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Sechszehntes Kapitel.
Ein consequenter Mann

Es war ein wahres Glück, daß der Justizrath im Schlosse war; bei der ungeheuren Verwirrung, welche die Familie des Commerzienraths, ja das ganze Dorf betroffen, waren er und Reinhold die Einzigen, welche ihre Besonnenheit und Ruhe bewahrten. Auch die Baronin hatte, sobald die Straße frei geworden war, das Schloß verlassen; mit ihr Herr Waller. Nachdem der Justizrath sich mit den Offizieren verständigt hatte und für die Sicherheit des Schlosses nichts mehr zu fürchten stand, machte er sich auf, die Spur des Commerzienraths zu verfolgen. Denn dies schien ihm für den Augenblick das Wichtigste. Das Engelchen ließ er unter Reinhold's Schutz zurück, dem besten, wie er bereits wußte, dem er die junge Dame anvertrauen konnte.

Der Justizrath brauchte nicht weit zu reisen. Schon im nächsten Städtchen, wenige Meilen vom Fabrikdorf, hatte er den Commerzienrath eingeholt. Weniger die Dunkelheit und die Ermüdung der Pferde, als sein eigener Entschluß hatten ihn nicht weiter kommen lassen. In seiner Begleitung war Niemand als der schöne Wilhelm. Doch hatte dieser Besonnenheit genug gehabt, das Nöthigste an Geld und Garderobe in den Wagen zu werfen.

Dem Justizrath, so alt er war und so manchen schweren Gang er schon gemacht hatte, pochte das Herz ganz gewaltig, als er die schmale Treppe des Gasthauses, wo Herr Wolston übernachtet hatte, hinaufstieg. Schon manchem Verbrecher hatte er das Todesurtheil vorlesen hören, hatte schon manches verstockte Antlitz sich in letzter, ohnmächtiger Reue verzerren sehen: aber vor keinem Anblick hatte er noch dies Grausen empfunden, als vor dem, der ihm jetzt bevorstand.

Allein seine Besorgniß war vergeblich gewesen. Herr Wolston, wiewohl im Gesicht ganz bleich, ja erdfahl, als hätte man ihn aus dem Grabe wieder ausgescharrt, mit völlig glanzlosen, stieren Augen, saß im Uebrigen ganz ruhig und wohlbehalten vor dem Frühstückstisch. Freilich war das Frühstück unberührt, freilich zeigte das ganze, unsäglich verfallene Aeußere des Mannes deutlich genug, daß seit vielen Stunden weder Speise noch Trank über seine Lippen gekommen; aber immerhin, es war doch ein Frühstückstisch.

Ich dacht' es mir, daß Sie kommen würden, sagte Herr Wolston mit grober, dumpfer Stimme, indem er sich bemühte, ein Lächeln auf sein Angesicht hervorzulocken: ich habe Sie erwartet, mein Theurer. Es war eine unglückliche Uebereilung meiner Dienerschaft, daß sie mich veranlaßte, den Kampfplatz zu verlassen. Denn es ist ein Kampfplatz gewesen, wie ich höre; wie steht es? meine Fabriken sind vernichtet, mein Schloß zerstört, nicht wahr? Unter uns gesagt, Herr Justizrath, es ist mir Alles sehr gleichgiltig, unsäglich gleichgiltig seit … seit …

Er gerieth in ein convulsivisches Stammeln; offenbar wollte er den Tod seines Sohnes erwähnen, und konnte doch das Wort nicht über die ersterbende Lippe bringen.

Den Justizrath schauderte. Denken Sie jetzt nicht mehr an Ihre Fabriken und an Ihr Schloß, Mann, rief er, denken Sie an Ihre eigene arme Seele. Es sind entsetzliche Dinge von Ihnen zu Tage gekommen – Mann, rief er ganz treuherzig: wenn das Alles wahr ist, was in diesem Augenblicke gegen Sie vorliegt, so sind Sie der entsetzlichste Schurke, den die Erde jemals getragen hat!

Das war nun sehr grob; aber Herr Wolston bemühte sich doch noch darüber zu lächeln. Es ist nichts davon wahr, lallte er, gar nichts, es sind nichtswürdige Erfindungen meiner Dienerschaft und der abscheulichen Frauenzimmer in meinem Hause …

Und die langjährige Zolldefraudation? und der verbrecherische Verkehr mit dem Sandmoll? und das erzwungene Testament, gegen welches wir den eigenhändigen, ausdrücklichen Protest Ihrer seligen Frau Gemahlin in Händen haben? schnaubte der Justizrath: Es ist vorbei mit dem Lügen, Mann, Ihre Fuchslöcher sind umgangen …

Herr Wolston schnappte nach Luft: Erfindungen, Alles Erfindungen, meine gute Frau war wahnsinnig, ich habe die Atteste.

Es wird sich zeigen, rief der Justizrath trotzig, Sie müssen mit mir zurück, Mann!

Sie kommen meinem Wunsche zuvor, erwiderte der Commerzienrath: ich habe kein dringenderes Verlangen, als mich gegen die abscheulichen Beschuldigungen zu rechtfertigen … Wilhelm, mein Reisenécessaire … Sie entschuldigen, Herr Justizrath, ich will mich nur ein wenig umkleiden … Denn du mein Gott, es ist ja doch Festtag heute … Weihnacht … es ist schon gut, Wilhelm, ich kann das allein besorgen, sieh du nur nach dem Wagen …

Er ging in die Schlafkammer; sein Gang war weit fester und sicherer geworden als zuvor. Ich lasse die Thüre auf, Herr Justizrath, sagte er mit blödem Lächeln, damit Sie nicht etwa denken … ich wollte zum Fenster hinaussteigen oder Ihnen sonst entschlüpfen …

Der Justizrath hatte sich in das Sopha geworfen; ein Verbrecher, wie dieser, war ihm in seiner langjährigen Praxis nicht vorgekommen – ein Verbrecher: denn die Beweise waren ja zu deutlich, und es war ja gar nicht möglich, daß er sich rechtfertigen konnte!

Herr Wolston hielt es der Artigkeit gemäß, seinen Gast, während er sich ankleidete, zu unterhalten. Ein schlechter Weg hierher, rief er ihm durch die offenstehende Thüre zu: haben Sie es nicht auch gefunden, Herr Justizrath? … Ich bin gleich fertig … o je, was man in solchen kleinen Gasthöfen doch mit der Bedienung für eine Noth hat … und nun ist der Wilhelm nicht einmal da, … das Wasser ist ja ganz kalt, und ich bin so wenig gewöhnt, mich selbst zu rasiren …

Rasiren!? Der Justizrath sprang in die Höhe, stürzte in das Cabinet – zu spät! Herr Wolston hatte sich die Kehle durchgeschnitten …


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