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XXII

Heinrich hatte länger gezögert, als er vor allem Recht und Brauch verantworten konnte, ehe er dem Parlament die Bewilligung erteilte, den Prozeß gegen die Verschwörer zu eröffnen. Er hätte freilich dem Drängen der Königin und des Rates gegenüber sich auf den Langmut berufen können, den er Biron erzeigt hatte – aber daran mochte er eben jetzt durchaus nicht erinnert werden, nun dieses Gerichtsverfahren seinen Anfang genommen hatte. Doch er wurde nur allzuoft an Biron gemahnt, nicht nur durch jene, die ihm seine eigenen Äußerungen über das Los der Verräter in Erinnerung riefen, sondern gleich zu Anfang des Verfahrens durch ein plötzlich aufgetauchtes kleines Ding, eine Büste, die den einstigen Freund darstellte, und die, rot angemalt, das Band des spanischen Isabellenordens trug. Diese Büste war von Loménie, dem Sekretär des Königs, in der Stunde gefunden worden, die Heinrich die einzig erwünschte dieses ganzen Prozesses war: da er endlich hatte Henriettens Schränke, Schubfächer und Laden durchsuchen lassen können. Unter einer Menge von Liebesbriefen in sehr verschiedenen Handschriften war dabei, in parfümierte Handschuhe gewickelt, die kleine Porträtbüste Birons zum Vorschein gekommen. Für deren Besitz fand Henriette freilich hernach, als sie in aller Form verhört wurde, die kaum anfechtbare Erklärung, daß Biron ein Freund der Familie gewesen sei und sie natürlich ein Andenken an ihn aufbewahrt habe. Warum sich dieses aber unter den Reliquien ihrer Liebschaften befunden habe, wurde nicht gefragt und wäre wohl auch von ihr auf keine Weise beantwortet worden, die Heinrich in seinem Wissen um einen Schritt weiter gebracht hätte als das Ergebnis dieser ganzen Haussuchung. Denn was ihm daraus in Händen geblieben war, waren bloß Zeugnisse für Liebschaften, die er mehr als geahnt hatte, Tatsachen also, die wieder die Sprache redeten, die er nicht hören wollte, Beweise, die mit dem Hinausgetragenen zwischen ihm und Henriette nichts zu schaffen hatten. Freilich hätte ihm kein Ergebnis solcher Durchsuchung von Dingen jenes Wissen bringen können, nach dem er zu verlangen glaubte – denn was da wißbar sein konnte, hätte er längst wissen können. Was es aber da auszutragen galt, das konnte nur im Stoff des Lebens selber vor sich gehen. So hatte dieses Eingreifen in den Weg der Justiz Heinrich in seinem eigenen inneren Prozeß mit Henriette nicht weitergeholfen, noch hatten das die hämischen und gehässigen Aussagen des Grafen Auvergne vermocht.

Da Heinrich nicht den Spaniern den Prozeß machen konnte, der ihm jetzt der bequemste gewesen wäre, war er entschlossen, in Auvergne den Hauptschuldigen zu sehen und, wenn Strafe unerläßlich war, sie am härtesten auf ihn fallen zu lassen. Warum aber gerade Auvergne? Daß er schon in der Biron-Sache verhaftet gewesen war, reichte als Grund nicht aus, denn jetzt war es ja unbestreitbar geworden, daß d'Entragues schon damals ebensosehr wie er in die Bastille gehört hätte. Oder weil Auvergne Heinrich auch sonst üble Streiche gespielt hatte und überhaupt und unbestreitbar ein großer und gefährlicher Halunke war? Aber was war denn d'Entragues? Hatte er nicht das hundsföttische Geschäft mit dem Heiratsversprechen ausgeheckt? Der Unterschied zwischen den beiden lag für Heinrich nur darin, daß Henriette sehr an ihrem Vater hing, während sie den Richtern gegenüber die Aussagen ihres Bruders als ungültig anfocht, weil er mit ihr verfeindet sei. Wie es mit ihrem Gefühl für ihn stand, dem hatte sie Ausdruck gegeben, indem sie Gnade für den Vater, etwas großsprecherisch Gerechtigkeit für sich selber und den Strick für ihren Bruder verlangte. Was Heinrich vollends in seiner Entschlossenheit bestärkte, in Auvergne den Hauptschuldigen zu sehen, waren die umfassenden und wohlbelegten Geständnisse, durch welche dieser sich die Nachsicht des Königs und der Richter zu sichern gehofft hatte. Durch seine Aussagen wurden Vater und Tochter d'Entragues so sehr belastet, daß auch der König ihre Gefangensetzung jetzt nicht mehr verhindern konnte. Immerhin waren seit der Gefangennahme Morgans an die sechs Monate vergangen, bis d'Entragues verhaftet und in die Bastille gebracht wurde, wo sein Stiefsohn kurz zuvor schaudernd sein Zimmer als das erkannt hatte, in dem Biron die letzten Tage verbracht hatte. Henriette wurde weit sanfter angefaßt: es wurde ihr ihr eigenes Haus im Faubourg St. Germain als Gefängnis angewiesen, in das etliche Wachen gesetzt wurden. Das geschah gegen Ende des Jahres, dem der Chronist l'Estoile den folgenden Nachruf schrieb: »Dieses Jahr 1604 war gut in Frankreich, ertragreich an Korn, Wein und Obst und mit einem Überflusse an allen anderen Arten von Gütern für die Bequemlichkeit dieses Lebens, die uns der liebe Gott reichlich und freigebig zugeteilt hat. Aber als Lohn für diese großen Güter Gottes sind wir schlecht und undankbar gegen seine göttliche Majestät gewesen, unfruchtbar an allen guten Werken und überfließend von allen Lastern, Üppigkeiten und Zuchtlosigkeiten, als ob wir hätten die Gelegenheit wahrnehmen wollen, schlecht zu sein, wo Gott uns gut ist: das läßt mich fürchten, daß sein Gericht über uns sein wird in den Jahren, die kommen, so über den Großen wie über den Geringen.«


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