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Siebentes Kapitel.
Zwei Bittsteller

Die Commerzienräthin war noch bei ihrer Toilette beschäftigt. Sie zögerte dieselbe sogar absichtlich hin, einmal, weil es vornehm ist, auf sich warten zu lassen, und zweitens, weil sie jeden Augenblick dachte, Herr von Lehfeldt sollte sich melden lassen. Sie hatte gestern Abend noch einmal ein ausführliches und eindringliches Gespräch mit dem Sandmoll gehabt. Das Resultat desselben war gewesen, daß sie jetzt mit allen andern Gedanken und Plänen völlig gebrochen und Herrn von Lehfeldt zum Bräutigam des Engelchen bestimmt hatte. Denn daß der junge Mann in Angelica verliebt war, verliebt bis über die Ohren, darüber hatte die Baronin sich denn freilich nicht länger täuschen können, so verdrießlich es ihr in vielem Betracht auch war; sie beklagte seinen schlechten Geschmack, beschloß aber doch seinem Glücke nicht hinderlich zu sein. Die Sache mußte eilig geordnet werden, jedenfalls noch heut, so lange die Feststimmung bei Herrn Wolston anhielt und so lange die Gegenwart so vieler fremder Gäste ihm Rücksichten auferlegte. Man begreift demnach die Ungeduld, mit welcher sie ihren Schützling erwartete, wennschon seine verzögerte Ankunft ihr andererseits auch wieder eine Art von Befriedigung gewährte. Denn wenn es ihm wirklich so sehr um das Mädchen zu thun wäre, dachte sie bei sich selbst, und nicht vielmehr um das Geld und die reiche Verwandtschaft, so würde er schwerlich so lange auf sich warten lassen.

Das Kammermädchen, das heute füglich zehn Füße und zwanzig Hände hätte haben sollen statt zwei, meldete einen armen Menschen, der schon seit einer Stunde im Vorzimmer warte und sich durchaus nicht wolle abweisen lassen.

Mein Gott, fuhr die Baronin auf, über die Unverschämtheit! Nicht einmal an einem Tage wie heut hat man Ruhe vor dem Bettelvolk …

Gleich darauf aber, sich jener Rolle der Samariterin erinnernd, welche sie einmal übernommen hatte und die sie gerade an diesem Tage mit doppelter Sorgfalt spielen mußte: Es ist freilich nicht recht, fuhr sie mit sanft klagender Stimme fort, daß die guten Leute Einem nicht einmal das Bischen Zeit lassen, sich anzukleiden; ich habe noch so viel zu besorgen. Aber immerhin, Rosaura, damit du dir ein Beispiel nimmst, wie man seine eigenen Wünsche aufopfern muß und dem Herrn dienen zu jeder Stunde: laß ihn herein! Es ist vielleicht ein armer Mann, der noch sein Kindlein bei uns anmelden will, oder sonst ein christliches Anliegen an uns hat.

Hätte die Baronin während dieser höchst salbungsvollen Rede die stumpfnäsige Rosaura angesehen, sie hätte zum wenigsten so viel zum voraus gewußt, daß ihre Hoffnung, hier noch einen verspäteten Zuwachs für ihre Warteschule zu erhalten, vergeblich war. Da jedoch die Gesichter ihrer Kammerfrauen auch zu den Dingen gehörten, welche für sie nicht existirten (mit der einzigen Beschränkung, daß sie darauf sah, keine allzu hübschen zu nehmen), so blieb ihr auch das Gemisch von Spott und Verwunderung unbemerkt, das sich auf dem Gesicht des jungen Mädchens spiegelte.

Und das Kammermädchen war lange nicht die einzige, die sich verwundert hatte: die ganze Dienerschaft war in Aufruhr gerathen, das ganze Schloß, so zu sagen, war in Bewegung gekommen, als Reinhold, der Weberssohn Reinhold über den Schloßhof geschritten war und ein Gespräch mit der gnädigen Frau verlangt hatte! Man wußte, wie viel Jahre vergangen, seit Reinhold keinen Fuß unter das Portal gesetzt; ja man konnte ihm ordentlich ansehen, wie schwer es ihm auch jetzt noch ward und welchen Kampf es ihn kostete. Ganz scheu, mit gesenkten Augen, hatte er sich zwischen der lärmenden Dienerschaft hindurchgedrängt, seine Stimme war so leis, daß man ihn zweimal fragen mußte, was er eigentlich wolle. Es war ein Glück für ihn, daß er an die Rosaura gerathen war; eine andere hätte ihn vielleicht unverrichteter Sache wieder weggeschickt, Rosaura jedoch war ein gutmüthiges Ding, nicht gerade immer und gegen Jedermann, aber doch gegen hübsche junge Männer, gleichviel was für einen Rock sie trugen, grob oder fein …

Und wirklich war Reinhold dieser Gang schwerer geworden, als irgend etwas noch im Leben. Aber es war ihm keine Wahl geblieben. Vergebens hatten sie alle ihre kleinen Habseligkeiten ausgeboten zum Verkaufen, Verborgen, Verpfänden: Niemand bis jetzt hatte sie annehmen wollen. Auch den Sandmoll hatten sie vergeblich bestürmt, vergeblich seine Habsucht zu reizen gesucht, indem sie ihm den Besitz ihrer ganzen Habe, ihres ganzen Grundstücks anboten: er war unerbittlich geblieben, seine Anzeige war gemacht, und schon war im Hause des Meisters die Meldung eingelaufen, daß die Leiche noch Vormittag von dem Anatomiewärter der nahen Kreisstadt werde abgeholt werden.

So hatte Reinhold sich denn zu einem letzten, äußersten Schritte entschlossen: er wollte die Commerzienräthin um ihre Vermittelung ansprechen. Sie war eine reiche, eine mächtige Frau, von einflußreichen Verbindungen, ein einziges Wort von ihr mußte genügen, die entsetzliche Vorschrift des Gesetzes abzuwenden. Auch war ja heute ein Festtag für sie, ein lang vorbereiteter; konnte sie, die im Begriff stand, den Lebenden so viel Gutes zu erweisen, konnte sie es wohl zugeben, daß an der Todten eine so furchtbare, so unwürdige Rache geübt ward?

Die Baronin betrachtete den jungen Mann nicht ohne Interesse; sie hatte bereits viel über ihn gehört, hatte ihn aber bisher von Person nicht gesehen, und war nicht wenig überrascht, einen so hübschen, stattlichen jungen Mann in ihm zu finden.

Allein dieser erste angenehme Eindruck verschwand sogleich wieder, bevor Reinhold sein Anliegen noch völlig zu Ende gebracht hatte. Wie doch? fiel die Baronin ihm ins Wort: und mit einer so gemeinen, ekelhaften Geschichte wagen Sie es, das Ohr einer Dame, das Ohr Ihrer Gebieterin zu beleidigen? Man kann von einem Menschen Ihrer Herkunft keinen Anstand verlangen: aber so viel Schamgefühl und Sittlichkeit sollten Sie doch wenigstens haben, um zu wissen, daß man solche Dinge nicht vor das Ohr einer Frau bringt!

Ich dachte gerade, weil Sie eine Frau sind, stammelte Reinhold, weil die Natur Ihr Herz weich geschaffen hat und weil Sie Mitleid haben werden …

Mitleid mit dem Laster! rief die Baronin, indem sie sich in Positur warf: Es ist weit gekommen, in der That, wenn junge Leute Ihres Alters sich schon berufen halten, den Advocaten der Ausschweifung und des Lasters zu machen! Ich habe diese Frau nie gekannt; aber hätte ich gewußt, mit welchen strafbaren Ausschweifungen dieselbe ihr Leben befleckt –

Sie sprechen von meiner Mutter, gnädige Frau! rief Reinhold stolz …

Ich spreche von einer Frau, belehrte ihn die Baronin, welche niemals hätte Mutter werden sollen; Ihr ganzes Dasein, junger Mann, ist ein Verbrechen und Sie thäten besser, mit der Schande, die auf Sie vererbt ist, in Dunkel und Vergessenheit zu flüchten, statt daß Sie Ihre unanständigen Geschichten noch weiter tragen und sittsamen Frauen damit die Schamröthe ins Antlitz treiben. Das Gesetz ist gerecht, und ich freue mich, daß es doch wenigstens noch eine Strafe gibt für diejenigen, welche frech genug gewesen sind, die heiligen Gebote der Scham mit Füßen zu treten. Ein christliches Begräbniß ist auch eine Gnade des Himmels, die verdient werden muß; eine Frau, wie Ihre Mutter gewesen ist, hat keinen Anspruch darauf …

Reinhold wollte etwas erwidern; aber die Baronin griff nach der Klingel:

Ich habe Ihr schon oft gesagt, Rosaura, herrschte sie das Kammermädchen an, daß Sie nicht alle Art von Gesindel zu mir hereinführen soll; ich bin zu weichherzig, man misbraucht meine Güte, und wenn dieser Mensch sich nicht auf der Stelle entfernt, so ruft Sie nach der Dienerschaft, er darf mir nie wieder vor die Augen kommen, versteht Sie wohl? nie! nie!!

Das war nun also auf die vollständigste Manier aus der Thüre gewiesen. Und doch hatte Reinhold noch immer von Glück zu sagen im Vergleich mit einem andern Bittsteller, der kurz zuvor ebenfalls in das Schloß gekommen und den man nicht einmal bis in die Thüre gelassen hatte – dem rothen Konrad.

Auch Konrad war vergeblich Tag und Nacht auf- und abgelaufen, es war ihm nicht möglich gewesen, Geld aufzutreiben. Die Braten schmorten, die Teller klapperten schon, gleich nach dem Einweihungsfest sollte das Kind in der Kirche getauft werden, die Herren Freßpathen leckten bereits alle zehn Finger – aber Konrad kannte die Wirthin und wußte, daß sie die Frau danach war, nöthigenfalls und trotz aller Vorbereitungen ihm und seinen Gästen die Thüre vor der Nase zuzuwerfen. Er mußte also, mußte Rath schaffen, wenn er nicht auf die unerträglichste Weise zum Gespött seiner Kameraden werden wollte.

So vertraute er sich denn seinem Freunde, dem langen Karrenschieber an. Er that noch mehr: Langer, sagte er, ich habe ein Geheimniß, das ist seine zehntausend Thaler unter Brüdern werth; hilf mir es zu Gelde machen …

Und damit erzählte er ihm in Kürze das Geheimniß des Meisters, das er in jener Nacht erlauscht hatte. Der Karrenschieber verhielt sich ziemlich ungläubig dabei.

Die Geschichte ist etwas unklar, sagte er. Indessen einen Versuch damit machen kannst du schon. Geh dem Commerzienrath nur recht zu Leibe und drohe ihm, du wolltest die Sache bekannt machen vor der ganzen Welt. Es ist ein glatter, grausamer Schurke, es kann ihm gar nichts schaden, wenn er einmal etwas Blut lassen muß. Er wird zäh sein mit Geld, ich kenne die Art solcher reichen Leute. Aber dadurch laß du dich nur nicht abschrecken, nimm, was du kriegen kannst, Ringe, Uhren, Dosen, ich will es dir schon unter der Hand zu Gelde machen. Und dann nach ein paar Tagen meldest du dich wieder und dann immer wieder; ist's wirklich richtig mit der Geschichte, so bist du ein Glückskind und brauchst deine Knochen nicht mehr anzustrengen, der Alte soll herausrücken, daß es eine Art hat. Jetzt geh du nur dreist hinein und verlange geradezu zum Commerzienrath; wenn er dich nicht vorlassen will, dann laß nur so ein verblümtes Wort fallen, er wird dann schon merken, was für ein Landsmann draußen ist. Ich werde so lange am Schloßthor warten; geh – und mach deine Sache klug!

Aber Konrad machte sie im Gegentheil sehr dumm. Weil es ihm an Muth zur Unternehmung gebrach, hatte er sich denselben in der Branntweinflasche gesucht; er taumelte ziemlich merklich und auch an seiner schweren lallenden Zunge hörte man, wo er zum Frühstück gewesen.

Du? den gnädigen Herrn sprechen? heute, in dieser Besoffenheit? rief der schöne Wilhelm, der in glänzender Livree, mit Hirschfänger und Federhut, im Schloßhof paradirte und von unten herauf mit den fremden Kammerjungfern liebäugelte: nun seht mal, das wäre! solch ein Branntweinzapf!

Ich kenne ihn, sagte einer der Stallknechte, der noch nicht Zeit gehabt hatte, sich in den Sonntagsstaat zu werfen und mit der Striegel in der Hand dazutrat: das ist ein verlumpter Kerl, den sie mit Schimpf und Schande aus der Fabrik gejagt haben, seine Frau liegt in Wochen, die Canaille will betteln …

Oder stehlen, rief ein Dritter, es ist eben die Gelegenheit dazu im Hause.

Mach fort, mach fort, schrien Alle, oder du kriegst die Peitsche zu kosten.

Konrad ballte die Fäuste vor Wuth. Aber ich will den Commerzienrath sprechen, lallte er.

Herrn Commerzienrath heißt es, du Esel, rief der schöne Wilhelm, indem er ihm einen Faustschlag in den Nacken gab: das wäre noch was, wenn solch ein Spitzbube sich erlauben wollte despectirlich von unserer gnädigen Herrschaft zu sprechen.

Der schöne Wilhelm hatte nämlich bemerkt, daß der Commerzienrath, aufmerksam gemacht durch das Geräusch im Hofe, ans Fenster getreten war. Der schöne Wilhelm gehörte zu den Menschen, die nicht leicht eine Gelegenheit vorbeigehen lassen, sich beliebt zu machen, sollte es auch auf anderer Leute Kosten sein.

Herr Spitzbube! brüllte Konrad: ja, ja, da oben steht Er, ich sehe Ihn recht gut – Heda, Herr Spitzbube! geb' Er doch dem Meister seine Fabrik heraus! Ja, glotz' Er nur her: die ganze Fabrik ist gestohlen! gestohlen!! Denkt Er noch an Hamburg? an die Papiere, die Er gestohlen hat? Oho, Herr Spitzbube, wir sind auch nicht auf den Kopf gefallen …!

Weiter konnte Konrad nicht reden – Ist das ein Rausch schon so früh am Tage, hatte der schöne Wilhelm gesagt: und damit waren Alle vereint über den rothen Konrad hergefallen und hatten ihn unter Stößen und Prügeln zum Schloßthor hinaus befördert, mit einer Schnelligkeit, die nichts zu wünschen übrig ließ.

Herrn Wolston war oben an seinem Fenster kein Wort entgangen von Allem, was der rothe Konrad ihm zugerufen. Aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken: denn schon wurde ein neuer Besuch angemeldet – Herr Prediger Waller.


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