Oktober 1599.«

Leider ist das von Sully zerrissene Heiratsversprechen in keiner Abschrift erhalten geblieben. Es muß in der Form beträchtlich von dem eben angeführten abgewichen haben, denn nach all den Zusammenkünften Heinrichs mit dem Vater d'Entragues und dessen sicher in allen Rechtskniffen erfahrenen Beauftragten ist anzunehmen, daß dieses uns vorliegende Versprechen eine letzte Fassung ist, die allmählich dem ungeduldigen Verliebten abgepreßt worden ist. Heinrichs viele Briefe an Henriette aus dieser Zeit lassen ahnen, wie es bei diesem klüglich hingeschleppten Handel zugegangen sein mag, wie der Vater d'Entragues nicht zu Verabredungen kam oder zu spät kam, dann den wütenden König mit kriecherischer Unterwürfigkeit beschwichtigte und schließlich doch auf jedem Worte seiner Forderungen beharrte, wie es fast schon zum Bruch gekommen war und Heinrich im letzten Augenblicke doch eingelenkt und schließlich dieses böse Versprechen aus der Hand gegeben hat.

Wenn Heinrich meinte, daß damit alles getan sei und er endlich die teuer Erkaufte sogleich zu Gebote haben würde, hatte er die Handelsredlichkeit der Familie d'Entragues doch überschätzt. Sei es, daß diese noch allerlei mittlere Vergünstigungen zu erreichen hoffte, ehe sie ihre hübsche Ware aus den Händen ließ, sei es, daß Henriettens Mutter nach ihren Erfahrungen es für klug hielt, einem Könige, dem doch sonst alles so sehr nach Wunsch ginge, den Wert ihres Mädchens immer noch ein wenig zu steigern, sicher ist, daß auch nach Auslieferung dieses Versprechens etwa fünfzehn Tage vergingen, ehe Heinrich endlich mit Henriette völlig allein gelassen wurde. Daß er dies schließlich erreichte, wird wohl dem zuzuschreiben sein, daß die d'Entragues besorgt wurden, sie könnten den kostbaren Bogen am Ende doch überspannen; denn aus den täglichen Briefen Heinrichs, die sie wohl mit der Tochter mitgelesen haben mögen, grollt da und dort in all der verliebten Zärtlichkeit ein Unmut auf, den nicht herauszufordern ihnen rätlicher erschienen sein mag, zumindest so lange, als der Handel am Ende noch rückgängig gemacht werden konnte. In diesen von sinnlicher Sehnsucht überströmenden, zugleich so klugen und so ahnungslosen Briefen, die Heinrich in den Tagen vor der ersten Nacht an Henriette schrieb, steht schon das ganze Schicksal dieser Verbindung zu lesen. Denn Heinrich machte darin die Tochter der d'Entragues zu seiner Vertrauten gegen die Eltern und brachte all sein Feilschen und deren gerissene Kniffe in dem langwierigen Kuppelgeschäft mit Henriette so wenig in Verbindung, daß er sogar erwartete, sie sähe mit der gleichen Ungeduld wie er der endlichen Vereinigung entgegen! Das zeigt, daß Heinrich, der so viel und so sehr um seiner selbst willen geliebt worden war, nun schon unter herbstlichen Gestirnen sich auf den Weg gemacht hatte, der aus der Trauer um Gabriele fortführte.


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