Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.
Die gute Frau

Als sie das Auge wieder in die Höhe schlug, war das Weib verschwunden. Nur wenige Schritte noch, und sie sah sich am Hause des Meisters.

Hart an der Schwelle trat ihr Margareth entgegen. Dieselbe war ihrer Entbindung nahe; aber ihr verweintes Auge, so wie das ganze gedrückte, abgehärmte Wesen des unglücklichen Weibes verrieth nur allzu deutlich die Bangigkeit, mit welcher sie dieser verhängnißvollen und doch so heiligen, so seligen Stunde entgegenging.

Ah unser Engelchen, sagte sie, mit einer Stimme, in der Freude und Verlegenheit mit einander zu kämpfen schienen. Wie gut sind Sie, gnädiges Fräulein, daß Sie noch so spät und bei diesem bösen Wetter nach der armen Tante sehen wollen –

Mein Besuch, gute Margareth, erwiderte das Engelchen, gilt für diesmal weniger deiner Tante, als deinem Bruder, unserm Reinhold …

Er ist nicht zu Hause, sagte die junge Frau rasch und mit einem Ausdruck, als ob ihr etwas das Herz erleichtert hätte: er ist zu Leonhard, glaube ich.

Das Engelchen war einen Augenblick unschlüssig, ob sie den Freund dort aufsuchen sollte. Doch scheute sie sich theils vor der späten Stunde, theils auch wäre ihr in diesem Augenblicke, sie konnte sich selbst keine Rechenschaft geben weshalb, die Anwesenheit von Leonhard's Schwester unbequem gewesen.

Gut, sagte sie nach kurzem Bedenken, so laß mich bei dir eintreten; ich habe einen Auftrag für Reinhold, der mir wichtig ist, und den ich ihm aufschreiben will.

Dem armen Weibe traten die Thränen in die Augen. Konrad liegt in der Stube, er ist – unpäßlich, sagte sie, indem sie beschämt vor sich auf die Erde blickte.

Die Wahrheit war, daß Konrad vor einer Stunde fuchswild, im schlimmsten Rausch, nach Hause gekommen war. Der alte Sandmoll, von dem (wie unsere Leser, in Erinnerung an jenen Auftrag, welchen Herr von Lehfeldt dem Alten bei ihrem Zusammentreffen unter der Galgenfichte ertheilte, längst errathen haben) Konrad seit einiger Zeit seinen Unterhalt bezog, hatte ihm auf einmal und ohne weitere Angabe von Gründen erklärt, daß diese Quelle aufgehört habe zu fließen. Konrad, hatte der Alte gesagt, thue mit dem Vagabonden doch nichts als spielen und trinken; der müsse ja eben so närrisch sein, wie der tolle Heiner selbst, der Konrad dafür noch bezahlen wolle. Und mit dem Wochenlohne in der Fabrik sei es für die nächste Zeit auch nur so ein Ding; Konrad wisse wohl selbst, wie nachlässig er seit Monaten in der Fabrik gewesen, und wie viel Strafgelder ihm angeschrieben. Es gehe stark auf Neujahr zu, wo die Kassen revidirt und die Bücher in Ordnung gebracht würden. Auch für Konrad sei jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen. Hoffentlich habe er seine gute Zeit benutzt und sich einen hübschen Pfennig zusammengespart. Sonst, hatte der Alte hinzugesetzt, indem er sein gräulichstes Gesicht dazu geschnitten und mit den Fingern geknackt hatte, so lustig, so gemüthlich, daß Konrad nicht übel Lust verspürte, ihm dafür die Kehle zusammenzudrücken – sonst möchte es wohl nicht ganz gut um ihn stehen für die nächste Zeit; wo der Storch überm Hause klappere, da sei Geld eine doppelt nützliche Sache, das wisse man wohl.

Aber eben so gut wußte natürlich auch der Alte selbst, daß Konrad in der ganzen Zeit an nichts weniger gedacht hatte, als zu sparen; es war nur seine herkömmliche eingefleischte Bosheit, die ihn das sagen ließ.

Im Gegentheil, Konrad hatte noch Schulden gemacht obendrein, theils bei der Wirthin, die einem solchen flotten Gast denn schon freilich einigen Credit hatte gewähren müssen, theils auch bei dem langen Karrenschieber, der in der letzten Zeit, da es mit den Erfindungen und Projecten doch gar nicht mehr gehen wollte, sich auf die Geldgeschäfte gelegt hatte und seinen Freunden gelegentlich kleine Summen gegen große Zinsen verschaffte. – Daß der Karrenschieber dies Geschäft nicht aus eigenen Mitteln betreiben konnte, war freilich klar genug; auch behauptete die böse Welt, daß es eigentlich die Wirthin sei, welche dahinter stecke.

Konrad hatte in seinem Aerger nichts Besseres gewußt, als sich einen tüchtigen Rausch dazu zu trinken; dann war er nach Hause gegangen, um beide, Rausch wie Aerger, zuerst an seiner armen Frau auszulassen und sie dann, wenn möglich, zu verschlafen.

Selbst der Ehrfurcht gebietende Zustand, in welchem Margareth sich befand, hatte Konrad nicht davon zurückhalten können. Die Zeit, wo er unter Thränen und Gelübden das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, zum Zeugen seiner Besserung anrief, war längst vorüber; nur in der Schenke vor seinen Zechbrüdern rühmte er sich noch und stolzirte mit dieser Vaterschaft und dem prächtigen Kindtaufschmaus, den er geben wollte; zu Hause, vor den Ohren seines unglücklichen Weibes, hatte er schon seit Langem wieder blos Seufzer, Klagen, Flüche über den Zuwachs von Noth und Elend, welchen das Kind ihnen bringe.

Auch heute wieder hatte er sie überschüttet mit einer solchen Fluth von Vorwürfen und Verwünschungen und hatte dazu solche entsetzlichen, solche abenteuerlichen Drohungen ausgestoßen, gegen Margareth, ihren Vater, den Commerzienrath, daß Margareth in der Angst ihres Herzens es vorgezogen hatte, sich hinaus zu flüchten auf die kalte Hausflur, um nur diesen furchtbaren Drohworten zu entgehen.

Da saß sie nun auf der Thürschwelle, fast schon seit einer Stunde; der dichte Regen schlug ihr in das feine Angesicht, sie fröstelte über den ganzen Leib, und Thränen, schmerzlich bittere Thränen flossen ihr über die hagern Wangen und vermischten sich im Herniederfließen mit den kalten Regentropfen – Thränen, mit denen sie Gott bat um ihren Tod und den Tod ihres armen ungeborenen Kindes!

Aber dennoch, als Angelica jetzt in ihre Stube wollte – lieber die rechte Hand hätte sie sich abhacken lassen, als daß sie ihr die Wahrheit gesagt hätte; sie blickte beschämt vor sich auf die Erde –

Konrad liegt in der Stube, sagte sie, er ist unpäßlich …

So muß ich die Tante also doch stören, erwiderte Angelica, ich werde in der Stube drüben ein Schreibzeug finden, nicht wahr?

Damit wollte sie auf die Wohnung des Meisters zuschreiten.

Aber Margareth vertrat ihr hastig den Weg.

Sie können jetzt nicht hinein, gnädiges Fräulein, sagte sie, indem sie in wachsender Verlegenheit Angelica's kleine weiche Hand begütigend zwischen die ihren nahm: es ist ein Besuch darin – ach Gott, ein widerwärtiger Besuch, der Sie nur unangenehm berühren würde; Ihr Auge ist zu gut, zu schön für solchen Anblick …

Angelica, halb vor Verwunderung, halb von der jungen Frau gedrängt, war einige Schritte zurückgetreten ins Freie; sie stand, ohne es selbst zu beachten, gerade so, daß ihr Auge auf die Fenster des Meisters gerichtet war.

In demselben Augenblick flammte in der Stube desselben die Kienfackel auf, die ihm Abends zu seiner Arbeit zu leuchten pflegte; ihr ganzes erstes, grelles Auflodern fiel auf eine Gestalt, welche hoch aufrecht an Lenens Bett zunächst dem Fenster stand.

Es war dieselbe Gestalt, welche Angelica so eben erst im Gespräch mit Herrn Waller belauscht hatte: und in demselben Augenblick auch und mit derselben Blitzeshelle, wie die Fackel aufleuchtete, schoß es ihr durch den Sinn – es war die Diebslore, die unheimliche Gefährtin des alten Sandmoll, dieselbe, die mit ihrem todtenkopfähnlichen Antlitz und der abschreckenden Rohheit ihres Betragens ihr schon als Kind so viel gespenstiges Grauen erregt hatte!

Unwillkürlich, als hätte etwas Unreines sie berührt, fuhr das Engelchen zusammen und richtete dann einen langen, fragenden Blick auf Margareth.

Margareth verstand den Blick wohl; sie preßte beide Hände gegen das Antlitz, um die gewaltsam hervorbrechenden Thränen zu verbergen.

O Gott, rief sie unter Schluchzen, das ist ja auch, was ich nicht verstehen kann und was mich beinahe toll macht vor Schmerz und Angst, daß jetzt solche Menschen wagen dürfen, ihren Fuß über die Schwelle meines Vaters zu setzen! O glauben Sie, gnädiges Fräulein, wir sind sehr, sehr unglücklich – hier wie drüben, es ahnt kein Mensch, welchen Jammer dieses Dach verbirgt!

Es ist nichts, sagte Angelica, indem sie die weinende Frau zu beruhigen suchte, das plötzliche Licht hatte mich geblendet; wer auch in euer Haus kommt, Recht und Unschuld wohnen darin, und das sind Schätze, die euch Niemand wegtragen kann. Das sei dein Trost, gute Margareth …

Und gleich darauf, mit plötzlichem Einfall, setzte sie hinzu: Aber bin ich nicht eine Thörin, daß ich nach Feder und Papier verlange, da es weit einfacher ist, ich bitte dich selbst, meinen Auftrag an deinen Bruder zu bestellen?

Wirklich schien es dem Engelchen in diesem Augenblick, als ob der Schritt, den sie zu thun im Begriff stand und der sie innerlich noch immer ein wenig beängstigte, dadurch, daß sie Margaretes Vermittelung dabei in Anspruch nahm, noch unverfänglicher, fast hätte sie sagen mögen, noch erlaubter wurde. Sie fuhr also fort:

Ich wollte deinen Bruder bitten, einen Auftrag für mich zu übernehmen, an den Herrn Maler Schmidt …

Hier plötzlich verstummte sie. Denn in diesem Moment erst fiel ihr ein, daß sie auf dem besten Wege war, das Incognito des Herrn von Lehfeldt aufs Spiel zu setzen, ein Incognito, um dessen Bewahrung er sie so dringend gebeten hatte, und das sie jedenfalls auch einem so vertrauten Freunde wie Reinhold nicht ohne Herrn von Lehfeldt's ausdrückliche Bewilligung preisgeben durfte.

Aber war vorhin Angelica beim Anblick der Diebslore zusammengefahren, so hatte jetzt der Name des Malers Schmidt aus dem Munde des Engelchen eine ganz ähnliche Wirkung auf Margareth. Sie trat zwei Schritte zurück, maß Angelica mit befremdeten Blicken von oben bis unten; dann in lang gedehntem Ton und mit einem Ausdruck von Spott, so zurückhaltend und doch so scharf, wie man ihn bei einem Weibe dieses Standes kaum gesucht hätte:

Ah freilich, sagte sie, also haben die Leute doch Recht: an den Herrn Maler Schmidt …

Angelica verstand nicht, was das seltsame Benehmen des jungen Weibes meinte; aber auch ohne es zu verstehen, fühlte sie sich verletzt davon. Wer hat Recht? fragte sie hastig.

Verzeihung, gnädiges Fräulein, erwiderte Margareth, noch immer in demselben befremdlichen Tone: es fuhr mir nur so heraus. Mein Bruder ist ohne Zweifel jeden Augenblick bereit zu jedem Auftrage, mit dem Sie ihn beehren werden. Mit dem Herrn Maler Schmidt jedoch hat er, so viel ich weiß, keine Bekanntschaft, gar keine, gnädiges Fräulein, und hätten Sie das, dächte ich, weit näher, da der Herr Maler Schmidt ja täglich, wie ich höre, im Schlosse ist. Der Herr Maler Schmidt ist überhaupt nur ein oder zwei Mal im Hause bei meinem Vater gewesen, um Arbeit zu bestellen, seitdem nicht wieder –

Aber wenn Sie doch einmal einen Boten an den Herrn Maler Schmidt gebrauchen, unterbrach sie sich selbst, hier, wenn ich recht höre, kommt einer; es ist der sogenannte tolle Heiner, ein Bischen confus im Kopf, wie Sie wohl wissen, gnädiges Fräulein, aber sonst eine redliche Seele und der genaueste Freund, wie ich höre, des Herrn Maler Schmidt.


 << zurück weiter >>