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Achtes Kapitel.
Die Bewerber

Ah sieh da, mein Prediger, sagte Herr Wolston mit der Fassung, die ihn nie verließ: Sie sind doch noch ein Mann, das muß ich sagen, immer der erste auf dem Fleck …

Ich habe um Verzeihung zu bitten, erwiderte der Prediger, daß ich Sie zu einer so unpassenden Stunde, wo Ihre Zeit bereits so sehr in Anspruch genommen ist, noch mit einem Besuch belästige. Aber die Veranlassung desselben ist dringend und wird, wie ich hoffe, meine Dreistigkeit entschuldigen.

Der Commerzienrath deutete schweigend auf das Seitencabinet, sie traten ein und nahmen auf dem kleinen Sopha neben der Thüre Platz.

Es ist, fuhr der Prediger fort, heute nicht blos ein Festtag für das Vaterherz meines verehrten Gönners: auch noch für eine andere, Ihnen minder angenehme Person bringt dieser Tag eine mächtige, verhängnißvolle Entscheidung mit sich –

Der Commerzienrath runzelte die Brauen. Sie sprechen von meiner Stieftochter, sagte er; woher wissen Sie –?

Ich weiß, entgegnete Herr Waller fest.

Kurz denn, kurz denn, ermunterte der Commerzienrath: und wenn Sie etwa als Fürsprecher kommen, so ersparen Sie sich die Mühe, guter Prediger.

Ich komme als Fürsprecher, erwiderte der Prediger, aber in meinem eigenen Auftrage und nur für mich selbst – ich bitte um die Hand Ihrer Tochter.

Der Commerzienrath lehnte sich hohnlächelnd zurück. Um die Hand meiner Tochter! wiederholte er: Und wissen Sie auch, guter Prediger, daß diese junge Dame gar nicht meine Tochter ist und nicht das mindeste Vermögen hat?

Ich weiß, versetzte Herr Waller mit Ruhe, daß Fräulein Angelica die Tochter Ihrer verstorbenen Frau Gemahlin aus deren erster Ehe ist und daß sie dem mütterlichen Testament zufolge ihre Ansprüche an das Gesammtvermögen ihres Hauses nur für den Fall einbüßt, daß sie nicht bis zum heutigen Tage einen Gemahl gewählt hat, der sich Ihrer Zustimmung erfreut.

Und nun bilden Sie sich ein, der Mann zu sein, der sich meiner Zustimmung erfreut? fragte Herr Wolston, der jetzt auf einmal die Entdeckung machte, daß sein Prediger doch eigentlich nur ein höchst abgeschmackter Mensch sei.

Ich wage es zu hoffen, antwortete Herr Waller. Ich fühle selbst sehr wohl, daß diese Anmaßung Sie in Erstaunen setzen muß; aber erlauben Sie mir meiner Bitte einige Erläuterungen hinzuzufügen, welche dieselbe vielleicht in günstigerm Lichte erscheinen lassen werden.

Ich bin begierig, spottete Herr Wolston.

Sie sind nicht glücklich gewesen in der Wahl Ihrer Vertrauten, Herr Commerzienrath, fuhr der Prediger fort, so langsam, so nachdrücklich und dabei doch mit so viel Gemüthsruhe, daß es Herrn Wolston war, als höre er sich selbst: trotz dieses Scharfsinnes und dieser Menschenkenntniß, die ich so oft an Ihnen bewundert, haben einige elende Menschen Sie zu hintergehen gewußt. Dieser Maler Schmidt, der so lange die Gastfreundschaft Ihres Hauses genossen –

Weiter, rief der Commerzienrath verächtlich, ich kenne ihn, es ist Herr von Lehfeldt.

Und kennen Sie auch die Absichten, die ihn hierher geführt? fragte der Prediger.

Ja, er soll die aufsäßigen Fabrikarbeiter beobachten; so hat man es am grünen Tisch ausgeheckt – als ob ich den Beistand eines solchen Laffen erst nöthig hätte!

Sie sind nicht vollständig berichtet, Herr Commerzienrath, erwiderte Herr Waller: nicht im Zaume halten soll er Ihre Fabrikarbeiter, sondern im Gegentheil zum Aufruhr soll er sie anstacheln. Dieser Brief meines ehrwürdigen Gönners, des Oberpredigers, wird Ihnen Aufschluß über die Einzelheiten geben; es ist eine großartige Intrigue, welche der Minister angelegt hat, um Seine Durchlaucht, den regierenden Fürsten, desto gewisser in die alte Abhängigkeit zurückzuführen …

Residenzklatsch, sagte Herr Wolston achselzuckend und ohne den Brief zu öffnen: was geht es mich an?

So geht es Sie vielleicht desto näher an, fuhr der Andere fort, daß jener alte Inspector, der sogenannte Sandmoll –

Bei diesem Namen fuhr der Commerzienrath in die Höhe. Was ist's mit ihm? rief er: der alte Schurke betrügt mich, ich hab' es längst bemerkt …

Sie haben richtig bemerkt, versetzte der Prediger: und wenn ich auch sonst keinen Anspruch habe auf die Hand Ihrer Fräulein Tochter, so bin ich doch im Stande, Ihnen einen Fleck zu zeigen, Herr Commerzienrath, wo der Sandmoll gewisse Papiere vergraben hat, welche Sie längst verbrannt wähnen und deren Veröffentlichung Ihnen, in Anbetracht der hohen Strafen, welche auf jahrelang fortgesetztem Schmuggelhandel stehen, vielleicht sehr unangenehm sein dürfte …

Was für Papiere? stammelte der Commerzienrath.

Diese – sagte eine dritte Stimme, die plötzlich in dem Nebenzimmer laut ward: Ihre Diener sind durch das heutige Fest so in Anspruch genommen, Herr Commerzienrath, und auch Ihre Thüren gehen so leis, Ihre Teppiche sind so weich, daß es nicht an mir gelegen hat, wenn ich so ganz unaufgehalten und unbemerkt bis hierher gelangt bin …

Es war Herr von Lehfeldt, der diese Worte sprach; er trug einen kurzen grünen Jagdrock, eine doppelläufige Büchse über der Schulter, in der Hand hielt er ein Pack Papiere –

Du hast den Fleck gewußt, Pfaff, sagte er spöttisch zu Herrn Waller: und ich habe ihn gefunden, unter der Galgenfichte – ah, der Platz war nicht übel gewählt, es kommt so leicht kein Mensch dahin …

Herr Wolston, rasend vor Zorn, wollte sich auf ihn werfen. Der junge Mann schob rasch die Papiere in den Busen zurück. Zurück! donnerte er –

Und dann die Hand des Commerzienraths ergreifend, führte er ihn an das Fenster, das eine freie Aussicht auf die nächsten Berghöhen gewährte. Sehen Sie jene Bayonette dort? fragte er: in diesem Augenblick ist das bewußte Forsthaus von Truppen besetzt …

Ich weiß von nichts, stöhnte Herr Wolston; es war ihm zu Muth wie einem Schlittschuhläufer, der plötzlich das Eis unter sich brechen fühlt –: der Sandmoll hat mich betrogen, mich und den Staat; verhaften Sie den Sandmoll!

Der Sandmoll entgeht uns nicht, sagte Herr von Lehfeldt gleichmüthig: seine schlechten Füße sind uns gut dafür, daß er nicht davonläuft. Eine andere Frage ist es, wie es sich mit Ihnen gestalten wird, mein Herr Commerzienrath.

Der Commerzienrath hatte seine alte Fassung wiedergewonnen. Was ist es im schlimmsten Fall? erwiderte er brüsk: die Sache läßt sich mit Geld abmachen, ich bin reich –

Das weiß ich, fiel ihm Herr von Lehfeldt in die Rede, und darum benutze ich auch diesen Augenblick, um um die Hand Ihrer Fräulein Tochter anzuhalten – mit oder ohne Testament, setzte er mit rohem Lachen hinzu, wenn nur mit dem Vermögen.

Und dann gegen den Prediger gewendet, der gleich einer Bildsäule am Fenster lehnte: Es thut mir leid, Pfaff, daß ich dir ins Gehege komme. Allein ich bin ein schlechter Christ, weißt du, und halte es mit dem alten Spruch, daß Jeder sich selbst der Nächste ist …

Elender! schrie der Commerzienrath, seiner Wuth nicht mehr mächtig, indem er aufs Neue mit erhobener Faust auf den Jüngling losging: jetzt erst durchschaue ich deine niederträchtigen Ränke! Es ist ein Complott von dir und der Metze, deiner Mutter, du – Bastard meines Weibes!!

Die Augen des jungen Mannes blitzten hell auf – Ich danke Ihnen, sagte er, für diese unerwartete Güte, mit der Sie mir meine Mutter nachweisen; ich habe lange danach gesucht und habe immer die Spur nicht finden können. Wollen Sie vielleicht die Gefälligkeit haben, mir auch meinen Vater anzugeben? Denn nun wird es der alte Sandmoll doch hoffentlich nicht mehr sein …?

Bastard eines wahnwitzigen Bettlers!! brüllte Herr Wolston –

Herr von Lehfeldt verfärbte sich; aber nur einen Augenblick. Man kann sich seine Väter nicht aussuchen, sagte er: jedenfalls bin ich Ihnen sehr verbunden für den Nachweis und hoffe, daß meine geringe Herkunft Ihnen kein Hinderniß sein wird, mich zum Eidam und Erben anzunehmen.

Während dieses ganzen letzten Theils des Gespräches hatten draußen die Festglocken geläutet, die Hornisten bliesen, Böller wurden abgefeuert …

Herr Wolston schwankte zwei mal die Stube auf und ab. Dann stand er vor dem jungen Manne still; er preßte einen Augenblick die Hand gegen die Stirn, darauf mit völlig wiedergewonnener Ruhe und Klarheit:

Sie wollen, sagte er, die unpassenden Aeußerungen, zu denen meine Heftigkeit mich so eben hingerissen, als nicht geschehen betrachten; auch der stärkste Kopf, wenn er so von allen Seiten bestürmt wird, wie es mir seit einigen Tagen begegnet, verliert endlich die Fassung. Ihr Antrag ist mir so unerwartet gekommen wie Ihre sonstigen Mittheilungen; Sie werden unserm Fest die Ehre Ihrer Gegenwart schenken und nach Tische wollen wir das Weitere miteinander erwägen.

Ihrem Fest die Ehre meiner Gegenwart schenken kann ich nicht, antwortete Herr von Lehfeldt, weil meine Geschäfte mich anderwärts hinrufen. Aber zu Tisch will ich wieder da sein, halten Sie mir einen Platz in Ihrer Nähe frei und auch für unsern Freund da, den Prediger, wir sind alte Universitätsfreunde, nicht wahr, Pfaff? und er hat mitunter recht hübsche Einfälle beim Essen …

Mit allem Anstand des vollendeten Weltmannes empfahl er sich. Herr Wolston geleitete ihn ebenso höflich bis an die Thür. Dann zurückkehrend, den Prediger umklammernd:

Priester, Priester, schrie er – hast du kein Gift?!


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