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Elftes Kapitel.
Der Leichenkarren

Das kümmert mich Alles nicht, sagte der Führer des Karrens: ich habe einmal meinen Schein, der Herr Inspektor hat ihn selbst ausgeschrieben. Weibliche Leiche, zweiundvierzig Jahre alt, an der Auszehrung gestorben, unverehelichte Helene Werner, hat außer der Ehe geboren, an die Anatomie der Kreisstadt abzuliefern …

So ist es und in dem Hause da steht die Leiche; mach zu, es sind fünf Stunden und schlechter Weg und das Wetter ist weich –

Es war die Stimme des Sandmoll, der diese Worte vernehmen ließ. Am Festzug seines Gebieters hatte er, als eine allzu übel berüchtigte Person, ohnedies nicht Theil nehmen dürfen, und so konnte er es sich nicht versagen, den Becher der Rache bis auf den Grund zu leeren, indem er selbst der Abführung der Leiche beiwohnte. Die Erscheinung des seltsamen Fuhrwerks hatte eine Menge Menschen herbeigelockt: nämlich so viel deren für dies Schauspiel noch Zeit hatten, da auch der Festzug im Schloß sich so eben in Bewegung setzen sollte. In dichtem Kreise umstanden sie das Fuhrwerk, das armselig und schmuzig war, wie sein Führer; der Sandmoll hielt sich vorsichtig in der zweiten Reihe.

Der Meister, in seinem langen braunen Rock, die Haare sorgfältig gescheitelt, lehnte in der Thür seiner Hütte; er stützte sich mit dem rechten Arm auf Reinhold, der im Innern der Hausthür stand, die blanke Axt in der Hand.

Dies Haus ist mein Haus, erwiderte der Meister, mit einer Ruhe, welche bange Schauer durch die Herzen aller Hörer goß: dies Haus ist mein Haus, und die Leiche darinnen ist die Leiche meiner Schwester –

Meiner Mutter!! rief Reinhold, indem er einen Schritt vorwärts trat und die Axt gegen den Kärrner schwang.

Seiner Mutter! jauchzte das Volk: brav, brav, Reinhold! der wird es ihnen zeigen! das ist ein Junge, der Haare auf den Zähnen hat, so duckmäuserig er sonst auch thut!

Aber was wollen sie denn mit der Leiche? fragte die schwarze Hanne, die mit ihrem Goliath vornan im Gedränge stand; sie waren Beide zu faul gewesen, auch zu neidisch, um die Herrlichkeit im Schloß mit anzusehen.

Zerschneiden, antwortete der Goliath mit seiner riesigen Stimme.

Zerschneiden! zerschneiden! brüllte der Chor ihm nach: ah das ist doch zu niederträchtig von diesen Vornehmen, daß sie uns nun auch schon unsere Leichen wegholen, um sie aufzuschneiden und sich danach zu kuriren!

Hau zu, Reinhold, schrie Einer: wir stehen dir bei, Alle zusammen, wie wir hier sind!

Wenn man wegen so eines kleinen Kindes gleich sollte auf den Schindanger geschafft werden, das wäre was Schönes, meinte eine Dirne; man sah es ihr an, daß sie Grund hatte zu dieser Reflexion.

Ja und noch dazu, wenn die Sache so lange her ist, daß kein Mensch mehr davon weiß, rief ein Anderer.

Die Lene hat immer ordentlich gelebt, Niemand hat etwas Böses von ihr gewußt, sagte ein Dritter.

Fort, fort mit dem Karren! Hau zu, Reinhold, wir leiden es nicht! schrie der Haufe, indem er sich immer drohender zusammenschaarte: Schlagt das Pferd todt! werft den Karren um! wir brauchen keine Menschenschinder mehr im Dorf, der Commerzienrath ist Menschenschinder genug!!

Der Führer des Karrens, der um seine Sicherheit besorgt ward, sah sich verdrießlich nach dem Sandmoll um, als der ihm zunächst vorgesetzt war. Aber der hatte sich bereits in den dicksten Haufen verloren.

Nun schreit doch nur nicht so auf mich los, ihr Leute, sagte er: ich wäre ja auch lieber was Anderes als Leichenkärrner. Ich habe meinen Befehl und muß gehorchen; wenn es euch aber nicht recht ist, so laßt uns aufs Schloß ziehen und weiter hören.

Ja, ja, jubelte der Haufe: das ist ein braver Kerl, der ist von den Unsern; aufs Schloß! aufs Schloß! Laßt uns den Karren gleich mitnehmen: es geht hoch her im Schloß, wir wollen ein Faß Wein darauf laden; wo so viel drauf geht, wie heut im Schlosse, da wird ja für uns armen Leute wohl auch noch ein Fäßchen übrig sein – oder zwei …

Der Kärrner lenkte sein Fuhrwerk um –

Gib mir das Beil, ich will ihn todt schlagen, an mir ist nichts mehr gelegen, flüsterte Konrad, der kreideweiß hinter Reinhold stand: der Kerl kommt doch wieder, ich will ihn lieber gleich todt schlagen –

Reinhold wandte sich mit verächtlicher Geberde ab; er hielt seinen Schwager für betrunken.

Noch hatte der Zug nicht den Platz vor der Schenke erreicht, als schon ein zweites, noch viel größeres, viel wüsteres Menschengedränge mit noch viel entsetzlichern Verwünschungen sich ihm vom Schlosse her entgegendrängte …


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