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Viertes Kapitel.
Die Ueberraschung

In der That war es der Vagabond, der, mit lauter Stimme ein Lied vor sich hinsingend, auf das Wirthshaus zuschritt. Wie er die beiden Gestalten vor dem Hause des Meisters erblickte, eilte er in hastigen Sprüngen auf sie zu.

Er schien in seiner tollsten Laune zu sein: »Weißhändig Kind«, rief er Margareth an:

ein süßes Wort mit dir …
Maskirte Frau'n sind Rosen unerschlossen,
Doch ohne Maske gleich Damaskus Rosen …

Du mußt artig sein, Heiner, sagte Margareth: es ist unser gnädiges Fräulein, bezeig' ihr deinen Respect.

Der Vagabond machte einen abenteuerlichen Kratzfuß:

Wo ist die schöne Majestät von Dänemark?

fragte er spöttisch und antwortete sich selbst sogleich mit einer andern bekannten Stelle: »Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter – Gott segne Euch die Mahlzeit, wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können « …

Angelica war von der Nähe des Wahnsinnigen und noch mehr von der plötzlichen Umwandlung, welche mit Margareth vorgegangen, von dem Augenblick an, wo die Rede auf den Maler Schmidt gekommen war, so in Verwirrung gesetzt, daß sie kein Wort über die Lippen zu bringen vermochte. Margareth, die sonst so bescheidene, so schüchterne Margareth, führte das Wort statt ihrer.

Das gnädige Fräulein, sagte sie, hat einen Auftrag an den Herrn Maler Schmidt …

Der Vagabond grinzte über das ganze Gesicht. Er strich sich die Haare aus der Stirn, als ob er erst recht gründlich nachdenken müßte; dann in singend plapperndem Tone:

»Dieser Mann, mein Fräulein«, sagte er, indem er eine Stelle aus Troilus und Cressida recitirte, »hat sich die Eigenthümlichkeit von allerlei Thieren angeeignet: er ist so kühn wie der Löwe, so täppisch wie der Bär, so langsam wie der Elephant; ein Mann, in dem die Natur so viele Launen gehäuft hat, daß seine Tüchtigkeit in Thorheit untergeht, seine Thorheit durch Verständigkeit gewürzt ist: Niemand besitzt eine Tugend, von der er nicht einen Anflug bekommen hätte, noch irgend Jemand eine Unart, von der ihm nicht etwas anklebte …«

Es war schwer zu entscheiden, ob er von sich sprach oder von seinem Freunde, dem sogenannten Maler Schmidt. Und eben so unverständlich war auch die Anspielung, mit der er plötzlich seine Rede schloß:

... Nur den ich ehre,
Den Klügern, fürcht' ich, nicht den Narren –

rief er: »Heda, meine Kutsche! Gute Nacht, Damen! gute Nacht, süße Damen! gute Nacht!« Und dann auf einmal wieder umkehrend:

»Da ist Raute«, sagte er zu Angelica: »wir können sie auch Reue, Gnadenkraut nennen, bringt sie Eurer schönen Frau Mutter, der lebendigen meine ich, nicht der todten, sie soll ihre Reue mit einem Abzeichen tragen:

Sie trugen ihn auf der Bahre blos,
      Heynon nonny, nonny hey nonny;
Und manche Thrän' fiel in des Grabes Schoos –
      Fahr' wohl, meine Taube!« …

Angelica hatte sich vor Unbehaglichkeit und innerm Grausen dicht in ihren Mantel gewickelt. Erst als sie den Vagabonden hinter der hellerleuchteten Hausthür der Schenke verschwinden sah, athmete sie wieder auf. Sie wollte ein strenges Wort an Margareth richten, durch deren Benehmen sie sich tief verletzt fühlte; aber das Herz war ihr zu schwer, und die Thränen standen ihr näher als die Worte.

Das ist ein wüster Abend, sagte sie: Gute Nacht, Margareth; geh hurtig in dein Bett, du bist krank, glaube ich …

Damit, den Schleier noch dichter vor das Antlitz ziehend, wendete sie sich um und eilte mit beflügelten Schritten an der lärmenden Schenke vorüber in das Schloß zurück.

Hart an der Brücke wartete ihrer noch ein neuer Schrecken. Sie begegnete dem Sandmoll, der hier, die langen Hände auf dem Rücken, auf und nieder wandelte, sichtlich auf Jemand wartend. Er grüßte sie respektvoll; Angelica'n aber däuchte es, als ob zwischen seinen Gruß ein hämisches Kichern klang – schnell, schnell über die Brücke hin, die Stiegen hinauf – erst als das Kammermädchen an der Thür ihres Zimmers ihr entgegenleuchtete, fühlte sie sich in Sicherheit.

Und doch stand ihr sogleich wieder eine neue Ueberraschung bevor. Das Kammermädchen übergab ihr ein Billet, das inzwischen von Herrn von Lehfeldt für sie angekommen war. So war das junge Mädchen durch das eben Erlebte in Verwirrung gesetzt, daß sie im ersten Augenblick dachte, Herr von Lehfeldt könnte ihre Einladung schon erhalten haben, und dies nun wäre die Antwort. Flammende Röthe übergoß sie, da sie das Briefchen erbrach.

Aber nein, das wäre ja ganz unmöglich gewesen; es waren ja wenige Minuten erst, seit sie mit Margareth und dem tollen Heiner von ihm gesprochen …

Gleichwohl mußte sie das Briefchen zwei Mal lesen, bevor sie selbst erst wußte, was es enthielt. Die Schuld des Briefchens war das nicht: es war ein in klaren, verbindlichen Ausdrücken abgefaßtes Abschiedsbriefchen, mit welchem Herr von Lehfeldt, zu einer unvermutheten Reise genöthigt, sich bei ihr empfahl. – Herr von Lehfeldt war so oft in dieser Zeit verreist und wieder gekommen, ohne der Gesellschaft weder vorher noch nachher etwas darüber zu sagen oder selbst eine neugierige Frage anders als ausweichend zu beantworten, daß Angelica nicht umhin konnte, sich über diese ungewohnte Aufmerksamkeit zu verwundern. Jedenfalls war die Reise des Herrn von Lehfeldt, gerade in diesem Augenblick, ein neuer, höchst empfindlicher Schlag für sie; die seltsame Wendung am Schluß, mit welcher er auf eine nahe und auch für Angelica entscheidende Rückkehr anspielte, konnte ihr nur wenig Trost gewähren, so dunkel war dieselbe gehalten.

Auch hatte sie keine Zeit, jetzt darüber nachzudenken, da bald darauf der Bediente erschien, der sie zur Abendtafel ins Zimmer der Commerzienräthin entbot.

Die Gesellschaft war heute ungewöhnlich klein und schweigsam. Herr Waller hatte sich entschuldigen lassen, da amtliche Verrichtungen ihn nöthigten, im Pfarrhause zu bleiben. Herr Florus war müde vom Versemachen; auch hatte er Briefe aus der Hauptstadt bekommen, die über die wachsende politische Aufregung im Lande berichteten und einen baldigen gewaltsamen Ausbruch in Aussicht stellten. Herr Florus, wiewohl eben im besten Zuge einen politisch-socialen Roman zu schreiben, hatte doch vor Allem, was einer politischen oder socialen Bewegung ähnlich sah, einen gründlichen Widerwillen. Vielleicht mischte sich auch etwas Furcht darein; die Hauptsache indeß blieb für ihn, daß dergleichen Bewegungen, wie er behauptete, den literarischen Markt verdürben. Alle Welt, pflegte er zu sagen, möchte Revolutionen wünschen, er wolle nichts dagegen einwenden, es sei das eine Geschmackssache, über die sich nicht streiten lasse; aber nur wenn ein Poet es thäte, so wäre das der reine Wahnwitz, der reine Selbstmord wäre das. In Versen und Romanen nähme sich dergleichen allerdings vortrefflich aus; aber das sei nur eben die Sache, daß in politisch erregten Zeiten Verse und Romane von Niemand mehr gelesen würden – und gekauft nun erst gar nicht.

Auch Herrn von Lehfeldt's plötzliche Abreise hatte die Gesellschaft einigermaßen verstimmt; besonders die Baronin, die schon mit ziemlicher Entschiedenheit erklärte, falls Herr von Lehfeldt nicht bis dahin zurückkäme, so könne weder von der Eröffnung der Warteschule, noch auch von Einweihung der neuen Fabrik die Rede sein; so unentbehrlich war ihr, von andern geheimnißvollern Motiven abgesehen, der feine Anstand und die vornehme Manier des jungen Fremden bereits geworden, daß sie es für unmöglich hielt, ohne ihn ihr Haus in gebührendem Glanze zu zeigen.

Herr Wolston weidete sich einige Zeit lang an der Schweigsamkeit der kleinen Gesellschaft, am meisten an der üblen Laune seiner Gemahlin. Dann endlich, einen Brief aus der Tasche ziehend, mit langsamer und nachdrücklicher Stimme:

Trösten Sie sich, meine Gnädige, sagte er, Ihr Cavalier wird Ihnen ersetzt werden; ein neuer Besuch hat sich so eben angemeldet, zwar nicht ganz so jung mehr und vielleicht auch nicht ganz so liebenswürdig, wie der Herr Maler Schmidt, aber dennoch, trotz seiner Jahre, noch immer ein Mann von gutem Aplomb und dem besten Humor von der Welt – mein alter Geschäftsfreund, der Justizrath …

Und indem er das Wort aussprach, ließ er den Brief nachlässig vor sich auf den Tisch fallen und sah Angelica, die schweigend ihm gegenüber saß, mit einem langen, vernichtenden Blicke an.

Alles Blut war dem jungen Mädchen aus dem Herzen gewichen, sie saß da – sie wußte selbst nicht, war sie lebend, war sie todt …

Die Neuigkeit wurde besprochen, wie man über dergleichen Dinge zu sprechen pflegt. Die Baronin drückte ihre Verwunderung aus, daß ein Mann in so vorgerücktem Alter sich noch in so schlechter Jahreszeit zu einer Reise entschlossen hätte.

Je nun, meine Beste, erwiderte der Commerzienrath gleichgiltig: was wird es sein? Geschäfte –

Dabei hörte er nicht auf, Angelica mit seinen stechendsten, höhnischsten Blicken zu fixiren. Wie er mir schreibt, fuhr er fort, will er mich um Rath fragen wegen eines Güterankaufs in der Nähe, zu welchem er Auftrag hat. Es scheint noch immer viel überflüssiges Geld in der Welt zu sein, und bei den kritischen Zeitläufen thun die Leute wohl, es sicher anzulegen. Der Justizrath hat einen sehr weiten Geschäftskreis, wer weiß, wer ihm den Auftrag gegeben; ich denke mir, daß vielleicht irgend eine reiche Erbin …

Hier brach Herr Wolston plötzlich ab, als ob er es nicht der Mühe werth fände, den Satz zu vollenden, leerte rasch sein Glas und hob die Tafel, mit einem flüchtigen Compliment gegen das Engelchen, auf.

Dem Engelchen war wie im Traum, die Worte, die sie so eben vernommen hatte, summten ihr im Kopf wie Glockenton. Sie würde das Ganze für eine Erfindung des Commerzienraths gehalten haben; aber nein, die Bosheit, die, für sie allein verständlich, in seinen Worten gelegen, und dieser giftige, durchbohrende Blick, mit dem er seine Erzählung begleitet hatte, bewiesen ihr nur allzu deutlich, daß es sich in der That so verhielt. Daß der Justizrath um ihretwillen komme, das war gewiß; ja sie durfte nicht zweifeln, daß auch Herr Wolston selbst über Veranlassung und Zweck dieses Besuchs völlig im Klaren war. Mehr als jemals schwankte sie zwischen Hoffnung und Furcht; hatte sie dem Justizrath vielleicht doch Unrecht gethan? war er inzwischen gleichwohl für sie thätig gewesen? und erschien er jetzt noch im letzten, äußersten Moment, ihr Trost und Rettung zu spenden?

Als sie gleich darauf auf ihr Zimmer ging, durch die langen, stillen Corridore dahin, an der Thür ihres Bruders vorüber, schien der Strahl seiner Lampe durch die Ritzen der Thür, gerade wie in jener ersten Nacht, die sie unter dem väterlichen Dache zugebracht. Die Erinnerung an damals stieg bewältigend auf in dem armen, geängstigten Mädchen; wie damals, beugte sie ihre Knie vor der verschlossenen Thür und sandte ein flammendes Gebet gen Himmel, um Schutz für sich und ihren Bruder.

Dann suchte sie ihr Lager und entschlief mit demselben Spruch wie damals: Gott wird es wohl machen. – Aber ihr Schlummer diesmal war ruhig und sanft und von keinen schreckhaften Träumen gestört.


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