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Funfzehntes Kapitel.
Das Gericht

Das Erscheinen des Militairs hatte die Masse stutzig gemacht, unwillkürlich gab sie Raum, so daß die Soldaten sich in langer, schmaler Fronte zwischen dem Schlosse und dem Hause des Meisters aufstellen konnten.

Sie sehen, welch feiges Gesindel es ist, sagte Herr von Lehfeldt, der neben dem Major, welcher die Abtheilung commandirte, einherritt.

Desto besser für sie, erwiderte der Major, ein gutmüthiger dicker Herr, indem er den schwarzen Schnauzbart strich; er war Soldat durch und durch und hatte seinen Muth auf mehr als einem Schlachtfelde erprobt: aber eben deshalb war ihm der Gedanke, diese zum größten Theil unbewaffnete, berauschte Masse niedermetzeln zu sollen, unerträglich …

Desto besser, sagte der Major, für sie und auch für uns, so werden wir keine Gewalt anzuwenden brauchen und in Güte mit ihnen fertig werden.

Damit wollte er vorreiten und die Menge, die immer weiter zurückwich, nach seiner derbfreundlichen Weise anreden. Aber Herr von Lehfeldt fiel ihm in die Zügel.

Halt, sagte er, dies ist nicht Ihr Geschäft, mein Herr Major. Sie wollen sich an die erhaltene Ordre erinnern, durch welche Sie sammt Ihrem Detachement zu meiner Verfügung gestellt sind, und Angriff wie Unterhandlung allein von meiner Entscheidung abhängen.

Mit diesen Worten sprengte er vor, mitten in den dichten Haufen hinein, der sich vor der Wohnung des Meisters zusammengeballt hatte; das Roß tanzte, der Hund, schweifwedelnd, mit munterm Gebell, hielt sich dicht an ihn.

Halloh, ihr Spitzbuben! rief er, erkennt ihr mich? Ich weiß die niederträchtigen Complotte, die ihr angestiftet habt; heraus mit den Rädelsführern, so dürfen die Andern vielleicht auf Pardon hoffen!

Herr von Lehfeldt wußte recht gut, daß es hier keine Rädelsführer gab, oder wenigstens, wenn es deren gab, so war er selbst der schlimmste. Alles blieb still; mit unendlicher Verachtung ließ er den stolzen, kalten Blick über die Menge gleiten, dann zu dem Major zurücksprengend:

Lassen Sie eine halbe Compagnie mit gefälltem Bayonnet vorgehen, sagte er, das Haus dort vor uns ist mir längst bekannt als die Spelunke eines der gefährlichsten Aufwiegler; das Haus soll besetzt, und Alles was darin ist, gefangen genommen werden.

Der Major gehorchte; die Trommeln wirbelten, Soldaten mit gefälltem Gewehr, in Sturmschritt, gingen auf das Haus des Meisters vor …

Ah, nun wollen sie doch gewiß die Leiche holen, murmelte das Volk, indem es nach allen Seiten hin ängstlich auseinander stob; diese Bevölkerung war zu entnervt, zu feig, selbst ein so verschlagener Kopf, wie Herr von Lehfeldt, konnte keine Rebellen aus ihnen schnitzen.

Die Thür des Hauses stand offen; man sah den Meister am Sarge seiner Schwester lehnen, die treue Axt in der Faust, regungslos.

Schon hatten die vordersten der Soldaten die Schwelle erreicht, als Konrad, aus dem Zimmer seines Weibes herausstürzend, im Hausgange sichtbar ward. Er war ohne Waffen: aber eine so entsetzliche Wuth lag auf seinem blutleeren Angesichte, und mit so furchtbarem Geschrei schüttelte er die geballten Fäuste, daß die Soldaten beim Anblick dieses Mannes, der sich ihren Bayonneten so keck entgegenwarf, unwillkürlich zurückwichen.

Die Axt, die Axt!! rief er, sprang hinüber zum Meister, riß ihm die Axt aus der Hand, schwang sie, fest auf den vordersten der Soldaten zielend, in ungeheurem Bogen –

Das Beil sauste durch die Luft, weit über sein Ziel hinaus, wo es unschädlich zu Boden fiel. Aber auch Konrad fiel zu Boden; der angegriffene Soldat, auf seine Rettung bedacht, hatte ihm das Bayonnet in die Brust gerannt.

Gut getroffen, röchelte er, sollst Dank haben, Kamerad – daß Niemand anders verfolgt wird! Ich bin der Mörder des gnädigen jungen Herrn … nicht sein Mörder … ich wollte ihm blos die schöne goldene Uhrkette nehmen … er floh vor mir … stürzte – ah, Dank, Kamerad, das thut gut – ich bin dennoch sein Mörder …!

Das erste Blut, das bei einem Auflauf fließt, hat bekanntlich eine furchtbare, dämonische Gewalt. Konrad war im Dorfe nicht beliebt gewesen; aber wie man ihn so dahingestreckt sah im blutbefleckten Hemd und sah die Zuckungen des Sterbenden, so stieg ein aus Schmerz und Wuth gemischtes, Unheil verkündendes Geheul in die Lüfte. Mord! Mord! schrie es von allen Seiten, die Soldaten haben einen Menschen gemordet!

Die Soldaten, selbst nicht recht wissend, was sie beginnen sollten, da sie eigentlich gar keinen Feind vor sich sahen, begnügten sich, den Eingang des Hauses zu umstellen. Herr von Lehfeldt, höchst ungehalten über die Langsamkeit, mit welcher seine Befehle ausgeführt wurden, wollte so eben heranreiten, sich nach der Ursache zu erkundigen, als ein wüster, gellender Triumphruf seine Aufmerksamkeit nach der andern Seite lenkte. Es war der Vagabund, der mit seinen Genossen von dem Schlosse dahergestürmt kam; sie hatten ihn auf den Leichenwagen gestellt, die rothe Fahne über seinem Haupte schwingend, mit wild flatternden Locken, zog er daher wie ein Triumphator.

So unwiderstehlich war der Anlauf und so wenig war man auf einen Angriff von dieser Seite vorbereitet, daß die Linie der Soldaten in einem Nu durchbrochen war.

Der wahnsinnige Bettler schien nur ein einziges Ziel im Auge zu haben – Herrn von Lehfeldt. Habe ich dich endlich! kreischte er: seht da, seht da:

Du Ungeheur mit Schlangengift genährt,
Aus dessen falschen Augen Dolche schießen,
Du Basilisk, du gelbgefleckte Kröte …

Und mit einem einzigen jähen Satz war er dicht vor Herrn von Lehfeldt's Pferd, rang sich an ihm in die Höhe und klammerte die ehernen Arme um den Leib des jungen Mannes, mit so entsetzlicher Gewalt, daß derselbe sich nur mit Mühe im Sattel erhalten konnte.

Die Soldaten hatten es längst nur mit Misvergnügen bemerkt, daß ihr alter Major sich mußte von einem Civilisten commandiren lassen; Niemand von ihnen machte daher Miene, Herrn von Lehfeldt beizuspringen. Auch hielt sie vielleicht die Ueberraschung gefesselt über das Seltsame dieses Einzelkampfes, der sich vor ihnen zu entspinnen im Begriffe stand.

Laß die Arme weg, Toller, rief Herr von Lehfeldt, der beim Anblick des Wahnsinnigen alle Farbe, und, wie es schien, auch allen Muth verloren hatte: ich mag mit dir nichts zu thun haben, geh weg –!

Aber der Wahnwitzige rang und rüttelte; dann einen Schritt zurückspringend, den Fahnenstock ergreifend und auf das Haupt des Jünglings zielend:

Denkst du noch an die Galgenfichte? rief er: von da ab habe ich's gewußt, daß du ein Verräther wärst und daß du sterben würdest durch meine Hand!

Nicht durch deine Hand! stöhnte der junge Mann; er hatte die Hand auf den Pistolen am Sattelknopf, aber eine unsichtbare Macht hinderte ihn, sie hervorzuziehen –: nicht durch deine! du wirst nicht die Hand erheben gegen mich, noch ich die meine wider dich – die Natur will es nicht haben …!!

Natur ist Alles,
Natur gebietet Raub und Mord und Brand,
Wenn Menschen leiden,

hohnlachte der Tolle: wo ist dein Muth geblieben, Söhnchen? denk' an die Galgenfichte, und wie du mich belogen und betrogen hast seitdem!

Ich habe Muth! schrie Herr von Lehfeldt; aufs Aeußerste bedroht, hatte er jetzt die Pistole aus dem Halfter genommen, die Mündung schwebte über dem Kopf des Tollen, aber gleichwohl wagte er nicht loszudrücken: – Ich habe Muth, aber nicht gegen dich! Erinnere dich des schönen, stolzen Fräuleins im Schlosse der Edeldame, wo du Hauslehrer warst, vor zwanzig Jahren – laß den Arm herunter – ich bin dein Sohn!!

Mein Sohn!! stammelte der Tolle, indem er zurücksank und mit weit aufgerissenen Augen den Jüngling anstierte: ich habe einen Sohn! mein Sohn!!

Er hielt den Knittel noch immer halb aufrecht: doch schwankte er jetzt offenbar, ob er den Hieb führen solle. So, der Eine den Stock, der Andere das geladene Pistol gegeneinander gerichtet, verharrten sie zwei Secunden; – es war völlig dieselbe Situation, wie bei ihrem ersten Zusammentreffen unter der Galgenfichte.

Genire dich nicht, Heiner! hau zu, Heiner! quäkte plötzlich eine Stimme aus dem dichtesten Haufen: es ist dein Junge nicht – ich habe die Kinder vertauscht dazumal: das ist Lenens Sohn, der Sohn der Baronin ist Reinhold – hau zu!

Es war die Stimme des Sandmoll; er hatte sich überzeugt, daß doch einmal Alles verloren war, und wollte wenigstens noch an Herrn von Lehfeldt seine Rache befriedigen.

Der Tolle horchte hoch auf, er erkannte die Stimme und kannte auch den Sandmoll selbst zu wohl, um nicht zu wissen, daß er in diesem Augenblicke wenigstens die Wahrheit sprach. Lügner! stammelte er, Lügner bis zum letzten erbärmlichen Hauch! Will sich loslügen vom Tode, der feige Wicht –

Stirb, schnöder Troer!

Und wieder sauste die Keule über dem Haupte des jungen Mannes!

Aber dieser schien einmal fest entschlossen, von seiner Waffe keinen Gebrauch zu machen; die Pistole in der Rechten hoch in die Höhe haltend, suchte er mit der Linken den Wahnsinnigen von sich abzuwehren; das geängstigte Roß schnaufte und bäumte sich, und man mußte ein so gewandter Reiter sein, wie Herr von Lehfeldt es war, um in einer solchen Lage den Sitz nicht zu verlieren.

Aber dies Gezerre muß denn doch endlich einmal ein Ende nehmen, sagte der Major, dem es wohl auch nicht ganz unlieb gewesen sein mochte, daß der Herr Regierungscommissar ein wenig in der Patsche saß –

Allein bevor er noch dazwischentreten konnte, hatte Herr von Lehfeldt bereits einen andern, so unerwarteten wie entscheidenden Beistand erhalten. Sein großer Hund Strom war durch das Gedränge von ihm abgesperrt worden; ängstlich lief er die dichten Reihen auf und ab, Jeden neugierig beschnobernd, nach seinem Herrn suchend. Endlich wurde er ihn gewahr; mit gewaltigem Geheul sprang er zwischen den Nächsten hindurch, dem Vagabonden, der eben zum tödtlichen Schlag ausholte, an die Gurgel. Im selben Augenblicke stieg das Pferd wiehernd vom Boden, die Pistole in der Hand des Herrn von Lehfeldt entlud sich – und mit zerschmettertem Haupt, röchelnd, stürzte der Bettler nieder, unter ihm der treue Hund, von derselben Kugel getödtet.

Noch hatte die Menge sich von ihrem Entsetzen nicht erholt, als ein lautes, schmetterndes Posthorn mit Alles überbietendem Tone die Dorfstraße entlang erschallte. Ein Feldjäger auf schweißbedecktem Roß jagte mitten durch das Gedränge; ein Ordonnanzoffizier mit wehendem Federbusch hielt sich dicht an seiner Seite.

Im Namen des Herzogs, rief der Letztere Herrn von Lehfeldt zu, halten Sie ein –

Ich handle im Namen des Herzogs, erwiderte Herr von Lehfeldt, indem er säuberlich Blut und Staub, womit der Kampf mit dem Tollen ihn bedeckt hatte, von sich abklopfte.

Welches Herzogs? rief der Offizier: gestern Abend haben Se. Durchlaucht das Zeitliche gesegnet; Serenissimus, unser neuer Regent, hat das Ministerium entlassen, Ihre Mission hier ist zu Ende; Herr Major, Sie sind verantwortlich für jeden Tropfen Blut, der noch vergossen wird …


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