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Elftes Kapitel.
Herr und Diener

Zur selben Stunde, wo der Justizrath wegen des Documentes, das sich in den Händen der kranken Lene befand, in so heftigen Zorn gerieth, bildete eben dieses Document noch an einem andern Orte den Gegenstand einer Unterhaltung, die minder lärmend, aber darum nicht minder leidenschaftlich geführt ward.

Es geschah nicht eben häufig, daß der Commerzienrath seinen Inspektor, den alten Sandmoll, in dessen Behausung aufsuchte. Doch geschah es zuweilen. Heute, so dicht vor der Einweihung des neuen Fabrikgebäudes, wo es noch so mancherlei zu ordnen und einzurichten gab und wo noch so viele Aufträge zu ertheilen waren, konnte dieser Besuch am wenigsten auffallen.

Wir haben die Oertlichkeit schon früher beschrieben. Wie damals, knisterte ein mächtiges Feuer in dem alten riesigen Ofen; wie damals, saß die Diebslore, das Gesangbuch in der Hand, vor dem Feuer und summte mit leiser Stimme die geistlichen Melodien vor sich hin. Es war das, so sehr der Sandmoll sich auch darüber ärgerte, ein für allemal ihre herkömmliche Abendbeschäftigung; selbst die Anwesenheit des Fabrikherrn konnte sie derselben nicht untreu machen. Ihre großen todten Augen starrten dabei halb über das Buch hinweg, gedankenlos in die Flamme, ihre Kinnlade bewegte sich mechanisch auf und nieder; selbst wenn sie nicht so taub gewesen wäre, wie sie war, hätte man doch in ihrer Gegenwart dreist jedes Geheimniß berathen können, so versunken war sie in ihre Andacht.

Der Commerzienrath, nach seinen Geberden zu urtheilen, war sehr unzufrieden mit dem alten, sonst so erprobten Diener. Er hatte die eine Hand auf dem Rücken zusammengeballt, in der andern schwenkte er, mit starken Schritten auf- und niedergehend, seine Reitgerte; es hatte ganz den Anschein, als ob er nicht sehr böse darüber sein würde, falls die Peitsche, wie er so auf- und abwandelte, einmal unversehens dem Alten zu nahe kommen sollte.

Ich glaube, sagte er, Schurke, du hintergehst mich – hast mich schon hintergangen? …

Der alte Verbrecher stand baumstill, wie er pflegte, in militairischer Haltung, was bei seinem unglücklichen, verschrobenen Körperbau sich doppelt wundersam ausnahm. Und wie ein wohlabgerichteter Soldat ließ er auch den Commerzienrath nicht aus den Augen, sondern verfolgte ihn getreulich mit Blicken, bald rechts, bald links sehend, wie der Commerzienrath sich wandte. Selbst wenn die Spitze der Reitgerte sich seinem Scheitel näherte, zuckte er nicht; nur seine Augen traten dann noch weiter zurück, und es konnte für Augenblicke scheinen, indem er so dastand, starr, regungslos, mit verhaltenem Athem, als wäre er eine Leiche.

Ich glaube, sagte der Commerzienrath, Schurke, du hintergehst mich – hast mich schon hintergangen?

O mein bester Herr Commerzienrath, röchelte der Alte, wie Sie nur so etwas sagen können von Ihrem treuesten Diener! Ein Herr und ein Diener, die einander so lieb sind, die so viel Geheimnisse mit einander theilen, wie könnten die wohl Einer den Andern hintergehen!

Ich? Geheimnisse mit dir? Versuch es, Elender! versuch es! rief der Commerzienrath: da, da, ich selbst will deine Papiere in alle Welt streuen, damit du siehst, ob ich dich fürchte!

Mit diesen Worten sprang er auf den Tisch zu, der dem Sandmoll als Schreibtisch diente, und zerrte mit starker Faust an dem alten wurmstichigen Kasten.

Der gnädige Herr suchen meine Papiere? erwiderte der Sandmoll gleichmüthig: der gnädige Herr wissen ja, daß ich meine Papiere verbrannt habe, auf Ihren eigenen Befehl, verbrannt alle zusammen, bis auf das letzte Blättchen …

Lore hatte gewiß keine Ahnung von der leidenschaftlichen Wendung, welche das Gespräch des Commerzienraths mit ihrem Manne zu nehmen im Begriff stand; eben, wie der Sandmoll von seinen verbrannten Papieren sprach, hob sie mit heller, kreischender Stimme einen neuen Choral an, indem sie zu gleicher Zeit die Feuerzange rasselnd hinter sich warf.

Der Commerzienrath blickte sich, unwillig über die Störung, nach ihr um. Sie ist so gar taub, das gute Weib, entschuldigte der Sandmoll.

Herr Wolston ging wieder einige Zeit schweigend auf und nieder.

Ich frage nichts nach deinen Papieren, sagte er dann, ich verachte den Verrath, den du an mir üben könntest und dessen erstes Opfer, du weißt es wohl, du selbst sein würdest; ein einziges Wort von mir, dem reichen, vornehmen, unbescholtenen Manne, würde hinreichen, dein ganzes Zeugniß zu nichte zu machen; du bist in meiner Hand …

Der Sandmoll duckte sich, aus Unterwürfigkeit offenbar; allein indem der Commerzienrath ihm den Rücken zuwandte, flammte aus seinen kleinen Augenschlitzen ein stechendes grünliches Feuer, das sah nicht aus wie Unterwürfigkeit.

Wie gesagt, fuhr Herr Wolston fort, nicht von deinen Papieren ist die Rede, sondern von denen, welche da drüben sein müssen, im Hause des Meisters, ich weiß es, und die ich haben will, noch heute, diese Stunde, diesen Augenblick! rief er, indem er herrisch auf die Erde stampfte: seit wie lange, elender Gauner, hast du versprochen, sie mir zu verschaffen? Und immer sind es nichts als leere Worte gewesen!

Der Sandmoll blieb unbeweglich. Der gnädige Herr wissen, sagte er, daß ich selbst nicht mehr in das Haus des Meisters kommen darf, ohne mein armes Leben zu riskiren. Das gute Weib da (indem er auf seine Gefährtin deutete) hat nicht ganz das Geschick, wie ich – es ist auch nicht zu verlangen, mein Gott, als Frauenzimmer –, aber sie hat sich alle Mühe gegeben, und der gnädige Herr, dächte ich, könnte schon immer zufrieden sein mit dem, was er durch sie erfahren hat.

Nichts hab' ich erfahren, rief der Commerzienrath, schlimmer als nichts! zu wenig, um der Sache auf den Grund zu sehen, und viel zu viel, um sie jemals aus den Gedanken zu verlieren! Es existirt drüben eine Schrift meiner verstorbenen Frau …

Bei der kranken Lene, schaltete Sandmoll ein; die Lore hat es aus ihr herausgequetscht – ein Prachtweib, meine Lore!

Und warum hat sie mir das Papier nicht längst gebracht? fuhr Herr Wolston auf.

Die Lene gibt es nicht, grinzte der Sandmoll: seit sie nicht mehr so recht sicher auf den Beinen ist, hat sie es in ihrem Bett liegen, unter dem Kopf, denk' ich mir, und gibt es nicht heraus …

So muß man es ihr nehmen, rief der Andere heftig, mit Gewalt nehmen!

Der Sandmoll reckte einen seiner endlosen Arme aus, seiner Freundin damit auf den Kopf zu tippen. Sie sah verwundert in die Höhe.

Hörst du nicht? Du sollst es ihr wegnehmen, mit Gewalt, der gnädige Herr will es haben, sagte er.

Lore hatte den Zuruf des Alten verstanden; sie starrte Herrn Wolston an, indem ihr Gesicht sich zu einem fürchterlichen Grinzen verzerrte, einem Grinzen, das eben so gut ihre Zustimmung ausdrücken konnte als ihre Zweifel an der Ausführbarkeit seines Befehls.

Wollen es schon machen, sagte sie endlich mit ihrer heisern, tonlosen Stimme.

Und gleich darauf las sie im Gesangbuch weiter.

Es kann hier keine Rede mehr sein von Wollen, fuhr der Commerzienrath barschen Tons fort: die Sache muß ausgeführt werden, auf der Stelle, oder ich ziehe meine Hand von euch und überliefere euch dem offnen Verderben. Und wer weiß nur, ob es nicht jetzt schon zu spät ist! Ich habe das Rennen und Laufen wohl bemerkt, das seit einigen Tagen wieder ist; ich glaube, der alte Rabulist ist heute Nachmittag gar selbst mit hinüber gegangen …

Vor einer Stunde, mit dem gnädigen Fräulein Tochter, bestätigte Sandmoll schadenfroh.

Gut denn, wiederholte Herr Wolston, es bleibt bei dem, was ich gesagt habe: entweder ihr schafft mir binnen hier und zwei Tagen das Document – oder am dritten Tage geht eine Anzeige gegen dich in die Hauptstadt, alter Schurke, aus der du dich diesmal gewiß nicht herauslügen sollst. Du weißt, was Alles du von alter Zeit her noch auf dem Kerbholz stehen hast, und daß das Zuchthaus jeden Augenblick für dich geöffnet ist, so wie ich oder irgend ein Anderer anklopft.

Der alte Falschmünzer schwieg eine Weile, als ob er mit dem eben Vernommenen vollkommen einverstanden wäre. Und von wegen der Soldaten? sagte er dann, indem er sah, daß sein Herr sich zum Weggehen anschickte.

Geschwätz! sagte Herr Wolston verächtlich. Aber so gleichgiltig er diesen Ausruf auch hervorbrachte, so entging es dem Sandmoll trotz seiner versunkenen Augen doch keineswegs, wie er sich dabei leicht in die Lippen biß.

Kein Geschwätz, erwiderte der unerschütterliche Alte: ich habe Leute gesprochen, die sie selbst gesehen haben, der ganze jenseitige Thalgrund ist voll, ja schon bis auf die Höhe stehen sie hinauf, nur noch vier Stunden von hier; es wird Zeit, glaube ich, gnädigster Herr, daß wir das Jägerhaus räumen.

Herr Wolston zuckte die Brauen. Was weißt du vom Jägerhaus? sagte er in hohem Ton. Uebrigens wird es geräumt; diese ganze Unternehmung soll aufhören, ich habe sie satt und bedarf ihrer nicht mehr. Was die Soldaten anbetrifft, vor denen du dich so sehr zu fürchten scheinst, so kann es immerhin seine Richtigkeit damit haben; aber dann sind sie jedenfalls nicht gegen uns bestimmt, sondern für uns, verstanden? Du bildest dir ein, armseliger Schurke, Alles zu wissen, und weißt doch nichts, gar nichts –

Die Sicherheit, mit welcher der Commerzienrath diese Behauptung aussprach, mußte jeden weiteren Einwand abschneiden. Diensteifrig ergriff Sandmoll die Lampe, dem gnädigen Herrn die Stufen hinabzuleuchten. Draußen auf dem schmalen Hausgange blieb Herr Wolston stehen; er legte dem Alten feierlich die Hand auf die verkrüppelte Schulter und sah ihn lange mit forschenden Blicken an.

Du weißt nichts, alter Schurke, sagte er langsam: aber Einiges doch, nämlich Alles, was es Niederträchtiges und Verworfenes gibt seit zwanzig Jahren und auf zwanzig Meilen in der Runde – was ist das gewesen, sprich, zwischen meiner Frau und dem sogenannten tollen Heiner?

Sandmoll blickte zu Boden, mit einem Ausdruck, der vermuthlich Verschämtheit bedeuten sollte; er blieb die Antwort schuldig, bis der Commerzienrath seine Frage zum zweiten Male wiederholte. Du brauchst nicht zu fürchten, setzte er hinzu, daß ich dich an meine Frau verrathe, oder dir wegen der Geschichte zürne, und wenn du selbst dabei geholfen hättest: die ganze Sache ist mir unaussprechlich gleichgiltig, und ich frage eigentlich gar nicht meinetwegen.

Jetzt erst blickte der Sandmoll wieder in die Höhe – mit einer solchen Miene diesmal von Verschmitztheit und Lüsternheit, daß Herr Wolston gar keiner weitern Antwort mehr bedurfte.

Es ist gut, sagte er kalt, ich habe es voraus gewußt, nicht gerade dies, aber doch Aehnliches, das nicht besser ist; ich hatte meine Zwecke, daß ich sie heirathete, sie war die Cousine des Ministers und ist es noch – ich bin mit meiner Ehe zufrieden. Aber nun noch Eins, Sandmoll, und sag' mir die Wahrheit, so lieb dir deine Kehle ist – ist der da, du weißt schon, der junge Mensch, den sie aus der Hauptstadt geschickt haben …?

Mein Sohn! betheuerte der Alte, indem er die runzliche Hand wie schwörend auf die Brust legte.

Herr Wolston maß ihn einige Augenblicke mit prüfenden Blicken. Ihr seid einander werth, sagte er dann hohnlachend: Vater und Sohn, der Teufel selbst kann sie nicht besser zusammenfinden. Gute Nacht, Schurke, und vergiß mir nicht das Dokument, ich rath' es dir –!

So wie der Sandmoll in das Zimmer zurückgekehrt, war die Reihe des Lachens an ihm. Er setzte die Lampe auf die Erde, tanzte, so gut dies bei seinem schweren, schlurfenden Tritte möglich war, vor Vergnügen in der Stube umher, warf sich endlich in den alten schmierigen Lehnstuhl, daß er krachte, und stieß dazu ein Gelächter aus, ein Gelächter – so lachen die Hyänen und der Schakal, wenn sie den Duft frischer Leichen wittern!

Vater und Sohn! rief er, indem er sich vor Behagen umherwälzte, es ist ein prachtvoller Einfall, Vater und Sohn! O warte nur, Söhnchen, du sollst auch noch vor mir zittern, wie dieser heut vor mir gezittert hat, ich sah es recht gut, trotz seiner vornehmen Miene! Mit der Reitgerte wedelte er mir unter der Nase herum? Nur zu, nur zu, wir werden ihm auch unter der Nase wedeln, mit Papierchen, die er gewiß nicht unter den Spiegel stecken soll!

Dazu knackte er mit den Fingern und schnitt so gräuliche Gesichter, daß sogar die Diebslore ihn verwundert anstarrte.

Dies brachte ihn denn aus seinem Freudentaumel endlich wieder zu sich; er sprang auf, rüttelte seine Freundin an der Schulter:

Auf, auf, rief er, ans Werk! Der Commerzienrath hat Recht, du mußt das Papier haben, noch heute – aber nicht für ihn, Lore! nicht für ihn, hörst du?! Du mußt das Papier nehmen, in Güte oder Gewalt, sogleich, diese Stunde – es ist die Zeit jetzt, wo der Meister mich besuchen will, es soll mir ein Plaisir sein, ich bin in der Laune jetzt, mir etwas von ihm vorwimmern zu lassen – Lene wird allein sein, Niemand wird dich sehen – aber schwör' es mir, nicht für ihn!!

Lore sah ihn mit ihren matten, faden Blicken gleichgiltig, beinahe mitleidig an.

Wie würd' ich denn, für ihn! sagte sie: das kann sich ja ein Kind doch denken, daß das nicht für ihn soll.

Sandmoll schien von einem plötzlichen finstern Gedanken heimgesucht. Das Weib wird mir zu klug, murmelte er: wenn auch sie falsch wäre! auch sie mich betröge! Es ist fast zu viel, was ich in die Hand dieses Weibes lege, sie steckt so viel mit dem Pfaffen zusammen – ah was, tröstete er sich, sie wagt es nicht! und selbst wenn sie ein Gelüst dazu hätte, meine Hand ist schwer und ist ihr noch von neulich her in frischem Andenken – sie wagt es nicht!

Lore verstand von diesem Selbstgespräch natürlich nicht das Mindeste; sie sah bald auf den Sandmoll, bald vor sich nieder, mit einer Gelassenheit, die durch nichts übertroffen werden konnte. Endlich, wie sie merkte, daß der Sandmoll wohl fertig wäre:

Aber wenn ich sie nun nicht allein treffe? fragte sie.

Ich sage dir, du triffst sie allein, stöhnte der Sandmoll: Und wenn du sie nicht allein triffst, so bist du ja ein kluges Weib, mein Weib, – du wirst Mittel finden, die Uebrigen zu entfernen – Ich gehe schon, sagte das Frauenzimmer, indem es den schmuzigen, zerfetzten Mantel um sich nahm.

Noch unter der Thür lief der Alte ihr nach. So wie du das Papier hast, flüsterte er, so bringst du es mir – verstehst du? keinem Andern als mir – und sagst keinem sterblichen Menschen ein Wort davon, weder jetzt noch künftig! Du weißt, Lore, wenn du mich böse machst …

Lore hatte ihn verstanden; sie schüttelte die Schultern und nickte bedächtig.

So geh, geh, sagte der Sandmoll, indem er sie vorsichtig aus der Thür schob: und wenn sie etwa schreien will – ein einziger Druck an der Kehle – so – mit diesen drei Fingern – du kennst ihn …

Sorgfältig zog er die Thür hinter ihr zu. Sie aber, noch unten im Graben, blieb stehen, wandte sich um gegen das Haus, ballte die Faust, spie aus –

Nicht für ihn! spottete sie ihm nach: o ganz gewiß nicht für ihn!! Und was die Schläge anbetrifft, mit denen er mir droht, so hat mir der Herr Prediger versprochen, daß die Hand, die mich schlägt, verfaulen soll lebendig …

Diese Worte leise in sich hineinmurmelnd, zog sie den Mantel dicht über sich zusammen, und lief spornstreichs, quer über den Platz, auf das Haus des Meisters zu.


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