Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.
Das Fest

Nach der Anordnung, welche Herr Wolston unter dem Beirath des Poeten getroffen, hatte der Zug der Fabrikarbeiter, die Gäste an der Spitze, sich zunächst über den Schloßhof hin in das neue Fabrikgebäude zu begeben; so wenig es eigentlich auch dazu paßte, so hatte es sich die Baronin dennoch als Begünstigung ausgebeten, daß auch ihre Schaar frischgewaschener verwahrloster Kinder sich daran anschließen durfte. Das Maschinenhaus war auch von innen mit Kränzen und Wimpeln decorirt; ein Feston von Blumen, Julian's Namenszug darstellend, hing, bis jetzt noch mit einem Schleier bedeckt, in der Mitte. Erst wenn Alles im Innern des Gebäudes sich geordnet, sollte Julian hereingeführt werden. Diese Anordnung ging unmittelbar von dem Commerzienrath aus; er wollte seinem Liebling theils über das unangenehme Gedränge des Festzugs hinweghelfen, theils auch den Schein der Ueberraschung erhalten. Dann, so wie Julian eintrat, sollte das Festlied gesungen, die Inschrift enthüllt werden; Herr Wolston wollte eine kurze Anrede halten, durch welche Julian feierlich als Besitzer und Beschützer dieses neuen Werks proclamirt ward; Herr Florus (aber das wußte noch Niemand, selbst der Commerzienrath nicht) wollte ein Gedicht improvisiren, an dem er in der That schon seit vierzehn Tagen auswendig lernte; gleich darauf sollten die Maschinen sich in Bewegung setzen, Herr Wolston selbst wollte seine Gäste herumführen, ihnen Alles zu zeigen und zu erklären; dann sollte die Warteschule durch eine Rede des Predigers eröffnet, dann endlich zu Tisch gegangen werden.

Der erste Theil dieses Programms war genau und pünktlich erfüllt; Herr Wolston, den man sich kaum jemals erinnerte frischer und lustiger gesehen zu haben, hatte seine Gäste in die neue Fabrik eingeführt. Der Dinge gewärtig, die nun weiter kommen sollten, unterhielt man sich in kleinen Gruppen; man bewunderte das schöne, helle, luftige Local, staunte auch wohl die ungeheuren Räder und Kolben an, entsetzte sich gelegentlich über die Gluth, die in den Oefen knisterte, und den Dampf, der hier und dort aus einer Röhre zischte. Einige bemitleideten auch die armen Kleinen, die so höchst unberufener und erzwungener Weise dieser Herrlichkeit beiwohnen mußten, und deren klägliches Ansehen deutlich die Angst und Langeweile verrieth, welche sie empfanden. Ihr Zahl war nicht groß. Dennoch hatte man sie so eng zusammengedrängt, zunächst den dampfenden Maschinen, daß die armen kleinen Wesen sich kaum rühren konnten; die halbwüchsigen Bursche aus der Fabrik traten sie insgeheim auf die Füße, zausten sie bei den Haaren und prügelten sie, wenn sie schreien wollten.

Das Engelchen war neben den Justizrath zu stehen gekommen. Oder vielmehr, sie hatte sich diesen Platz mit aller Anstrengung gesucht. In dem Drängen und Treiben, das in dem Schlosse herrschte, war es ihr nicht möglich gewesen, ihn eher ausfindig zu machen; jetzt erst, wie sie im Zuge neben ihm dahinschritt:

Ich habe das Blatt! sagte sie heimlich, und eine leise, schwache Röthe stieg auf ihren schneeweißen Wangen auf.

Der Justizrath sah sie von der Seite an: Das Blatt? knurrte er eben so heimlich: Na, wenn das nur nicht wieder eine von Ihren Phantasien ist, Schatz! Das wirkliche, leibhaftige Blatt aus der Handschrift Ihrer Mutter?

Ich habe es, wiederholte Angelica, indem sie die Hand fest gegen die Brust drückte.

So müssen wir so bald wie möglich sehen, von dieser faden Geschichte loszukommen, raunte der Justizrath ihr zu, ich gehe nun nicht wieder von Ihrer Seite, Engelchen, sonst machen Sie mir doch wieder dumme Streiche; so bald wir können, drücken wir uns von hier und gehen auf Ihr Zimmer. Und haben Sie schon gelesen, was darin steht? konnte er sich nicht enthalten hinzuzusetzen.

Das Engelchen nickte.

Nun? Verwahrung? Protest? Nichtigkeitserklärung des officiellen Testaments, nicht so? flüsterte der Alte vergnüglich.

Das Engelchen nickte wiederum.

Es wird juristisch auch nicht viel helfen, brummte der Andere: aber es ist doch wenigstens ein Anfang, man sieht doch nun wenigstens einen Boden, auf den man sich stellen kann. Wenn nur erst diese verwünschte Geschichte hier zu Ende wäre!

Das war ein Wunsch, der in der Stille von der Mehrzahl der Gäste getheilt ward; die Pause dauerte auch ein wenig gar zu lange. Aber freilich, die Hauptperson fehlte noch …

Mein Sohn wird sich verspätet haben, sagte der Commerzienrath, indem er entschuldigend von Einem zum Andern ging: Sie wissen, er ist nicht ganz wohl, mein guter Sohn, und da kann Einem dergleichen schon begegnen, besonders an einem Tage, der auch für sein Herz so viel Angreifendes und Rührendes hat. Aber ich habe bereits nach ihm geschickt …

Die Boten kamen wieder: der junge gnädige Herr sei nirgend zu finden. Man hatte in seinem Zimmer nachgefragt, hatte durch den Garten geschickt; nirgend eine Spur.

Er kann nicht mehr im Garten sein, rief Angelica, indem sie erschrocken hinzutrat (es war kindisch von ihr, sie gestand es sich selbst, daß sie so erschrak: denn es war ja kaum eine Stunde, daß sie ihn gesund und munter verlassen, was sollte ihm in der Zwischenzeit begegnet sein?): es ist schon eine ganze Zeit her, daß ich mit ihm im Garten gewesen, und er war schon auf dem Rückweg, als ich ihn verließ. Herr Florus, Sie wollten ja meinen Bruder begleiten, wo haben Sie ihn verlassen?

Der Poet entschuldigte sich mit den vielen Geschäften, die er zu besorgen gehabt hätte. Der Commerzienrath warf Angelica einen furchtbaren Blick zu: Sie sind mir verantwortlich für meinen Sohn, knirschte er …

Allmälig bemächtigte sich der Versammlung eine Unruhe, die mit jeder Minute wuchs. Neue Boten wurden ausgesendet, in diese und jene Richtung; Viertelstunde auf Viertelstunde verging, zuletzt wagte Niemand mehr nur seinen Nachbar anzusehen. Angelica hatte sich gleich anfangs fortbegeben wollen, ihren Bruder zu suchen; aber Herr Wolston hatte es nicht gestattet. Er war noch der Einzige, der bald zu Diesem, bald zu Jenem trat und ein Gespräch in Gang zu bringen suchte. Allein man sah bei alledem, wie ihm die hellen Angsttropfen auf der Stirn perlten …

Endlich kam von draußen ein dumpfes Geschrei: Er ist gefunden, im Garten! sie bringen ihn! hieß es.

Sie brachten ihn: blutig, zerschmettert, todt …


 << zurück weiter >>