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Viertes Kapitel.
Der Taufvater

In den casernenartigen Häusern unserer großen Städte geschieht es wohl häufig, daß der Engel des Todes und der Engel des Lebens sich zur selben Stunde unter demselben Dache begegnen; unter einem so niedrigen Dach, wie das des Meisters, ist es schon eine Seltenheit, wenn sie sich nur so nahe kommen, wie es in dieser Nacht geschehen war. Während der Meister und Reinhold endlich vor Erschöpfung über dem Sarge der todten Lene einschlummerten, war drüben auf der andern Seite des Hauses Margareth's langerwartete Stunde gekommen. Sie hatte schon seit Längerm für diesen Fall mit einer Nachbarin Abrede genommen, welche ebenso arm war wie sie, aber auch von ebenso guter und hilfreicher Natur. Um keine Störung im Hause zu veranlassen und das Befinden der kranken Tante, wie sie meinte, nicht etwa durch überflüssige Sorge zu verschlimmern, hatte sich dieselbe schon zu Abend bei ihr einfinden müssen und war die Nacht über bei ihr im Zimmer geblieben. Noch bevor der Tag dämmerte, lag ein gesunder, kräftiger Knabe an der Brust der hochbeglückten Mutter.

Konrad, der sich anfangs sehr ungehalten gezeigt hatte, auf diese Art aus dem Schlafe gestört zu werden, betrachtete das Kind mit großer Verwunderung von allen Seiten, reichte auch der Wöchnerin die Hand und lobte sie, daß sie solch braves, tapferes Weib wäre. Im Ganzen genommen aber war die Freude doch nur sehr lau und Margareth konnte sich der Thränen nicht erwehren, wenn sie an das Entzücken dachte, in welches ihn ihr erstes verschämtes Geständniß versetzt hatte, und damit diese halb neugierige, halb verdrossene Miene verglich, mit welcher er das Kind, seinen Erstgeborenen, umkreiste.

Die Nachbarin dagegen tröstete sie: die Männer machten das allemal nicht anders; weil sie die Kinder nicht kriegten, wüßten sie sie auch gar nicht zu schätzen; ihr Gottlieb sei gerade so gewesen und jetzt wolle er die Jungens vor Liebe gleich auffressen, wenn sie es nur litte. Sowie der Tag nur an die Fenster schien, ermahnte sie Konrad ins Wirthshaus zu gehen und etwas Warmes zu nehmen auf den Schrecken; hier zu Hause sei er doch nur im Wege. So ist das Geschlecht, setzte sie hinzu: erst machen sie so was und nachher thun sie, als ob sie in Ohnmacht fallen müßten über das, was sie gemacht haben, und wir armen Weiber sind es doch ganz allein, die die Plage davon haben.

Es war Konrad noch nicht leicht begegnet, daß er zu Hause ordentlich gebeten ward, doch nur die Güte zu haben und ins Wirthshaus zu gehen. Aber so neu es ihm war, so unbequem fiel es ihm für diesmal – das Kind kam ihm überhaupt sehr unbequem in diesem Augenblick, es hätte können ein ander mal kommen, in acht, vierzehn Tagen oder auch in vier Wochen, wenn er wieder bei Gelde war; es wäre doch wirklich eine recht dumme Einrichtung, dachte er bei sich, indem er langsam vor sich hin in die Schenke trollte, daß man das nicht auf Bestellung haben könne, wie man wolle.

Aber das half nun Alles nichts, das Kind war einmal da: und er mußte obenein ein ganz vergnügtes Gesicht machen und sich ganz fidel stellen, als er in die Schenke trat, um seinen Zechbrüdern die glückliche Ankunft seines Stammhalters zu verkündigen.

Es war der Tag vor Weihnachten, also schon ein halber Festtag, wenigstens für Leute, welche so ungern arbeiteten, wie Konrad's gute Freunde. Auch hatten, wie das zu gehen pflegt, die Festlichkeiten, welche auf morgen bevorstanden und die die Neugier dieser Bevölkerung in so hohem Grade beschäftigten, eine gewisse Zerstreuung, einen gewissen Hang zum Müssiggang erzeugt, dem Leute dieses Schlags nur allzu gern nachgeben.

So kam es, daß die Schenke, trotz der frühen Tageszeit, doch bereits ziemlich besucht war. Man sprach von Wind und Wetter, von Korn- und Holzpreisen, am meisten aber von den Dingen, die man für den morgenden Tag erwartete.

Und ich hab's ein mal gesagt, und ich gebe meinen Jungen doch nicht her, schrie das uns wohlbekannte dicke Frauenzimmer: und wenn sie ihn noch so schön herausputzen wollen …

Unsere Leser entsinnen sich, daß die Commerzienräthin zur Einweihung ihrer Warteschule unter Anderm einen großen Festzug arrangirt hatte, zu welchem die armen Kleinen schon seit zwei Tagen gewaschen und gescheuert wurden, was die junge Haut halten wollte.

Bah, du gibst ihn doch, erwiderte der trockene, skoptische Wirth: sie geben sie Alle! Brot schmeckt süß und im Ganzen genommen könnt ihr doch noch froh sein, wenn ihr die Rangen eine Weile los werdet. – Der Wirth, wie wir wissen, hatte keine Kinder; darum machte es ihm Vergnügen, geringschätzig von den Kindern der Andern zu sprechen, so kinderlieb er im Grunde war.

Aber höllische Angst haben sie doch vor uns, meinte der lange Goliath, der uns aus einem frühern Abschnitt noch in Erinnerung ist und der sich mit seiner dicken Liebsten ebenfalls bereits eingefunden hatte: mein Schwager ist gestern über das Gebirg gekommen, der hat mir's erzählt, der ganze Berg liegt voll Soldaten.

Es thut auch Noth um euch, höhnte der Karrenschieber – derselbe hatte sich so eben ein köstliches neumodisches Getränk aus schwarzem Kaffee, Branntwein und Syrup zusammengebraut; zum Glück war der Branntwein das Meiste dabei, sonst möchte es ihm selbst wohl kaum geschmeckt haben – es thut auch wohl Noth um euch! Denkt an damals, wie der Meister den Sandmoll zusammenschmiß, da rühmtet ihr euch auch Alle und verschwort euch, der Sandmoll müßte wenigstens hängen – und was war es hernach? Geht, geht, ihr seid auch wohl die Rechten, einen honetten Aufstand zu machen; ja wenn noch ein Dutzend solcher Kerle unter euch wäre, wie hier unser Toller, der hat noch Courage, der versteht den Rummel, der muß unser Hauptmann sein, wenn's losgeht!

Ja, ja, der Tolle soll Hauptmann sein, wenn's losgeht, schrien Alle.

Der Tolle (denn daß auch der im Wirthshause nicht fehlte, zu keiner Tageszeit, es sei Tag oder Nacht, Abend oder Morgen, verstand sich von selbst) schien sich durch diese Anerkennung seiner Verdienste sehr geschmeichelt zu fühlen.

Auf, ihr, des Volkes Freunde,

rief er, mit den Worten eines Helden, den er sich in diesem Augenblick vielleicht ernsthaft zum Vorbild nahm, des John Cade aus Shakspeare's Heinrich VI.:

Auf, folgt mir nach,
's ist für die Freiheit, zeigt euch nun als Männer!
Kein Lord, kein Edelmann soll übrig bleiben!
Schont nur, die in gelappten Schuhen gehn,
Denn das sind wackre, wirthschaftliche Leute,
Die zu uns überträten, wenn sie dürften!

Aber wir erst, warf einer der Fabrikarbeiter dazwischen, wir sollen morgen auch Parade stehen, um die verfluchten Maschinen einzuweihen, die uns nur um so sicherer die Gedärme aus dem Leibe haspeln. Da könntest du ein gutes Werk thun, Toller, wenn du die ganze Bude morgen in Brand stecktest.

Es sind an fünfzig Wagen angemeldet für morgen, sagte die Wirthin wichtig, indem sie mit dem Schlüsselbund klapperte: der gnädige Herr kann sie gar nicht alle unterbringen im Schlosse, er hat schon zu uns geschickt nach Stallraum und Zimmern.

Wir wollen die Gäste an die Krippe binden und uns selbst in die Zimmer legen, sagte der Karrenschieber; wir sind lange genug ihre Knechte gewesen, und es wäre wohl Zeit, den Spieß auch einmal umzukehren.

Alles wieherte Beifall.

Mitten in diesen Tumult trat Konrad. Die Wirthin brachte ihn herbeigeschleppt. Sie hatte es ihm gleich auf den Kopf zugesagt, so wie er in die Thür getreten: Konrad, hatte sie gesagt, das Kind ist da, du siehst so erschrocken aus und so dämlich …

Konrad kratzte sich hinter den Ohren; es wäre freilich so etwas, meinte er, ein Junge, ein ganz anständiger.

Hat er auch schon rothe Wolle auf'm Kopf? schrie der Karrenschieber.

Der Witz fand viel Anklang. Nur der tolle Heiner warf plötzlich sein Glas an die Erde, sprang über den Tisch und zur Thür hinaus; man war dergleichen seltsames Benehmen zu sehr von ihm gewohnt, um weiter darauf zu achten.

Aber du bist auch ein gescheiter Kerl, fuhr der Karrenschieber fort, und hast deine Sache gut eingerichtet, das muß man dir lassen; macht der das Kind just zum heiligen Christ, daß wir armen Leute doch auch etwas haben, uns zu freuen, wenn die vornehmen Herrschaften drüben schmausen und jubeln. Denn du weißt doch noch? den großen Taufschmaus, zu dem du uns eingeladen hast, Alle wie wir hier sind?

Das versteht sich, schrie Alles durcheinander, das muß morgen sein, es kann gar keinen bessern Tag geben!

In der That ist es in der Gegend, in welcher unsere Erzählung spielt, wie überhaupt wohl in den meisten ländlichen Gegenden Deutschlands, Sitte, die Kinder unmittelbar am nächsten Kirchtag nach der Geburt zur Taufe zu tragen.

Nun ja doch, versteht sich, brummte Konrad, Ihr seid eingeladen zu morgen, Alle zusammen …

Aber so wenig zu Hause die Vaterfreude, so wenig wollte ihm jetzt die Einladung so recht von Herzen; Beides aus einem und demselben Grunde. Das ist noch ein Kerl, der zu leben weiß, schrie der Karrenschieber: Heda, Frau Wirthin, marsch in die Küche und die Tiegel nur schon immer aufs Feuer gesetzt! Und Er da, Herr Wirth, ans Faß und angezapft, aber das Taufen wollen wir schon selbst besorgen, damit braucht Er sich nicht zu bemühen! Platz, Platz, meine Jungens, rief er, indem er sich breit über den Tisch streckte, das ist eine Sache, die überlegt sein will, so was kommt Einem nicht alle Tage, da muß der Mensch seinen Kopf zusammennehmen, damit auch Alles hübsch seinen richtigen Schick und Anstand hat. Essen ist auch eine Kunst, ihr Tölpel, das heißt, was man eigentlich Essen nennt, nicht blos sich vollstopfen wegen des leidigen Hungers, wie wir es zu thun pflegen. – Womit fangen wir an, rother Konrad? Du bist Gastvater, du hast zu bestimmen; ich dächte, so etwa ein guter Reisbrei, aber hübsch dick, mit Knödeln …

Ja und Safran daran, setzte ein Anderer hinzu. Meinetwegen, ja, brummte Konrad, indem er seine Mütze von einem Ohr zum andern schob: Reissuppe mit Knödeln und Safran daran, ich habe ja nichts dagegen …

Und dann zum Zweiten, dächt' ich, fuhr der Karrenschieber fort, einen guten Schweinebraten; aber nicht zu fett, ich bitt' es mir aus, es ist von wegen des Trinkens!

Schweinebraten, wiederholte Konrad mechanisch–

Aber das Ding wurde ihm doch bald zu kraus; seine ganze Vaterschaft hätte er darum hingegeben, wäre er nur aus dieser verwünschten Geschichte erst glücklich heraus gewesen. Während die Andern stritten und jubelten und die Freigebigkeit des Taufvaters zum voraus leben ließen, schlich er verdrießlich an den Wänden entlang und dachte bei sich, das Alles wäre recht schön, aber wenn er nur erst wüßte, wo das Geld dazu herkommen sollte. Seine Einladung zurückzunehmen und sein Unvermögen zu bekennen, das gestattete ihm seine Eitelkeit nicht; – es ist wohl schon mancher vornehme Herr zum Dieb und Spitzbuben geworden, weil er einen Ball nicht hat aufschieben wollen, zu dem er eingeladen hatte, oder eine Spielpartie ablehnen, die man ihm anbot.

Die Wirthin verstand sich viel zu genau auf die Gesichter der Menschen, um Konrad's innerste Gedanken nicht herauszulesen. Sie nahm ihn beiseite, hinter ihren Verschlag. Reissuppe mit Knödeln, sagte sie, und Schweinebraten, aber nicht zu fett, o das ist ein gesundes Essen, und ich will euch das besorgen, besser, als sie es im Schlosse haben können. Aber nun sag mal erst, Schatz: aus nichts hat Gott die Welt erschaffen – wie steht es denn damit, putt, putt? indem sie die Geberde des Geldzählens machte.

Eh nu, sagte Konrad verlegen, wie soll es denn damit stehen? Allemal gut, Frau Wirthin …

Na da rück mal heraus, mein Sohn, und zwar herzhaft, erwiderte die Wirthin, indem sie die breiten Arme gemüthlich übereinanderlegte. Denn daß ich die ganze Bande soll füttern und nachher werdet ihr noch betrunken und schlagt mir Tisch und Bänke entzwei und ich kann meinem Gelde nachpfeifen, ne, Konrad, für so dumm mußt du mich auch nicht halten.

Ich dachte nur, fuhr Konrad immer verlegener fort, weil die Frau Wirthin doch in der letzten Zeit so einen hübschen Dreier Geld an mir verdient hat, und ich doch sonst allemal ein prompter Zahler gewesen bin, so dacht' ich nur, die Frau Wirthin würde …

Borgen? rief sie: o je, das ist neu! setzt Kinder in die Welt und ladet sich das halbe Dorf zu Gevattern ein, und will dann noch borgen! Hört doch, rief sie über das Gitter zum Saal hinein, was Neues vom Konrad –!

Will Sie wohl stille sein, Sie verwünschte Trulle, raunte Konrad ihr zu und kniff sie vor Aerger in den Rücken: ich denke ja nicht daran zu borgen, ich will ja nur erst Geld einwechseln …

Mach dir keine unnütze Mühe, mein Sohn, erwiderte die Wirthin gleichmüthig: ich nehme was rund ist; wenn auch ein beschnittener Dukaten dabei ist, mit so einem alten Freunde nehmen wir es nicht so genau. Aber das sag' ich dir noch ein mal und danach richte dich: hast du was zu bezahlen, so thu's gleich und auf der Stelle, das lobt Gott und gefällt den Menschen; frische Fische, gute Fische; kein Geld, kein Schmaus …

Konrad schob sich verdrießlich zur Thür hinaus, noch im Weggehen hörte er, wie seine morgenden Gäste sich schon stritten, ob lieber Reisbrei mit Safran oder Reisbrei mit Rosinen –

Hol der Teufel, brummte er vor sich hin, den verfluchten Einfall, daß ich mir die Sippschaft auf den Hals geladen! Aber es ist nun ein mal geschehen und Wort muß ich halten, und wenn ich mir das Geld dazu stehlen sollte …


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