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Zweiter Teil

XIV

Das siebzehnte Jahrhundert in Frankreich, das die unumschränkte Königsmacht heraufführte, erlebte in vielen Jahrzehnten die Entfesselung aller der solchem Wachstum gegnerischen Kräfte. Von dem Jahre 1602 bis zur Niederwerfung der Fronde durch Ludwig XIV. geht in vielen Gestalten diese Bewegung weiter, die auf Einschränkung, ja Vernichtung der Königsmacht abzielte und für alte Machtbefugnisse kämpfte, wie einst im Deutschen Reiche das Stammesfürstentum gegen Kaiser oder König, und die eine Zerstückelung Frankreichs lieber gesehen hätte als die Zentralisierung aller Macht im Königtume. Ehe aber diese Ereignisse des Jahres 1602 und die in gleicher Linie folgenden erzählt werden, muß eine Bemerkung hier Platz finden, die dem Leser Vorsicht in der Handhabung neuerer politisch-moralischer Maßstäbe nahelegen möchte. Soweit rein menschliche Schurkerei und Verräterei bei all den Begebnissen am Werke waren, möge es der Leser mit dem Urteil halten, wie seine Natur es ihm eingibt. Sobald es aber um das Verhältnis zum eigenen Lande und dessen Herrscher geht, da ist eben der Punkt, an dem sich eine große Wandlung vollzogen hat oder wo alte Gefühlsformen der Menschheit sich wieder erneuert haben. Die seitdem bis in die Ethik aufgerückten menschlichen Verhaltungsweisen, die wir Vaterlandsliebe, Nationalgefühl oder Patriotismus nennen und nach so vielen Beispielen aus der Antike als ein menschliches Grundverhalten betrachten möchten, sind in dem Zeitalter, von dem wir erzählen, erst im Entstehen oder Wiedererstehen begriffen gewesen. So wenig sich etwa vor noch nicht langer Zeit ein durchschnittlicher Venezianer oder Neapolitaner als »Italiener« gefühlt hätte, so wenig war ein Provençale, Burgunder oder Auvergnat »Franzose« gewesen. Nicht allein die bodengewachsenen regionalen Zivilisationen, mit ihren reichen Dialekten, die noch keine zum Allgemeingut gewordene französische oder italienische Sprache aneinanderband, hatten das Zueinanderwachsen der Landschaften verhindert. Vielmehr war es dieses Stück Stammesfürstentum oder Territorialherrschaft gewesen, das in kleiner und großer Politik Haus- und Landesinteressen allzuoft unabhängig von den »französischen« gehandhabt hatte, das neuerdings gar in den religiösen Spaltungen bald dieser, bald jener Gruppe gedient und die Grenzen des Königreiches als etwas völlig Willkürliches zu betrachten gelernt hatte. Wie die deutschen Söldner ebenso für die Liga wie für Heinrich gekämpft hatten und in dieser selben Liga manche schon erwogen hatten, ob die Krone Frankreichs nicht doch besser an die Tochter Philipps II. käme als an den hugenottischen Heinrich, so hatten es alle ein halbes Jahrhundert lang oder länger mit ihren Gefühlen für Frankreich gehalten. Wer zu seiner Macht neue Macht dazu wollte, hatte sich eben dem jeweiligen Feinde des Königreichs verschrieben, mit bestem Gewissen und von keinem getadelt. Wäre es nach den großen Herren Frankreichs wie des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gegangen, so wäre geschehen, was dort die Liga und hier der Dreißigjährige Krieg vergeblich versucht haben. So war damals eben das, was später Verrat an Land und König hieß, fast ein Gewohnheitsrecht geworden, von dem ohne weitere Bedenken Gebrauch zu machen es viele trieb, die zu ihren Wünschen einen Rechtstitel und versprechungsvolle Verbündete auffinden konnten.

Daß gerade der erste, der gegen Heinrichs Person und endlich gefestigt scheinendes Königtum solchem Brauche zu folgen suchte, ein mit Wohltaten überhäufter Herzensfreund war, wog für Heinrich selber freilich schwer; daran ist nichts zu mildern. Aber Brauch und Gewohnheitsrecht waren da – und das erstarkende Königtum gefährdete sie. Was wogen da alle Wohltaten und Titel, die von einem zu starken und zu nahen Herrn kamen, für einen zynischen, gierigen, abergläubisch von sich überzeugten Sohne dieser Zeit wie Biron, dem eigene Herrschaft zu winken schien und der einmal geäußert hatte, er wolle nicht sterben, bevor er nicht sein Bild auf einem Vierteltaler gesehen habe?

Der Baron Karl Gontand Biron war der Sohn jenes Marschalls Biron, der um seiner blindwütigen Tapferkeit willen ebenso bekannt gewesen war wie für seine Trunksucht, und der bei der Belagerung von Epernay an Heinrichs Seite von einer Kanonenkugel getötet worden war. Daß dieser Sohn, der von früh an Heinrichs Waffenglück geteilt hatte, nicht selber längst auf einem Schlachtfelde verblutet war, dankte er zu ansehnlichem Teil auch seinem königlichen Kameraden; denn dreimal hatte Heinrich seinem Freunde Biron das Leben gerettet, beim Übergang über die Aisne, damals während der Verfolgung des Herzogs von Parma, dann in der Schlacht von Fontaine-Française, in der Biron schwer verwundet worden war, und zum dritten Male erst vor paar Jahren, während der Belagerung von Amiens, da Heinrich mit einer Handvoll der Seinen den von einem Haufen Spanier Umringten herausgehauen hatte. Biron hatte als einfacher Soldat seinen Dienst in Heinrichs Heer begonnen und war schnell zum Hauptmann aufgestiegen. Als aus dem Hugenottenführer der König von Frankreich geworden war, hatte Biron in rascher Folge alle Würden empfangen, die Heinrich zu vergeben hatte. Er war Marschall von Frankreich und Generalleutnant der königlichen Armeen geworden, dann Pair und Herzog und endlich Gouverneur von Burgund, der nach Rang und Einkünften am höchsten geschätzten der französischen Provinzen. Biron, ein besessener und meist unglücklicher Spieler, behauptete, im Laufe seines Lebens die ungeheuerliche Summe von anderthalb Millionen Talern verspielt zu haben, wovon ein gut Stück direkt von Heinrich gekommen war, der ihm auch in dieser Weise seine Dienste gelohnt hat. Wie groß diese Dienste auch gewesen sein mögen – er galt als der einzige den Spaniern in der Wissenschaft neuer Strategie gewachsene Heerführer und bei dieser militärischen Gelehrtheit als unübertrefflich tapfer –, Biron ließ keine Gelegenheit vorbeigehen, ohne sich des Getanen zu rühmen, von seinen zweiunddreißig Narben zu reden und zu sagen, daß Heinrich ohne ihn nicht wäre, wo er nun war. Wieviel der König auch für ihn tun mochte, Biron fühlte sich weiter als sein Gläubiger und machte kein Hehl daraus. Aus dem Waffengefährten und guten Kumpan von einst war solcherart allmählich ein ewiger Forderer und hochfahrender, mit seinem Schicksale hadernder Mann geworden, und Heinrich, der seine größten Gaben früh an ihn verausgabt hatte, damit er noch in jungen Jahren ihrer genießen könne, sah den Freund immer weniger umgänglich werden, immer verschlossener, anmaßlicher und der guten Geselligkeit, wie Heinrich sie liebte, abgeneigter. Er schrieb diese Veränderung des alten Kameraden dessen Beschäftigung mit den schwarzen Wissenschaften zu, mit Magie, Nekromantik und wie das Teufelswerk alles heißen mochte, vermöge dessen ein Unzufriedener zwischen den Maschen der himmlischen und irdischen Gesetze durchzuschlüpfen versuchte. So betrübt aber Heinrich über dieses und noch viel anderes Tun Birons war, von dem ihm immer sicherere Kunde kam, er ließ ihn mit einer für ihn ungewöhnlichen Langmut gewähren, er überhörte die oft schon beleidigenden Bemerkungen, in denen sich Biron auf Kosten seines königlichen Freundes herausstrich, und er war bis zuletzt zur Nachsicht und Vergebung bereit, um sich den Freund zu erhalten: diesen immer schwierigeren und gefährlicheren Freund, an dem er vielleicht eben darum mehr hing als an dem Treuesten, wie er ja auch Henrietten, die sein weiblicher Biron war – nur ohne dessen Verdienste –, trotz allem und allem weiter anhing.

»Biron war von mittlerem Wuchse, schwarz, recht fett, und seine tiefliegenden Augen hatten einen bösen Blick«, beschreibt ihn l'Estoile. »Nach diesem hat ihn die Königin selber, als sie ihn zum erstenmal in Lyon gesehen und gut angeschaut hatte, als Verräter beurteilt und es auch gesagt.« Diesem Anschein von Menschenkenntnis Maries möchte man allerdings hinzufügen, daß sie die Jettatura, den bösen Blick, sehr fürchtete und daß überdies damals in Lyon so viel Gerede um Biron ging und also der Name Verräter für ihn nicht eben seherisch gefunden worden ist. Im übrigen hätte es damals in Lyon für Marie gar nicht dieses Verratsgeredes und dieses Äußeren bedurft, um Biron Marie verdächtig zu machen, denn man berichtete ihr von ihm, er liebe die Frauen wenig, die Freuden der Tafel von Jahr zu Jahr weniger, er sei ein starker Geist und in den Dingen des Glaubens mehr als lau.

Biron, Sohn eines katholischen Vaters und einer hugenottischen Mutter, war durch beide Religionen gegangen, ohne daß ihm eine davon oder Religion überhaupt zu nachhaltigem Erlebnis oder zum Gegenstand dauernder Auseinandersetzung wurde, wie fast allen seinen denkbegabten Zeitgenossen. So dem Drängen der Seele fern, das aus Wirrnis und Verzweiflung der langen Religionskriege, aus der selbstsicheren Reformation und Gegenreformation, endlich zur verinnerlichten Erneuerung des Christentums in Männern wie Pascal geführt hatte, blieb Biron, nach Natur und Geistesart, dem anderen Zeitstrom, dem aus der Renaissance kommenden, folgend, auch hier auf halbem Wege stehen. Er hatte im frühen Lernen ahnungsweise teilgehabt an der neuen, großen Erfahrung, die aus dem Wiederauffinden der antiken Autoritäten die Monopolstellung der Kirche als der Gebieterin der bis dahin einzig möglich gewesenen geistigen Haltung erschüttert sah und nach Kopernikus zum ersten Male ruhigen Gewissens den Blick von der Kirche überhaupt wegwenden konnte. Denn seit dieser Entdeckung, daß der Mensch nicht mehr der Sinn der Weltschöpfung und der »Held des kosmischen Dramas« sei, daß der gestirnte Himmel nicht mehr nur der große Abgrund voll heiliger Mythen zu sein brauchte, hatte sich eine Welt, neuer als die jenseits des Ozeans aufgefundene, den Wagemutigen aufgetan: die der Erkenntnis. Aber des tapferen und gescheiten jungen Biron Wesen war von Anfang an so sehr von dieser Welt gewesen, von dieser alten Welt nämlich, daß er seine Abenteuerlichkeit in ihr aufbrauchte und einzig in ihr seine Belohnungen suchte. Indem er dies als Soldat unternahm, unter wenig nachdenklichen Kriegern die Jünglings- und Mannesjahre verbringend, verlor er mehr und mehr die Lust, den geahnten neuen Wegen zu folgen. So ist sein späterer Ausspruch zu verstehen: »Man müsse, um sich dem Jahrhundert anzupassen, eher den Ruf eines Rohlings als eines Mannes haben, der Kenntnisse in den guten Wissenschaften besitze.« Dem Glauben also entfremdet und ohne Zusammenhang endlich mit den Männern, die anderem Geiste Wege bahnten, doch denksüchtig, unruhvoll und allem Bestehenden, das ihm nicht diente, abhold, war er an ein paar Männer geraten, die ihm zugleich Blicke ins Weltgeheimnis und großen Nutzen verhießen, welcher aus solcher Erkenntnismacht zu ziehen wäre. Die Kabbala, entstellte Wissenschaft der arabischen Denkwelt, Alchimie und in den Schein von Systemen gebrachte alte kultische Riten, zusammen mit viel teufelsgläubigem, gotteslästerlichem und kirchenschänderischem Zeremoniell, und all das einer »schwarzen« Astrologie unterordnet, das war der Kreis, in den Biron von La Fin (ominöser Name!) eingeführt worden war, wo sein Geist dunkle, schwierige Spiele trieb und seinen maßlosen Wünschen die Erfüllungen vorgegaukelt wurden.

Dieser La Fin, ein mehrfach zugrunde gerichteter Edelmann, Meister geheimer Künste und Wissenschaften, war in seinem Hauptgeschäfte allmählich zum politischen Abenteurer geworden, wie es deren in allen Abschattierungen genug in so bewegter Zeit gegeben hat. Er hat zwar zuerst, in seiner Komplizenschaft bei Sakramentsschändung und Teufelsbeschwörung, Biron auf das schicksalvollste Stück seines Weges geführt, der Weg aber war bereits früher beschritten worden. Im Jahre 1595 schon hatte ein gewisser Picoté Biron mit dem eben aus Spanien nach Flandern gekommenen Kardinal-Erzherzog Albrecht in Verbindung gebracht und ihm aus einem Bündnisse mit Spanien Vorteile in Aussicht gestellt, wie sie von Heinrich nie zu erlangen wären. Von da ab hatte Biron bis zum Friedensschlusse immer wieder die Spanier von militärischen Plänen unterrichtet und ihnen zu kleineren Erfolgen verholfen, hatte dafür Geld empfangen und dazu noch, wie er sagte, »den König stets in Kummer erhalten und sich selber stets notwendiger gemacht«. Er hätte auch gerne den Friedensschluß von Vervins durchkreuzt, der ihm seine Befehlshabermacht nehmen mußte. Heinrich jedoch soll damals von des Freundes Umtrieben unterrichtet worden sein. Aber noch lange versuchte er es, ihn durch Ehrungen und Gunstbeweise umzustimmen. Im Jahre 1599 dann war es La Fin, der Birons allgemeine Unzufriedenheit mit der besonderen des Herzogs Karl Emanuel von Savoyen in Verbindung brachte, welche Fäden der Herzog sogleich nach Madrid weiterspann. Es wurde nun ein förmlicher Pakt geschlossen, in dem Biron sich verpflichtete, einen allgemeinen Aufruhr in Frankreich zustande zu bringen (jenen, den Karl Emanuel später so sehnsüchtig erwartete!), Spanien und Savoyen würden sich diesen Aufstand zunutze machen und nach Heinrichs Absetzung oder Tod die Neuordnung der Dinge Frankreichs übernehmen. Birons Anteil bei dieser Neuordnung sollte das von Frankreich abgetrennte Burgund und die von Spanien dazu gestiftete Freigrafschaft sein, die Burgund zu einem souveränen Staat machte, zudem sollte er eine Tochter Karl Emanuels zur Frau erhalten. Während Karl Emanuels Pariser Besuch im Januar und Februar 1600 war es Biron, der des Herzogs Geschenke nahm und veranlaßte. Er war es hernach auch, der bei Ausbruch des Krieges alle militärischen Pläne und Maßnahmen nach Savoyen meldete, und er war es endlich, der jenem Festungskommandanten die Nachricht zukommen ließ, wie man sich Heinrichs durch einen guten Schuß entledigen könne. Einen solchen Schuß auf der Jagd selber zu tun, war ihm von Spanien nahegelegt worden, das den Oranier hatte ermorden lassen, der Familie des Mörders dann den Adel verliehen hatte und den Mord als eines unter vielen Mitteln der Politik betrachtete und übte. Viel Freundschaft mochte Biron wohl längst nicht mehr für den allzu erfolgreichen König »von seinen Gnaden« hegen, so hätte er Heinrich kaum nachgetrauert – aber selber zu morden lag doch nicht auf seiner Linie. Wenn es getan werden sollte, dann mochte La Fin den Mann dazu finden. Trotz des für Savoyen so unglücklich ausgegangenen Krieges sollte der Pakt wieder erneuert werden. Und Biron, der sich schon als souveränen Herrn eines reichen Landes und durch die Heirat mit der savoyischen Prinzessin zum Vetter des Kaisers und zum Neffen des Königs von Spanien geworden sah, ließ sich durch einen gewissen Vorfall in Lyon von dieser Erneuerung nicht abhalten.

Heinrich, längst vor dem verschwörerischen Tun Birons gewarnt, war in diesem Kriege, wenn auch nur teilweise, auf dessen Verbindung mit Savoyen hingewiesen worden. Dann, in Lyon, gab es ein langes Gespräch. Heinrich war der alten Freundschaft eingedenk, und er war in der Freude junger Ehe und des Sieges doppelt milde gestimmt; er hielt die recht ungenauen Geständnisse Birons für ein volles Schuldbekenntnis, glaubte seiner Reue und vergab ihm. Er versprach, das Vergangene vergessen zu wollen, warnte aber Biron, daß um seinen Kopf gespielt würde, wenn das Spiel noch einmal begänne.

Aber die Gründe, um derentwillen Biron sein Verschwörertum begonnen hatte, waren weiter in ihm: noch war die Welt nicht anders geworden, so daß er selber daraus ein anderer geworden wäre. Wie hätte er also Frieden finden und geben sollen?


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