Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Als Eduard nach der Gepäckrevision, die in Amerika merkwürdigerweise trotz des vorgelegten und an Eidesstatt unterschriebenen Fragebogens dennoch stattfindet, seine Koffer endlich wieder geschlossen hatte, wandte er sich noch einmal an den auf seine Sachen wartenden Expreßagenten: »Also Sie kennen Mr. Williams persönlich?«

»Ich sagte Ihnen ja schon,« antwortete der Mann lächelnd, »daß ihn ganz San Franzisko als den »reichen Williams kennt; er ist ja außerdem ein großes Original!«

»Ja, das ist er!« bestätigte Eduard schnell, ohne daß er hätte angeben können, was ihn eigentlich zu diesem sicheren Urteile berechtigt hätte. Aber wie er noch so über diese Ursache nachsann, fiel ihm plötzlich ein, daß sich doch schon bisher eine Doppelseitigkeit in dem Charakter des Kaliforniers gezeigt hatte: bei Eduards Aufforderung, mit ihm den Kesselraum zu besichtigen, hatte Williams den tiefsten Widerwillen erkennen lassen; aber später, bei der Schlägerei der Heizer, war er freiwillig – zwar nicht in den Maschinenraum, so doch in das Zwischendeck, eigentlich einen noch häßlicheren Ort, hinabgestiegen! Lag hier nicht ein seelischer Widerspruch vor? Doch nun zuckten als Antwort auf diese Frage auf einmal des Kaliforniers eigene Worte durch Eduards Hirn: »Falls die Sache nicht ganz ernst und gewichtig ist!« Ah, da war sie, die Lösung dieses scheinbaren Rätsels: die Besichtigung der Schiffsmaschinen war diesem Manne als unwichtig erschienen, sein Eingreifen dagegen bei jenem recht bedrohlichen Kampfe war für ihn so wichtig, sogar mit seiner Person für Ruhe und Ordnung einzutreten! –

»Ist er denn wirklich so reich?« fragte er den Spediteur aufs neue, getrieben durch die Begierde, gleich jetzt so viel wie möglich über den interessanten Mann zu erfahren.

»Ah,« entgegnete der Agent mit einem sehnsüchtigen Ausdruck im Gesicht, »so reich, wie früher hier die Goldminen waren! – Soll ich Ihnen nicht übrigens eine Droschke besorgen?«

»Nein, danke!« erwiderte Eduard, »wie wär's, Klärchen,« redete er nun seine Frau an, die das bunte, muntere Treiben in dem Güterschuppen der Schiffsgesellschaft neugierig betrachtete, »wie wär's, wenn wir an diesem wundervollen Morgen zu Fuße gingen? Wir bekommen so gleich am besten einen richtigen Eindruck von der Stadt!«

»Mir ist's recht!« antwortete das Frauchen, »ich laufe sehr gern; wir haben ja auch nur die ganz kleine Handtasche zu tragen!«

»Sehr richtig, also vorwärts, hier haben wir ja, Gott sei Dank! – nichts mehr zu suchen; ist's weit,« fragte er noch einmal den Agenten.

»Na, bis zum Hause selbst bei gemütlichem Gehen ein kleines Stündchen!«

»Doch so lange! Und wie geht man?«

»Zunächst die ganze Third Street durch, dann biegen Sie in die Grant Avenue ein, verfolgen diese, bis Sie in die Washington Street hineinkommen, und gehen diese selbst links hinunter immer geradeaus, am Lafayette-Park vorbei und durch die Alta Plaza, und dann sind Sie auch bald bei Nummer drei!«

»Danke schön! Nun komm auch, Klärchen!«

Und die Fußwanderung unseres Paares begann.

Schon nach einem Weilchen waren sie mitten im Geschäftstrubel der Stadt, aber sofort fiel ihnen auf, daß sich hier dieses rege Leben und Weben wesentlich von demjenigen New Yorks und Chicagos unterschied, von dem soeben verlassenen Tokio gar nicht zu reden. In New York war dieses Treiben elegant, würdig, vielleicht von erkünstelter Ruhe getragen, in Chicago war es überhastig, rücksichtslos, noch etwas roh; aber hier in Frisko war auch das Streben nach Gewinn heiter, ja lächelnd, alle die vielen durcheinanderlaufenden Männer schienen vortrefflich geschlafen und gefrühstückt zu haben, so rot waren ihre Gesichter, so blitzten ihre Augen, und Eduard und Klärchen glaubten hundertmal einen vorübergehenden Herrn mit »Mr. Williams« anreden zu dürfen. –

Sie kamen am Chronikle-Gebäude und mehreren anderen »Wolkenkratzern« vorüber, doch diese interessierten sie nicht sonderlich, da sie solche ja von Chicago und besonders von Newyork aus viel höher und großartiger kannten, nein, sie blieben bei der Beobachtung der Menschen und schon nach einer Viertelstunde flüsterte Klärchen ihrem Manne zu: »Hast Du es bemerkt, Eddy, diese hübschen Frauen und Mädchen, alle wie in einer Feststimmung. Nicht so fürstlich-unnahbar, so hoheitsvoll und doch abweisend wie die Newyorkerinnen, nicht so rassig und schneidig, wie die Chicagoerinnen, aber für eine Frau viel, viel anziehender und wohltuender! Mir ist es zum Beispiel so zu Mute, als ob ich jede einzige ›Schwester‹ nennen und umarmen könnte!«

»Das macht, weil Du selber ein treffliches Frauchen bist, selber solch ein gutes Herz hast!« erwiderte ihr Gatte, dessen Stimmung ebenfalls mit jedem Schritt heiterer und wohliger wurde, »aber hier ist sie ja schon die Grand Avenue!«

Wirklich waren sie nun bei den letzten Häusern der Third Street angelangt und betraten nun die Grand Avenue. Sie freuten sich herzlich über die fast vor jedem Häuschen wuchernden riesigen Rosen- und Geraniumsträucher, die hier die ganze Luft mit ihrem Wohlgeruche erfüllten.

Aber was war das? Die Häuser wurden nach und nach kleiner, ärmlicher, dafür aber immer dichter aneinandergedrängt, zeigten oft wunderliche, bunt bemalte Holzschnitzereien in Gestalt von Drachenköpfen, unglaublich häßlichen Masken oder scheußlichen Eidechsen, die eben noch so schöne balsamische Luft war dick und brenzlich geworden, immer öfter tauchten nun bezopfte, schlitzäugige Männer in langen Kleidern auf, Männer, wie sie die beiden Eheleute dort in Tokio zu tausenden gesehen hatten, und auf einmal rief Eduard lebhaft aus: »Klärchen, Klärchen! Davon hat uns ja kein Mensch etwas gesagt: wir sind ja hier beim Chinesenviertel angelangt! Wollen wir einmal hindurchgehen?«

»Um keinen Preis!« erwiderte sie ganz erschrocken, »Das soll selbst bei Tage ohne die Begleitung eines Geheimpolizisten sehr gefährlich sein! Außerdem sollte man diesen Stadtteil gerade gründlich studieren und das nimmt mehrere Stunden in Anspruch. Nein, nein«, fuhr sie fort, »Eddy, das lassen wir uns für morgen abend, denn der Hauptspaß sollen ja die chinesischen Theater sein; wir fragen Mr. Williams nach einem zuverlässigen Führer und halten uns dann hier auf, bis wir beide genug haben, – einverstanden?«

»Gewiß, vollkommen!« erwiderte er mit andauernder Bonhomie.

Und sie setzten ihren Weg fort, hier und da scharf und herausfordernd angeglotzt von den schiefen schwarzen Augen der Chinesen, die den Ingenieur bald zu der Einsicht brachten, daß Klärchen mit Recht auf die Gefährlichkeit eines Besuches hingewiesen habe.

Nun hatten sie auch schon die Washington Straße erreicht und waren seelenfroh, nun wieder lauter schöne zierliche Wohnhäuser mit den lieblichsten Gärten davor, in denen es von kostbaren und seltenen Blumen nur so schillerte, anzutreffen. Plötzlich standen sie vor einem etwas zurückliegenden Häuschen, inmitten eines größeren, ebenfalls mit Blumen geschmückten Gartens. Über der Tür hing eine große goldene Traube herab, und darunter prangte ein Schild » California Wines«; das Häuschen zeigte sich also als Schänke.

»Wir wollen uns doch einen Augenblick in diesem reizenden Garten ausruhen und dabei ein Gläschen Zinfandel oder Sherry trinken«, sagte Eduard; dort unter der Bananenpalme ist ein anheimelndes Tischchen!«

Klärchen nickte nur zustimmend. Sie traten also ein und ließen sich nieder. Sogleich erschien ein Neger mit einem breiten, aber sehr gutmütigen Gesicht.

» Anything you want to eat, sah?« fragte er mit der gewöhnlichen tiefen, metalllosen Stimme der Schwarzen.

»Nein«, antwortete Eduard, »wir könnten jetzt nichts essen, nur eine kleine Flasche Sherry bringen Sie uns, bitte!«

» Allright, sah!«

Im nächsten Augenblick kam er wieder und stellte eine Karaffe mit einer goldbraunen Flüssigkeit darin nebst zwei Gläsern auf den Tisch.

»Ich werde gleich bezahlen«, sagte Eduard indem er in die Tasche griff.

» No charge for the wine!« »Der Wein kostet nichts.« (In San Franzisko, wie auch in anderen kalifornischen Städten wird tatsächlich Wein nicht angerechnet; er gehört in vielen bürgerlichen Wirtschaften zum Essen, etwa wie in deutschen Konditoreien das Glas Wasser zum Kaffee. Anm. des Verf.) sagte der Neger grinsend.

»Nanu! Wie kommt denn das?«

» You are here in Frisco, sah!«

»O gastfreie Stadt!« rief Eduard mit voller Begeisterung aus, »das nenne ich mir noch paradiesische Zustände! Nun, dann nehmen Sie dies wenigstens von mir an«, fuhr er fort, während er dem Schwarzen ein Geldstück hinhielt.

Aber dieser legte beide Hände auf den Rücken, sagte gurgelnd: » No, sah!« und war verschwunden. –

»Mir fehlen wirklich alle Worte!« rief nun der junge Mann erstaunt aus, »wenn sich hier schon ein Neger so freigiebig und stolz zeigt, da wundert mich eigentlich die Einladung unseres steinreichen Wirtes gar nicht so sehr, das muß hier einfach in der Luft liegen!«

»Ohne Frage!« bestätigte Klärchen, »aber wir wollen lieber nicht so viel trinken, damit wir recht hübsch und klar bei unserem Gastgeber erscheinen.«

»Du hast recht«, entgegnete er, »gehen wir!«

Obgleich er niemand in dem Häuschen sah, rief er doch hinein: » Good bye and many thanks!« Der Schwarze zeigte sich nicht wieder, aber seine tiefe, heisere Stimme schallte zurück: » Don't mention it! Call again Keine Ursache! Kommen Sie bald wieder!«

»Ja, das wollen wir auch!« sagte Eduard zu seiner Gattin, »aber dann bringe ich diesem guten Schwarzen ein Geschenk mit, vielleicht einen japanischen Spazierstock!«

»Oder eine Busennadel aus Silberfiligran«, meinte Klärchen, »die Schwarzen lieben sehr Schmucksachen!«


 << zurück weiter >>