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Dreizehntes Kapitel.
Der Mörder

So wie der Commerzienrath das bleiche, mit Blut befleckte Antlitz seines Sohnes erblickt hatte, war er umgesunken; Niemand zweifelte, daß ihn ein Schlagfluß getroffen. Während ein Theil der Aerzte, die in der Gesellschaft anwesend waren, dafür sorgte, daß er auf sein Zimmer und ins Bett geschafft ward, waren die Uebrigen um Julian beschäftigt. Aber es gab hier nichts mehr für die Kunst der Aerzte zu thun. Eine breite Wunde klaffte über die Stirn, war sie von einem Fall, Sturz, Schlag, es ließ sich für den Augenblick noch nicht erkennen; nur daß die Wunde tödtlich gewesen, das war leider gewiß genug.

Angelica, die ganz im Gegensatz zu Herrn Wolston mitten in dieser entsetzlichen Krisis eine wunderbare Stärke entwickelte, war die Erste gewesen, die an der Leiche niedergekniet; mit kalter Entschlossenheit stand sie den Aerzten bei, reichte ihnen Tücher, Essenzen, Instrumente, selbst die verschiedenen Meinungen und Zweifel über die Art des Todes vermochte sie mit anzuhören. Es wurde von Einigen eine Quetschung am Hinterkopf bemerkt, die, in Verbindung mit der Stirnwunde, kaum von einer Selbstverletzung herrühren könne; Andere machten darauf aufmerksam, daß die Leiche ohne Geld, Uhr oder sonstigen Schmuck. Doch wußte sich Niemand im Augenblick zu besinnen, selbst Angelica in ihrer Bestürzung nicht, ob der in seiner Kleidung wie in allen übrigen Stücken für gewöhnlich so höchst Einfache heut dergleichen an sich getragen hatte; es wurde erst ein Diener entsandt, um in seinen Zimmern danach zu suchen.

Auf einmal schrie Angelica auf: Er ist ermordet, beraubt!!! …

Sie hatte bemerkt, daß der Ring fehlte, der dritte von jenen, welche Julian für die drei Freunde hatte fertigen lassen, und der, wie sie wußte, nie, aber auch nie von seinem Finger kam.

Der Justizrath, der hier ganz auf seinem Terrain war, ließ sich den Ring sogleich des Näheren beschreiben. Die Neuigkeit sprach sich weiter. Es waren mit der Leiche und in dem Tumult, der durch das Ereigniß hervorgerufen war, eine Menge Menschen mit in den Saal geströmt, auch solche, die eigentlich nicht hineingehörten. Unter ihnen der Wirth der Schenke.

So wie derselbe von einem Ringe hörte, drängte er sich herzu; er war sonst ein bescheidener, schweigsamer, fast mürrischer Mann. Von was für einem Ring ist die Rede? fragte er, wie sah der Ring aus?

Wie dieser! rief Angelica, indem sie ihre Hand emporstreckte.

Der Wirth besah den kleinen Reif aufmerksam. Gerade solchen Ring, sagte er sodann, hat heute Vormittag der Sohn des Meisters, Reinhold, mit andern Habseligkeiten bei meiner Frau zum Verkauf oder Versatz ausgeboten. Er that sehr dringend damit und war in einer Aufregung, welche mir sogleich auffiel; deshalb und weil es mir überhaupt nicht lieb ist, daß meine Frau dergleichen Geschäfte treibt, untersagte ich ihr, die Sachen anzunehmen, und Reinhold ist, so viel ich weiß, wieder damit nach Hause zurückgegangen.

Man weiß, wie es bei dergleichen Gelegenheiten geht; kaum daß der Wirth zu Ende gesprochen, als sich schon im Saal, wie auch außerhalb das Gerücht verbreitete, Reinhold, der Sohn des Meisters, habe den Sohn des Commerzienraths erschlagen. Bei der bekannten Feindschaft, die zwischen den beiderseitigen Häusern bestanden und welche die Phantasie des Volks sich schon längst nicht grausig genug hatte ausmalen können, war die Nachricht wohl noch immer entsetzlich, aber kaum mehr unwahrscheinlich.

Gewiß, rief die Baronin, die aus einer Ohnmacht in die andere fiel, aber gleichwohl kein Wort verlor von Allem, was um sie her gesprochen ward: Reinhold ist der Mörder, und kein Anderer! Der Nichtswürdige war heute früh auch bei mir im Zimmer – er bettelte bei mir –

Heute früh und heute Vormittag, das sind ja aber gar keine juristischen Zeiten; Stunde, Minute, Viertelstunde zum wenigsten, murrte der Justizrath: wann war der junge Mensch, der den Ring versetzen wollte, bei Ihm, Herr Wirth?

Das konnte der, nach Art der meisten Menschen, nun im Augenblicke so genau nicht angeben. Doch war der Verdacht immer dringend genug, um sofort gegen Reinhold einzuschreiten. Der Justizrath verordnete das Nöthige, und mehr als die Hälfte der Versammlung wälzte sich unter lautem Geschrei: Mörder! Mörder! der Sohn des Meisters hat den Sohn des Commerzienraths erschlagen! in das Dorf hinein.

Dies war der Zug, welcher mit dem andern, der mit dem Leichenkarren angerückt kam, vor der Schenke zusammenstieß. Man stelle sich das Getobe, das Zanken, Kreischen, Johlen vor, das bei diesem Zusammentreffen entstand. Hurrah! schrie der lange Goliath, heut ist der Satan an allen Ecken los! Juch, Brüder, heut brocken wir etwas ein!

Ob Reinhold schuldig oder unschuldig, wurde unter der Menschenmasse sehr eifrig bestritten; die Mehrzahl behauptete seine Unschuld.

Wer weiß, wer den erschlagen hat, riefen Einige: das ist eine Familie in dem Schloß, so vornehm sie ist, der kann man Alles zutrauen, und nun soll die Schuld blos wieder auf uns arme gemeine Leute kommen.

Reinhold begriff lange nicht, um was es sich handelte. Als er endlich den furchtbaren Verdacht erfuhr, der auf ihm lastete, erklärte er sich sogleich mit vollkommener Ruhe bereit, den Abgesandten des Justizraths zu folgen; er hielt sogar selbst die Hände hin, daß man sie mit Stricken zusammenbände, um ihm einen etwaigen Fluchtversuch zu erschweren. Nur das Eine solle man ihm geloben, daß die Leiche seiner Mutter inzwischen nicht vom Flecke gerührt würde.

Man versprach es ihm, und er ließ sich, nach einem flüchtigen Händedruck gegen seinen Vater, ruhig abführen, von einer ungeheuern Menschenmenge umtobt, die nun wieder mit ihm in das Fabrikgebäude zurückströmte. Der Meister hatte während des ganzen Vorganges kein Wort gesprochen. Er hatte die Axt ergriffen, so wie Reinhold sie hingeworfen und hielt sie noch immer in der Hand …

Konrad war inzwischen drinnen bei seiner Frau. Mach' unser Kind wieder lebendig! schrie er, sich in unbändigem Schmerz auf dem Boden wälzend, oder ich muß dich dazu tödten und mich und die ganze Welt …!

Margarethe verstand ihn nicht; sie glaubte, es wäre der Vaterschmerz, der aus ihm spräche. Eben so wenig vermochte sie sich den Tumult draußen zu erklären.

Aber der wurde immer größer, es war ein prächtiger Tag heut für die Tagediebe des Dorfes, die merkwürdigen und unglaublichen Nachrichten rissen gar nicht ab –: das alte Jagdhaus, erzählte man sich, sei so eben von Soldaten besetzt, eine ganze Schmugglerwirthschaft aufgehoben worden, an der Spitze derselben sollte Niemand Geringeres stehen als der Fabrikherr.

Das schlug denn dem Faß vollends den Boden aus. Also die reichen Herren stehlen auch? rief man: und wenn unsereins nur eines Strohhalms werth nimmt, so muß er ins Zuchthaus, und das stiehlt und plündert Jahre lang und wird reich und fett dabei?!

Das schöne Essen, riefen Andere, das wird nun wohl unangerührt bleiben, dem gnädigen Herrn wird wohl der Appetit vergangen sein; laden wir selbst uns zu Tische, damit der Schmaus nicht verdirbt!

Wirklich rollte auch die Mehrzahl der fremden Wagen bereits wieder davon; es war natürlich, daß Jeder den Ort des Schreckens so rasch zu verlassen suchte wie möglich. Allein indem diese Wagen sich gewaltsam einen Weg durch die dichte Volksmasse erzwingen wollten, trugen sie nur noch dazu bei, die Verwirrung zu vergrößern.

Ihr wollt wohl wieder Kinder zu Tode fahren? rief das dicke Weib, dessen Knaben Reinhold zwischen den Pferden hervorgeholt hatte.

Damit war ein neues Losungswort gefallen. Die Kinder, die Kinder! schrie man, rettet die Kinder aus dem Schlosse, aus der Mörderhöhle!!

Schon flogen Steine, theils gegen die Schloßgebäude, theils gegen das Wirthshaus, theils auch gegen die Wagen der fremden Gäste. Andere hatten sich mit Knitteln, Heugabeln, Aexten bewaffnet; die Fabrikarbeiter schleppten Eisenstücke und Maschinentheile herbei: Laßt uns die Maschinen zerstören! hinweg mit den Maschinen! sie sind an dem ganzen Elend schuld!

Nun rührt mich der Schlag, daß ich das erleben muß, sagte die dicke Wirthin, indem sie leichenblaß in die Ecke sank: die vollkommene, leibhaftige Revolution!

Es war wirklich etwas der Art, und sie selbst sollte den ersten Stoß davon empfinden.

Denn die Schenke, wie man sich leicht denken kann, war das Erste, wogegen Wuth und Plünderungssucht der aufgeregten Volksmasse sich entluden. In zwei Minuten waren alle Fenster derselben zertrümmert, alle Thüren erbrochen. Die Wirthin hatte sich in den untersten Keller gerettet; so hart sie sonst auch war, so mußte sie jetzt doch weinen, wenn sie an das Schicksal ihrer Zimmer, ihrer Möbel, ihrer Vorräthe dachte. – Ein anderer, noch größerer Haufe hatte sich gegen das Schloß selbst gewendet. An seiner Spitze stand der tolle Heiner. Er hatte einen rothen Fenstervorhang um einen Stock gewickelt, und declamirte mit schrecklicher Stimme und lautem, wieherndem Hohngelächter, deutsch, englisch, lateinisch, Alles durcheinander; je toller er declamirte, je rasender jauchzten seine Gefährten. Die Dienerschaft des Schlosses, durch das plötzliche Unglück ihrer Herrschaft entmuthigt, hatte kaum noch Zeit gehabt, den Commerzienrath, der noch immer nicht ins Bewußtsein zurückgekehrt war, in einen bereitstehenden Wagen zu packen und durch einen Seitenthorweg mit ihm davonzujagen, tief in Gebirg und Wald hinein. Denn gegen ihn hauptsächlich waren die Drohungen der Angreifer gerichtet. Schon klirrten auch die Fenster des Schlosses, schon war die rasch verrammelte Pforte von einzelnen kühnen Kletterern erstiegen – als sich plötzlich vom Eingang des Dorfes her Trommelwirbel vernehmen ließ und eine stattliche Abtheilung Soldaten, in dichtem, geschlossenem Zuge, auf den Platz vorrückte. An der Seite des Befehlshabers ritt ein Mann im grünen Jagdkleid, die doppelläufige Büchse überm Rücken, einen gewaltigen Hund neben sich; es war Herr von Lehfeldt.

Allein bevor wir die Entwickelung dieser Katastrophe weiter verfolgen, ist es nöthig, in das Innere des Maschinensaals zurückzukehren, an die Leiche Julian's, wo sich inzwischen nicht minder furchtbare und gefahrvolle Ereignisse zugetragen hatten.


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