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Zehntes Kapitel.
Das Kind

Das Kind gefällt mir gar nicht recht, hatte die Nachbarin gesagt, als sie heute früh von Margareth gegangen war. Margareth hatte im Lauf des gestrigen Tages die Nachricht von dem Tode ihrer Tante erhalten; der heftige Schreck hatte ihr ein Uebelbefinden zugezogen, welches sie mit der Milch dem Kinde mitgetheilt hatte.

Die Frau hatte das eigentlich nur so im Stillen für sich hingesagt. Aber das scharfe Ohr der Mutter hatte es doch gehört. Warum gefällt Euch das Kind nicht? fragte sie: er ist ja doch so hübsch, mein süßer Junge …

Man soll kleine Kinder nicht hübsch nennen, sagte die weise Frau verdrießlich: die Kinder vertragen es nicht, und deines ist so schon ganz weiß am Näschen. Mach', daß es getauft wird; das Taufwasser ist die beste Arzenei für solche Kinder.

Margareth hatte zu wenig Erfahrung, um diese doppelsinnige Rede zu verstehen. Es wird ja auch noch heute Mittag getauft, entgegnete sie, indem sie matt in ihre Kissen zurücksank: Konrad hat den Prediger schon bestellt, er wollte blos noch erst Geld einfordern. Daß Ihr mir mein Püppchen nur ja gut einwickelt, wenn Ihr's zur Kirche tragt!

Ei was, das Wetter ist so schön, daß es ordentlich eine Schande ist für Weihnachten, hatte die Nachbarin erwidert. Aber für sich selbst hatte sie im Weggehen wiederholt: Das Kind gefällt mir nicht, das werden wir bald wo anders hintragen als in die Kirche …

Jetzt erwachte Margareth. Das Glockengeläute und der Lärm der Festlichkeit hatte sie erweckt; sie beugte sich über das Kind, das in einem reinlichen Korbe zu ihren Füßen stand …

In dem Augenblick stürmte Konrad herein. Er war kreideweiß im ganzen Gesicht, die kurzen struppigen Haare standen ihm in die Höhe gleich Borsten. Er hatte die Mütze verloren, seine Jacke war zerrissen.

Da, da, rief er, indem er Margareth eine Hand voll kleiner Münze aufs Bett schleuderte: da hast du Geld – nun wollen wir unser Kind taufen – schnell, schnell – ich muß gleich wieder weg, mein Freund, der Karrenschieber, erwartet mich draußen – warum antwortest du mir nicht? schrie er, da Margareth sprachlos, mit aufgerissenen Augen, noch immer auf das Kind zu ihren Füßen starrte. Jetzt riß sie es empor – löste die zerrissenen kleinen Binden – drückte das Köpfchen in fieberhafter Angst an ihren Busen –

Unser Kind ist todt!! – schrie sie.

Todt!? kreischte Konrad, indem er, wie vom Blitz zerschmettert, am Kopfende ihres Bettes niedersank …

Als der unglücklichen Mutter das Bewußtsein zurückkehrte, hörte sie draußen ein dumpfes Gemurmel, dicht vor ihrem Fenster. Ein hohles Poltern, wie von einem leeren schweren Karren, schlug an ihr Ohr; sie hörte Stimmen, auch die Stimme ihres Vaters –

Konrad – sagte sie mit matter Stimme; sie hielt die kleine Leiche noch immer fest in Händen, das geknickte welke Köpfchen ruhte auf der Brust, die es nur so kurze Zeit genährt und die ihm dann selbst den Tod gegeben.

Ah, sie kommen schon, mich zu holen!! schrie Konrad aufhorchend und stürzte wie ein Rasender zur Thür hinaus.


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