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I.

Der zweite Offizier des schönen Passagierdampfers »Rostand«, Herr Julius Degenrot, Leutnant der Reserve und Inhaber zweier Rettungsmedaillen am Bande, stand hoch oben auf der Kommandobrücke und blickte träumend hinab auf das jetzt spiegelglatte, im Vollmond wie geschmolzenes Silber flutende Meer. Herr Degenrot hatte die erste Wache; es war jetzt gegen drei Uhr morgens, also hatte er noch eine volle Stunde vor sich, bis man ihn ablöste. Es war Ende März und obwohl es während des ganzen Tages ungewöhnlich heiß gewesen war, wehte jetzt eine scharfe, durchdringend kalte Luft, und der Offizier war wirklich froh, seinen wärmsten Mantel mit heraufgenommen zu haben. In lebhaftem Tempo ging er auf der Brücke laut dröhnenden Schrittes hin und her und prüfte nach alter Gewohnheit jedesmal genau an derselben Stelle die unendliche Flut vor dem Bugspriet des Schiffes. Aber nichts, gar nichts wies darauf hin, daß diese Prüfung überhaupt nötig gewesen wäre; die See schlief ruhig und harmlos wie ein Kind und ließ sich vielleicht von goldenen Träumen umfangen, und in der ganzen friedeatmenden Weite ließ sich kein anderes Schiff sehen. –

So hatte Degenrot vollauf Gelegenheit, an seine schöne Braut in Tokio, die er erst wieder vor wenigen Tagen dort zurückgelassen hatte, zu denken. Ja, sie war auch aller seiner besten und höchsten Gedanken würdig, dieses herrliche Mädchen! Und wie sonderbar hatte ihn ein gütiges Geschick mit ihr zusammengeführt!

Der Offizier errötete jetzt förmlich unter dem Eindruck dieser Erinnerung, denn sie brachte ihm aufs neue das Gefühl der Verwirrung und Scham zurück, ein Gefühl, das ihn damals so stark befallen hatte, als ihn der deutsche Generalkonsul in Tokio, der Vater seiner nunmehrigen Braut, in Gegenwart der Holden, eigenhändig die erste Rettungsmedaille an die Brust gesteckt hatte! Und wofür? Nun gerade für die Rettung seiner einzigen, heißgeliebten Tochter, die Degenrot etwa vor einem Jahre mit der eigenen, höchsten Lebensgefahr den furchtbaren Zähnen eines Haifisches entrissen hatte, als das ihm damals noch ganz fremde Mädchen durch die Tölpelei eines japanischen Junkenführers in die Flut geschleudert worden war. Ah, er, Degenrot, hätte noch jetzt an mehreren Stellen seines Körpers die blutroten, tiefen Narben aufweisen können, die an jenem Tage die Bisse des gefräßigen Ungetüms hinterlassen hatten. Aber was war der Schmerz und das Wundfieber gewesen im Vergleiche zu dem Glück, zu der unbeschreiblichen Seligkeit von »ihr« gepflegt zu werden; denn der Generalkonsul hatte fest darauf bestanden, daß der durch seinen schönen Heldenmut so arg verwundete in seinem eigenen Hause genesen müsse. Ach, und als dieses frohe Ereignis endlich eintrat, und nun beide den Anfangs überraschten Vater ihre gegenseitige Liebe gestanden, die sich so hold aus Blut Schmerzen und der zartesten Pflege entwickelt hatte, und dann der Vater schließlich mit seinem ernsten, gütigen Haupte Zustimmung genickt hatte, da hatten die beiden Liebenden keine seligen Götter beneidet. –

Die Schiffsglocke, die langsam und feierlich viermal, also die halbe Stunde anschlug, weckte den Offizier aus seinem glücklichen Sinnen. Aber nach und nach versank er wieder in dieses zurück.

Und wie rosig und golden lag die Zukunft doch vor ihm! Bei seiner nächsten Rückkehr von San Franzisko nach Tokio sollte er ja seine geliebte Johanna zum Altar führen, sie als Gattin in die Arme schließen dürfen! Das mußte ja noch ein ganz anderes ungleich erhöhtes Glück sein! – Mußte sein? Nein es war, denn er hatte ja seit mehreren Tagen solch einen Ehehimmel stets vor Augen!

Auf seinem Schiffe nämlich, dem »Rostand« befand sich ein junges ganz neu verheiratetes Paar, und zu seiner Freude hatte Degenrot in dem Gatten einen früheren Schulkameraden und Jugendfreund wiedererkannt, der einige Jahre in Japan bei einer größeren Minengesellschaft tätig gewesen war und sich nun, einem ehrenvollen glänzenden Rufe folgend, über San Franzisko nach Cusihuriachic, einem der größten Silberbergwerke Mexikos, begab.

Ja, es war eine Freude, eine Wonne, das neue Glück dieser beiden Leutchen mitanzusehen, zumal für einen jungen Mann, dem nun selbst all dieser Zauber aus einer nicht mehr allzugroßen Ferne winkte.

Und wieder und immer wieder malte sich der junge Seemann seine kommende Verheiratung mit den schönsten Farben seiner Seele aus.

So verharrte er denn oben, bis acht Glas, also das Zeichen der vierten Morgenstunde, ertönten. Noch vor dem letzten Schlage erschien der erste Offizier, ein kleiner, breitschultriger, sehr dunkler Mann von mittleren Jahren auf der Brücke. Degenrot teilte ihm seine Beobachtungen mit, die heute ja ohne jeden Belang waren, wünschte ihm eine gute Wache, die beiden Männer schüttelten einander herzlich die Hände, und Degenrot verließ seinen Posten, um tief unten in seiner Koje seine unaufhörliche, heimliche Seligkeit nun mit geschlossenen Augen weiterzuspinnen, wobei ihm seine alte, vertraute Freundin, die See, mit ihrem ewig schönen Rauschen und Nixengeflüster wunderbar beistand.

* * *

»Schlafmätzchen! – Goldkrümelchen! – Doppelgrübchen!« –

Keine Antwort! – Nur ein tiefes, befriedigtes Atmen antwortete den Schmeichelrufen des jungen Ehemannes, des Mineningenieurs Eduard Treubach, der von seiner Koje aus liebevoll nach seiner noch fest schlummernden Gattin hinüberlugte.

»Doppelgrübchen« hatte er in seiner verliebten Laune die hübsche, braune Frau genannt, weil jede ihrer vollen, roten Wangen – auch wenn sie nicht lachte – ein allerliebstes, verlockendes Grübchen trug.

Und von neuem ertönte Eduards schmeichelnde Stimme: »Faulpelzchen! – Kleines, liebes Murmeltier! – Schlafelfchen!«

Endlich! Nach zweimaligem Herumdrehen und einigen tiefen, doch glücklichen Seufzern, öffnete die holde Schläferin ein dunkles Augenpaar, das die ganz seltene Gabe hatte, die frohe Lust ihres Herzens, das köstliche, harmlose Lachen schon in seinen glänzenden Sternen zu zeigen, und sagte leise: »Baby ist so müde!«

Der junge Mann lachte schallend auf.

»Natürlich!« rief er, »natürlich ist Baby müde, Nach zehn Stunden ununterbrochenen Schlafes! Ach! mein Klärchen, das macht Dir so leicht keiner nach! Aber, mein Gutchen, jetzt wollen wir auch wirklich aufstehen; es ist Frühstückszeit, und mein Freund Degenrot, Du weißt doch: der zweite Offizier hat mir neulich gesagt, daß gerade auf diesem Dampfer die Regeln sehr streng seien; wenn wir nicht pünktlich oben sind, bekommen wir nichts zu essen! Also, jetzt einmal energisch, – vorwärts, 'raus!«

Und er spring mit einem lustigen Satz mitten auf den Boden der Kajüte.

Das Frauchen zögerte noch eine kleine Weile und sah dem Treiben ihres munteren Mannes zu, der sich nun unter allerhand possierlichen Sprüngen anschickte, die Morgenabwaschung vorzunehmen. –

Eduard Treubach war, was man so allgemein nennt, ein »schmucker« Mann, groß, kräftig, rosig von Gesichtsfarbe und hochblond. Auch Gutmütigkeit und liebevolle Gesinnung sprach aus seinen fast vergißmeinnichtblauen Augen; nur hätte ein reifer Menschenkenner darin Festigkeit und unerschütterliche Treue vermißt, ja sogar vielleicht einen Hang zum Leichtsinn, zur ungebundenen, übersprudelnden Lebensfreude entdeckt. Er war in Helena, Montana, also in den Vereinigten Staaten geboren, jedoch frühzeitig von seinem Vater, einem reichen Minenbesitzer und leidenschaftlichen Schwärmer für alles Deutsche, nach Deutschland zur Schule geschickt worden, war hier bis zu seinem reiferen Jünglingsalter geblieben und dann, nachdem er im Harz eine Bergmannsschule besucht hatte, nach seiner Heimat zurückgekehrt und hatte hier in den Silberbergwerken seines Vaters mehrere, Jahre praktisch gearbeitet. Der Vater war plötzlich infolge einer der häufigen Minenkatastrophen ums Leben gekommen, und wunderbarerweise – wie jedoch ein solches Zusammenhalten von Umständen weit öfter geschieht als sich der Mensch Rechenschaft davon gibt – war auf einmal die Silberader versiegt, spurlos, unwiederbringlich versiegt, und Eduard, der trauernde Sohn fand sich als ganz armer Mann! Allein das beugte den Lebensmut des jungen Mannes auch nicht im geringsten; auch streckten sich sofort viele Hände nach ihm aus, gute und mittelmäßige Stellungen wurden ihm zahlreich angeboten; aber seine große Sehnsucht nach der Ferne, der Fremde, seine Lust am Abenteuerlichen ließ ihn all diese Anerbietungen ausschlagen. Er wandte sich sogleich an die große Bergwerksmaschinenfabrik, » The Union Iron Works« in San Franzisko, die noch kurz vor dem Tode seines Vaters ein größeres Pochwerk in dessen nunmehr toten Mine aufgestellt hatte, und erhielt auch schon nach kurzer Zeit die Anfrage, ob er nach Japan zu gehen bereit sei, um dort in einem Bergwerk die Ausstellung mehrerer Entschwefelungsöfen zu leiten. Freudig nahm er an, war auch in dem »Lande der Kirschblüte« einige Jahre tätig, lernte hier sein Klärchen, die im Hause eines deutschen Großkaufmanns als Gouvernante weilte, kennen und lieben, verheiratete sich mit ihr und war jetzt, einem erneuten Rufe der » Union Iron Works« folgend, auf dem Wege nach dem großen und berühmten Silberbergwerk in Cusihuriachic, in der Nähe der alten Minenstadt Chihuahua, wo er als erster Ingenieur walten sollte. –

Klärchen hatte sich nun ebenfalls erhoben und bereitete sich eilig für den Frühstückstisch vor. Ihr schwarzbraunes, wie Mahagoniholz glänzendes Haar wurde schnell zu einem kecken griechischen Knoten aufgesteckt, eine Steamercape hüllte bald ihren Körper ein, dann wurde die übliche, in Tokio gekaufte Seemannsmütze aufgesetzt, und nun konnte sie schon nach wenigen Minuten ihrem ungeduldig und stets hungrig auf sie lauernden Mann zurufen: En avant! Zur table d'hôte!

In diesem Augenblicke erhielt jedoch der ganze Bau des schönen Schiffes aus irgend einem geheimnisvollen Grunde einen so gewaltigen Stoß, daß Klärchen heftig gegen Eduard geschleudert wurde und beide hingestürzt wären, wenn der Gatte nicht schon an der Tür gestanden und so einen Halt gehabt hätte.

»Nanu!« brummte er, »was hat denn der verwünschte alte Kasten?«

Aber sein Freund, der Offizier Degenrot, der jetzt gerade an seiner Lucke vorüberging, rief lachend hinein: »Hab nur keine Angst, es war nur der Stoß eines Seebebens!«


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