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V.

Nach wenigen Schritten standen sie vor einer Kajüte, deren Tür offen stand, und in der sich augenblicklich kein Mensch aufzuhalten schien. Als aber Degenrot laut rief: »Herr Cyliax!« kam aus irgend einer Ecke ein wunderliches Wesen hervorgekrochen. Es war ein Zwerg, dieser ganz kleine, verwachsene und lahme Mann mit Haaren, schon grau, die, in der Mitte gescheitelt, ihm bis auf die Schultern herniederfielen. Der Gesichtsausdruck ähnlicher unglücklicher Wesen ist in der Regel boshaft oder finster; nicht so die Züge dieses Gnomen: sein völlig bartloses, faltiges und fettes Gesicht zeigte eine große, kindliche Gutmütigkeit, eine tiefe Zufriedenheit mit der Welt und sich selbst.

»Jawohl, Herr Degenrot!« sagte er mit einer jener stets etwas bebenden Stimme, die den Anredenden um die Kühnheit, überhaupt sprechen zu können, anzuflehen scheinen – »jawohl, denken Sie nur, ich habe hier auf dem Schiffe, in meiner eigenen Kabine, eine große Kellerassel – oniscus asellus – entdeckt, die ich noch nicht kannte; hoffentlich ist sie giftig!«

Und zum Staunen und Schrecken der beiden Besucher legte er seinen Zeigefinger an die Freßzangen des ekelhaften Insektes, das er zwischen zwei Fingern seiner Linken eingeklemmt hielt.

Der Offizier sah seinen Freund mit einem Seitenblicke an, der deutlich sagte: »Nun, habe ich nicht recht gehabt? Kann es wohl einen drolligeren Kauz geben?«

Aber Herr Cyliax achtete gar nicht auf die beiden, er hatte nur Aufmerksamkeit für den Wurm. Unwillig betrachtete er diesen und murmelte endlich entrüstet: »Es will nicht beißen, das Tier! Na, dann in Spiritus mit Dir! Das Mikroskop wird mir später schon sagen, wie es mit Dir steht!« Und nun beugte er sich mühselig, indem er seine beiden Stöcke auf den Boden legte, nieder und holte, unter seiner Koje eine große Glaskrause hervor, worin es von scheußlichem – Gottseidank jetzt toten Gewürm nur so wimmelte.

»So, hinein mit Dir!« sagte nun der Naturforscher mit leuchtenden Blicken, dann fuhr er fort: »Ich vermute, Herr Leutnant, daß Sie mir diesen Herrn hergebracht haben, damit auch er einmal die seltenen Exemplare meiner Sammlung sehe. So kommen Sie nun auch, bitte, völlig herein, ich will die Tür schließen, denn aller Welt zeige ich solche Kostbarkeiten nicht!«

»Kostbarkeiten nennen Sie das?« fragte Eduard sich schüttelnd, »diese furchtbaren, mörderischen Tiere?«

»Nun natürlich!« rief Cyliax aus, während er den Sprecher halb erstaunt halb unwillig anblickte, »natürlich sind sie das für den Eingeweihten, für den Forscher!«

Aber dem Seemann kam plötzlich ein neckischer Einfall.

»Herr Cyliax,« wandte er sich an den Zwerg, der sich gerade anschickte, seine greulichen Lieblinge vorzustellen, »Herr Cyliax, mein Freund hier ist Mineningenieur, geht als solcher nach einem Bergwerk in Mexiko, und ich glaube, wenn Sie ihn recht darum bitten, so könnte er Ihre Sammlung ansehnlich bereichern!«

Fast hätte der kleine Naturforscher sein teures Gefäß fallen lassen, so elektrisierten ihn die Worte des Offiziers. Seine Augen brannten jetzt förmlich, und stürmisch rief er aus: »Ja, o ja, wenn Sie das wirklich für mich tun wollten, – bis an mein Lebensende würde ich Ihnen dankbar sein! Grade in Mexiko gibt es ja wahre Prachtexemplare meiner von mir so emsig gesuchten Tierchen; es finden sich da die niguas, die vinagrillos, die caballitos, die cabezas de niña niguas (gefährliche Sandflöhe); die andern 3 äußerst giftige, spinnen-, libellen- und grillenähnliche Insekten, meist in Mexiko lebend; der Biß dieser drei ist fast immer tödlich. und noch eine große für einen Entomologen oder besser gesagt, Entomophilen geradezu unschätzbare Kreaturen! Wollen Sie mir diese Liebe antun, ja? Sie brauchen alles nur an Professor Cyliax unter der Adresse » Stanford University, San Francisco, California« zu schicken, und im Voraus meinen allerwärmsten Dank! Nun will ich Ihnen aber auch meine Entomen vorführen!«

Und er hob das wimmelnde Glas liebevoll in die Höhe.

Aber Eduard, den nur dieser kleine Gelehrte interessierte und der sich höchlich darüber wunderte, daß ein wirklich angestellter Professor zweiter Kajüte reise, fragte schnell: »So wohnen Sie auch in San Franzisko?«

»Nicht eigentlich in San Franzisko,« antwortete der Professor ein wenig verwundert über das Ungestüm, das in dieser Frage lag, »die Stanford Universität liegt in Palo Alto, etwa vierzig englische Meilen südlich von San Franzisko, ist aber sehr leicht und bequem mit einem Vorortszug, die Küste entlang, zu erreichen, und da die kleine Reise durch wahre Wunder an landschaftlichen Schönheiten führt, so würde ich Ihnen dringend raten, den Ausflug zu unternehmen und mich aufzusuchen; ich werde Sie aufs allerbeste aufnehmen!«

»Daran zweifle ich auch nicht einen Augenblick, Herr Professor, erwiderte Eduard, »aber meine Zeit wird mir kaum gestatten, auch nur alle die Herrlichkeiten von San Franzisko selbst zu bewundern; übrigens haben wir hier an Bord einen Herrn, der seit vielen Jahren in jener schönen, heitern Stadt zu wohnen angibt; er spielt dort draußen auf Deck »Ringwerfen«.

»Ist er in Ihrer, der ersten Kajüte?« fragte nun der kleine Forscher.

»Jawohl!«

»Dann dürfte ich ihn kaum kennen, ich habe eine Antipathie gegen die Leute, die gewöhnlich erster Klasse reisen,« sagte der Professor; »im allgemeinen findet man, wenigstens auf Ozeandampfern, viel nettere Menschen in der zweiten; doch ist das Ansichts- und Geschmackssache! Was aber Ihren Herrn aus Frisko anbetrifft, so wollen wir doch einmal sehen, ich habe ja früher ebenfalls viele Jahre dort an der » California University« den entomologischen Lehrstuhl inne gehabt.«

Nach diesen Worten ergriff er ein auf seinem Bette liegendes, schon nach seinem Auge gestelltes Fernglas, öffnete ganz leise die Tür und hinkte hinaus.

Die beiden andern blieben in der Kajüte.

Nach wenigen Minuten schon kehrte der Gelehrte zurück und nickte noch zufriedener als gewöhnlich.

»Nun gewiß doch,« flehte seine bebende Stimme, »wer kennt denn in San Franzisko Mr. Williams nicht? Einen der reichsten, fröhlichsten und dabei wohltätigsten Bürger der Stadt!«

Ein äußerst freudiges Gefühl durchrieselte Eduards Herz: so, genau so hatte er den Kalifornier eingeschätzt. Aber als guter, zärtlicher Gatte glaubte er auch das Gefühl seines Klärchens, die doch vor kurzem eine leichte Scheu gegen diesen Mann ausgesprochen hatte, ehren zu müssen, und so fragte er aufs neue: »Ist er nicht ein wenig leicht, Herr Professor, der holden Weiblichkeit ein bischen zu sehr ergeben?«

Ein sonniges, glückliches Lächeln flog über das glatte Gesicht des kleinen Naturforschers.

»Ach, Sie waren noch nie in San Franzisko, das hört man sofort!« rief er mit einer gewissen Begeisterung aus, »ja mein lieber Herr Treubach, so ist dort alles! Das ist ja eben das einzige, unvergleichliche Frisko, der Himmel segne es für und für! Eine Stadt, wie es keine wieder auf dem ganzen Erdenrund gibt, beseelt von Heiterkeit und Frohsinn! – Nein, mein Herr, was Sie für »leicht« und »der Weiblichkeit übermäßig zugetan« halten, das ist nur diese herrliche, aus einem tief fröhlichen Herzen quellende Kameradschaft! » Free-and-easy, whole-soul, go-as-you-please!« So nennt der Amerikaner treffend und glücklich die prächtige, geistige Atmosphäre, von der man vom ersten Tage an in der lieben, lieben Stadt umgeben ist –, nun, Sie werden es ja bald an Ihrer eigenen Seele erfahren!«

»Ob Sie Ihr Frauchen diesem Mann anvertrauen können?« fuhr er fast beleidigt fort, als ihm Eduard von der Einladung des Kaliforniers erzählt hatte, »aber, Herr Treubach, fast möchte ich Sie kleingeistig, engherzig schelten, daß Sie mir diese Frage noch vorlegen, nach allem, was ich Ihnen soeben gesagt habe! Wahrlich, in einem Nonnenkloster könnte Ihre Gattin nicht besser aufgehoben sein als im Hause dieses Ehrenmannes, und ich sage Ihnen: Sie können ihm dankbar sein für die Ehre dieser Einladung! Etwas anders ist es schon, ob Sie und Ihre Frau Gemahlin bei ihm die gewünschte Ruhe finden werden: er bewohnt in den Pacific Heights ein prächtiges Haus, das sehr gesucht wird und seinen vielen vertrauten Freunden stets gastfreundlich offen steht.«

»Ach, die Ruhe!« entgegnete Eduard, »daran liegt mir nichts! Ich will in San Franzisko nicht schlafen! Jemehr Leben desto bester! Und das bischen verlorenen Schlaf holen wir später, in unserer stillen Mine vollauf wieder ein! Aber noch eine Frage: Mr. Williams ist nicht verheiratet?«

»Nein,« antwortete der Kleine, »er lebt zusammen mit zwei Schwestern, entzückenden Mädchen, die ebenfalls noch ledig sind. Es ist mir immer so vorgekommen,« fuhr er fort, wobei wieder ein sonniges Lächeln über seine Züge glitt, als ob unser guter Williams alle Frauen zu gern hat, als daß er eine so auszeichnen könnte!«

In diesem Augenblicke ertönte der Hornruf aus der ersten Kajüte, zum Zeichen, daß sich die Reisenden für die Mittagstafel zurechtmachen sollten, und Degenrot, der dem Ingenieur leicht auf die Schulter schlug, rief ihm zu: »Nun marsch zurück zu Deinem Frauchen. Ich muß mein Hüteramt ausüben!«

Nach einem herzlichen Abschied von dem Gelehrten, dem sie beide versprechen mußten, ihn recht bald wieder zu besuchen, trennten sich alle drei.


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