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Neuntes Kapitel.
Der Sarg

So schnell ging das nun aber keineswegs. Mit der gefährlichen Reizbarkeit ihrer kranken Freundin nur allzu wohl bekannt, bestand Angelica darauf, dieselbe auf den Besuch des Justizraths wenigstens einigermaßen vorzubereiten. Auch könne sie es ohne Mitwissen und Erlaubniß des Meisters nicht unternehmen, einen Fremden an das Krankenbett seiner Schwester zu führen.

Der Justizrath meinte zwar, das wären unnütze Weitläufigkeiten. Wer Alles in der Welt immer nur so zierlich mit Handschuhen anfassen wolle, der werde nicht weit damit kommen; auch pflegten bei Leuten dieses Standes die Nerven nicht eben gar so empfindlich zu sein. Doch beharrte die junge Dame so fest bei ihrer Ansicht, daß er endlich nachgeben mußte.

Ueber der langen Unterredung, die wir in den letzten Abschnitten mitgetheilt haben, war der Tag beinahe schon verstrichen; Angelica, die es seit der letzten peinlichen Begegnung mit dem Tollen nicht mehr wagte, bei Abendzeit durch das Dorf zu gehen, mußte ihren Besuch daher bis zum nächsten Morgen verschieben. Schon von Weitem überraschte es sie, daß das Haus des Meisters heut so still dastand, und daß sie nichts vernahm von jenem Schnurren der Räder und jenem klappernden Takt des Webstuhls, der der Nachbarschaft sonst mit so viel Regelmäßigkeit den rastlosen Fleiß des Meisters und seines Sohnes verkündigte.

Indem sie in das Haus trat, fiel ihr Blick durch die geöffnete Hofthür auf den Meister. Derselbe war beschäftigt, einige lange, schmale Breter zurecht zu hobeln; andere ähnliche, mit grober, schwarzer Farbe angestrichen, lehnten zum Trocknen an der Wand. Ein einziger Blick genügte, um Angelica außer Zweifel zu setzen, was hier im Entstehen war – es war ein Sarg, womit der Meister sich beschäftigte.

Dem Meister entging die schmerzliche Ueberraschung nicht, die sich bei diesem Anblick in den Zügen des jungen Mädchens malte; mit einem halb tröstenden, halb bittern Lächeln beeilte er sich, sie zu beruhigen.

Sie erschrecken, sagte er, gnädiges Fräulein, über die Arbeit, mit der Sie mich beschäftigt finden? Nicht doch: meine Schwester ist wohl, so wohl, wie Sie dieselbe seit Monaten kennen – das heißt, sie lebt noch. Ich aber, da ich wieder einmal keine andere Arbeit für mich finde, wie kann ich die Feiertage, die ich habe, besser anwenden, als indem ich mir die Hütte baue, die letzte, die uns endlich Allen gewiß ist? Ich bin, setzte er mit einem entsetzlichen Ausdruck von Hoffnungslosigkeit und innerer Verzweiflung hinzu, auf diese Art doch wenigstens sicher, nicht wieder vergeblich zu arbeiten, und da es vermuthlich nur noch wenige Tage dauern wird, daß dies armselige Dach über Ihrem Haupte mir gehört, so muß ich ja doch wohl bei Zeiten darauf bedacht sein, mir einen andern sicheren Fleck zu verschaffen, wo ich mein Haupt hinlegen kann. Und dies – indem er mit ordentlichen Liebesblicken das Bret unter seinen Händen betrachtete – dies, gnädiges Fräulein, ist der sicherste, der ruhigste …

Nämlich mit der plötzlichen Abreise des Malers hatten diesmal auch die spärlichen Bestellungen aufgehört, durch welche derselbe bis dahin das Leben des Meisters und seiner Familie gefristet hatte. Es thue ihm sehr leid, hatte er durch die Wirthin sagen lassen: aber die Freunde, in deren Auftrag er bisher beim Meister habe arbeiten lassen, hätten ihren Bedarf nun befriedigt; nicht einmal die Stücke mehr, die der Meister auf dem Stuhl habe, könne er ihm abnehmen. Auch sei die letzte Arbeit bei weitem nicht so ausgefallen, wie man erwartet; es fehle dem Meister doch eigentlich an Geschmack, seine Muster seien veraltet, seine ganze Arbeit nicht mehr in der Mode; seine Zeit sei vorüber, er werde gut thun, sich um eine Unterkunft in der Fabrik des Commerzienraths zu bemühen. Doch wolle er ihm diesen Rath allerdings nicht aufdringen: denn da er ja so lange ohne seine, des Malers, Kundschaft gelebt, so werde er sich ja wohl auch fernerhin ohne ihn behelfen können, und wünsche er ihm damit wohl zu leben.

War es die Absicht des Malers gewesen, sich der Verbindung mit dem Meister schnell und vollständig zu entledigen, so hatte er allerdings keinen schnellern und sicherern Weg einschlagen können. Der Stolz des, wie wir wissen, in seiner Kunst so höchst gewissenhaften, aber auch höchst ehrgeizigen Mannes fühlte sich durch die letztern Wendungen aufs Aeußerste verletzt, zumal da die dicke Wirthin nicht verfehlte, dieselben noch des Breitesten auszuführen und durch eigene Zuthaten noch zu verschlimmern. Der Maler hätte ihm jetzt das Product seines Kunstfleißes mit baarem Gelde aufwiegen können – so stolz war der Meister und bis zu dieser krankhaften Empfindlichkeit hatte sich, unter dem Einfluß so vieler trüber Erfahrungen, seine natürliche Reizbarkeit gesteigert, daß er sammt den Seinen hätte können am Verhungern sein (wie er es denn wirklich war), und er hätte doch nichts mehr, weder mittelbar noch unmittelbar, von dem Maler angenommen! Schon seit zwei Tagen befand sich Reinhold mit den fertigen Stücken auf der Wanderschaft, um wo möglich einen Käufer dazu zu finden. Aber bei den vielfältigen traurigen Erfahrungen, welche der Meister selbst in dieser Hinsicht bereits gemacht hatte, zweifelte er keinen Augenblick daran, daß auch Reinhold unverrichteter Sache zurückkommen würde.

So sehr der Meister sich nun auch bemühte, gefaßt, ja gleichgiltig gegen das Engelchen zu erscheinen, so errieth dasselbe, auch ohne die Einzelheiten des Vorfalls zu wissen, dennoch, mit seinem natürlichen Scharfsinn und noch mehr mit dem Instinct seines liebevollen Herzens, auf der Stelle die Noth, in welcher der Meister sich befand. Wäre es Reinhold gewesen, sie hätte kein Wort hervorbringen können; aber dem Meister gegenüber wagte sie es schon eher.

Meister, sagte sie, indem sie die kleine Hand vertraulich auf seine hagere, gebeugte Schulter legte: Ihr wißt, wie lieb ich Euch habe, nicht meinen eigenen Vater könnte ich mehr verehren als Euch – wenn ein Vater in Noth ist, an wen muß er sich da wohl zuerst wenden als an seine Tochter? Und wenn diese Tochter auch selbst nur arm ist und wenig mehr hat als ihren treuen, kindlichen Willen.

Der Meister mußte von sehr fern liegenden, sehr trüben Gedanken gepeinigt sein, um die Worte des Engelchen so misverstehen zu können, wie er that. Ach ja wohl, erwiderte er mit verhaltenem Seufzer, das eben ist es ja: meine Tochter ist sehr arm, noch weit ärmer als ich – es ist meine einzige Tochter, aber so weit hat es dieser elende Mensch, ihr Mann, gebracht, daß ich ja nicht murren wollte und wollte dem Himmel dankbar sein, wenn es meine Tochter wäre, für die ich diese Breter zimmere …

Angelica sah ein, daß sie bei dieser Stimmung des Meisters den Gegenstand, den sie eben zu berühren im Begriff stand, nicht weiter verfolgen durfte; sie ging daher ohne Weiteres zu der Angelegenheit über, um deren willen sie gekommen. Den eigentlichen Zweck seines Besuchs zu verrathen, hatte der Justizrath ihr aufs Strengste verboten; es handle sich, sollte sie vorgeben, um den tollen Heiner. Und da derselbe in der That früher unter der Vormundschaft des Justizraths gestanden hatte und überdies auch, wie uns bekannt ist, mit dem Hause des Meisters in vertrautem Umgange stand, so hatte die Sache eben nichts Unwahrscheinliches.

Aber kaum daß Angelica nur angehoben hatte von dem fremden, vornehmen Herrn aus der Hauptstadt, welcher die kranke Lene zu sprechen wünschte, als der Meister den Hobel hinwarf, so heftig, daß das Eisen klirrend heraussprang; seine Zähne knirschten gegeneinander, und die hohlen matten Augen funkelten in fürchterlicher Gluth –:

Ein vornehmer Herr? knirschte er, indem ein heftiges, fieberisches Zittern seinen ganzen Körper durchschüttelte: ein vornehmer Herr aus der Hauptstadt? zu meiner armen Schwester Lene?! …

Durch diese plötzliche Umwandlung aufs Aeußerste überrascht, beeilte Angelica sich den Namen des Justizraths zu nennen. Es ist ein Ehrenmann wie wenige, setzte sie mit einiger Empfindlichkeit hinzu, und überall, wohin er sein siebzigjähriges Haupt trägt, wird dasselbe mit Ehrfurcht und Freude begrüßt.

Der Meister athmete tief auf. Verzeihung, liebes Fräulein, sagte er, indem sein Antlitz sich zu einem trüben Lächeln erheiterte: das Blut in meinem armen müden Körper rebellirt zuweilen; ich fürchte, es geht mir am Ende auch noch so, wie meinem armen Vater oder dem tollen Heiner – Aber was meine Schwester, setzte er mit bitterm Spotte hinzu, noch kurz vor ihrem Ende für eine große Dame wird! die vornehmen Besuche drängen sich ja nur so vor ihrem Bette …

Und hier erfuhr Angelica denn zu ihrem Erstaunen, daß vor einigen Tagen ganz unaufgefordert und ganz unvermuthet Herr Prediger Waller einen Besuch bei der kranken Lene gemacht hatte. Es sei ihm zu Ohren gekommen, hatte er dem Meister gesagt, daß seine Schwester am Sterben: und da sie zu verstockt seien, das Wort Gottes aufzusuchen, so müsse dasselbe, in seiner unversiegbaren Gnadenfülle, ja wohl nur zu ihnen kommen. Was er mit Lenen selbst verhandelt, darüber konnte der Meister keine Auskunft geben, da Herr Waller natürlich keine Zeugen bei seinem geistlichen Besuch gestattet und auch Lene sich späterhin nicht darüber ausgesprochen hatte. Aber nach einzelnen Andeutungen zu schließen, war wenigstens der Meister der Meinung, daß es keineswegs blos ein geistlicher Besuch gewesen …

War es nun dies, oder kam dem Meister das Vorgeben mit dem tollen Heiner überhaupt nicht recht glaubhaft vor, genug, auch er wiederum ging auf die Bitte des Engelchen bei weitem nicht mit der Bereitwilligkeit ein, als dasselbe erwartet hatte.

Sie wissen, sagte er, wie eng wir in dem Hause hier – oder doch wenigstens auf dieser Seite des Hauses, verbesserte er sich, aneinander hängen, und daß nichts unternommen wird weder von dem Einen noch von dem Andern, worüber wir uns nicht Alle vorher gemeinschaftlich berathen haben; es ist das vielleicht eine sehr gemeine, sehr altmodische Sitte, aber bei so geringen Leuten, wie wir sind, ist das nun nicht anders. Sie müssen mir daher auch gestatten, nicht nur vorher mit meiner Schwester Rath zu pflegen, sondern namentlich auch mit meinem Sohne, dem Reinhold. Ich bin das, setzte er mit einem Ausdruck von väterlichem Stolz hinzu, der das blasse, hagere Antlitz mit einem sichtlichen Schein von Freude verklärte, dem Reinhold so schuldig, der Reinhold ist so brav, er ist nicht blos mein Sohn, er ist auch mein Freund, mein Bruder. Ich erwarte ihn heute Abend, spätestens morgen mit dem Frühesten. Der Gang, den er macht, ist ja so unnütz, ich weiß es zum voraus – und muß der fremde Herr sich also schon bis dahin gedulden.


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