Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

»Ich hoffe, meine Herrschaften,« redete Franziska das Ehepaar an, als sich die kleine Gesellschaft an der mächtigen Tafel, die von dröhnenden Banketten, den ausgelassensten Schwelgereien in beredtem Schweigen zu erzählen schien, auf die roten, der trefflichsten Holzbildhauerkunst entstammenden Stühle niederließ, »ich hoffe, Sie werden mit unserm frugalen Lunch gütigst vorlieb nehmen!«

Die nunmehr recht heiße Mittagssonne flutete durch die gemalten Fenster des Speisesaales und verbreitete ein buntes, sanftes Licht, wie in einer Kirche. Dieses gedämpfte Licht schien diskret den auch hier fast erdrückenden Reichtum des Raumes verhüllen zu wollen. Und so sahen auch Eduard und Klärchen erst nach längerer Beobachtung die schweren, roten Büfetts, die getäfelten Wände – Kunstwerke berühmter französischer Holzbildhauer –die Unzahl von Geweihen aller Art und Hirsch-, Antilopen- und Wildschwein-Köpfen, die Stillleben, wiederum Meisterwerke französischer Maler, und wieder dicht daneben – diesmal zwar nicht Stümperarbeiten – wohl aber ganz gewöhnliche Öldrucke, auf denen die Orangen aussahen wie zerknüllte Papierbälle und die Fasane wie Flederwische. Im Halbkreise um jedes Gedeck herum standen etwa ein Dutzend Gläser der verschiedensten Form und Farbe, aber alle aus dem feinsten Kristallglas und jedes mit dem eingeschliffenen Monogramm der Familie Williams. –

Zunächst reichten die beiden Diener – es waren Snowball und ein anderer junger Mensch, anscheinend ein Mestize – Kaviar herum und gossen hierzu Madeira in die kleinsten der aufgestellten Weingläser. Franziska eröffnete das Mahl, indem sie ihr Gläschen erhob und dem Paare lieblich zunickte: »Noch einmal herzlich willkommen in Frisko!«

Eduard und Klärchen dankten stumm, denn vorderhand waren sie nicht fähig, ein Wort hervorzubringen, so überwältigte sie diese Sphäre einer ungewohnten Üppigkeit und noch mehr die Ahnung der kommenden Genüsse mit ihren wechselreichen, heißen Empfindungen. –

»Sagen Sie doch, Professor,« rief jetzt Cäcilie dem Prediger Swing zu, »haben Sie nun wirklich das Landhaus mit seinem großen Obstgarten in Mount Diablo gekauft?«

»Ja,« erwiderte dieser, »und wir wollen einmal alle einen Abstecher dorthin machen.«

»Teuer?« fragte Cäcilie weiter, ohne sich um die letzten Worte des Professors zu kümmern.

»Na, eine Viertelmillion Dollars«, warf dieser leicht hin.

»Ziemlich billig,« brummte der Hauptmann Davenport, »dafür hätte ich's auch genommen!«

»Geben Sie mir dreihunderttausend, und Sie haben's!« wandte sich Swing schnell zu ihm.

»Werd' mir's überlegen,« gab der Offizier zurück, während er seine Nachbarin Cäcilie ansah, als ob er nur von ihren Lippen das »Ja« oder »Nein« erwartete. –

Bouillon wurde jetzt aufgetragen in schönen, goldenen Tassen, und die Knaben schenkten Chablis ein.

»Mein Bruder dachte auch eine Zeitlang daran, jenes Grundstück zu erstehen, aber es war ihm zu sehr abgelegen«, ließ sich nun Franziska vernehmen; »er hat aber etwas ganz Wundervolles in Aussicht, in oder dicht bei Sausalito.«

»Wieviel?« fragten der Prediger und Davenport begierig wie aus einem Munde.

»Ich weiß es nicht genau,« entgegnete das Fräulein, »aber es wird nicht viel an einer Million fehlen.«

»Na, wenn's nur schön ist!« sagte Swing mit der größten Seelenruhe. –

Und so ging es eine ganze Zeitlang fort. Während Fisch und der erste Braten – Rehziemer – erschien, mit einem ganz alten Chambertin dazu, wurde hier an dieser glänzenden, schwelgerischen Tafel über Grundeigentum im Werte von Millionen unterhandelt, mit einer Ruhe, einer Gleichgültigkeit, wie an andern Orten über ein neues Halstuch oder einen Regenschirm, und staunend bemerkten die jungen Eheleute, daß es sich dabei immer nur um Obstgärten, Weinberge oder Blumenzüchtereien handelte, als ob es in dieser Welt nichts wichtigeres gäbe als froh zu genießen und andere genießen zu lassen, sich selbst und andere festlich zu schmücken, und als ob gar kein Land nötig wäre für ernste Landwirtschaft und für – Kirchhöfe! – Und während nun die goldene, heiße Luft Kaliforniens immer gewaltiger hereinströmte und zusammen mit den edlen Getränken die Herzen hob, die Gesichter rötete und die Augen erglühen machte, fühlte Eduard plötzlich diesen vier Menschen da vor sich die ganze Lebenswonne, den ganzen Daseinsjubel deutlich nach und ganz leise kam es von seinen Lippen: »Frisko!« – –

Aber in diesem Augenblicke entstand draußen ein Geräusch, und gleich darauf trat Mr. Williams, begleitet von zwei Herren, ein.

Die Mädchen flogen von ihren Sitzen auf und riefen: »Ah, Mr. Truth!« und: »Das ist einmal hübsch von Ihnen, Mr. Dingley!«

Professor Swing und Hauptmann Davenport hatten sich nur bedächtig erhoben und stumm verbeugt; der Kapitän mit einem recht finsteren, feindseligen Blick auf den jüngeren der beiden soeben eingetroffenen Männer. Nun begrüßte der Hausherr zunächst das junge Paar aufs herzlichste, entschuldigte sich noch einmal für seine Eile von heute morgen und bat dann alle Herrschaften, sich nun wieder niederzulassen und es sich recht, recht bequem zu machen; er selber habe schon bei dem Gouverneur »geluncht«.

»So macht er es immer!« sagte Franziska mit reizendem Schmollen, »man hat wirklich wenig von dieser Bruderliebe: entweder er ist verreist oder er »mimt« Geschäfte!«

Williams klopfte sie liebevoll auf die Backe, küßte ihre Stirn und sagte lächelnd: »Mimen« ist sehr gut! Na, Fränzchen«, fuhr er dann fort, »mein Ehrenwort drauf: von jetzt an will ich wirklich pünktlich zu Euren Mahlzeiten erscheinen!«

Die Schwester ließ ein feines Lächeln um ihre kirschroten, schwellenden Lippen sehen und sagte: »Jaja, der Geist ist sehr willig ... wenn's nur da draußen nicht gar so lieblich schwirrte und gährte, nicht wahr?« Und ihre Handbewegung gegen das bunte Fenster hin schien die ganze Anziehungskraft des brausenden, jubelnden Lebens von San Franzisko andeuten zu wollen, sowie auch ihre eigene tiefe Sehnsucht danach.

Aber der »frugale Lunch« nahm seinen Fortgang. Es kam noch Puter mit Trüffeln, dazu ein schwerer Kapwein, dann noch Rebhühner mit den ausgewähltesten Artischocken, ein Riesenpudding mit grünem Chartreuse, schließlich die unvermeidlichen Schalen – alle aus Gold – mit den verschiedensten Früchten, die kein Mensch anrührte, und zuguterletzt roter französischer Champagner, ebenfalls in einem goldnen Kühler ruhend.

Unglücklicherweise hatte sich der jüngere Fremde, den Davenport schon gleich bei seinem Eintritt so düster und drohend angeblickt hatte, grade neben diesen gesetzt und plauderte jetzt ganz harmlos von einem riesigen Holzgeschäft, das er vorhin durch die Vermittlung seines Freundes Williams mit dem Gouverneur abgeschlossen hatte.

»Es hat noch eine gewaltige Zukunft, dieses kalifornische Redwood«, sagte er jetzt, »und ich persönlich werde es mir sehr angelegen sein lassen, es im Osten energisch einzuführen!«

Dabei bemerkte Eduard, daß dieser Holzhändler die schöne Cäcilie mit den Augen förmlich verschlang, ja, daß er in die Wucht seiner Worte nur seine heiße Liebe zu dieser Einzigen hineinlegte, damit die Angebetete mehr und mehr den ganzen Umfang seiner Leidenschaft erkenne. Doch Cäcilie schien nichts von alledem zu merken; sie saß ruhig da und hielt die tiefblauen Augen meist gesenkt, als lese sie süße Geheimnisse in ihrer eignen Seele. – Dafür bekümmerte sich aber Kapitän Davenport desto eifriger um das verliebte Wesen des jungen Kaufmannes: sein dunkles Gesicht wurde röter und röter, die Ader auf seiner Stirn schwoll hoch auf, und seine Augen sprühten wahrhaft verheerende Blitze. Aber noch bezwang er sich unter dem milden Zauber von Cäciliens Augen, die diese von Zeit zu Zeit warnend und flehend zugleich auf ihn richtete. –

Jetzt ließ sich auch endlich Mr. Truth, der Chefredakteur des »Daily Chronikle«, hören; er war gewöhnlich sehr schweigsam, nur wenn er starken Getränken zusprach, wurde er redselig und schwatzhaft. Er zog eine Zeitung aus der Tasche und rief laut aus: »Hören Sie doch bloß einmal an, meine Herrschaften, was sich da wieder so eine deutsche Reporterseele, solch ein mit unseren Verhältnissen total unbekannter Skribifax für ein Urteil über unsere schöne Stadt und seine Bewohner anmaßt! Der Wisch ist aus Berlin, und der Artikel leistet sich unter anderem folgendes: »Ohne Blumen und ohne Lachen waren nie die Kinder der Abenteurer zweier Welten, die vor einem halben Jahrhundert im Sakramentotale Gold und neue Namen suchten und den mühelosen Erwerb in Frisko« – »er schreibt wirklich »Frisko«, der Schwätzer« – unterbrach er sich einen Augenblick und las dann weiter: »im tollen Rausch der Argonautenjahre verschleuderten. Die gestern gefundenen Goldkörner flogen in Sing- und Tanzhallen leichtfüßigen und leichtsinnigen Dingern zu, die später Frauen der Goldsucher« – »hört! hört!« – »wurden. Auf solche Pärchen führt der niedrige Stammbaum der Millionäre von Nobhill und der meisten kalifornischen Familien zurück. Der Väter und Mütter leichtes Blut fließt heute noch in den Adern der Nachgeborenen!!«

Hier lachten alle Anwesenden ausgelassen auf, nur Davenport sagte finster: »Ach, Mr. Truth, bitte, verschonen Sie uns doch mit solchem vollkommenen Blödsinn, solchem Unrat!«

Doch der Chefredakteur schleuderte ihm heftig entgegen: »Sie haben mir gar nichts zu gebieten, Kapitän, Sie sind hier nicht der Hausherr, noch nicht!«

Und als hierauf der Offizier wütend aufsprang und in drohender Haltung auf den Journalisten zutrat, stellte sich Mr. Williams ruhig – o, wie lebhaft mußte jetzt Eduard an das Vorgehen dieses Mannes denken, damals auf dem »Rostand«, mitten unter den entfesselten Heizern – zwischen die beiden und sagte lächelnd: »Wie, meine Herren! Hier in meinem fröhlichen Hause, unter den Augen dieser Damen, wollt Ihr Euch die Hälse brechen? Und wegen einer solchen Kleinigkeit! Solch einer faden Aussage des ersten besten Schreibers – das wäre ja noch schöner. Setzt Euch nur beide wieder hin und trinkt einen Versöhnungskelch!«

Aber das Blut des Hauptmanns war zu wild emporgekocht; nicht einmal die sanften, lieben Blicke Cäciliens vermochten es nun niederzuzwingen. Im Gegenteil: er schoß jetzt Wutblicke bald auf diese, bald auf den Holzkaufmann und stieß endlich heiser hervor: »Es ist nicht blos diese Kleinigkeit, Williams, es ist etwas ganz anderes! Seit der da ist« – er wies heftig auf Dingley hin – »werde ich hier stumm fortwährend beleidigt! Deine Schwester kann ja tun, was ihr beliebt, kann liebäugeln mit wem sie will, nur so geflissentlich mirs zu zeigen braucht sie nicht, – ich danke für solche Gastfreundschaft!«

Und nun gab es einen allgemeinen Tumult: man hätte glauben können, sich nicht unter den Reichsten und Vornehmsten der Stadt, sondern unter angetrunkenen Handlangern zu befinden. Auch Dingley, der Holzhändler, war bei den beleidigenden Worten: »Seit der da ist ...« aufgestanden und mit geballter Faust auf den Hauptmann zugetreten, der seinerseits die Hand an die linke Seite legte, als wollte er nach seinem Degen greifen, den er natürlich draußen abgelegt hatte. Der Chefredakteur hatte ausgerufen: »Roher Patron!«, was Davenport zum Glück in seinem tauben und blinden Zorn nicht gehört hatte, und sogar der Prediger, der sanfte Professor Swing, der sonstige Weise, schloß instinktiv die Fäuste, als ob auch er sich nicht ausschließen wollte, »wenn es losginge!« – Es war leicht zu sehen: Die Feinheit dieser Leute war nur Tünche! – Die vollkommen unschuldige Cäcilie war auf den Vorwurf des Hauptmanns sehr blaß geworden, und ihre schönen Augen starrten den Offizier so bestürzt an, als wäre bei diesem plötzlich der helle Wahnsinn ausgebrochen; ihr liebes Madonnengesicht zeigte nun weder Liebe noch Groll, sondern nur die eine große Frage: Warum? Warum mußtest Du Dich so zeigen? – –

Aber Mr. Williams schien die Sache als nichtig, als heiter aufzufassen. Sein rotes »aristokratisches« Gesicht lächelte nach wie vor. Er trat einen Augenblick dicht an die Seite des Hauptmanns, flüsterte ihm etwas ins Ohr, und drückte ihm dann schnell die Hand, worauf sich Davenport kurz gegen die andern verneigte und den Saal verließ.

»Der gute Junge«, sagte nun der Hausherr, »denn das ist er, aber heute hat er zuviel getrunken; auch macht ihn die Eifersucht ganz toll! Nun ich werde mir ihn morgen einmal wieder gehörig vornehmen! Sind wir fertig, Franziska?«

»Jawohl«, antwortete diese, der man deutlich ansehen konnte, wie verstimmend dieser bedauerliche Zwischenfall auf ihr stetes Verlangen nach Schönheit und Harmonie auf sie eingewirkt hatte.

»Dann darf ich wohl die Herren bitten, mir nach dem Rauchzimmer zu folgen; meine Schwestern werden für Sie Sorge tragen, Mrs. Treubach«.


 << zurück weiter >>