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XIX

In Sullys Denkwürdigkeiten finden sich aus den Jahren 1603 und 1604 etliche Aufzeichnungen, die wiederzugeben dieses Kapitel unserer Erzählung nicht entraten kann. Da von Dingen des Geldes darin die Rede ist, sind diese Stellen gewiß zuverlässiger als viele andere »in diesen Memoiren, zugleich so kostbar und so trügerisch, die fast immer Verteidigungsreden für den Autor und Anklagen gegen alle anderen sind«. Denn mit wieviel Selbstgefälligkeit auch Sully in seinem Alter auf sein Wirken neben Heinrich geblickt und sich als den Urheber fast des ganzen Reformwerkes dargestellt haben mag – als welcher er zwei Jahrhunderte lang auch wirklich gegolten hat –, die Verdienste dieses vormaligen Kriegsmannes um die Finanzen Frankreichs sind unbestreitbar. Wenn ihm auch nicht das große Schöpferwerk, das er sich selber zuschreibt, die rasche materielle Gesundung Frankreichs in Heinrichs Regierungszeit zu danken ist, so war er doch als ein kluger, zäher Verwalter mit dabei und war seinem Herrn ein unschätzbarer Helfer im Organisieren und Ausführen großer Unternehmungen, auch derer, denen er sich erst hartnäckig widersetzt hatte. Sainte-Beuve, der große geistige Porträtist Frankreichs, charakterisiert Sully in seinem Tun: »Durch genaue Prüfung und hartnäckigen Fleiß, wie man ihn niemals von einem Manne des Degens erwartet hätte, legte er sich Rechenschaft ab über alle Zweige der Einkünfte und Ausgaben, auch die geringsten und abgelegensten; suchend ging er der Natur der Abgaben bis in ihre Quellen und Ursprünge nach, folgte ihnen auf ihrem Wege und verlor sie bis zu ihrem Bestimmungsorte und ihrer Verwendung nicht aus dem Blick. Auf dieser bis ins kleinste gehenden und zähen Verfolgung machte er durch Arbeit, Scharfblick und Geschicklichkeit wett, was den damaligen Methoden der Rechnungsführung noch an Verwickeltheit und Unvollkommenheit anhaftete.«

Mit dem feinen Spürsinn, der Heinrich nie im Stiche ließ, wenn es um Männer ging, und der ihn bei der oft sehr unerwarteten Wahl seiner Mitarbeiter leitete, hatte er Sully während des Krieges mit Spanien zum Oberintendanten der Finanzen gemacht. Durch die langen inneren und äußeren Kriege, die Unsicherheit der Rechtsverhältnisse und das geringe Vertrauen in die Herrschaft hatte sich in dem zerspaltenen und verwüsteten Lande ein Raubwesen unter den Beamten eingefressen, das von den ohnehin schon kümmerlichen Einkünften nur noch einen geringen Teil in die Staatskassen gelangen ließ. Wie Sully sein neues Amt gleich zu Anfang angriff, ist zu bezeichnend für den Mann, von dem in diesem Buche so oft die Rede ist, als daß es hier nicht zugleich von ihm und der Zeit erzählt werden sollte. Sully hatte sich erbötig gemacht, in mehreren Provinzen eine Revision der Finanzgebarung vorzunehmen, und sich dazu Vollmacht erbeten, ungetreue Beamte abzusetzen. Sogleich taten sich alle Steuereinnehmer, Intendanten, Schatzmeister und Räte samt ihren Unterbeamten und Schreibern zusammen, um Sully die Einsicht in ihre Aufschreibungen zu verwehren, ja, sie scheuten nicht davor zurück, Aufstände gegen ihn anzuzetteln. Aber er verstand, seine Vollmacht zu nützen, hatte im Nu Bücher und Listen vor Augen, arbeitete Tag und Nacht, setzte Beamte ab, ließ andere festnehmen – und das Ergebnis war aus vier Provinzen eine Summe, wie sie in vielen Jahren zusammen nicht eingegangen war, eine halbe Million Taler, was etwa zehn Millionen heutiger Goldfranken entspricht. Diese gewaltige Geldmenge hatte er zum größten Teil in kleinerer Münze beschlagnahmt, welche er dann, in Weinfässer gefüllt, auf siebzig wohlbewachten Lastwagen dem Könige überbrachte. Mit dem schmunzelnden Wahrnehmen Heinrichs, was selbst damals schon in Frankreich an Geld stäke, begann die neue Wirtschaft und die lebenslange Feindseligkeit der ganzen »Bande der Abgabenparasiten und Staatsdiebe« gegen Sully. Und nicht nur ihre Feindschaft. Denn alle, welche Gaben aus Heinrichs plötzlichen Anfällen von Freigebigkeit oder zweifelhafte Rechtstitel auf Zuwendungen aus den Staatskassen von Sully angefochten sahen, verfolgten ihn mit ihrem Hasse, intrigierten gegen ihn und verbreiteten gesprochene und gedruckte Schmähungen über ihn. Doch mit einer grimmigen Genugtuung genoß Sully all das als die rechte Art von Erfolg, und Heinrich war des Schaffens des Mannes ebenso froh wie seiner Unbeliebtheit, die ja schon nicht mehr schlimmer werden konnte, auch wenn er ihn nun des öfteren für Geldverweigerungen verantwortlich machte, die durchaus aus seiner eigenen Vernunft oder Knauserei kamen. Denn hier muß es wieder gesagt werden: mit der Vernünftigkeit, auf die Heinrich sich allezeit berief, war es wunderlich bestellt! Es war nicht die Vernünftigkeit eines Intellekts, sondern eines Charakters mit seiner Größe und seinen Eigenheiten. So war es ihm »vernünftig«, gelegentlich einem in seinen Kriegen zum Krüppel gewordenen Soldaten die erbetene kleine Gabe zu verweigern, die ihm alle Kriegskrüppel hätte auf den Hals bringen können, und dann wieder für ein flüchtig begehrtes Mädchen Summen aufzuwenden, von denen viele Invaliden hätten ihr Leben lang versorgt werden können. Daß freilich aus hundert oft recht grausamen Abweisungen berechtigter Bitten dann plötzlich in ihm ein Plan aufsprang, einer ganzen solchen Art von Notstand von Staats wegen abzuhelfen, gehört mit in seine Art von Vernünftigkeit.

Sully also erzählt in seinen Aufzeichnungen: »Frau von Verneuil suchte mich in Geschäften auf, nichtsdestoweniger war sie nicht allzu zufrieden mit mir. Sie fand mich, als ich eben mein kleines Arbeitszimmer verließ, um mich ins Louvre zu begeben. Ich hatte eine kleine Aufschreibung um einen Finger gerollt, und sie fragte mich, was das wäre. Darauf entgegnete ich ihr wie im Zorn: ›Das sind saubere Geschäfte, gnädige Frau, und dabei sind Sie nicht unter den Letzten‹, und ich entfaltete das Papier und las ihr eine Liste von zwanzig oder fünfundzwanzig Edikten vor, welche zur Ausplünderung und Unterdrückung des Volkes angestrebt wurden, zusamt den Namen derer, die daran ein Interesse hatten, unter welchen sie die sechste in der Reihe war. ›Nun‹, sagte sie, ›was gedenken Sie mit all dem zu tun?‹ ›Ich gedenke‹, sagte ich ihr, ›beim Könige Vorstellungen zu erheben zugunsten des armen Volkes, das zugrunde gerichtet ist, wenn solche Quälereien Billigung finden; und der König kann dann wohl seinen Einkünften Lebewohl sagen, denn er wird deren nicht mehr erhalten.‹ ›Wahrlich‹, so sagte sie, ›es wäre wohl müßig, Ihnen zu glauben und so viele Leute von Stand unzufrieden zu machen, um Ihren Einfällen genugzutun. Für wen denn möchten Sie, daß der König etwas tue, wenn es nicht für die ist, die Sie da auf Ihrem Papier haben, und welche allesamt seine Vettern und seine Verwandten oder seine Geliebten sind.‹ ›Es wäre alles recht schön, was Sie da sagen, gnädige Frau‹, erwiderte ich, ›wenn Seine Majestät das Geld aus der eigenen Tasche nähme. Aber dieses Geld von neuem von den Handelsleuten, Handwerkern, Ackerbauern und Hirten zu erheben, darin ist kein Anstand, denn es sind sie, die den König und uns alle ernähren, und sie begnügen sich wohl mit einem einzigen Herrn und haben nicht so viele Vettern, Verwandte und Geliebte zu unterhalten.‹ Und da sie aus allen meinen Reden ersah, daß ich nicht verfehlen würde, zu versuchen, daß der König diese Volksquälereien schlecht fände, zog sie sich ganz empört zurück und begab sich sogleich zum Herrn Grafen von Soissons.«

Zu diesem Grafen von Soissons nun, der aus königlichem Stamme war und zu den kostspieligen Prinzen von Geblüt gehörte, stand Heinrich in einem recht unausgeglichenen Verhältnisse. Soissons war Jahre hindurch der Liebhaber Katharinas, der einzigen Schwester Heinrichs, gewesen und hatte auf allen Wegen die Einwilligung zur Ehe zu erhalten versucht. Unbekümmert um die lange Liebe der beiden, hatte Heinrich immer wieder die Zustimmung verweigert, wie es heißt, weil er sich vorgesetzt hatte, die Prinzen von Geblüt allesamt an vorteilhaften Heiraten zu hindern, um sie vollends vom Königtume abhängig zu machen. Soissons gehörte also zu den Unzufriedenen; er hatte der Bironschen Verschwörung nicht allzu ferngestanden und wurde überall gesehen, wo andere Unzufriedene zu vermuten waren. Das hinderte ihn nicht, in den Zeiten, in denen er Heinrich als zugänglich erachtete, von ihm Benefizien aller Art zu verlangen, die der König, der in freudloser Ehe hingestorbenen Schwester gedenkend, dann oft auch gewährte, ohne das Ausmaß des Gewährten sogleich zu überdenken. So hatte er Soissons kürzlich die Einkünfte zugestanden, die aus einer von ihm vorgeschlagenen Abgabe von fünfzehn Sous auf jeden aus- oder eingeführten Ballen Leinen sich ergäben, sofern diese Abgabe nicht eine gewisse Summe überschritte, noch Gewerbe und Handel beeinträchtige. Mit dieser königlichen Zusicherung war Soissons zu Sully gekommen, um seine Zustimmung zu erhalten. Sully hatte ihn abgewiesen, denn er hatte errechnet, daß diese zugunsten Soissons eingehobene Abgabe dreihunderttausend Taler im Jahr, also viele Millionen nach heutigem Gelde, einbringen würde, zugleich aber einen großen Gewerbs- und Handelszweig zugrunde richten müßte. Daß Henriette dann »in ihren Geschäften« zu Sully kam, hing innigst mit dieser Abgabe zusammen, an der Soissons sie zu beteiligen versprochen hatte. Ihre gemeinsame Empörung darüber, daß Sully den König zur Zurücknahme dieses Zugeständnisses bewogen hatte, führte zu einer Klage gegen Sully wegen Beleidigung eines Prinzen von Geblüt, die Sully mit genauester und unpersönlichster Höflichkeit – zu der beiden Verdruß – aus der Welt schaffte.

Zu dem Ärger über das Entgehen dieser schönen Einkünfte kam dann für Henriette noch ein anderer nicht geringerer: Aus der Erbschaft der verstorbenen Katharina waren zwei zum navarrischen Besitz gehörige Länder, das Herzogtum Armagnac und die Grafschaft Foix, an den König zurückgefallen. Sogleich versuchte Henriette alle ihre Künste, diese Länder von Heinrich für ihren Sohn zu erhalten. Wieder war es Sully, der den schon nachgiebig gewordenen König nicht nur davon abredete, sondern ihm aufs entschiedenste entgegentrat, erklärend, daß diese Erbgüter des Hauses Bourbon rechtens dem Dauphin gehörten, und daß kein Mitglied des Rates und kein Parlament solcher Schenkung gegen Recht und Brauch zustimmen könne. So mußte Henriette auch auf diesen kräftigen Balsam für ihren Widerwillen gegen Heinrichs Umarmungen verzichten. Ihr Groll schwoll – und sie machte immer weniger Hehl daraus.

Seit Heinrich das Jahrgeld der Königin – auch das ist bei Sully zu lesen – mehrmals erhöht und ihr größere Geschenke zugewandt, hatte sich Marie schnell in die mediceische Großzügigkeit des Geldausgebens gefunden und wurde alsbald kostspieliger und verschwenderischer als jede Mätresse. Immer neue Forderungen brachte sie zu dem Gatten und Sully, ungeachtet ihrer Kenntnis der Staatsfinanzen, die sie aus den Ratssitzungen geschöpft haben mußte. Ihre Ausgaben stiegen von Monat zu Monat, und Schulden und Rückstände häuften sich, trotz immer neuer Zuwendungen. Endlich kam das Unerhörte zutage, daß sie nicht nur ihren eigenen Schmuck, sondern sogar die dem Kronschatz gehörigen Diamanten der Königin verpfändet hatte. Heinrich hatte schlimme Stunden und Sully böse Wochen. Doch Eleonora und Concini besaßen nun schon ein Palais, Ländereien, Edelsteine und hatten ein recht gutes Stück Geld auf Zinsen ausgeliehen.


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