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IV

Im Januar des Jahres 1600 wurden im Hofgerede die überraschend prächtigen Neujahrsgeschenke viel beneidet und benörgelt, die ein zu nichtendenwollendem Besuche in Paris weilender fremder Fürst, der zudem im Rufe der Knausrigkeit stand, außer der damals beim Könige eben viel geltenden Henriette d'Entragues, auch recht unerwarteten Personen hatte zukommen lassen. Einige von ihnen haben nachher bitter bedauert, sich dieser Geschenke gerühmt zu haben, und der Geber selber hat von seinen Gaben wie von dem ganzen langen Besuche in Paris wenig Freude gehabt. Denn dieser Herzog Karl Emanuel von Savoyen liebte Heinrich IV. jetzt ebensowenig, wie einst in den Tagen der Liga, da er ihn noch offen bekämpft hatte. Es war ihm die gespäßige Geselligkeit des Königs zuwider, und die Aussprachen mit ihm endeten stets unbefriedigend. Als der Herzog dann endlich seinen Besuch nicht länger hinausdehnen konnte, hatte er mit alledem gerade nur Zeit gewonnen und nahm außer dieser mageren Genugtuung nur noch die Hoffnung auf die Heimreise mit, dem Béarner, wie er Heinrich noch immer nannte, vielleicht in dieser Zeit ein Süppchen eingebrockt zu haben, das selbst für einen guten Gaskogner Magen schwer verdaulich sein könnte.

In dem mit Spanien zwei Jahre zuvor abgeschlossenen Friedensvertrage von Vervins war auch festgelegt worden, daß das in dem Kriege Spanien verbündet gewesene Savoyen die seit Jahren besetzt gehaltene Markgrafschaft Saluzzo herauszugeben habe. Dieses Ländchen, freilich rundum von savoyischem Gebiete umschlossen, war die letzte der einst zahlreichen französischen Eroberungen jenseits der Alpen und für Frankreich von großer Bedeutung, als die einzige Stellung auf italienischem Boden, auf dem die Spanier deren so gewaltige innehatten, wie Mailand und sein Gebiet. Trotz der vertraglichen Verpflichtung aber hatte Karl Emanuel die Markgrafschaft noch nicht herausgegeben, und sein Besuch in Paris hatte den Zweck gehabt, die Rückerstattung oder den ihm inzwischen angebotenen Tausch Saluzzos gegen andere Landstriche seiner Herrschaft, wenn nicht völlig zu verhindern, so doch wenigstens so lange als nur irgend möglich hinauszuschieben. Von solchem Zeitgewinn versprach er sich nicht nur den natürlichen Vorteil, der für den Schuldner in jedem Zahlungsaufschub liegt, sondern er hatte eben jene Hoffnung, daß sein Heinrich zugedachtes Süppchen indessen die Zeit hätte, gar zu werden.

Dieser höchst regsame Herzog Karl Emanuel, den Heinrich eines Tages ins Gesicht einen Unruhestifter und Störenfried nannte, hatte das Glück und das Unglück gehabt, durch die geographische Lage seiner an sich wenig bedeutenden Länder Savoyen und Piemont ein politisch wichtiger Faktor in der größten Rivalität der Zeit zu werden, der spanisch-französischen. Dieser Schlüsselstellung seiner Länder zwischen der Lombardei und der Dauphiné und Provence hatte der Herzog es zu verdanken gehabt, daß ihm Philipp II. eine seiner Töchter zur Frau gab. Für diese Ehre hatte er im Kriege Gefolgschaft zu leisten gehabt, war aber bei den Friedensverhandlungen von Spanien kühl im Stiche gelassen worden. Er hing Spanien weiter an, weil es die einzige große Macht war, woher er einmal vielleicht Unterstützung seiner ehrgeizigen Pläne erhoffen konnte, hatte aber im Augenblicke die Forderungen des übermächtigen verhaßten »Emporkömmlings« Heinrich auf dem Halse und wäre ohne seine elastische Vielgeschäftigkeit und seinen unbrechbaren Optimismus in einer recht schlimmen Lage gewesen. Aber er hatte nun ein Feuer geschürt und etliche Eisen darin; das eine oder andere mußte ein Werkzeug abgeben. Gelang das nicht, dann hieß es eben, weiter Zeit gewinnen und anderes versuchen. Derweil sah er sich in besten Augenblicken schon als König von Frankreich. Er hatte profunde genealogische Studien über sein Haus angestellt, aus denen sich wunderbare Rechte herleiten ließen. Seine Pläne waren wie die Köpfe der Lernäischen Hydra. Daß er, wie man weiß, nicht König von Frankreich geworden ist, hinderte ihn nicht, seinen Ehrgeiz auf andere große und kleine Kronen zu richten und sich nacheinander mit phantastischer Geschäftigkeit zum König von England, von Polen, der Provence, zum Deutschen Kaiser, zum König von Zypern, Morea, Albanien, Sizilien und endlich jenem Sardinien machen zu wollen, dessen Krone als erste königliche hernach wirklich an sein Haus gekommen ist.

Bevor Karl Emanuel Paris im Februar 1600 verließ, hatte er sich verpflichtet, innerhalb von drei Monaten entweder die Markgrafschaft Saluzzo oder, im Tausch dagegen, die Länder von Bresse und Bugey (zu denen hernach noch die von Gex und Valromey kamen) herauszugeben. Wäre der alte Philipp II. noch am Leben gewesen, so hätte er sich, trotz der Gleichgültigkeit gegen den Schwiegersohn, die Gelegenheit zu einem neuen Unternehmen gegen Heinrich nicht entgehen lassen. Aber der junge Philipp III. war von anderem Schlage, und auf den schon allmächtigen Günstling Lerma war, in Anbetracht der beiderseitigen Finanzlage, nicht zu hoffen. Dennoch gab Karl Emanuel, als der Termin um war, nicht heraus, wozu er sich verpflichtet hatte. Er versuchte es mit neuem Hinziehen, hoffte jetzt mehr denn je, daß nun das in Paris ausgegebene viele Geld, zusammen mit den noch größeren Versprechungen, wirken oder irgendein Wunder geschehen müsse, weiß Gott, wieder ein Mordanschlag auf Heinrich, der nun endlich glücken, oder auch nur die Heiratsvorbereitung, die ihn von kriegerischen Unternehmungen abhalten würde. Aber Karl Emanuel hatte sich in dem alten Gegner verrechnet. Heinrich blieb höchst lebendig, die Eisen im Feuer wollten kein Glühen zeigen, und die Heiratsvorbereitungen machten dem König eher noch Lust auf einen kleinen Feldzug.

Die Vorbereitungen dazu wurden ebenso eilig wie heimlich betrieben, und als Karl Emanuel sich eben ein neues Manöver zum Zeitgewinnen ausdachte, hatte er schon den Krieg im Lande.

Dieses rasche Losschlagen Heinrichs kam für Karl Emanuel um so überraschender, als er nach seiner Pariser ausgabenreichen Geschäftigkeit mindestens geglaubt hatte, damit rechnen zu können, von solch einem gegen ihn gerichteten kriegerischen Unternehmen zur Zeit unterrichtet zu werden. Der Mann, auf den er in dieser Hinsicht seine Hoffnungen gesetzt hatte, hieß Biron, war von Heinrichs Gnaden zum Herzog und Marschall von Frankreich aufgestiegen und war, bis vor kurzem, derjenige unter des Königs Freunden gewesen, in den er neben Sully das größte Vertrauen gesetzt und der seinem Herzen sogar näher gestanden hatte als dieser ein wenig unheitere und eitle Sparmeister. Doch es soll hier nur der Name Biron stehen, der Mann, sein Tun und sein Schicksal werden in dieser Erzählung bald ihren besonderen Platz haben.

Karl Emanuels Unmut über die verabsäumte Warnung milderte sich jedoch ein wenig, als ihm die Nachricht zukam, daß die höchste Befehlshaberstelle unter dem Könige in der gegen Savoyen vorgehenden Armee eben Biron innehatte, und als dann gar von diesem selber recht genaue Instruktionen über Bewegungen und Ziele der französischen Truppen an ihn gelangten. Freilich halfen auch diese dem Herzoge endlich nicht viel, denn wie ein Krieg Frankreichs gegen Savoyen zu führen sei, hatte wenig Geheimnis um sich. Als Karl Emanuel in Paris gewesen war, hatte er mit Sully zusammen das diesem unterstehende Arsenal besichtigt. Sully hatte aus seinen kriegerischen Zeiten her eine wahre Leidenschaft für das Artilleriewesen bewahrt und es sich zur Aufgabe gemacht, den Kanonen, Mörsern und Feldschlangen, welche in dem einen Jahrhunderte die Kriegsführung vom Ritterwesen weiter fort gebracht hatte, als die ritterlichen Kriege etwa von denen der römischen Legionen gewesen waren, sein eifrigstes Augenmerk zuzuwenden. Als Heinrich ihm dann zu seinem vielverzweigten Tun das Amt der obersten Führung und Verwaltung des französischen Artilleriewesens übertrug, hatte Sully wahrhaftig auf eine Art gelächelt, wie der König sie nicht oft an ihm zu sehen bekommen hatte. Damals nun hatte er den Herzog von Savoyen, zusammen mit dem Könige, zu seinen geliebten Kanonen und in die Gießereien geführt. Und als Karl Emanuel, ohne Begeisterung die Menge von Artillerie, die hier vereinigt war, bewundernd, Sully fragte, was er denn damit zu tun gedenke, erhielt er zur Antwort, sie sei da, um Montmélian zu nehmen, Savoyens stärkste Festung. Sully erzählt selber darüber weiter: »Der Herzog ließ sich nicht anmerken, daß ihn diese Antwort ein wenig aus der Fassung gebracht hatte, und fragte mich in einem Ton von Scherzhaftigkeit und Vertraulichkeit, ob ich denn schon dort gewesen sei, und als ich ihm mit Nein antwortete, fuhr er fort: ›Wahrhaftig, das sehe ich wohl, denn sonst würden Sie das nicht sagen. Montmélian ist uneinnehmbar!‹ Ich erwiderte im selben Tone, in dem er zu mir sprach, ich riete ihm, nicht eines Tages den König zu zwingen, diese Unternehmung zu versuchen, denn ich glaubte, sicher zu sein, Montmélian diesen Titel der Uneinnehmbarkeit nehmen zu können.« Sully hatte nicht zu viel gesagt.

Heinrich war in seinem fünfzehnten Jahre zum ersten Male im Felde gewesen, und bis zu diesem seinem letzten Kriege, den er wirklich führte, hatte er an drei großen Feldschlachten, fünfunddreißig Zusammenstößen von Armeen, über dreihundert Belagerungen fester Plätze und hundertvierzig Gefechten teilgenommen. Er hatte Reiterangriffe gegen vielfach überlegene feindliche Massen geführt, sein legendär gewordener weißer Helmbusch war überall dort zu sehen gewesen, wo es am heißesten herging und die tiefste Bresche in die feindlichen Linien gebrochen worden war. Er war mehrmals verwundet worden und war viele Male um Haaresbreite am Tode und an der Gefangenschaft vorbeigekommen. Er hatte also im Kriege gelebt und ihn nicht nur geführt, wie die späteren Könige und Feldherren, er hatte Krieg mit allen Gefahren und Nöten und der wilden Fröhlichkeit nach Art der letzten Ritterwelt erfahren, so daß manche Berichte davon sich lesen wie Stücke aus der Ilias, wo die Helden einander suchen, von Mann zu Mann kämpfen, und endlich der Leichnam des Besiegten seiner Rüstung beraubt wird. Jetzt war Heinrich fast achtundvierzig Jahre alt, und er hätte in diesem letzten seiner Kriege auch jetzt die Feldschlacht nicht gescheut, wäre es zu einer rechten gekommen. Aber dieser Zug gegen Savoyen, oder vielmehr dessen Herzog, wurde in Belagerungen und den Einnahmen von Festungen entschieden. Sturmleitern zu erklettern oder durch die von den Petarden gerissenen Mauerlöcher in die Städte zu dringen, war freilich nicht mehr des Königs Sache. Doch wie vordem ging er während der Belagerung von Bourg immer wieder ungedeckt bis in die Reichweite der feindlichen Arkebusen vor. Einer, der Heinrich in vielen früheren Kämpfen nah gewesen war, hatte mit dieser seiner Nichtachtung der Gefahr so sehr gerechnet, daß er von vornherein dem Befehlshaber der Festung hatte Nachricht zukommen lassen, diese Gänge seien die große Gelegenheit, durch einen guten Schuß aus einem Falkonett Savoyen von seinem Feinde und die Welt von einem allerseits gefährlichen Manne zu befreien. Sei es nun, daß der Urheber dieser Aufforderung sie widerrufen hatte, weil er den König zu oft selber begleiten mußte und ein solcher Schuß auch ihn selbst gefährdet hätte, sei es, daß der Festungskommandant sich entweder nicht zum Morde berufen fühlte oder, den unvermeidlichen Sieg der Franzosen voraussehend, sich von dem lebendigen Heinrich mehr erwartete als von der Ungewißheit nach solch einem Ereignisse – Heinrich entging auch dieser Gefahr. Der im August begonnene Feldzug war im November so gut wie zu Ende. Die wichtigen Festungen waren größtenteils dank Sullys Kanonen genommen worden, ohne daß Karl Emanuel hätte Entsatz bringen können, und damit war Savoyen in französischen Händen. In den Friedensverhandlungen hernach verzichtete Heinrich auf die Markgrafschaft Saluzzo und erhielt dafür die genannten Landstriche von Bresse, Bugey, Valmorey und Gex zugesprochen. Dieser Verzicht auf den letzten französischen Stützpunkt auf italienischem Boden wurde vielfach als ein politischer Fehler betrachtet. Heinrich aber erschien das dabei gewonnene, zum Teil reiche und fruchtbare Land diesen Verzicht reichlich aufzuwiegen, zumal es eine günstigere Ostgrenze schuf, wodurch das oft bedroht gewesene Lyon nun weiter ab von Savoyen lag, und zugleich die Genfer, die mit diesem Lande schon schlimme Erfahrungen gemacht hatten, fürderhin gegen die Einfälle aus dem Rhonetal her gesicherter schienen. Obgleich ein geistlicher Unterhändler, der General der Franziskaner, Calatagirone, und päpstlicher Einfluß auf einen raschen Friedensschluß hinarbeiteten, brauchte dessen Zustandekommen zufolge Karl Emanuels Wesen, das so klaren Verhältnissen durchaus abhold war, noch eine geraume Weile. Da aber all das, was sich nach Beendigung der Kriegshandlungen weiter mit Heinrich und auf ihn bezogen ereignete, nicht mehr zu diesem seinem letzten, wirklich erlebten Feldzuge gehört, mag dieses Kapitel hier mit der Erwähnung ein Ende haben, daß der Frieden mit Savoyen am 17. Januar 1601 unterzeichnet worden ist.


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