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XVI.

»Kommen Sie, wir gehen die paar Schritte hinüber nach dem Präsidio«, sagte am nächsten Morgen Mr. Williams zu seinem jungen Gaste, der wahrhaft königlich geschlafen hatte und sich daher sehr aufgeräumt fühlte; »der Kapitän Davenport hat mir gestern abend noch versprochen, sich ihrer heute anzunehmen. Meine Schwestern haben schon den Wagen bestellt, und werden Ihrer Gattin die ganze Stadt zeigen. Da heute Mittwoch ist, so spielt nachmittag von drei bis vier Uhr unsere ausgezeichnete Regimentskapelle und Sie können sich dann bei dem Musikpavillon mit den Damen treffen. Wissen Sie übrigens was Davenport so krampfhaft im Pacific Union Klub gesucht hat?«

Und als Eduard, dem nun auf einmal wieder das geheimnisvolle, kosende Paar von gestern abend schmerzlich einfiel, verneinte, fuhr sein Wirt fort: »Den General Funston hat er aufstöbern wollen oder müssen, denn er hatte ihm eine sehr wichtige Meldung zu machen. Denken Sie nur: dieser Mensch, Funston, von Hause aus ein abenteuernder Reporter, ist seit kurzem hier der oberste Kommandeur und somit selbstverständlich auch Davenports höchster Vorgesetzter geworden! Merkwürdig, was doch diese Yankees für ein merkwürdiges Glück haben! Na, es soll mich blos wundern, wenn es nicht zwischen Davenport und diesem Kerl zu einem ganz gehörigen Krach kommt; aber nun wollen wir gehen!«

Wirklich waren sie schon nach einigen Minuten in den herrlichen Anlagen dieser mächtigen Kaserne angelangt, brauchten aber noch eine geraume Weile, bis sie zu den Gebäuden selbst kamen. Dies wurde ihnen jedoch in keiner Weise leid, denn es war ganz wundervoll, durch diese schön gehaltenen Alleen, an diesen prächtigen Blumenbeeten vorbeizuspazieren. Überall sprengten die Gärtner mit Gummischläuchen das üppige, kurzgeschnittene Gras, dem ein würziger, erquickender Geruch entströmte. Von der Meeresbucht herüber wehte eine köstliche Brise, die die beiden Männer bis ins tiefste Innere erfrischte.

Endlich betraten sie auch die Kaserne, wo allerdings die prächtige Luft da draußen mit dem typischen Soldatengeruch: nach alten Stiefeln und geringem Tabak abwechselte. Zum Glück fanden sie bald den Hauptmann, der ihrer schon gewartet zu haben schien. Eduard betrachtete ihn so aufmerksam, als wollte er aus seinem dunklen Gesicht, aus diesen schwarzen, blitzenden Augen die Wahrheit über die gestrige Schäferstunde herauslesen; aber dieser Mann verriet nichts als eine freudige Bereitwilligkeit, dem jungen Fremden die Stadt und vor allen Dingen das Chinesenviertel zu zeigen.

Eduard hoffte sich getäuscht zu haben.

»Nun gut«, sagte jetzt Williams, »ich überlasse Sie nun beide Ihrem Schicksal, das sich gewiß recht freundlich gestalten wird. Wir werden uns wohl erst bei der Abendtafel wiedersehen, Mr. Treubach, denn zu Mittag werden Sie wohl mit dem Kapitän in einer seiner geliebten chinesischen Wirtschaften essen; guten Appetit übrigens zu einem solennen – Rattenbraten!«

Und sich schüttelnd eilte er von dannen.

»Der gute Williams«, hub jetzt der Hauptmann an, »er hat nun einmal eine wahre Wut auf die Chinesen und Japaner«.

»Warum eigentlich?« fragte Eduard, eigentlich nur, um das Gespräch mit diesem Soldaten, vor dem er ein gelindes Grauen verspürte, einzuleiten.

Davenport zuckte die Achseln.

»Weiß ich's?« sagte er kurz; doch schon im nächsten Augenblicke schien er tiefer nachzusinnen, und er äußerte sich endlich: »Ich denke mir, sie stören sein Straßenbild! Ich meine: sie stören, trüben das Bild, das er von » seinem« San Franzisko zu sehen liebt, und das er gleichsam in seine Seele hineinphotographiert hat; ihm, dem Reichen, Glücklichen, dem Liebling der ganzen Stadt, erscheinen gewiß diese gelben, ausdruckslosen und – lassen wir Gerechtigkeit obwalten! – wirklich häßlichen Masken zwischen seinen schönen Mädchen, schönen Hügeln, schönen Blumen wie Schmutzflecke dieser Stadt!«

Eduard hatte erstaunt aufgehorcht. Nun und nimmer hätte er eine solche Ausdrucksweise und Gedankentiefe bei diesem rauhen Kriegsmann vorausgesetzt, und es kam dem jungen Ingenieur so vor, als spräche daraus auch gar nicht seine eigene, sondern eine viel feinere, zartere Seele, und aufs neue stand Cäciliens holde Gestalt vor seinem Geiste, klangen wieder die Worte seines Wirtes an sein Ohr, Worte, die sich auf Davenports ihn vollständig einnehmende und verändernde Leidenschaft für ein weibliches Wesen bezogen. –

»Hier kommt unsre Elektrische,« unterbrach der Hauptmann sein Nachdenken, »können Sie aufspringen oder soll ich halten lassen?«

Und schon war er mit einem Sprunge auf der hinteren Plattform des in vollster Eile dahinsausenden Wagens angelangt. Aber auch Eduard gab ihm an Gewandtheit nichts nach, und so standen bald die beiden friedlich nebeneinander und durchflogen den schönsten Stadtteil.

»Dort drüben, da die allerprächtigsten Villen, Schlösser und Paläste,« raunte der Offizier seinem Begleiter zu, indem er die Jones Street hinunterwies, »das ist Nob Hill, das Heim unserer größten Millionäre und Milliardäre!«

»Gehört denn Mr. Williams nicht zu diesen?« fragte Eduard verwundert.

Davenport lächelte eigentümlich und erwiderte: »Ich habe ihm noch nie in seinen Geldbeutel hineingeguckt – das tut man hierzulande nicht! –, ich weiß nur so viel: er will nicht dazu gehören, er nimmt es überhaupt übel, wenn man ihm von seinem Vermögen spricht, und so lassen auch Sie sich dies gesagt sein, wollen Sie sich dauernd seine Freundschaft erhalten, – aber hoppla! hier sind wir!

Er war abgesprungen und Eduard folgte seinem Beispiel. »Stockton Street«, las er laut an der nächsten Straßenecke.

Aber schon seit einiger Zeit hatte er bemerkt, daß die Häuser wieder kleiner, ärmlicher, dafür aber immer dichter aneinandergedrängt wurden, und abenteuerliche Holzschnitzereien in Gestalt von Drachenköpfen, Schlangen, unsagbar scheußlichen Menschenköpfen, Krokodilen und dergleichen Abgeschmacktheiten mehr zeigten; die eben noch so balsamische Luft wurde dick und brenzlich, und immer zahlreicher tauchten nach und nach bezopfte, schlitzäugige Männer in blauen, weiten Kitteln und weißen, lautlosen Filzschuhen auf; ihr abscheuliches Geschnatter, das im Mittelpunkt der Stadt nur schüchtern erklungen war, tönte hier laut und anmaßend, als ob sie, die Chinesen, hier die rechtmäßigen Herren und Gebieter, und die weißen Besucher nur die Eindringlinge, die von ihnen Geduldeten wären. Frauen und Kinder zeigten sich nur spärlich.

In den dicken, brenzlichen Geruch, der dieses Gewirr von wimmelnden Gassen und Gäßchen überall durchzog, mischte sich nach einer Weile ein für Eduard förmlich höllisches, giftiges Parfüm, das ihm fast Brechreiz verursachte. Es entströmte einer Art von Kerze, die an verschiedenen Stellen von dreisten chinesischen Straßenverkäufern den Besuchern unter die Nase gehalten wurde. Überhaupt wirkte auf den jungen Bergmann bald das Ganze: dieses Getümmel von widerlichen, kreischenden Menschen, die schreiende Malerei ringsumher, die grotesken Fratzen der Holzbilder, diese übertriebenen Riesenfächer, die sich im wahren Sinne des Wortes unverschämt breitzumachen strebten, diese beinahe krampfhafte Zusammenschweißung von Hütten und Menschen, der betäubende Geruch, – lange nicht so interessant und anziehend, wie er noch gestern gehofft hatte, und er beschloß, seinem Frauchen eine Besichtigung dieses Viertels auszureden.

Aber sein Begleiter, Davenport, schien an all diesem Treiben nur den größten Gefallen zu finden. Er schmunzelte behaglich vor sich hin, rief hie und da einem »Sohn der Mitte« ein chinesisches Wort zu, worüber sich der andere vor Lachen schüttelte, gab sogar hin und wieder einem besonders riesigen Zopfträger die Hand und sagte schließlich zu seinem Gefährten: »Hier sind wir in der Dupont Street mit ihren weltberühmten chinesischen Restaurants; wenn Sie niemals zuvor in Ihrem Leben Tee, richtigen Tee, getrunken haben, – hier ist der Ort, ihn zu genießen und zu schätzen!«

»Aber, Kapitän,« entgegnete Eduard mehr und mehr angewidert, »Sie vergessen ja ganz, daß ich geradewegs von Tokio, Japan, komme und daß dort der Tee ...«

»Tut nicht das Geringste zur Sache!« unterbrach ihn der Offizier mit einer merkwürdigen Starrsinnigkeit und Heftigkeit; »ich wiederhole Ihnen: eine solche Tasse Tee, wie beispielsweise hier in dieser Wirtschaft, bekommen Sie auf dem ganzen Erdenrund nicht wieder; kommen Sie und werden Sie aus einem Saulus ein Paulus!«

Eduard wollte seinen Führer nicht verletzen, und so folgte er ihm in die niedrige, ebenfalls höchst phantastisch ausgeschmückte Trinkstube. Hier roch es aber wirklich nach einem ganz vorzüglichen Tee, und so ließ er sich schließlich bestimmen, eine Tasse zu trinken. Als sich seine Augen nach und nach an das dämmrige Halbdunkel gewöhnt hatten, bemerkte er plötzlich zu seiner großen Überraschung und Freude den kleinen Professor Cyliax, der sich auch das dampfende Getränk in der kleinen, bunten Tasse vor ihm gutschmecken zu lassen schien. Aber er hatte auch eine große Schachtel unter dem Arm, die er sehr sorgsam hütete. Eduard entschuldigte sich nun für einen Augenblick und eilte auf den kleinen Naturforscher zu. Aber dieser war gar nicht erstaunt, seinen Reisegefährten hier zu finden; mit der größten Seelenruhe sagte er: »Ich komme jede Woche regelmäßig hierher; der Besitzer dieser Wirtschaft, Herr Lang Chin Hey, läßt mir immer mit seinen Teesendungen aus China sehr seltene und vor allem äußerst giftige Entomen mitschicken, sehen Sie nur, was für Prachtexemplare!«

Und mit einem wahren Feuereifer öffnete er die Schachtel und hielt dem erschauernden jungen Manne eine ganze Sammlung allerhand scheußlichen Gewürms dicht vor die Augen.

»Und nicht wahr,« fuhr der Kleine wie begeistert fort, »Sie machen Ihr Versprechen wahr und schicken mir aus Mexiko alle Insekten meiner Sorte, die Sie und Ihre Angestellten nur finden; ich bin für alles dankbar! Und vergessen Sie auch ja nicht, mich in Palo Alto zu besuchen!«

Nachdem ihm Eduard beides zugesagt hatte, verabschiedete sich der merkwürdige Mann mit einer Stimme, die vor erwartungsvoller Freude bebte, und hinkte hinaus.

Aber auch Eduard blieb nicht mehr lange. Er kehrte zu dem kleinen, runden und so bunt bemalten Tisch, daß man unwillkürlich an eine plumpe Reklame für China glauben konnte, an dem Davenport saß, zurück, und der Hauptmann sprang sofort auf.

»Nun gehen wir noch ein Weilchen ins chinesische Theater, und dann wird es Zeit, unsere Damen aufzusuchen,« sagte er, indem er seinen Hut aufsetzte.

Mit einem leisen Seufzer folgte ihm Eduard. Er hatte diesen ganzen Ort mit seinem grotesken, unmöglichen Bilderschmuck, seinem kreischenden Geschnatter, dem üblen Dunste herzlich satt und hätte ihn so gern auf der Stelle verlassen. Aber andrerseits mochte er seinen Gefährten, der sich hier, wunderbarerweise, nach dem Genuß des Tees immer behaglicher zu fühlen schien, nicht kränken.

Und so traten sie denn in eine jener Schaubuden ein, auf deren Bühne sich das ganze bizarre Wesen da draußen in der konzentriertesten Form wiederholte: Gelbe Kerle in schwere, wie toll gemusterte Seidenkleider gehüllt, schrien, heulten, flogen aufeinander los, erstachen sich, schlitzten sich selber oder einander scheinbar den Bauch auf, verschwanden, kamen wieder, kreischten aufs neue, – es erschien dem jungen Bergmann äußerst albern und lächerlich!

»Solch ein Stück,« hub der Soldat wieder an, als sie endlich ins Freie zurückgekehrt waren, »dauert oft einen ganzen Tag, ja zuweilen mehrere Tage, man kann zu irgend einer Zeit hineingehen. Nun haben sie genug von dieser Gegend geschaut, oder wollen Sie noch ...«

»Ja ja, genug, Gottseidank!« unterbrach ihn Eduard aufatmend, und dann, als wollte er mit einem Schlage aus all dieser Häßlichkeit zur höchsten Schönheit zurückkehren, fragte er zu seiner eigenen späteren Verwunderung den Offizier: »Sagen Sie doch, Kapitän, ist Fräulein Cäcilie Williams eigentlich Ihre Braut?«

Ein scharfer Blitz brach bei diesen Worten aus den dunkeln Augen des Soldaten. »Er blieb stehen, senkte seine Blicke drohend in die Eduards und fragte: »Wie kommen Sie darauf?«

»Ihnen die Wahrheit zu gestehen,« antwortete der Ingenieur treuherzig, »ich weiß es selber nicht! Ich glaubte, so etwas bemerkt zu haben,« fuhr er sodann fort, »Ihre Blicke, – das Benehmen der jungen Dame, die Erscheinung gestern abend, – kurz, es kam mir so vor, als ob sich in diesem Klima, unter dieser liebebrütenden Sonne, in dieser rosenduftatmenden, kosenden blauen Luft Mann und Weib gar nicht anders nahe kommen könnten, ohne sich als Braut und Bräutigam in die Arme zu sinken!«

Einen Augenblick lächelte der Offizier, während er sagte: »Sie beobachten scharf und lernen schnell!« Doch gleich hierauf wurde er sehr niedergeschlagen, ja traurig.

»Ach, könnte es doch sein!« rief er tief aufseufzend aus, »o, mein gütiger Himmel, wäre es doch nur möglich! Aber leider, – leider! – Jene beiden Mädchen werden nie heiraten!« stieß er jetzt rauh und heftig hervor. Und als ihn nun Eduard mit erstaunter Frage anblickte, fuhr er kurz und abgerissen fort: »Es ist so! Verlassen Sie sich darauf! Beide haben ein Gelübde abgelegt, als Jungfrauen ins Grab zu steigen!«

Ein tiefer, grimmiger Schmerz zitterte durch seine Worte.

»Aber,« begann Eduard nun, der jetzt wieder an das sich umschlungen haltende Paar im nächtlichen Garten denken mußte ...

Doch sofort unterbrach ihn nun streng der Hauptmann mit den Worten: »Kein Aber! Reden wir nicht mehr von diesen Damen, die für mich heilig und unantastbar sind!«

Aber gleich darauf wurde er wieder sehr freundlich und mit seiner gewöhnlichen Stimme fuhr er fort: »Na, hier sind wir ja schon wieder in der Stockton Street; das Chinesenviertel liegt hinter uns! Morgen nehme ich Sie und hoffentlich auch Ihre Frau Gemahlin und die Schwestern nach dem Golden Gate Park; jetzt aber, Marsch, zurück nach dem Präsidio! Es ist schon beinahe halb drei Uhr.


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