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X.

Die beiden hatten ihren Weg noch nicht lange fortgesetzt, als sie urplötzlich von einer leichten Wolke grauen Sandes überrieselt wurden.

Ganz erschrocken blieben sie stehen, und Eduard brummte: »Na, wer hat sich denn den dummen Spaß gemacht? Das geht denn doch über heitere Neckerei!« Er glaubte nämlich, jemand hätte sie aus irgend einem Hause so beworfen.

Aber während sie noch den Sand von sich abschüttelten, ertönte in der Luft ein lautes Pfeifen und Sausen; und nun lachte Eduard auf.

»Richtig«, sagte er, »das hatte ich wieder vergessen, obschon ich es früher so oft gehört und gelesen habe: es ist ja zehn Uhr morgens, da setzt ja hier mit mathematischer Gewißheit der scharfe Tradewind ein, und so hat auch diese wunderbare Stadt ihre – Geißel!«

»Nun, eine Geißel möchte ich es nicht gerade nennen«, meinte Klärchen, »unangenehm ist es ja auf alle Fälle, aber die hier Ansässigen werden sich schon zu schützen wissen, indem sie einfach um diese Zeit nicht ausgehen. Aber sieh' mal, was uns dort für eine prächtige Equipage entgegengebraust kommt!« Eduard blickte auf und sah wirklich eine höchst elegante, von zwei feurigen Apfelschimmeln gezogene Karosse herankommen. Wer beschreibt aber das Erstaunen unserer beiden Leutchen, als sie in dem darin sitzenden Herrn – Mr. Williams erkannten.

Wirklich war er es, und nun erkannte Eduard mit einem Schlage die Wahrheit in den Worten des Expreßagenten: »Ah, so reich wie früher hier die Goldminen waren!« – Ja, nun gab es auch für den jungen Ingenieur keinen Zweifel mehr: es war nicht sowohl das kostbare Gefährt, das diese Vorstellung unabweislich erweckte, nein, vielmehr war es noch der Mann selber: die Art, wie er sich hielt, der sichere, kühne Ausdruck in seinem rosigen Gesicht und den blitzenden Augen, ein Ausdruck, den immer nur große Macht verleiht, seine schöne, charaktervolle Hand, die man sich recht wohl gebietend über Millionen ausgestreckt denken konnte. Und bange schlich die Frage noch einmal über Eduards Herz: »Wie kommst du zu diesem Manne? Was hat er mit dir vor? In seinen Kreis gehörst du doch nicht!«

Aber nun war der Wagen bei dem Paare angelangt, Mr. Williams grüßte freundlich aber kurz und ließ durch nichts erkennen, daß er sich über ihre Ankunft freue, sie willkommen heiße – gar nichts. Nicht einmal – wie sie beide doch sicher erwartet hätten – anhalten ließ er, sondern fuhr, ohne sich weiter um sie zu kümmern, davon und war bald ihren erstaunten Blicken entschwunden.

»Was heißt das nur?« sagte Eduard, indem er stehen blieb und verlegen seinen Hut abnahm. »Ist das die vielgerühmte Gastfreundschaft San Franziskos?«

»Ja, es ist sehr merkwürdig«, bestätigte Klärchen, »statt einige Worte mit uns zu sprechen, uns zu sagen, wo sein Haus genau liegt und an wen wir uns dort zu wenden hätten, behandelt er uns wie flüchtige, schon halb vergessene Reisebekanntschaften! – Du, Eddy«, rief sie nach einer kleinen Pause.

»Nun?« fragte er nachdenklich und ganz aus seiner guten Laune hinausgeschleudert.

»Denkst Du nicht, es wäre für uns besser, ein Hotel aufzusuchen?«

Da erwachte aber seine alte Halsstarrigkeit, sein trotziges Ungestüm. Er stampfte mit dem Fuße auf und schrie: »Nein, nun grade nicht! Jetzt will ich erst sehen, was dieses Theater zu bedeuten hat – komm nur, wir müssen gleich da sein!«

Wirklich hatten sie schon den Lafayette-Park hinter sich und näherten sich der Alta Plaza, und kaum waren sie an dieser vorüber, deren Reize beide in ihrer augenblicklichen Stimmung gar nicht beachteten, als Klärchen leise ausrief: »Da ist ja Nummer drei – o wie elegant – ach, wie ist mir bange!«

»Närrchen!« schalt er zurück, mußte sich aber doch selbst zugestehen, daß er ein ganz ähnliches Gefühl hatte. Von neuem blieben nun beide stehen und betrachteten stumm das Haus vor sich. Es war ein zweistöckiges, für seine Höhe sehr breites Gebäude aus roh behauenen, rötlich grauen Granitblöcken, mit auffallend großen Fenstern, deren Scheiben aus französischem Spiegelglas und deren Kreuze aus blankpoliertem Cedernholz waren, ebenso bestand die Haustür aus Cedernholz. Rings um dieses in vollkommener Ruhe daliegende Haus zog sich ein mäßig großer Garten mit Kugelmyrten, Kugelakazien und einer Unzahl großer Büsche mit brennendroten Geranien und heißglühenden Rosen, die einen wahrhaft betäubenden Duft, wie von tiefer, ewig unbefriedigter Lebensbegierde ausströmten. Überall herrschte die peinlichste Ordnung und Sorgfalt und man konnte wohl ahnen, daß hier zwei hohe vornehme Frauen walteten.

Bevor Eduard und Klärchen, immer noch zaudernd, den roten Kiesweg betraten, blickten sie sich noch einmal um und gewahrten, daß fast alle benachbarten Häuser aus Holz, wiewohl mit äußerster Eleganz errichtet waren.

Endlich waren sie bei der Cederntür angelangt, Eduard drückte die elektrische Klingel, und ein junger Neger, fast noch ein Kind, öffnete die Tür so schnell, daß anzunehmen war, er habe schon lange hinter der Tür auf die beiden gewartet.

Ehe Eduard noch Zeit fand, den Mund aufzutun, fragte der Knabe schon, wobei eine Doppelreihe der schönsten Zähne zum Vorschein kam, lächelnd: »Mr. und Mrs. Treubach?« Er sprach das »Trubäck« aus – und als nun Klärchen für ihren Mann, der ganz die Sprache verloren zu haben schien, antwortete: »Jawohl, das sind wir!«, öffnete er die Tür und sagte mit gedämpfter Stimme, die ungemein schmeichelnd klang: »So treten Sie nur, bitte, ein, es ist schon alles für Sie zurechtgemacht!«

Und unhörbar glitt er über die dicken indischen Teppiche und Läufer dahin.

Ah! Nun erst atmete das Pärchen wieder erleichtert auf, und statt der soeben noch gefühlten Bangigkeit erfüllte sie plötzlich ein unbeschreibliches Wohlgefühl, gerade so, als ob sie einer schweren Gefahr entronnen und nun von liebevollen, rettenden Armen aufgefangen wären! –

Sie folgten dem unausgesetzt zärtlich lächelnden Negerknaben, der sie jetzt zwei Treppen emporführte, bis er endlich eine Tür öffnete und auf eine Flucht von drei Zimmern mit einer generösen Handbewegung hinwies, als sei er selber der großherzige Gastfreund.

» This is yours, Mr. and Mrs. Trubäck! I am at your special disposal and whenever you want me, ring this bell here three times!« »Das gehört Ihnen, Herr und Frau Treubach! Ich stehe zu Ihrer besonderen Verfügung, und sobald Sie mich brauchen, bitte, drücken Sie diese Klingel dreimal!«

Und mit diesen Worten zog er sich schmeichelnd, zärtlich lächelnd zurück.

Eduard verschloß nun schnell die Tür und sagte: »Zunächst noch einmal gründlich waschen! Donnerwetter, der verwünschte Sand ist mir bis in den Rücken hinuntergekrochen!«

»Du, Klärchen!« rief er nun erstaunt aus dem andern Zimmer heraus: »Denk Dir bloß: hier sind zwei Schlafzimmer hintereinander, – ah, dieser Luxus, diese Üppigkeit! In dem einen ist das Waschgeschirr ganz von getriebenem Silber, in dem andern gar von Gold, – welch eine Verschwendung!«

»So schrei doch nicht so!« rief sie ganz ängstlich, während sie herbeieilte, »weißt Du denn, ob die Wände hier Ohren haben, ob man uns nicht belauscht?

»Recht hast Du!« flüsterte er nun, »aber sieh Dich doch nur mal um!«

Klärchen mußte im Stillen zugeben, daß ihr Gatte in seinen verwunderten Ausrufen nicht übertrieben hatte: in den beiden Schlafzimmern machte sich wirklich eine überladene, bazarähnliche Pracht geltend. Schon allein diese Betten! Kein Kaiser hätte sich ein üppigeres Ruhelager wünschen können! Die mächtigen Gestelle mit dem Himmelbett und den Moskito-Gardinen schienen ebenfalls aus Gold oder doch vergoldet zu sein, und die statt der Federbetten aufgelegten Schlafdecken waren mit dem schwersten Atlas überzogen; dabei waren beide Betten unverhältnismäßig breit, und jedes nahm beinahe die Hälfte ihres Gemaches ein. Wie den Besitzern bei dem Waschgeschirr eine Abwechslung von Silber zu Gold, also von weiß zu gelb, notwendig zu sein schien, so mochten sie es auch für geboten gehalten haben, dem einen Lager blaue, dem andern rote Decken zu geben. Überhaupt machte sich dieser Drang zur Abwechslung, dieses vielleicht unbewußte Hinstreben nach immer Besserem, Feinerem, Reicherem an fast allen Gegenständen dieser Räumlichkeiten bemerkbar: an den schönen Fenstervorhängen, an den Stühlen und Sesseln, deren jeder einzige eine andere Form und Farbe hatte, an den Büchern, die überhaupt nur in ihrem kostbaren Schranke zu stehen schienen, um noch mehr Glanz und Fülle auszuströmen, – kurz in allem zeigte sich eine geheime Sucht, reich und mächtig zu erscheinen!

»Na, nun wollen wir aber auch!« sagte Eduard und beugte sich, jedenfalls ganz unbewußt, über das goldene Waschbecken.

»Nee, Du, so haben wir nicht gewettet,« rief ihm aber jetzt Klärchen zu, indem sie ihn ohne weiteres wegdrängte, »Du weißt doch: ein galanter Ehemann ... überläßt seiner Frau immer das Beste; also Gold für Doppelgrübchen, Silber für den bescheidenen Bergmann Eddy!«

Er lachte vergnügt vor sich hin, und nun machten sich beide an die willkommene Erfrischung.

Als sie sich endlich wieder angekleidet hatten, gingen sie zurück zu ihrem kleinen Salon und traten hier ans Fenster.

»Sieh doch, Klärchen,« sagte der junge Mann, »diese herrlichen Magnolia-Sträucher, deren Blüten so leuchten wie elektrische Flammen, haben wir vorhin ja gar nicht gesehen!«

»Ja,« meinte sie, »und dort drüben die ganz einzigen Blumen, deren Ranken sich um den Eukalyptus winden und so aussehen, wie große, zarte Schmetterlinge, auch nicht!«

»Das sind Orchideen!« belehrte er, »aber dieses mächtige, kasernenartige Gebäude hier links mit den vielen, schönen Anlagen rings umher – was mag das nur sein? Halt, ich hab's!« rief er dann ganz glücklich aus, »das ist sicher das »Presidio«, auch »Militär-Reservation« genannt; Du, Kläre, da soll es die denkbar schönsten Promenaden und Fahrwege geben – das wollen wir ja nicht versäumen.«

Sie lächelte.

»Ach, in den drei Tagen – was willst Du da nicht alles unternehmen!« sagte sie, »heute Nachmittag willst Du ja hinaus nach Deiner Fabrik, den Union Iron Works, das wird ja den Rest des heutigen Tages beanspruchen; da ist also schon der erste weg ...«

»Na«, unterbrach er sie mit leiser Stimme schalkhaft, »am Ende legen wir – noch einen zu!«

Nun drohte sie ihm aber mit dem Finger und entgegnete: »Du, Du, nimm Dich in Acht vor Frisko!« Wie ich Dir schon neulich auf dem Schiffe sagte, soll diese Stadt, besonders für Männer, sehr verführerisch sein! Werde mir nicht leichtsinnig, Eddy! Du weißt: leichte, unbeständige Männer sind mir ein Greuel! Vor allem muß ein Mann fest und energisch sein!«

»Na ja, schon gut!« versetzte er leicht verstimmt, »ich muß ja überhaupt erst abwarten, was die Herren in der Fabrik mir zu sagen haben – eher kann ich ja gar nichts bestimmen!«

Ach! Eine dumpfe Ahnung sagte jetzt schon dem Frauchen, daß die » Herren in der Fabrik« ihren Gatten länger, ach viel länger als drei Tage hier halten würden! Ja, sie wußte es: Luft und Sonne dieser Stadt fingen schon an, auf diesen kindguten, aber raschen und neuen Eindrücken leicht zugänglichen Menschen zu wirken! –

In diesem Augenblick wurde leise an die Tür geklopft, und Eduard schloß diese nun schnell wieder auf. Der Negerknabe stand draußen und fragte ganz leise, ob es Mr. und Mrs. Trubäck wohl jetzt genehm wäre, mit den Damen des Hauses, den Schwestern des Herrn Williams, Fräulein Franziska und Fräulein Cäcilie, bekannt zu werden – es plauderte sich dann bei Tische weit ungezwungener –, hätten die Damen gemeint. Ja? Dann sollten sich die Herrschaften gütigst nach dem »großen Salon« hinunterbemühen; er, Snowball, werde sie unten am Treppenfuße erwarten und dann hingeleiten. Und geräuschlos wie ein Schatten wollte er hinweggleiten.

Aber Eduard rief ihm schnell zu: »Hör' mal, Du, mein Junge, noch einen Augenblick ... also Snowball heißt Du ... sag doch, dies ist ein so feines, reiches Haus ... sollen wir uns nicht für die Vorstellung bei den Damen in große Toilette oder mindestens einen Gesellschaftsanzug werfen?«

Aber diesmal schien der junge Schwarze allen Respekt, alle Diskretion zu vergessen. Er lachte kurz auf, wobei seine Augen einen förmlich diebischen Ausdruck annahmen. Endlich antwortete er: »In diesem Hause, Herr?! Hier fragt man nichts darnach, und wenn Sie in Hemdsärmeln herunterkommen!« Und er eilte fort.

»Nun, diesen Ausdruck halte ich entschieden für übertrieben«, sagte jetzt Klärchen zu ihrem noch immer ganz verblüfften Manne, »aber was der Bursche richtig hat sagen wollen und was – wie es mir vorkommt – ich selber auch merke und fühle, ist, daß hier eine unbegrenzte Willens- und Geschmacksfreiheit am Platze ist, so lange nur Sittlichkeit und Takt nicht verletzt wird; Du wirst einmal sehen ... jetzt komm!


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