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XXXV

In dem Abschnitte, in dem von Don Pedro von Toledos Sendung die Rede war, ist erwähnt worden, daß Heinrich gerade um diese Zeit seine besonderen Gründe hatte, sich Spanien und überhaupt den Habsburgern gegenüber seine volle Bewegungsfreiheit zu wahren. Manche der Leser dieses Buches werden sich von der Schule her der Namen Jülich, Cleve und Berg erinnern und sie bei einigem Nachdenken in die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges einreihen können – diese Namen einst ansehnlicher deutscher Staaten mit Heinrich IV. in Verbindung zu bringen, wird jedoch den meisten schon schwerer fallen, und manche gar verwundern, was diese alten deutschen Ländernamen in einem Buche wie diesem zu suchen hätten, dessen nicht mehr fernes Ende sie auch ohne die besondere Ankündigung aus der noch verbleibenden Seitenzahl zu verspüren vermöchten. Diese Namen aber gehören so nah, so schwermütig wirklich zu den Plänen und Aufgaben Heinrichs, daß dieses Stück Lebensgeschichte eines unter anderem auch im großen Stile politischen Menschen ihrer nun nicht mehr entraten kann.

Schon als Heinrich kaum noch ein Thronprätendent und nur der Führer der französischen Reformierten gewesen war, hatte er engste Beziehungen zu den meisten protestantischen Fürsten des Deutschen Reiches unterhalten, hatte mit den von ihnen zur Hilfe gesandten Geldern, Landsknechten und Reitern seine Kriege geführt und endlich nicht zum geringen Teile dank ihrer Beihilfe sich in dem ihm von Heinrich III. hinterlassenen, hoffnungslos scheinenden Erbe Frankreich als König behaupten können. Trotz der Abkühlung vieler dieser Beziehungen, durch seinen Übertritt zum Katholizismus und der gegen ihn sich erhebenden Gegenströmungen, anläßlich seines Friedensschlusses mit Spanien, des Schürens Bouillons und dergleichen, hatte er diese alte Freundschaft mit den deutschen Protestanten zu einem Angelpunkte seiner äußeren Politik gemacht. Denn sein Frieden mit den beiden habsburgischen Linien wurde, je sicherer die Vorherrschaft in Europa auf Frankreich überging, ebenso sehr zu einem bloßen Waffenstillstande, wie der Religionsfrieden der protestantischen deutschen Fürsten mit dem gegenreformatorischen Kaiser. Die Religionsfehden hatten die altüberkommene lose Reichseinheit zersetzt, und da die endgültige Auseinandersetzung mit dem Hause Habsburg nicht zu vermeiden sein würde, schien es von Jahr zu Jahr rätlicher zu werden, sie mit dem Kaiser zu beginnen, wobei so starke und natürliche Bundesgenossen sich boten und am Ende die Krone Karls des Großen locken konnte. Daher ließ Heinrich es sich auf alle Weise angelegen sein, die gelockerten Freundschaften zu den deutschen Fürsten wieder zu festigen, schrieb Bände von Briefen, unterhielt die gewandtesten Agenten in Deutschland, sparte nicht mit Geld und wußte um alle innerdeutschen Vorgänge vielleicht besser Bescheid als der Kaiser. So war ihm die Tragweite eines Ereignisses, wie des mit den genannten drei Namen verbundenen, von Anfang an offenbar.

Zu Beginn des Jahres 1609 starb einer der mächtigsten deutschen Fürsten, der Herzog Johann Wilhelm von Jülich, Cleve und Berg, Graf von Mark und Ravensberg und Herr von Ravenstein. Er hatte keine männlichen Erben hinterlassen, und die reiche Erbschaft war wohl dazu angetan, jeden nur möglichen Prätendenten zum Geltendmachen seiner Ansprüche anzustacheln. Zu den Nächstberechtigten gehörten der Kurfürst von Brandenburg und der Pfalzgraf von Neuburg, durch ihre Gattinnen dem verstorbenen Herzoge verwandt, und der Kurfürst von Sachsen, der auf einen Erbvertrag mit Cleve pochen konnte. Der Kaiser sah mit Besorgnis den so lockenden wie gefährlichen Zankapfel und befahl, daß seine schiedsrichterliche Entscheidung abzuwarten sei. Aber der Brandenburger und der Neuburger verständigten sich rasch, was dabei für sie herauskommen möchte, und zogen es vor, schnell die herrenlos gewordenen Länder in Besitz zu nehmen. Diese beiden nun, mit dem Zeitausdrucke die possidierenden Fürsten genannt, wußten sich sogleich der Unterstützung des Königs von Frankreich gegen die sie bedrohende kaiserliche Macht sicher. Als in der Tat der Bruder des Kaisers in das strittige Gebiet einrückte und die Festung Jülich überrumpelte, hatte Heinrich seinen casus belli mit Kaiser und Reich in der Hand. Er erklärte, »die Besitznahme der Cleveschen Länder durch einen österreichischen Prinzen nicht dulden zu wollen, denn unter dem Vorwande der Religion habe das Haus Österreich bereits viele Länder verschluckt«. Doch so entschlossen Heinrich nun auch zum Kriege war, er wußte, daß diese Austragung des Konflikts zwischen Habsburg und Frankreich ein sehr großer Krieg werden müßte, der größte wohl, den die Menschheit bis dahin erfahren hatte, er hütete sich daher vor Übereilung. Es ging ihm jetzt darum, mit der eigenen Macht alle verbürgten und vielleicht noch zu erreichenden Bundesgenossen gegen die beiden Habsburgerreiche und ihre Alliierten zum Kampfe aufzurufen. Während Heinrichs Botschafter und Gesandten, seine akkreditierten und geheimen politischen Agenten ihre Arbeit dazu begannen, hob in Frankreich das große Rüsten an.

Die zehn Jahre Friedens seit Vervins (wenn man die kurze Expedition nach Savoyen außer acht läßt) hatten Heinrich und seine Helfer, die alle aus langen kriegerischen Läuften heraufgekommen waren, nicht vergessen lassen, daß es wieder Krieg geben könnte, ja müßte. Und Heinrich, wie Sully und die Marschälle und Generäle, hatten aus ihren langen Erfahrungen nicht nur das Wissen geschöpft, woran es damals bei ihnen gefehlt und was jeweils die Spanier oder die Ligatruppen vor ihnen vorausgehabt hatten, sie verfügten nun aus dem schnell und gewaltig wachsenden Wohlstand Frankreichs auch immer mehr über die Mittel, das zu schaffen, was es vordem in Frankreich nicht gegeben hatte: eine große nationale Armee. Heinrich hatte seine Kriege zum Großteil mit fremden Söldnern, mit Deutschen, Flamen, Wallonen und Engländern, geführt, und er hatte nur zu oft erlebt, daß die – freilich nie vollbesoldeten – Söldner ihn im Stiche gelassen, nach Heimkehr verlangt hatten oder gar zum Gegner übergegangen waren. Überdies hatte er die Überlegenheit der wohldisziplinierten spanischen Infanteriemassen selbst über die mutigsten Kavaliersfähnlein nur zu sehr erfahren. Wie Sully im Aufbau einer starken und wohlbedienten Artillerie, so sah Heinrich in der Schaffung einer gut geschulten, einheitlich französischen Infanterie die Hauptaufgabe der militärischen Neuorganisation Frankreichs. Aus den Hunderttausenden, die, wie er sagte, in den Kriegen vorher auf eigene Kosten das Waffenhandwerk gelernt hatten, wählte er den Grundstock seines neuen Heeres sorgfältigst aus, sah von Anfang an auf gute Ausrüstung, Ernährung und regelmäßige Soldzahlung, verlangte aber strengste Disziplin. Er sicherte den Invaliden ein Heim, den Veteranen Fürsorge zu; eine Offiziersschule, deren Zöglinge zu nicht geringem Teile bürgerlichen Standes waren, sollte einen wohlunterrichteten Offiziersnachwuchs für diese von aller feudalen Tradition befreite Armee schaffen. Um aber die Finanzen des Staates dabei nicht allzusehr zu belasten, beschloß Heinrich, »ein nur geringzählig stehendes Heer – höchstens zwanzigtausend Mann – zu unterhalten, aber alles zur Bildung weit stärkerer Kräfte bereit zu halten. Während Spanien seine letzten Mittel in großen stehenden Armeen verzehrte, hielt Heinrich es für vorteilhafter, einerseits das Geld, anderseits die Waffen und Vorräte aufzuhäufen, um sich stets binnen kurzem eine bedeutende Truppenmacht schaffen zu können.« Sully nun hatte es im Laufe seiner genauen und sparsamen Tätigkeit dahin gebracht, nicht nur die ungeheuren alten Schulden zu tilgen und Renten und verpfändete Staatsdomänen zurückzukaufen, sondern er hatte es sich vor allem zur Aufgabe gemacht, einen Kriegsschatz aufzuhäufen. Um die Zeit des beginnenden Jülich-Cleveschen Erbfolgestreites betrug dieser Kriegsschatz fast zweiundvierzig Millionen Livres, was um ein gutes Stück mehr war, als die gesamten, indessen um weit mehr als das Doppelte gestiegenen Staatseinkünfte eines Jahres.

Nach solchen jahrelangen Vorbereitungen waren die militärischen Rüstungen für den Krieg nun weit kürzer und leichter durchzuführen als die diplomatischen. Denn während es ersichtlich wurde, daß Frankreich binnen wenigen Wochen ein vortrefflich ausgerüstetes Heer von siebzigtausend Mann aufstellen konnte (eine Kriegsmacht also, die in der Zeit nicht ihresgleichen hatte), gingen die Verhandlungen mit den gesicherten oder erhofften Alliierten nur zögernd weiter und brachten etliche Enttäuschungen. Darüber ging die Zeit hin, und die brachte noch anderes, was Heinrich diesen unausweichlich scheinenden Krieg erst verwünschen und dann heftigst herbeisehnen ließ.


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