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XXII.

Wie es so oft in dieser Kette von wechselvollen Bildern, die wir Leben nennen, zu geschehen pflegt, daß ein Vorhaben, auf das wir die schönste Hoffnung gesetzt haben, diese Hoffnung nicht nur nicht verwirklicht, sondern sogar für immer tötet, so war es auch mit Eduards Besuch in der Stanford-Universität: obwohl sich der kleine Professor im ganzen Laufe des Nachmittags die erdenklichste Mühe gab, bei seinem Gaste die trübe Laune, die ihm seine Vorführungen und Prophezeiungen verursacht hatten, wieder zu verwischen, indem er ihm sowohl alle Schätze und Sammlungen des Hauses wie auch die wirklich einzige Pracht der Umgegend zeigte, so war dies doch ganz vergeblich: der junge Bergmann blieb zerstreut, wortkarg und mißmutig. Er war eben schon von dem Schönheits- und Frohsinnsfieber San Franziskos tief ergriffen worden und sehnte sich wirklich mit allen Fasern nach dieser Stadt zurück.

Es war daher auch wohl ganz selbstverständlich, daß er die Einladung des Naturforschers, die Nacht bei ihm zuzubringen, fast mit Entsetzen ablehnte, und es war nicht allein die Furcht, daß sich irgend eins der fürchterlichen Untiere bis in sein Bett verirren könnte, sondern vielmehr der heftige Drang, diesen schönen und doch für ihn so reizlosen, ja abstoßenden Ort so schnell wie möglich wieder zu verlassen.

Und so bestieg er denn kurz nach sieben Uhr wieder seinen Zug und strebte zurück, seiner teuren neuen Heimat zu.

Und, o, wie jubelte sein Herz auf, als er endlich das weiße, zuckende Lichtmeer über der Stadt sah, ihn wieder vernahm den pochenden, heißen, liebedurchströmten Pulsschlag der Weltstadt! O, hätte er sie mit einer einzigen Umarmung erfassen können die Tausende von blühenden, glühenden Mädchen, die Blonden, die Braunen, die Schwarzlockigen, die Schlanken und Vollen, die Stolzen und Zutraulichen! Hätte er sie doch alle in einer Stunde seines Lebens mitempfinden können die glutenvollen Freuden und Wonnen, die dort vor ihm tausendfach in tollem Wirbel genossen, geschlürft wurden! Und dort drüben, weit da unten, im Westen hinter dem dunklen Magnoliastrauche, in weißen, zärtlichen Nachtgewande, – da stand Cäcilie mit ihrem süßen Madonnengesicht und den eine Welt von Entzücken versprechenden Augen; und oben an ihrem Fenster breitete Franziska, die Hohe, Hehre, wieder die Arme sehnsuchtstrunken in die Ferne aus! – Und diese beiden geborenen Priesterinnen der Liebe sollten, wollten nie einem Manne angehören!

Oh! –

Die Sinne des jungen Mannes fingen an zu wirbeln, sich grenzenlos zu verwirren, und es war gewiß sehr heilsam für ihn, daß auf einmal die nüchterne Prosa wieder in sein Leben eingriff, jetzt in der Gestalt des Bremsers, der schwerfällig durch den Wagen ging und laut ausrief: »Third and Towensend Street!« Also war er angelangt, endlich wieder zurück in seinem Frisko!«

Er stieg aus und das erste was er sah war ein großer, hellerleuchteter Passagierdampfer, der langsam und majestätisch den Meerbusen hinauffuhr, dem Orient zu. Noch schallten vom Strande her Abschiedsrufe in allen Sprachen, und vom Schiffe her kamen ebensolche Antworten zurück. Dieses glänzende Schauspiel erhöhte noch Eduards Feststimmung, und diese erreichte ihren Gipfel, als er im Hause der Williams nicht nur die drei Geschwister, sondern auch wieder die anderen ihm schon so lieb gewordenen Freunde, den Hauptmann Davenport, Professor Swing und den Chefredakteur Truth, wie natürlich auch sein Klärchen, bei einer äußerst lustigen Sektzecherei antraf.

»Ah, sieh da unser Ausreißer!« rief ihm Mr. Williams sogleich bei seinem Eintritt zu, »also habe ich meine Wette gewonnen«, fuhr er dann fort, »Davenport, Check über tausend Dollars her! Wir, der Hauptmann und ich haben nämlich gewettet«, wandte er sich nun aufs neue an den Ingenieur, »ob Sie die Nacht in Palo Alto bleiben würden oder nicht, – er ja, ich nein! Also heraus, Kapitän, mit dem schnöden Mammon!«

Und während jetzt der Hauptmann wirklich ein kleines Checkbuch hervorholte und die angegebene Summe mit der größten Ruhe ausschrieb, begrüßte Eduard zunächst die Schwestern, dann seine Gattin, und endlich die Herren!

Cäcilie hatte sich erhoben, einen Champagnerkelch vor ihn hingestellt und sich dann wieder niedergelassen. Eduard verfolgte jede ihrer Bewegungen mit so leuchtenden und doch wieder so verwirrten Blicken, daß es seinem Klärchen endlich auffiel. Aber sie sagte nichts und beschränkte sich darauf, ihren so leicht bewegten und erregten Mann genauer zu beobachten. Ach, sie hatte ja keine Ahnung davon, wie ihr Gatte, diesem Mädchen ganz fern, den ganzen Tag in ihrem Dunstkreise geschwärmt, geschwelgt hatte! –

»Nun, wie gehts denn dem kleinen Professor?« fragte in diesem Augenblicke Williams, »haben Sie ihm zu liebe nicht ein paar gebratene Skorpione oder Skolopender verspeisen müssen?«

Alle lachten; aber Eduard, dem jetzt noch einmal das sonderbare Verhalten und die merkwürdigen Worte des Forschers lebhaft einfielen, teilte dies der Gesellschaft mit. Hierauf wurde die Heiterkeit, das Gelächter geradezu toll, und besonders Davenport glaubte schier bersten zu müssen.

»Nein, solch ein närrischer Kauz!« rief er wiehernd aus, sich von Spinnen und Schlangen eine Katastrophe Voraussagen zu lassen! Der Kerl verdiente selber in einen Glaskasten als größte Rarität gesteckt zu werden!«

Und so ging es eine ganze Weile fort. Nur Eduard und Mr. Truth wechselten ernstere Worte, obwohl auch sie die Torheit des kleinen Gelehrten belächelt hatten.

Es war gut, daß kurz nach zehn Uhr der besonnene Prediger, Professor Swing, aufbrach, denn die ausgelassene Stimmung drohte auszuarten, ja umzuschlagen, und der Geistliche wußte wohl, daß dies bei seinen leicht- aber heißblütigen Landsleuten stets gefährlich war. Seiner Aufforderung folgte glücklicherweise auch der Hauptmann. Mr. Truth hatte schon lange zum Gehen gedrängt.

»Also nur ja morgen abend nicht vergessen!« rief ihnen der Wirt noch zu, »Anfang der Großen Oper: die Damen in großer Toilette, – die Herren in Frack und Zylinder!«

Und so trennte man sich endlich.

* * *

Da weder Eduard noch Klärchen mit der für den festlichen Opernabend nötigen Garderobe – sie hatten sich in Tokio sehr einfach trauen lassen – versehen war, so hatte ihnen Franziska die Adresse eines großen und feinen Geschäftes in der Second Street angegeben, wo sie sich beide von Kopf zu Fuß völlig neu einkleiden lassen könnten; und so fuhren sie denn gleich nach dem Frühstück in der prächtigen Karosse mit den feurigen Apfelschimmeln wieder die Washington Street hinab, kamen noch einmal, jetzt beide ebenfalls mit tiefem Widerwillen, am Chinesenviertel vorüber, wurden mit jedem zurückgelegten Meter Weges heiterer und glücklicher und langten endlich vor dem eleganten Geschäftshause an.

Ihre Wahl war schnell genug getroffen, denn Franziska hatte ihnen geraten, nur das beste und teuerste zu nehmen und die Rechnung einfach ihrem Bruder zustellen zu lassen.

Eduard konnte sich vor Staunen und Freude zugleich gar nicht fassen, als er etwa nach zwei Stunden sein einfaches Klärchen in die eleganteste Salondame verwandelt wiedersah, und auch das Frauchen machte allerhand schalkhafte Bemerkungen über »ihren so überaus zu seinem Vorteil veränderten Herrn Gemahl«. Eben wollten sie sich zurückziehen, um nun vorläufig wieder ihre gewöhnlichen Kleider anzulegen, als sie plötzlich eine Stimme, die ihnen bekannt vorkam, in spanischer Sprache reden hörten. Als sie sich nun schnell umwandten, – schrien beide laut auf vor Lachen, denn dort vor ihnen das kleine, runde, blonde Männchen, jetzt in vollem Stierfechterornate, das war ja der steinreiche Spanier, Señor Don Salvador Ruiz y Gutierrez. Ja, da stand er in der blutroten Samtrobe eines grausamen Matadors!

Übrigens schien er das immer noch anhaltende Lachen des Paares gar nicht übel zu nehmen, denn er trat nun schnell herzu, küßte Klärchen galant die Hand und sagte dann zu Eduard: »Ja, Sie werden sich gewiß etwas wundern, mich hier und in dieser Tracht zu sehen, aber die Sache ist eigentlich ganz einfach: es geht nämlich nächsten Sonntag ganz bestimmt los auf meiner Hacienda, ich meine natürlich das Stiergefecht, und da ich mir vorgenommen habe, mitzukämpfen, so habe ich mir vorerst einmal einen Anzug anprobiert. Sie kommen doch selbstverständlich hin, und Sie, gnädige Frau, doch auch, – ah, gewiß«, schlug er das Zaudern der beiden selber nieder, »Sie begleiten die schönsten Blumen unserer Stadt, Señorita Franziska und Doña Cäcilia, – welche Schönheiten!«

Und ganz schwärmerisch geworden, versank er eine Zeitlang scheinbar in tiefe Träumerei.

Aber auch Eduard sann ernst nach. Er verglich im Geiste die banale, schablonenhafte Anhimmelung dieses Spaniers mit der tiefen etwas düsteren Glut des Hauptmanns Davenport, und immer wieder tauchte die rätselhafte Frage empor: Wie war es nur möglich, daß sich jene beiden engelschönen Mädchen den hundertfachen Bewerbungen – denn nach allem, was Eduard gesehen und gehört hatte, mußten es so viel sein – bisher entzogen hatten und immer noch entzogen? Einen Augenblick kam ihm der häßliche, quälende Gedanke: am Ende sind es gar nicht seine Schwestern, sondern seine ... aber sofort scheuchte er diese Vorstellung weit von sich; er brauchte sich ja nur die Ähnlichkeit der drei, zumal ihrer Augen, zu vergegenwärtigen, um das Törichte dieses Gedankens einzusehen, aber tief in seiner Seele blieb trotzdem das dunkle »Warum?« wurzeln. –

Aber Señor Don Salvador hatte längst wieder sein Schwatzen fortgesetzt. Auf Klärchens Frage, ob er heute abend ebenfalls in die große Oper gehen würde, antwortete er jetzt: »Ah, gewiß doch, man muß ja hingehen, wenn man zur besten Gesellschaft gezählt sein will, obwohl ich, offen gestanden, nichts von Musik verstehe und während einer Oper regelmäßig – einschlafe. Also dort sehen wir uns wieder!«

Nachdem er dann noch die junge Frau mit einer wahren Flut von Schmeicheleien über die »unübertreffliche Eleganz ihrer Erscheinung« begossen hatte, trollte er sich endlich äußerst selbstgefällig davon.

»Wie nur dem Kopf ...« begann Eduard zu deklamieren, doch schnell brach er ab: »Ach was, wer wird sich jetzt das schöne Leben, mit so bitteren Philosophemen vergällen? Komm, Klärchen, wir müssen zurück! Du weißt: den heutigen Nachmittag wollen wir uns so recht am Strande bei dem Cliff House herumtummeln!«


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