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XVII

Im Juni des Jahres 1603 predigte zum ersten Male ein neuer Kanzelredner vor Heinrich und seinem Hofe. In einer nach Unterhaltung so gierigen und an Formen der Unterhaltung nicht sehr reichen Zeit waren gute Predigten ein gesuchtes Vergnügen. Denn Predigten zu hören, war ja von der Kirche geboten. So war man doppelt dankbar, wenn man dabei nicht nur die übliche Angst vor Fegefeuer und Hölle eingeflößt, sondern in wohlgesetzter Sprache hübsche Sentenzen und Wendungen eines Geistes zu hören bekam, der, selber gesellig eingegliedert, die Dinge Gottes und der Kirche mit den ungeschriebenen, doch von allen so stark als wirklich empfundenen Gesetzen des geselligen Lebens in Einklang zu bringen wußte. Nun hatte Heinrichs entschlossener Wille, die Katholiken und Protestanten einträchtig als Franzosen zusammenleben zu sehen, in den letzten Jahren allmählich schon bewirkt, daß das Predigen gegen die Kalvinisten, als die gottverfluchten Ketzerhunde und Teufelsausgeburten, sich beträchtlich gemildert hatte und immer seltener geworden war. Aber wie nun dieser neue Mann da vor dem Könige sprach, das war wahrhaft eine Neuheit, an der sogar so verstockte Ketzer wie Sully ihr Wohlgefallen gehabt hätten, wäre ihnen nicht aus der Herkunft dieses Predigers einiges Mißtrauen aufgestiegen. Hatte man je gehört, daß einer auf einer christkatholischen Kanzel den Kalvin Monsieur genannt und sogar gesagt hätte, die Protestanten seien lediglich und ausschließlich hinsichtlich der Religion als Gegner der Katholiken zu betrachten? Der Prediger hieß Pater Cotton – und was seine unglaubliche Mäßigung für alle Hörer noch beredenswerter machte, war die Tatsache, daß er der Gesellschaft Jesu angehörte. Daß einer der acht Jahre lang verbannt gewesenen Jesuiten vor dem Könige predigen durfte, war ein Ereignis, und ein größeres noch war es, daß er so predigte und daraufhin zu Heinrichs Beichtvater bestellt wurde. Damit hatte man die Jesuiten wieder im Lande. Es gab eitel Frohlocken unter den einstigen Anhängern der Liga und Spaniens, und Murren, Unheilwittern und käuzchenhaftes Klagen unter den anderen.

Die Jesuiten hatten freilich manche Schuld auf sich geladen, nicht nur, indem sie in den langen Wirren der Religionskriege neben ihrem allem Zugeständnisse feindlichen Eiferertum in Glaubensdingen stets den Interessen des Hortes der Christenheit gedient hatten, Spanien, Loyolas Heimat, und gegen Heinrichs Heraufkommen im Lande geschürt und in Rom die Aufhebung des Kirchenbannes zu verhindern gesucht hatten. Ihre Unbedingtheit und Kompromißlosigkeit im Kampfe um die irdische Stellung der Kirche und allem zuvor ihre Überzeugung, daß in diesem Kampfe jedes Mittel recht sei, hatten als ein Aufruf zur Beseitigung der Feinde des Glaubens um so mehr gewirkt, als dem Täter solcher gottgefälligen Taten Verzeihung und himmlischer Lohn zugesichert wurde. Da Clément, der Mörder Heinrichs III., unmittelbar nach seiner Tat und ohne Verhör getötet worden war, war nicht an den Tag gekommen, wie weit die Jesuiten unmittelbar auf diesen Mord Einfluß genommen hatten. Daß aber hernach in ungezählten Kanzelreden dieser Clément als ein edler Streiter der Kirche gepriesen und sogar in von Jesuiten verfaßten populärtheologischen Schriften seine Seligsprechung verlangt wurde, hat in der Folge manchem den Gedanken eingegeben, solch ein gottgefälliges Werk, wie einen Mord an einem beim allgütigen Gotte mißliebigen Könige, zu versuchen, auch als dieser schon vom Papste absolviert und durch die Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche zum Allerchristlichsten Könige geworden war. So war es nicht schiere Ungerechtigkeit, wie viele politische Katholiken es nannten, als anschließend an Chastels Versuch, Heinrich zu ermorden, die Jesuiten des Landes verwiesen wurden. Zwar hatte der neunzehnjährige Student Chastel einen recht persönlichen Beweggrund dazu gehabt, sich damals, im Dezember 1594, in einer Menge von Hofleuten ins Haus Gabrielens zu stehlen und mit dem Messer nach dem Könige zu stoßen, der sich jedoch in diesem Augenblicke bückte, so daß die Klinge nur die eine Lippe zerschnitt und ein Stück von einem Zahn abbrach. Dennoch aber hing dieser selbstische Grund mit der von den Jesuiten verheißenen himmlischen Belohnung für solchen Königsmord zusammen: Chastel gestand noch vor der Folter, die daraufhin nur in zweien Graden angewandt wurde, daß er als Klosterschüler die »verwerflichste und abscheulichste Unzucht« getrieben und sich hernach als zu ewigen Höllenstrafen verdammt betrachtet habe. Aber eine große Tat für den Glauben, so habe er gehofft, würde ihn Gottes Milde empfehlen, und so habe er den König zu töten unternommen, welcher trotz seines Übertritts doch ein Feind des Glaubens und der Kirche sein müsse. Chastel aber war von Jesuiten erzogen worden, und von ihnen mußten sowohl solche Meinung über Heinrich als die Überzeugung von der Gottgefälligkeit des Königsmordes stammen. Das sollte, nach all dem Vorhergegangenen, nun schon genügen, obgleich eine unmittelbare Beeinflussung Chastels durch seine früheren Lehrer nicht nachzuweisen war und nur einer der Patres, der dann auch die zeitübliche Strafe erhielt und starb, als mittelbar schuldig verurteilt wurde, indem bei ihm königsfeindliche Schriften gefunden worden waren. Nach dem gegen den Orden ergangenen Parlamentsurteil waren sämtliche Angehörige der Gesellschaft Jesu binnen drei Tagen aus dem Lande vertrieben worden. Diese aufgefundenen königsfeindlichen Schriften gaben hernach, unbekannt auf wessen Anstiften, den Vorwand zu einer Tat ab, die den verwiesenen französischen Jesuiten einen bitteren Verlust zufügte: ihre sehr große und kostbare Bibliothek wurde völlig geplündert. Daß dabei die wertvollsten Drucke und Handschriften in den Besitz sehr angesehener Männer gelangten, hat die Vermutung entstehen lassen, daß sich in den Anstiftern Bibliomanie und religionspolitische Gründe gepaart hätten.

Doch mit der Vertreibung der Jesuiten endeten nicht die Wirkungen ihrer Lehren, und immer wieder versuchten religiöse Eiferer die Tat zu tun, die jene so offen gutgeheißen hatten. »Immer weiter glaubten und bekannten die Mörder«, schreibt Poirson, »daß die vom Papste ausgesprochene Absolution ungültig sei ... und daß ihre Tat geeignet sei, ihre Sünden zu sühnen und besonders die Ausschweifungen, mit denen die meisten von ihnen befleckt waren.« Es ist die Fortsetzung der Geschichte Johann Chastels. Die Reihe dieser Rasenden, deren wir hier nur die bekanntesten anführen, beginnt 1596 mit Johann Guédon, einem Advokaten aus Angers, 1597 folgt ein Pariser Teppichweber, der ankündigte, er werde seinen Stoß nicht verfehlen wie Chastel, dann 1598 der Karthäuser Peter Ouin vom Kloster in Nantes, zu diesem Verbrechen von dem spanischen Agenten Ledesma aufgestachelt. Diese Reihe setzt sich 1599 mit zwei Jakobinern aus dem Kloster von Gand fort, Ridicoux und Argier, demselben Orden angehörig wie Jakob Clément und von denselben Grundsätzen erfüllt wie er, die in Brüssel, Rom und Mailand Instruktionen und Geld von spanischen Agenten empfangen hatten; zu ihnen ist noch der Kapuziner Langlois aus der Touler Diözese zu nennen. Sie wurden alle drei am 3. April 1599 hingerichtet. In der Folge kommen im Jahre 1600 Nicole Mignon, die den Plan gefaßt hatte, den König zu vergiften, 1602 Julian Guédon, der würdige Bruder Johanns, ... und 1603 ein Priester und ein Edelmann aus Bordeaux, die vereinbart hatten, ihn aus der Entfernung durch einen Armbrustschuß zu töten.« Der Verfasser dieses Katalogs der Mordversuche, der erste neuere Geschichtsschreiber, der Heinrichs IV. Regierungszeit dargestellt hat, fügt hinzu, daß Heinrich, die Ohnmacht auch der grausamsten Strafen einsehend, auf andere Mittel sinnen mußte, um zu der Sicherheit zu gelangen, daß sein Werk nicht vorzeitig unterbrochen würde. Der Papst hatte längst schon die Zurückberufung der Jesuiten verlangt, und diese selber hatten sich mit dieser Bitte an den König gewandt. Heinrich »fürchtete, durch Zurückweisung dieses Entgegenkommens und dieser Bitten in den Jesuiten wieder den Haß zu entfachen, von dem sie während der Liga so furchtbare Proben abgelegt hatten. Und eine neue Tatsache rechtfertigte seine Befürchtungen: der flämische Jesuit Hodum hatte von dem Anschlage Ridicoux' erfahren und ihm keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt, sondern sich damit begnügt, kalt zu sagen, daß eine solche Tat einen stärkeren und robusteren Mann erfordere. Im Gegenteile hoffte jetzt Heinrich, daß die Jesuiten, wenn sie einmal durch Wohltaten gewonnen wären, ihre Autorität im Beichtstuhle und ihre so ausgedehnten Beziehungen zu allen Klassen der Gesellschaft nutzen würden, um die Anschläge abzuwenden, mit denen ihn die Raserei der Fanatiker bedrohen konnte«.

Zwar pflegte Heinrich alle großen und kleinen Dinge des Staates mit seinen Beratern durchzusprechen, die er so gewählt hatte, daß sie neben ihren besonderen Erfahrungen auf einzelnen Gebieten die verschiedenartigen politischen Färbungen vertraten, wie Sully die protestantische oder Villeroy und Jeannin, die der Liga angehört hatten, die extrem katholische, versteckt spanienfreundliche. Nachdem er aber alle Gesichtspunkte gehört hatte, entschied er sehr oft gegen den ganzen Staatsrat – und es muß angemerkt werden, daß eine Reihe gerade jener Regierungshandlungen, die sein Ruhm geworden sind, gegen den Willen Sullys und der anderen von ihm befohlen worden sind. Auf alle die Einwände, die sein Beschluß der Rückberufung der Jesuiten hervorrief, hat er dann selbst in einer für ihn sehr charakteristischen Rede dem Parlamente erwidert:

»Ich weiß Euch wohl Dank für die Sorge, die Ihr für meine Person und meinen Staat hegt. Ich habe alle Eure Auffassungen in der meinigen, aber Ihr habt die meine nicht in der Euren. Ihr habt mir Schwierigkeiten vorgestellt, die Euch groß und ansehnlich erscheinen, und Ihr habt nicht gewußt, daß all das, was Ihr gesagt habt, von mir vor acht oder neun Jahren schon bedacht und betrachtet worden ist, und daß die besten Entschließungen für die Zukunft sich aus der Betrachtung der vergangenen Dinge ziehen lassen, deren ich eine bessere Kenntnis habe als irgendein anderer. Es ist ... an den Jesuiten nicht Ehrgeiz, sondern Genügsamkeit befunden worden, und ich weiß nicht, wieso Ihr die ehrgeizig findet, welche die Würden und Prälatenstellungen zurückweisen und das Gelübde ablegen, gar nicht nach ihnen zu streben. Was die Geistlichkeit anlangt, die über sie verdrossen ist, so ist das wie zu jeder Zeit, daß die Unwissenheit dem Wissen übelwill; und als ich von ihrer Wiedereinsetzung zu reden begann, habe ich bemerkt, daß zwei Arten von Leuten sich dieser besonders widersetzt haben: die Reformierten und die Geistlichen, die ein schlechtes Leben führen, und das hat jene nur noch weiter in meiner Schätzung gebracht. Wenn die Sorbonne sie verurteilt hat, hat sie es getan, ohne sie zu kennen. Die Universität hat Anlaß, sie zurückzuwünschen, denn durch ihr Fehlen ist sie wie verlassen, und ungeachtet aller Eurer Verordnungen sind die Schüler sie innerhalb und außerhalb meines Königreiches suchen gegangen. Sie ziehen die schönen Geister an sich und wählen die besten aus, und das ist es, wofür ich sie schätze. Ich wünschte, man wählte die besten Soldaten aus und daß keiner in Eure Stände eintrete, wer dessen nicht würdig wäre, und daß überall die Tüchtigkeit Ansehen und Auszeichnung der Leute ausmachte ... Man muß zugestehen, daß sie durch ihre Geduld und ihren guten Lebenswandel mit allem zuwege kommen, und daß die große Sorgfalt, die sie dareinsetzen, ihre erste Einrichtung in nichts abzuändern oder umzuwandeln, ihnen eine lange Dauer geben wird ... Daß sie enger als die anderen dem Gebote des Papstes verpflichtet sind, gilt nur für das, was die Bekehrung der Ungläubigen angeht, und ich halte nicht dafür, daß die Gelöbnisse des Gehorsams, die sie ablegen, sie mehr verpflichten als der Treueschwur, den sie mir leisten werden ... Man soll ihnen nicht mehr die Liga zum Vorwurf machen: das war die Unbill der Zeit: sie glaubten, recht zu tun und sind getäuscht worden, wie manche andere; ich will glauben, daß weniger Bosheit dabei war als bei den anderen, und ich halte es für sicher, daß die gleiche Gewissenhaftigkeit, zusammen mit der Gnade, die ich ihnen erweise, sie ebenso oder sogar geneigter für meinen Dienst machen werden, als sie es für die Liga waren. Man sagt, daß der König von Spanien sich ihrer bedient; aber ich sage, daß auch ich mich ihrer bedienen will, und daß Frankreich nicht übler dran zu sein braucht als Spanien, nachdem alle Welt sie als nützlich befindet. Ich erachte sie als für meinen Staat nötig, und wenn sie vorher durch Duldung hier gewesen sind, will ich jetzt, daß sie durch Verordnung hier seien. Gott hat mir den Ruhm vorbehalten, sie hier durch ein Edikt wieder einzusetzen. Sie sind in meinem Königreiche und unter meiner Botmäßigkeit geboren« (diese erste Zulassung des Jahres 1603 galt nur für die Jesuiten französischer Abstammung!), »und ich will meinen natürlichen Untertanen keinen Harm tun; und wenn man befürchtet, daß sie meinen Feinden meine Geheimnisse mitteilen, so werde ich ihnen nur mitteilen, was ich mag. Laßt mich also diese Angelegenheit führen; ich habe andere recht viel schwierigere gehandhabt, so denkt nicht mehr an anderes, als das zu tun, was ich Euch sage.«

Wem diese Äußerungen Heinrichs als die ersten vor Augen kämen, der mag daraus allerlei Schlüsse ziehen, auch den, daß Heinrich genug Jesuitisches in seiner Geistesart gehabt haben mag, um den Jesuiten endlich gewachsen zu sein; nur sei ein solcher Leser davor gewarnt, despotischen Absolutismus etwa im Sinne von Heinrichs Enkel, Ludwig XIV., daraus lesen zu wollen, wie uns überhaupt daranliegt, zu keinem »Urteil« zu verleiten, ehe dieses Stück Lebensgeschichte nicht zu Ende erzählt ist – und wenn dann erst recht diesem Buche eine Regung antwortete, die nicht in der Sphäre des Urteilens vor sich ginge, wäre dieser Bericht von einem fernen Stück gelebten Lebens aufgenommen worden, wie wir es wünschten.

So war die Wiederkunft der Jesuiten also geschehen. Der Pater Cotton nannte Kalvin nicht nur Monsieur Kalvin, er tat noch ein unerwartetes übriges: er erklärte in einer Predigt, es sei gottgefälliger, seine Steuern zu zahlen, als Almosen zu geben, denn jenes sei ein Gebot, dieses aber nur ein Rat. Damit hatte er einen Schritt weiter zum Herzen Heinrichs gemacht. Diese wachsende Sympathie des weltfrohen einstigen Ketzers zu seinem Beichtvater fand in der satirenfreudigen Zeit mannigfachen Ausdruck in Versen und Glossen aller Art, die meist sich um das Wortspiel drehten, das der Name Cotton (Baumwolle) darbietet. So lautet ein solcher Vers:

Autant que le Roy fait de pas,
Le Père Cotton l'accompagne:
Mais le bon Roy ne songe pas
Que le fin cotton vient d'Espagne.

Die Jesuiten waren da. Und wenn auch die neuen Besen sich hier und dort bald abnützten und darunter einige alte Borstigkeit wieder zum Vorschein kam, schien sich Heinrichs Hoffnung doch vorerst zu erfüllen, denn die Glieder in der Kette der dreiundvierzig Mordversuche gegen ihn standen nun weiter und weiter voneinander ab. Vorbild und Zucht der Jesuiten hatten auf die französische Geistlichkeit eine Wirkung, die ein neuerer Historiker so ausdrückt: »Überall sah man eine Vermehrung der Klöster, sah man eine fromme katholische Gesinnung Platz greifen. Gerade von der Zeit des Skeptikers Heinrich datiert die moralische und intellektuelle Wiedergeburt des französischen Klerus. Unter dem streng orthodoxen Valois arg verweltlicht, fing er jetzt an, sich mit Eifer, Sittenstrenge und Wissenstrieb zu erfüllen.«

Wie es um diese »Skepsis« Heinrichs wirklich bestellt war, ist nun freilich ein sehr zusammengesetztes Ding, von dem noch zu reden sein wird. Hier aber sei am Ende dieses Kapitels und anschließend an die vorher erwähnte Tatsache noch bemerkt, daß »diese innere Reform der französischen Kirche«, zu der Heinrich den Anstoß gab, sich in der Folge in den beiden großen Schöpfergestalten des neueren christlichen Frankreichs so schön ausgeblüht hat, in Pascal und Bossuet.


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